BGE 103 II 287
 
48. Urteil der I. Zivilabteilung als staatsrechtliche Kammer vom 6. Dezember 1977 i.S. Dumex AG und A/S Dumex gegen F. Hoffmann-La Roche & Co. AG und Justizkommission des Kantons Zug
 
Regeste
Vorsorgliche Massnahmen nach Art. 77 ff. PatG.
2. Art. 79 Abs. 2 PatG. Von einer vorsorglichen Massnahme kann auf Grund dieser Bestimmung nur abgesehen werden, wenn die Sicherheit bereits geleistet worden ist (E. 5).
 
Sachverhalt


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A.- Die F. Hoffmann-La Roche & Co. AG, Basel, ist Inhaberin verschiedener Schweizerpatente über Verfahren zur Herstellung der Wirkstoffe Diazepam und Nitrazepam, die sie

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zur Herstellung ihrer Präparate VALIUM und MOGADON verwendet. Die Dumex AG, Zug, Tochtergesellschaft der A/S Dumex, Kopenhagen (Dänemark), befasst sich mit Einfuhr und Vertrieb von pharmazeutischen, chemischen und kosmetischen Erzeugnissen. Im Jahre 1976 erhielt sie von der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel Vertriebsbewilligungen für schweizerische Apotheken für ein Psychopharmakum STESOLID, enthaltend Diazepam, sowie für ein Hypnotikum DUMOLID, enthaltend Nitrazepam.
B.- Am 21. Dezember 1976 stellte die F. Hoffmann-La Roche & Co. AG beim Kantonsgerichtspräsidium Zug das Gesuch, es sei der Dumex AG, Zug, und der A/S Dumex, Kopenhagen, im Sinne einer vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 77 PatG unter Androhung der Ungehorsamsfolgen von Art. 292 StGB zu verbieten, Diazepam und Nitrazepam sowie namentlich auch die diese Wirkstoffe enthaltenden Präparate STESOLID und DUMOLID einzuführen, herzustellen und zu vertreiben. In Bestätigung einer am 22. Dezember 1976 ergangenen superprovisorischen Verfügung gab der Kantonsgerichtspräsident am 29. März 1977 dem Begehren statt.
Gegen die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten erhoben die Dumex AG und die A/S Dumex bei der Justizkommission des Kantons Zug Beschwerde, die jedoch am 21. Juni 1977 abgewiesen wurde.
C.- Die Dumex AG und die A/S Dumex führen gegen den Entscheid der Justizkommission des Kantons Zug beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, allenfalls nur hinsichtlich des Wirkstoffes Diazepam und namentlich des diesen Wirkstoff enthaltenden Präparates STESOLID. Die F. Hoffmann-La Roche & Co. AG trägt auf Abweisung der Beschwerde an.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde insoweit, als sie sich auf Nitrazepam und auf das mit diesem Wirkstoff hergestellte Präparat DUMOLID bezieht. In diesem Zusammenhang führen die Beschwerdeführerinnen aus, DUMOLID sei in der Schweiz weder auf dem Markt noch stehe es unmittelbar zum Vertrieb bereit, weshalb dieser Streitgegenstand von nur untergeordneter Bedeutung sei. Im übrigen

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verzichten sie unter Hinweis auf die Patentschriften auf weitere Ausführungen und anerkennen im Sinne ihres Eventualantrages den Entscheid der Justizkommission in diesem Punkte. Damit genügt die Beschwerde dem Erfordernis des Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht, der bestimmt, dass sie eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten muss, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt seien.
Die Beschwerdegegnerin behauptet, die Beschwerdeführerinnen verletzten durch die Herstellung des Wirkstoffes Diazepam ihre entsprechenden Verfahrenspatente. Sie kann sich auf Art. 67 Abs. 1 PatG stützen, wonach dann, wenn sich eine Erfindung auf ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses bezieht, bis zum Beweis des Gegenteils jedes Erzeugnis von gleicher Beschaffenheit als nach dem patentierten Verfahren hergestellt gilt. Unbestritten ist vorliegend, dass die Patente der Beschwerdegegnerin gültig sind und ein neues Erzeugnis betreffen sowie dass das in Frage stehende Erzeugnis der Beschwerdegegnerin gleich beschaffen ist, wie dasjenige der Beschwerdeführerinnen. Unangefochten ist auch die Feststellung, dass ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil im Sinne von Art. 77 Abs. 2 PatG droht; soweit die Beschwerde auf diese Frage eingeht, wird jedenfalls nirgends erklärt, dass und weshalb diesbezüglich Willkür gegeben wäre. Kernfrage des vorliegenden Rechtsstreites ist indes, inwiefern die Beschwerdeführerinnen die nach Art. 67 Abs. 1 PatG gegen sie wirkende gesetzliche Vermutung zu entkräften vermochten. Zu Recht prüften die kantonalen Behörden diese Frage; entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen kann angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung in diesem Zusammenhang von einer willkürlichen Beweislastverteilung nicht die Rede sein.


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Da es in der vorliegenden Streitsache um vorsorgliche Massnahmen geht, hat der Antragsteller lediglich glaubhaft zu machen, dass die hiefür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. Anderseits kann aber auch vom Gesuchsgegner, der in einem solchen Verfahren die aus Art. 67 Abs. 1 PatG sich ergebende und gegen ihn wirkende Vermutung zu widerlegen hat, nicht mehr als ein Wahrscheinlichkeitsbeweis verlangt werden (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, Band III, 2. Auflage, Bern 1975, S. 657 und 659/2; TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band II, 2. Auflage, Basel und Stuttgart 1971, S. 1195). Es wäre rechtsungleich und würde damit gegen Art. 4 BV verstossen, vom Gesuchsgegner im Rahmen vorsorglicher Massnahmen den strikten Gegenbeweis zu verlangen. Dennoch kann er der Vermutung von Art. 67 Abs. 1 PatG nicht mit der blossen Behauptung entgehen, er stelle das fragliche Erzeugnis nach einem ungenannten andern Verfahren her, sondern er muss darlegen, nach welchem Verfahren das geschieht. Da aber die blosse Glaubhaftmachung genügt, darf im Verfahren über vorsorgliche Massnahmen nicht ein vollständiger Beweis über die Einzelheiten dieses Verfahrens, seine Tauglichkeit zum behaupteten Zweck und seine tatsächliche Verwendung bei der Herstellung des Erzeugnisses verlangt werden.
In der Vernehmlassung an den Kantonsgerichtspräsidenten vom 3. Januar 1977 machten die Beschwerdeführerinnen geltend, dass sie eigene Verfahren entwickelt hätten, um Diazepam herzustellen. Zum Beweise dafür beriefen sie sich auf entsprechende schweizerische Patentschriften, die sie ins Recht legten. Die Justizkommission führt aus, die Beschwerdeführerinnen hätten - indem sie gegenüber dem Kantonsgerichtspräsidenten vorbrachten, ihre eigenen Herstellungsverfahren umfassten eine Reihe von chemischen Vorgängen, die in einem summarischen Verfahren nicht geschildert werden könnten - ihr Verfahren nicht offengelegt. Schon diese Auffassung ist jedoch höchst fragwürdig, beriefen sich die Beschwerdeführerinnen doch gleichzeitig auf entsprechende Patentschriften. Zu Recht tritt die Justizkommission deshalb gleichwohl auf die geltend gemachten Beweismittel ein, erachtet diese aber ohne nähere Begründung als nicht genügend. Mittels Patentschriften, wie die Beschwerdeführerinnen sie ins Recht legten, kann indes ein Wahrscheinlichkeitsbeweis im

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dargelegten Sinne durchaus erbracht werden, da die in der Patentschrift enthaltene Beschreibung der Erfindung diese so darzulegen hat, dass der Fachmann sie ausführen kann (Art. 63 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 PatG). Indem die Justizkommission überhaupt nicht prüfte, inwiefern die Herstellungsverfahren der Beschwerdeführerinnen aus den bereits dem Kantonsgerichtspräsidenten vorgelegten Patentschriften ersichtlich seien, kann sie eine sachliche, ernsthafte Beweiswürdigung nicht mehr für sich in Anspruch nehmen; sie überging Entscheidendes und verfiel damit in Willkür (vgl. BGE 100 Ia 127/128).
Sollte sich die Justizkommission durch eine solche Untersuchung überfordert gefühlt haben, so hätte sie einen Sachverständigen zuziehen müssen, was sie nach dem angefochtenen Entscheid von Amtes wegen hätte tun können. Dass es vorliegend um eine vorsorgliche Massnahme geht, steht dem nicht entgegen, kann doch der Richter bei der Formulierung der Fragen an den Sachverständigen darauf Rücksicht nehmen, dass es nur um die Glaubhaftmachung einer bestimmten Behauptung geht (TROLLER, a.a.O., S. 1205 Anm. 155; BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., S. 659/3).
3. Eine Prüfung der Patentschriften erübrigte sich freilich, wenn die Beschwerdeführerinnen nicht glaubhaft machen könnten, dass sie nach ihren eigenen Herstellungsverfahren produzieren. Vor dem Kantonsgerichtspräsidium Zug behaupteten sie, dass sie seit neun Jahren Diazepam ausschliesslich nach ihrem eigenen Verfahren herstellten, was die Beschwerdegegnerin genau wisse. Diese Behauptung wiederholten sie sinngemäss in ihrer Beschwerdeschrift an die Justizkommission. Zum Beweise dafür beriefen sie sich vor allem auf einen am 27. Juni 1967 vor Stadtgericht Kopenhagen zwischen der Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin 2 abgeschlossenen Vergleich, mit dem ein Verfahren vereinbart wurde, das sicherstellen soll, dass die Beschwerdeführerin 2 nach ihren eigenen Methoden Diazepam herstelle. Entsprechende Untersuchungsberichte wurden bereits vor erster Instanz ins Recht gelegt. Ebenso legten die Beschwerdeführerinnen dem Kantonsgerichtspräsidenten Kontrollformulare vor, die belegen sollen, dass das Diazepam, das in der Schweiz vertrieben werden sollte, ausschliesslich nach dem besonderen Verfahren der Beschwerdeführerin 2 hergestellt worden sei.


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Die Justizkommission äussert sich dazu nicht, sondern verweist auf die Erwägungen des Kantonsgerichtspräsidenten. Dieser führt vorerst aus, den von den Beschwerdeführerinnen eingelegten Sachverständigenberichten könne entnommen werden, dass ein grosser Teil des von der Beschwerdeführerin 2 verarbeiteten Diazepams nach Dänemark eingeführt worden sei, weshalb der von beiden Parteien bestellte Sachverständige den Produktionsvorgang gar nicht habe überprüfen können. Nach dem Vergleich von 1967 ergibt aber die Zusammensetzung des Enderzeugnisses darüber Aufschluss, nach welchem Verfahren dieses hergestellt wurde. Es muss deshalb genügen, dass der von den Parteien gemeinsam bestellte Sachverständige auch das eingeführte Diazepam untersuchen konnte, was er z.B. nach seinem Bericht vom 2. September 1976 wirklich tat. Unbehelflich ist auch der weitere Einwand des Kantonsgerichtspräsidenten, dass die Vereinbarung von 1967 jedenfalls höchstens den Schluss zulasse, das Patent Nr. 418'341 der Beschwerdegegnerin, welches in jenem Verfahren in Frage stand, sei nicht verletzt; über die andern vier für Diazepam geltend gemachten schweizerischen Patente sei damit noch nichts ausgesagt. Dergestalt werden aber die Anforderungen an eine blosse Glaubhaftmachung willkürlich überspannt. Der Kantonsgerichtspräsident und mit ihm die Justizkommission gehen ja ausdrücklich davon aus, dass die Beschwerdeführerinnen in Dänemark nach ihrem eigenen Verfahren Diazapam herstellen. Dieses Verfahren hat jedenfalls vor einem der Patente der Beschwerdegegnerin Bestand und wird von ihr laufend kontrolliert. Das vereinbarte Überwachungsverfahren lässt es jedoch als sehr unwahrscheinlich erscheinen, dass jene Herstellungsweise nur die Rechte der Beschwerdegegnerin aus einem einzigen Patent wahre, andere ihrer Patente aber verletze. Wenn die Beschwerdeführerinnen sich in der Folge auf eine Kette von Produktionsbelegen berufen, um darzutun, dass in der Schweiz nur Diazepam vertrieben werde, das vom gemeinsam bestellten Sachverständigen in Dänemark geprüft worden ist, hätten die kantonalen Behörden darauf eingehen müssen. Indem sie das unterliessen und auch die Patentschriften der Beschwerdeführerinnen nicht würdigten, ist ihr Vorgehen sachlich nicht vertretbar und damit willkürlich. Das führt zur Gutheissung der Beschwerde, soweit sie Diazepam und auf diesem Wirkstoff beruhende Präparate betrifft.


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4. Gestützt auf § 212 in Verbindung mit § 205 der zugerischen ZPO hat die Justizkommission neue Begehren, neue tatsächliche Einreden und Beweismittel im Beschwerdeverfahren als nicht zulässig erachtet. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine willkürliche Handhabung dieses Novenverbotes. Dass die Justizkommission die dem Einzelrichter eingereichten Patentschriften auf ihren Inhalt hätte prüfen müssen, ist schon oben dargelegt worden, weshalb sich im Zusammenhang mit dem Novenverbot weitere Ausführungen dazu erübrigen. Die Beschwerdeführerinnen sind aber auch der Auffassung, sie hätten im Beschwerdeverfahren mit neuen Vorbringen zugelassen werden müssen, weil der Kantonsgerichtspräsident der Beschwerdegegnerin zwar das Recht zur Replik einräumte, sie selber aber nicht mehr duplizieren liess. In der Tat könnte darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen, die im Beschwerdeverfahren zur Zulassung von Noven führen müsste. Zu Recht wird nicht vorgebracht, dass im summarischen Verfahren ein generelles Duplikrecht bestehe, das unbekümmert um neue Vorbringen der Replik bestünde. Zum letzteren stellt der angefochtene Entscheid fest, die Beschwerdeführerinnen hätten in ihrer Beschwerde an die Justizkommission zwar behauptet, dass in der Replikschrift der Beschwerdegegnerin "eine Unzahl von neuen Behauptungen aufgestellt" worden seien, welchen "unbedingt noch entgegnet werden" müsse; welches diese neuen Behauptungen gewesen seien, hätten sie aber nicht dargetan. Das widerlegen die Beschwerdeführerinnen vor Bundesgericht nicht. Wenn sie die vor der Justizkommission unterlassene Substantiierung vor Bundesgericht nachholen wollen, ist das bei einer Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV nicht zulässig (BGE 102 Ia 246 E. 2, BGE 101 Ia 28 E. 1).
5. Sowohl im erst- als auch im zweitinstanzlichen Verfahren erklärten die Beschwerdeführerinnen sich bereit, unverzüglich eine Kaution zu leisten und zwar in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe. Beide kantonalen Instanzen haben dieses Angebot stillschweigend übergangen. Die Beschwerde rügt das nicht etwa als Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern bringt sinngemäss vor, die kantonalen Behörden hätten von der nach Art. 79 Abs. 2 PatG gebotenen Möglichkeit willkürlich keinen Gebrauch gemacht. Nach dieser Bestimmung kann von einer vorsorglichen Massnahme abgesehen

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werden, wenn der Gesuchsgegner angemessene Sicherheit leistet. Das setzt indessen schon nach dem Wortlaut voraus, dass die Sicherheit bereits geleistet und nicht bloss angeboten worden ist (BGE 94 I 14 E. 10). Auch dann läge es im richterlichen Ermessen, die fragliche Massnahme aufzuheben oder nicht. Dabei ist zu beachten, dass eine solche Ersatzlösung nur selten die notwendige Gewähr für volle Wiedergutmachung des Schadens bietet, den die vorsorgliche Massnahme abzuwenden hat (vgl. TROLLER, a.a.O., S. 1209). Aus welchen Gründen es sich vorliegend anders verhalten soll, tut die Beschwerde nicht dar. Der den Beschwerdeführerinnen drohende Schaden allein vermag ein solches Vorgehen jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid der Justizkommission des Kantons Zug vom 21. Juni 1977 aufgehoben, soweit er Diazepam und diesen Wirkstoff enthaltende Präparate, namentlich STESOLID, betrifft.