Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Urteilskopf

104 II 55


9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Januar 1978 i.S. Traber AG gegen Griesser AG

Regeste

Vorsorgliche Massnahmen nach UWG.
Art. 11 Abs. 3 UWG. Das kantonale Prozessrecht kann den Vorsitzenden des erkennenden Gerichts als zum Erlass von vorsorglichen Massnahmen zuständig erklären.

Sachverhalt ab Seite 55

BGE 104 II 55 S. 55

A.- Die Griesser AG in Aadorf stellt Rolläden und Storen her. Auf Gesuch vom 3. Juli 1974 wurde ihr am 15. Mai 1976 das Patent Nr. 577104 für einen Faltrolladen erteilt. Die Traber AG in Goldach betätigt sich auf dem gleichen Gebiete wie die Griesser AG; am 1. April 1975 reichte sie ebenfalls ein Patentgesuch ein, das einen Faltrolladen betrifft.
Am 1. November 1976 erhob die Griesser AG beim Obergericht des Kantons Thurgau als einziger kantonaler Instanz Klage wegen Verletzung ihres Patentes durch die Traber AG. Diese beantragte Abweisung der Klage und machte widerklageweise Nichtigkeit des klägerischen Patentes geltend. Zugleich verlangte sie die gerichtliche Feststellung, dass die Griesser AG unlauteren Wettbewerb begangen habe und begehe, "indem sie durch ihre Mitarbeiter in schriftlicher und mündlicher Form die Geschäftspartner und potentiellen Geschäftspartner der Beklagten und Widerklägerin mit Nachteilen,
BGE 104 II 55 S. 56
Folgen und/oder Haftung wegen angeblicher Patentverletzung" bedrohe.

B.- Mit ihrer Widerklage wegen unlauteren Wettbewerbs verband die Traber AG das Gesuch, es sei der Griesser AG im Sinne einer vorsorglichen Massnahme nach Art. 9 ff. UWG das beanstandete Vorgehen während der Dauer des Prozesses zu verbieten. Der Präsident des Obergerichts des Kantons Thurgau wies am 9. August 1977 das Begehren ab.

C.- Gegen die Verfügung des Obergerichtspräsidenten hat die Traber AG Nichtigkeitsbeschwerde erhoben. Sie verlangt Aufhebung der angefochtenen Verfügung und Rückweisung der Sache an die zuständige kantonale Instanz zum Erlass der anbegehrten vorsorglichen Massnahmen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Vorsorgliche Massnahmen im Sinne der Art. 9 ff. UWG können, sofern ein Nichtigkeitsgrund des Art. 68 Abs. 1 OG geltend gemacht wird, nur mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden (BGE 103 II 71 E. 2). Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die Nichtigkeitsgründe von Art. 68 Abs. 1 lit. a und lit. b. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

4. Sobald der Hauptprozess hängig ist, ist nach Art. 11 Abs. 3 UWG ausschliesslich dessen Richter dafür zuständig, vorsorgliche Massnahmen zu erlassen oder aufzuheben. Die Beschwerdeführerin sieht im Umstand, dass nicht das für den Hauptprozess zuständige Obergericht, sondern dessen Präsident ihr vorsorgliches Massnahmebegehren behandelte, sowohl eine Anwendung von kantonalem Recht statt des massgebenden eidgenössischen Rechts im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. a OG als auch eine Verletzung von Vorschriften des eidgenössischen Rechts über die Zuständigkeit der Behörden im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. b OG.
Der Obergerichtspräsident beruft sich auf eine thurgauische Praxis, wonach in Fällen, wie dem vorliegenden, nicht "das Obergericht als Plenum, sondern das Obergerichtspräsidium" für den Erlass vorsorglicher Massnahmen zuständig sei. Zu prüfen ist im folgenden nur, ob diese Praxis vor Art. 11 Abs. 3 UWG standhält. Da diese Bestimmung nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Hauptprozesses dessen Richter für
BGE 104 II 55 S. 57
den Erlass vorsorglicher Massnahmen als zuständig erklärt, wäre es jedenfalls nicht zulässig, über ein diesbezügliches Begehren losgelöst vom Hauptprozess in einem besonderen Verfahren zu befinden. Das trifft im vorliegenden Fall indes nicht zu; vielmehr handelte der Obergerichtspräsident offenkundig als Vorsitzender des erkennenden Gerichts. Auf die Frage, ob Art. 11 Abs. 3 UWG eine solche interne Delegation zulasse, geben weder Literatur noch Rechtsprechung eine Antwort; ebenso verhält es sich auch hinsichtlich des gleichlautenden Art. 78 Abs. 1 PatG. Hingegen erklärte der Bundesrat in seiner Botschaft vom 3. November 1942 zu Art. 12 Abs. 3 des Entwurfes, der dem Art. 11 Abs. 3 UWG entspricht, dass es sich nach dem kantonalen Prozessrecht bestimme, "ob der Entscheid im Einzelfall vom betreffenden Gesamtgericht, von dessen Präsidenten oder von einem allfälligen Instruktionsrichter auszugehen habe" (BBl 1942 S. 708). Eine solche Auslegung entspricht durchaus dem Sinn und Zweck des Gesetzes und rechtfertigt sich insbesondere auch deshalb, weil es praktische Gründe waren, die zur Vorschrift von Art. 11 Abs. 3 UWG führten (vgl. BBl 1942 S. 708). Je nach Organisation und Zusammensetzung des erkennenden Gerichtes lässt sich eine solche Delegation nämlich nicht umgehen. Der Obergerichtspräsident beruft sich denn auch auf einen Entscheid des Obergerichtspräsidiums vom 21. Juli 1965, der auf einem Beschluss des Gesamtobergerichts beruht. Dort wird ausgeführt, dass das thurgauische Obergericht nicht jederzeit zusammentreten könne, um einstweilige Verfügungen mit der nötigen Raschheit zu treffen, da sich im Thurgau nur die drei erstgewählten Oberrichter ständig am Amtssitz aufhielten, die andern aber nur zu den Sitzungen erschienen. Im übrigen war im kantonalen Verfahren selbst die Beschwerdeführerin noch der Auffassung, dass gegebenenfalls der Obergerichtspräsident für den Erlass vorsorglicher Massnahmen zuständig wäre, führte sie doch in ihrer Eingabe an das Obergericht vom 26. April 1977 im Zusammenhang mit der Begründung ihres vorsorglichen Massnahmebegehrens wörtlich aus: "Gemäss Art. 11 Abs. 3 UWG ist das Obergericht bzw. dessen Präsident zur Anordnung vorsorglicher Massnahmen nach Einleitung des Hauptprozesses zuständig." Weshalb sie sich nun auf den gegenteiligen Rechtsstandpunkt stellt, legt sie in ihrer Eingabe an das Bundesgericht nicht dar.
BGE 104 II 55 S. 58
Nach dem Gesagten ist es ohne weiteres mit Art. 11 Abs. 3 UWG vereinbar, wenn das kantonale Prozessrecht den Vorsitzenden des erkennenden Gerichtes für den Erlass vorsorglicher Massnahmen im Sinne dieser Bestimmung als zuständig erklärt. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, dass der Obergerichtspräsident statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales Recht angewendet (Art. 68 Abs. 1 lit. a OG) oder eine Vorschrift des eidgenössischen Rechts über die Zuständigkeit von Behörden verletzt hätte (Art. 68 Abs. 1 lit. b OG).

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 103 II 71

Artikel: Art. 11 Abs. 3 UWG, Art. 9 ff. UWG, Art. 68 Abs. 1 lit. a OG, Art. 68 Abs. 1 lit. b OG mehr...