Urteilskopf
104 II 44
8. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. März 1978 i.S. Contacta AG für Öffentlichkeitsarbeit gegen "Schweiz", Unfall-Versicherungs-Gesellschaft
Regeste
Verdienstausfallversicherung;
Art. 72 VVG.
Verpflichtet sich ein Versicherer für einen Schaden infolge einer Körperverletzung aufzukommen, so handelt es sich dabei um eine Schadensversicherung, bei der im Umfange der erbrachten Versicherungsleistungen Subrogation gemäss Art. 72 VVG eintritt; eine Versicherung, die den tatsächlichen Verdienstausfall ausgleichen soll, ist eine solche Schadensversicherung (Änderung der Rechtsprechung; E. 4).
A.- Peter Kappeler wurde am 13. September 1974 erheblich verletzt, weil der von ihm gesteuerte Personenwagen durch das von Henri Schmitt geführte, gleichartige Motorfahrzeug gerammt wurde. Am Unfall traf Kappeler kein Verschulden. Während längerer Zeit war er ganz oder teilweise arbeitsunfähig. Trotzdem zahlte ihm seine Arbeitgeberin, die Contacta AG für Öffentlichkeitsarbeit, den Lohn bis zum 30. April 1976 in vollem Umfange weiterhin aus.
Die Contacta AG für Öffentlichkeitsarbeit bzw. ihre Muttergesellschaft hatte zu Gunsten ihres Personals bei der "Neuenburger", Schweizerischen Allgemeinen Versicherungs-Gesellschaft, eine Kollektivunfallversicherung abgeschlossen. Danach
BGE 104 II 44 S. 45
hatte die "Neuenburger" bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit eines Angestellten der Versicherungsnehmerin eine Tagesentschädigung in der Höhe von 100% des Tagesverdienstes, jedoch höchstens während der Dauer von 720 Tagen innert fünf Jahren vom Unfalltage an zu bezahlen. Auf Grund dieses Versicherungsvertrages zahlte die "Neuenburger" der Contacta AG für Öffentlichkeitsarbeit Fr. 56810.-, wofür Kappeler sein Einverständnis gab.
Der für den Unfall verantwortliche Motorfahrzeughalter war bei der "Schweiz", Unfall-Versicherungs-Gesellschaft, im Sinne von Art. 63 SVG gegen Haftpflicht versichert. Seine Ansprüche gegen diese Versicherungsgesellschaft trat Kappeler am 29. Dezember 1975 an seine Arbeitgeberin ab, und zwar "im Umfange der bisherigen und künftigen Lohnzahlungen der Contacta AG an den Unterzeichneten seit dem Unfalldatum für solange, als seine Arbeitsunfähigkeit infolge des Unfalles besteht". Die "Schweiz" hatte Kappeler im Jahre 1975 eine Akontozahlung von Fr. 10'000.- geleistet. In der Folge forderte die Arbeitgeberin Kappelers auf Grund der Abtretungserklärung von der Versicherungsgesellschaft die Zahlung weiterer Fr. 60761.-. Diese lehnte indes ab, weil sie einerseits bereits eine Anzahlung von Fr. 10'000.- geleistet habe und anderseits die in Frage stehenden Ansprüche auf die "Neuenburger" übergegangen seien.
B.- Am 25. März 1977 erhob die Contacta AG für Öffentlichkeitsarbeit beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die "Schweiz", Unfall-Versicherungs-Gesellschaft, Klage, mit der sie sinngemäss die Zahlung von Fr. 60761.- forderte. Mit Urteil vom 6. September 1977 wies der Appellationshof (III. Zivilkammer) die Klage ab.
C.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie beantragt Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zusprechung der Klage im Betrage von Fr. 50761.- nebst Zins seit einem gerichtlich zu bestimmenden Zeitpunkt, spätestens aber seit 12. April 1976; allenfalls sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Im vorinstanzlichen Verfahren stützte die Klägerin ihr Klagebegehren ausschliesslich auf die Abtretungserklärung
BGE 104 II 44 S. 46
Kappelers. Damit übereinstimmend prüfte die Vorinstanz nur, ob Kappeler gegenüber der Beklagten ein Schadenersatzanspruch zustand, den er der Klägerin abtreten konnte. Das ist nicht etwa eine rechtliche Würdigung, an die das Bundesgericht nicht gebunden wäre (
Art. 63 Abs. 1 OG), sondern die tatbeständliche Anspruchsgrundlage, die nach der Verhandlungsmaxime vom Ansprecher bestimmt wird. Wenn demgegenüber die Klägerin in ihrer Berufungsschrift ausführt, dass sie nicht nur kraft Zession klage, sondern auch Ansprüche "aus eigenem Regressrecht" erhebe, ist das neu und damit unzulässig (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
2. Die Vorinstanz weist die Klage unter anderem mit der Begründung ab, dass Kappeler keinen Schaden erlitten habe, weil die Klägerin und die "Neuenburger" mit ihren Zahlungen für seinen Verdienstausfall aufgekommen seien.
Für das Bundesgericht verbindlich hält der Appellationshof fest, dass sich die Klägerin die dem Kappeler ausgerichteten Zahlungen seitens der "Neuenburger" habe zurückvergüten lassen und dass Kappeler dem "ausdrücklich zustimmen" "musste". Das kann nur heissen, dass Kappeler der Klägerin dergestalt ihre Zahlungen zurückerstattete, indem er zu ihren Gunsten auf das ihm gegen die "Neuenburger" zustehende selbständige Forderungsrecht verzichtete. Zu Recht betrachtet die Vorinstanz unter diesen Umständen die Zahlungen der Klägerin als blosse Vorschusszahlungen. Verhält es sich aber so, dann hat Kappeler durchaus einen Verdienstausfall und damit auch einen Schaden erlitten. Dass er es war, dem die Leistungen der "Neuenburger" in wirtschaftlicher und in rechtlicher Hinsicht zukamen, vermag daran nichts zu ändern. Fragen könnte man sich höchstens, ob solche Leistungen im Rahmen der Berechnung des Schadens zu berücksichtigen sind. Indessen stellt sich diese Frage nicht, wenn mit der Vorinstanz anzunehmen ist, dass es sich bei der Verdienstausfallversicherung, auf Grund welcher die "Neuenburger" ihre Leistungen dem Kappeler zukommen liess, um eine Schadensversicherung handelt. Diesfalls wäre nach Art. 72 Abs. 1 VVG sein Ersatzanspruch gegenüber Dritten aus unerlaubter Handlung insoweit auf den Versicherer übergegangen, als dieser Entschädigung geleistet hat.
3. Mit der Berufung wird geltend gemacht, nach dem von der Klägerin abgeschlossenen Versicherungsvertrag werde für
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den Fall von Arbeitsunfähigkeit ein festes Taggeld, nicht etwa eine Lohnausfallentschädigung geschuldet. Sobald der Versicherte arbeitsunfähig sei, schulde die "Neuenburger" die vereinbarten Leistungen, und zwar unabhängig davon, ob ein entsprechender Schaden nachgewiesen sei. Somit handle es sich um Summenversicherung, bei welcher
Art. 72 Abs. 1 VVG keine Anwendung findet.
Die Ausführungen der Klägerin gehen fehl. Nach Art. 14 der bei den Akten liegenden "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Kollektiv-Unfall-Versicherung" ist bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit eine Tagesentschädigung, nicht etwa ein Taggeld zu bezahlen. Dass mit dieser Tagesentschädigung nur der dem Versicherten infolge des Verdienstausfalls entstandene Schaden ausgeglichen werden soll, zeigt sich daran, dass die 100% des Tagesverdienstes betragende Tagesentschädigung "je nach dem Grad der Arbeitsunfähigkeit voll oder teilweise vergütet" werden muss, wobei die "Neuenburger" höchstens für den Unterschied zwischen dem entstandenen Erwerbsausfall und allfälligen Leistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt und der Eidgenössischen Militärversicherung aufzukommen hat. Im Gegensatz dazu ist nach Art. 15 der genannten Versicherungsbedingungen das Spitaltaggeld - unabhängig davon, welche Kosten der Spitalaufenthalt verursacht - zu bezahlen, sobald der Versicherte sich in Spitalpflege befindet oder sich einer ärztlich verordneten Kur unterzieht. Dass die "Neuenburger" vorliegend für die Folgen der Arbeitsunfähigkeit Kappelers nur insoweit einzustehen hatte, als damit eine Vermögenseinbusse verbunden war, geht auch aus der bei den Akten liegenden "Entschädigungsvereinbarung" hervor, wo bei der Bemessung der Versicherungsleistungen auf den tatsächlichen Verdienstausfall abgestellt wurde.
4. Zu prüfen bleibt dennoch, ob die Leistungen der "Neuenburger" dem Kappeler auf Grund einer Schadensversicherung im Sinne der
Art. 48 ff. VVG oder auf Grund einer Personenversicherung im Sinne von
Art. 73 ff. VVG zugekommen sind.
a) Nach der Versicherungspolice ist der Versicherer nicht nur zum Ersatz des Verdienstausfalles und der Heilungskosten verpflichtet, sondern im Invaliditätsfall sowie im Todesfall auch zur Bezahlung bestimmbarer Summen. Nach
BGE 73 II 42 BGE 104 II 44 S. 48
wäre eine solche gemischte Versicherung einheitlich, nämlich nach ihrem Hauptinhalt zu beurteilen. Indes hat das Bundesgericht diese Auffassung in
BGE 100 II 461 E. 5 angezweifelt und unter Hinweis auf die Literatur (STAUFFER, Von der Heilungskostenversicherung, in: SJZ 59/1963, S. 179; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, I. Band, 4. Auflage, Zürich 1975, S. 382; GAROBBIO, Zur rechtlichen Natur der Schadens- und der Summenversicherung, in: ZBJV 81/1945, S. 304) die Frage aufgeworfen, ob die einzelnen Elemente einer gemischten Versicherung gesondert beurteilt werden sollten. Zu Recht macht STAUFFER (a.a.O.) geltend, dass nach allgemeiner Rechtsauffassung bei zusammengesetzten und gemischten Verträgen jeder Teil des Ganzen nach seiner Eigengesetzlichkeit zu beurteilen ist (vgl.
BGE 97 II 394 E. 3,
BGE 63 II 154). Dass bei Versicherungsverträgen etwas anderes gelten sollte, ist nicht einzusehen, besteht doch heute die Neigung, Einzelversicherungen in einer einzigen Police zusammenzufassen. Eine einheitliche Beurteilung entbehrte hier deshalb ganz besonders der inneren Berechtigung, weil es nur vom Zufall abhinge, welches Element bei einer solchen Police im Einzelfall überwöge. Im vorliegenden Fall ist somit nur die Rechtsnatur der Verdienstausfallversicherung zu beurteilen, ohne Rücksicht darauf, zu welchen Leistungen sich die "Neuenburger" mit der betreffenden Police sonst noch verpflichtete.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung beider Zivilabteilungen des Bundesgerichts liegt eine Schadensversicherung dann nicht vor, wenn sich der Versicherer im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zum Ersatz der tatsächlich entstandenen Kosten verpflichtet hat. Begründet wird das im wesentlichen damit, dass in den Gesetzesmaterialien dem Begriff der "Personenversicherung" stets jener der "Sachversicherung" gegenübergestellt wurde, der dann aber lediglich aus redaktionellen Gründen durch die Bezeichnung "Schadensversicherung" ersetzt worden sei, nämlich damit der Gesetzeswortlaut mit der international üblichen Terminologie übereinstimme. In der Schadens- bzw. Sachversicherung sei dem Versicherer ein Regressrecht eingeräumt worden, weil man hier eine mehrfache Entschädigung als gegen die Grundsätze der Billigkeit verstossend erachtet habe. Solche Überlegungen habe man aber hinsichtlich der Personenversicherung nicht als entscheidend angesehen, weil von einer Schätzung des
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Wertes des menschlichen Lebens Abstand genommen werden müsse, so dass diesbezügliche Schadenersatzansprüche auch nicht nach oben begrenzt werden könnten. Bei Versicherungen, welche die Person beträfen, habe der Versicherer deshalb kein Regressrecht, "weil man den Ersatz des Schadens unabhängig von dessen objektivem Vorhandensein in dem für den Fall des befürchteten Ereignisses vorgesehenen Ausmasse zulassen wollte". Wenn unter diesen Umständen der Versicherte auch gegen den Schädiger vorgehen könne, obwohl er die mit dem Versicherer vereinbarte Leistung erhalten habe, erlange er dadurch keinen ungerechtfertigten Vorteil. Eine Subrogation finde bei Personenversicherungen deshalb selbst dann nicht statt, wenn die Ausrichtung der Versicherungsleistungen vom Eintritt eines Vermögensschadens abhängig gemacht werde. Entscheidend sei allein, dass die Versicherung mit dem Leben und der Unversehrtheit der Person zusammenhange. Angesichts der Regelung von
Art. 96 VVG sei es belanglos, dass der Versicherte unter Umständen mehr als den objektiven Schaden oder gar das Mehrfache desselben erhalte. Die Frage, ob Personen- oder Schadensversicherung vorliege, könne auch nicht davon abhangen, ob die Vertragsparteien im Vertrag - zufällig - die Vergütung des tatsächlichen Schadens oder ein festes Taggeld vereinbart hätten (
BGE 100 II 457 E. 3 und 4,
BGE 94 II 185 E. 8,
BGE 89 II 124 E. 6a,
BGE 81 II 166 E. 4,
BGE 77 II 164 E. 1,
BGE 73 II 39, 70 II 229,
BGE 63 II 149 E. 4 mit Hinweisen). Eine Verdienstausfallversicherung, wie sie hier in Frage steht, wäre nach dieser Rechtsprechung somit als Personenversicherung anzusehen (vgl.
BGE 100 II 459 E. 4).
Die aufgezeigte Rechtsprechung wird von der Lehre seit Jahrzehnten vorwiegend abgelehnt, was schon in
BGE 100 II 457 E. 3 und
BGE 94 II 187 E. 8b hervorgehoben wurde. Auch nach Erlass dieser beiden letzten Urteile hat sich daran nichts geändert (vgl. MERZ, in: ZBJV 112/1976, S. 115 ff.; OFTINGER, a.a.O., S. 381 f., insbesondere Anmerkung 23; MAURER, Kumulation und Subrogation in der Versicherung, in: Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung 19/1975, S. 293 ff.). Deshalb ist zu prüfen, ob eine erneute Bestätigung der Rechtsprechung sich rechtfertigt.
c) Nach der in der Lehre überwiegenden Auffassung ist zu unterscheiden zwischen der Schadensversicherung einerseits und der Summenversicherung anderseits. Die Schadensversicherung
BGE 104 II 44 S. 50
bezwecke die Deckung eines Schadens im juristischtechnischen Sinne, der vom Versicherer nur dann und insoweit übernommen werden müsse, als er bewiesen sei. Demgegenüber sei das, was das Gesetz als Personenversicherung bezeichne, eine Summenversicherung, bei der - unabhängig davon, ob ein Schaden vorliege - die zum voraus vereinbarte Summe zur Zahlung gelange, sobald das befürchtete Ereignis eingetreten sei. Das Gesetz schliesse aber nicht aus, dass die Personenversicherung auch als Schadensversicherung betrieben werde. Demnach sei eine Unfallversicherung, die nicht als Summenversicherung ausgestaltet sei, sondern von entstandenen Schäden ausgehe, eine Schadensversicherung (vgl. für viele: OFTINGER, a.a.O., S. 381 f.; STAUFFER, a.a.O., S. 178; GAROBBIO, a.a.O., S. 316; KOENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Auflage, Bern 1968, S. 467 f.).
Ein Blick auf die Entwicklung in Deutschland zeigt, dass dort Lehre und Rechtsprechung auf Grund eines dem schweizerischen VVG verwandten Gesetzes - entgegen der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts - Schadens- und Personenversicherung nicht als einander ausschliessende Gegensätze ansehen. In einem Grundsatzurteil aus dem Jahre 1969 führte auch der Bundesgerichtshof aus, dass das Gesetz die Summenversicherung nur für die Lebensversicherung, die Unfallversicherung und andere Personenversicherungen zulasse, aber nicht ausschliesse, dass die Personenversicherung sowohl als Summenversicherung als auch als Schadensversicherung betrieben werden könne (BGHZ 52, S. 350 ff. mit Hinweisen). Gleiches ist für Frankreich zu verzeichnen. Der französische Gesetzgeber nahm sich das deutsche und das schweizerische Gesetz zum Vorbild und stellte der Personenversicherung die Schadensversicherung gegenüber (vgl. TRASBOT, in: Dalloz périodique et critique 1931, 4. Teil, S. 4), wobei er - wie in Deutschland und in der Schweiz - bei ersterer die Subrogation ausschloss und bei letzterer zuliess. Gleichwohl kamen Lehre und Rechtsprechung zum Schluss, dass Unfallversicherungen durchaus einen "caractère mixte" aufweisen könnten. Wo bestimmte, durch die Police festgelegte Summen geschuldet seien, handle es sich um eine Personenversicherung; insoweit aber der Versicherer für die effektiven Heilungskosten aufkommen müsse, liege eine Schadensversicherung vor (Cour de cassation, in: Revue générale des assurances terrestres 41/1970, S. 523
BGE 104 II 44 S. 51
und 45/1974, S. 38; PICARD/BESSON, Les assurances terrestres, 4. Auflage, Paris 1975, N. 444).
Bemerkenswert ist dabei, dass das Reichsgericht für die Begründung seines gegenteiligen Standpunktes von der in § 1 des deutschen VVG enthaltenen Definition der Personenversicherung auszugehen hatte, welche in der Tat eine solche Annahme nahelegt (vgl. BRUCK/MÖLLER, Kommentar zum (deutschen) VVG, 8. Auflage, N. 23 und 26 zu § 1 VVG). Im Gegensatz zu dem aus dem gleichen Jahre stammenden deutschen Gesetz definiert das schweizerische weder die Personenversicherung noch die Schadensversicherung. Dazu wird in der bundesrätlichen Botschaft ausgeführt, man habe bewusst von Definitionen abgesehen, weil Gesetze nicht definieren sollen, "namentlich da nicht, wo, wie hier, eine flüssige Rechtsmaterie in Frage steht. Wesentliche begriffliche Merkmale der Versicherung stehen nicht fest" (BBl 1904 I 258). So ergibt sich denn auch aus dem Gesetze selbst kein Hinweis darauf, dass ein Schaden, der auf die Beeinträchtigung der Unversehrtheit der Person zurückzuführen ist, nur über eine Personenversicherung im Sinne der gesetzlichen Terminologie abgedeckt werden könnte.
Bei der Auslegung des Gesetzes darf vor allem nicht übersehen werden, dass die Verhältnisse im Versicherungswesen zur Zeit der Schaffung des Gesetzes von den heutigen grundlegend verschieden waren. So kam seinerzeit die Personenversicherung und insbesondere die Unfallversicherung nur als Summenversicherung vor (STAUFFER, a.a.O., S. 179; BRUCK/MÖLLER, a.a.O., N. 23 zu
§ 1 VVG). Demgegenüber verpflichten sich heute die Versicherer in diesem Bereich, wie vorliegend, sehr oft zur Übernahme der effektiven Kosten. Der Gesetzgeber hatte somit keinen Anlass, die Frage zu entscheiden, ob Personenschäden auch durch eine Schadensversicherung gedeckt werden könnten. Es kann deshalb auch nicht gesagt werden, er habe sich auf den gegenteiligen Standpunkt festgelegt. Eine Auslegung, die diesem Gesichtspunkt keine Rechnung trägt, wird dem Gesetz wohl kaum gerecht. Die bisherige Rechtsprechung, die Personenschäden nur über eigentliche Personenversicherungen abgedeckt wissen wollte, führt überdies zu einem stossenden Ergebnis: Da nach
Art. 96 VVG in der Personenversicherung die Ansprüche, die dem Anspruchsberechtigten infolge Eintritts des befürchteten Ereignisses gegenüber Dritten zustehen, nicht auf den Versicherer übergehen, kann ersterer neben
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dem Versicherer auch den verantwortlichen Dritten für den Ersatz des ihm entstandenen Schadens behaften. Seine Bereicherung, die er auf diese Weise erlangen kann, entspricht genau dem infolge der Körperverletzung erlittenen Schaden, ist also um so höher, je höher auch die Kosten für die Schadensdeckung ausfallen.
d) Zu entscheiden ist demnach, ob jene Versicherungen, die Schäden infolge einer Körperverletzung decken sollen, getreu der gesetzlichen Einteilung, als eigentliche Personenversicherung betrachtet werden müssen oder ob sie - entsprechend ihrer Rechtsnatur - insoweit als Schadensversicherungen aufzufassen sind, als sie die entstandene Vermögenseinbusse ausgleichen sollen. Dass die vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Ordnung den heutigen Übungen im Versicherungsgewerbe nicht mehr entspricht und somit überholt ist, steht fest. Auf der Hand liegt auch, dass die bisherige Rechtsprechung zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Ob solches der Richter ändern kann oder ob hier für vielmehr der Gesetzgeber zuständig ist, hängt allerdings davon ab, ob das Gesetz auch eine andere, von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Auslegung zulässt. Wollte man, wie der bundesrätlichen Botschaft zu entnehmen ist, im Gesetz keine starren Regeln verankern, da "wesentliche begriffliche Merkmale der Versicherung" noch nicht feststünden (BBl 1904 I 258), so drängt sich eine historische Auslegung des Gesetzes jedenfalls nicht auf. Wo, wie hier, das Gesetz keine klare Antwort gibt und die Gesetzesmaterialien eine Antwort nicht geben können, hat der Richter das Gesetz nach Sinn und Zweck auszulegen, wobei er durchaus der eingetretenen Entwicklung Rechnung tragen darf.
Kommt ein Versicherer, wie das heute weit verbreitet ist, für die effektiven Kosten einer Körperverletzung - sei es für Heilungskosten, sei es für den Verdienstausfall - auf, so deckt er damit einen Schaden im juristisch-technischen Sinne, indem er die dem Versicherten durch das schädigende Ereignis entstandene Vermögenseinbusse ausgleicht. Gegenstand einer solchen Versicherung ist somit ein wirtschaftliches Interesse. Dass bei einer solchen Betrachtungsweise der Wert der Person in unzulässiger Weise mit Geld aufgewogen werde, wie das das Bundesgericht in seinen früheren Entscheiden annahm (vgl.
BGE 100 II 458,
BGE 94 II 188), lässt sich nicht sagen, da eine Körperverletzung an sich kein Schaden, sondern lediglich die Ursache eines solchen ist (OFTINGER, a.a.O., S. 189). Der Versicherer,
BGE 104 II 44 S. 53
der sich zur Übernahme der tatsächlichen Kosten verpflichtet, hat somit einen Schaden infolge einer Körperverletzung zu decken. Aufzukommen hat er für Schadensposten, die in jedem einzelnen Falle - ohne Vornahme irgendeiner Wertung - konkret zu berechnen sind. Dass mit der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit regelmässig auch eine immaterielle Unbill verbunden ist, vermag daran nichts zu ändern, denn ein derartiger Ersatz steht nicht in Frage. So betrachtet wurde in der Rechtsprechung der Zusammenhang zwischen der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und dem Schaden überbetont, wenn alle jene Versicherungen, mit denen Schäden infolge einer Körperverletzung gedeckt werden sollten, unabhängig von der Art der Versicherungsleistung als Personenversicherungen im Sinne der gesetzlichen Einteilung betrachtet wurden. Solches ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes jedenfalls nicht. Der gegenteilige Standpunkt lässt sich mit ihm vielmehr zwanglos in Einklang bringen, wenn man berücksichtigt, dass Körperverletzungen lediglich die Ursache eines Schadens sein können. Verpflichtet sich ein Versicherer, für einen solchen Schaden einzustehen, so versichert er damit ein wirtschaftliches Interesse, das der Anspruchsberechtigte am Ausbleiben des befürchteten Ereignisses hat. Solche Versicherungen sind indes nach der gesetzlichen Bestimmung von
Art. 48 VVG Schadensversicherungen.
Dieser Schluss stimmt auch mit der in
BGE 63 II 150 vorgenommenen Abgrenzung zwischen der Schadensversicherung einerseits und der "Personen- oder Summenversicherung" anderseits überein. Danach ist der Anspruch des Geschädigten im Rahmen der Schadensversicherung identisch mit jenem, der ihm auch gegen den Urheber des Schadens zusteht. Demgegenüber bezweckt die Personenversicherung bei Eintreten eines bestimmten, eine Person betreffenden Ereignisses nicht eine "konkrete", sondern eine "abstrakte Bedarfsdeckung" (BGHZ 52, S. 353): Ob und inwieweit das befürchtete Ereignis den Anspruchsberechtigten schädige, beeinflusst die Leistungspflicht des Versicherers nicht. Vielmehr ist er zur Bezahlung der im voraus festgelegten Summe verpflichtet, sobald der Versicherungsfall eintritt. Eine solche Personenversicherung kann aber dann nicht vorliegen, wenn der Versicherer die infolge einer Körperverletzung entstandene konkrete Vermögenseinbusse auszugleichen hat. Derartige Versicherungen sind im Gegenteil, wie dargelegt, eigentliche Schadensversicherungen,
BGE 104 II 44 S. 54
so dass für sie
Art. 72 VVG anwendbar ist, der vorschreibt, dass der Ersatzanspruch gegenüber Dritten, die aus unerlaubter Handlung haften, insoweit auf den Versicherer übergeht, als dieser Entschädigung geleistet hat.
Das in
BGE 100 II 459 E. 4 vorgetragene Argument, es hange vom Zufall ab, welche Versicherungsart im Einzelfall vorliege, und es entstände daher bei solcher Anschauung ein sachlich nicht gerechtfertigter Unterschied, hält nicht stich. Es ist nicht dasselbe, ob in einem Versicherungsvertrag die Erstattung des erlittenen Schadens oder aber die Bezahlung einer zum voraus festgelegten Summe vereinbart wird. In letzterem Falle nehmen Versicherer und Versicherungsnehmer in Kauf, dass der gegebenenfalls auszuzahlende Betrag mit der erlittenen Vermögenseinbusse nicht übereinstimmt. Auch der in
BGE 94 II 189 erhobene Einwand, es verstosse gegen die Vertragsfreiheit, Personenschäden als Gegenstand einer Schadensversicherung zu betrachten, weil der Geschädigte damit seiner Ansprüche gegen den aus unerlaubter Handlung Haftenden verlustig gehe, schlägt nicht durch. Abgesehen davon, dass sich das für alle Schadensversicherungen sagen liesse, ist nicht einzusehen, weshalb die Vertragsfreiheit verletzt sein soll, wenn eine Gesetzesvorschrift zur Anwendung gelangt, die verhindern will, dass aus dem schädigenden Ereignis Gewinn gezogen werde.
Die Rechtsprechung ist deshalb im erläuterten Sinne zu ändern. Die II. Zivilabteilung hat dem im Verfahren gemäss Art. 16 OG zugestimmt.
e) Mit der im vorliegenden Falle in Frage stehenden Versicherung soll der tatsächliche Verdienstausfall ausgeglichen werden. Nach den gemachten Darlegungen handelt es sich dabei um eine Schadensversicherung, so dass insoweit Subrogation eingetreten ist, als die "Neuenburger" Ersatz geleistet hat (Art. 72 Abs. 1 VVG), was sie in vollem Umfange tat. Auf Grund der Zessionserklärung Kappelers kann die Klägerin somit keine Schadenersatzansprüche wegen Verdienstausfalls mehr erheben. Die Klage ist daher abzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofs (III. Zivilkammer) des Kantons Bern vom 6. September 1977 bestätigt.