BGE 105 II 11
 
2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Januar 1979 i.S. C. AG gegen W. S.A. (Berufung)
 
Regeste
Art. 841 Abs. 2 ZGB; örtliche Zuständigkeit.
 
Sachverhalt


BGE 105 II 11 (11):

A.- Die C. AG klagte am 17. Februar 1978 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gestützt auf Art. 841 Abs. 2 ZGB gegen die W. S.A. mit Sitz in Zürich auf Bezahlung von Fr. 337'482.50 nebst Zins. Zur Begründung ihrer Klage machte sie geltend, sie sei Zessionarin von Bauhandwerkern, die im Konkurs der Explana Immobilien AG, Zug, bzw. in der Spezialliquidation nach Art. 134 VZG der Liegenschaft IR Zufikon Nr. 1569 mit angemeldeten Bauhandwerkerpfandrechten zu Verlust gekommen seien. Die Beklagte habe der Explana Immobilien AG einen durch im Range den Bauhandwerkerpfandrechten

BGE 105 II 11 (12):

vorgehende Schuldbriefe gesicherten Baukredit gewährt. Die Auszahlungskontrolle sei der Bank X. in Wohlen übertragen worden. Aus dem Baukredit seien insgesamt Fr. 1'039'351.70 an Personen und für Sachen bezahlt worden, die mit dem Bau nicht das geringste zu tun gehabt hätten; zudem sei die Beibringung von Eigenmitteln vorgetäuscht worden. Für die daraus den Bauhandwerkern erwachsene Benachteiligung habe die Beklagte einzustehen. Dass sie die Schuldbriefe kurz vor der Versteigerung des Baugrundstücks verkauft habe, ändere nichts an ihrer Passivlegitimation.
Die Beklagte verkündete der Bank X., Wohlen, sowie A.S. den Streit und erhob sodann die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Handelsgerichts. Mit Beschluss vom 31. August 1978 hiess dieses die Unzuständigkeitseinrede gut und trat nicht auf die Klage ein.
B.- Mit Berufung ans Bundesgericht beantragt die Klägerin, der Nichteintretensentscheid sei aufzuheben und das Handelsgericht anzuweisen, die Klage materiell zu behandeln.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. In BGE 96 III 126 ff. hatte das Bundesgericht die Frage der örtlichen Zuständigkeit für die Klage aus Art. 841 Abs. 1 ZGB zu prüfen. Es ging dabei davon aus, das ZGB sage nicht ausdrücklich, wo die zu Verlust gekommenen Handwerker und Unternehmer ihre Ansprüche gegen die vorgehenden Pfandgläubiger einzuklagen hätten. Daraus folge aber nicht ohne weiteres, dass die örtliche Zuständigkeit für solche Klagen unter Vorbehalt der Regeln des Bundesrechts über die Abgrenzung der Gerichtsbarkeit der Kantone vom kantonalen Prozessrecht zu ordnen sei. Vielmehr sei zu prüfen, ob anzunehmen sei, Art. 841 ZGB setze das Bestehen eines besonderen bundesrechtlichen Gerichtsstandes voraus, weil eine wirksame Durchsetzung der sich aus dieser Bestimmung ergebenden Ansprüche sonst nicht gewährleistet wäre (BGE 96 III 128 /129 E. 2).


BGE 105 II 11 (13):

Weiter führte das Bundesgericht im erwähnten Entscheid aus, die Klagen eines Handwerkers oder Unternehmers gegen mehrere vorgehende Pfandgläubiger seien, auch wenn sie nicht innert der Frist von Art. 117 Abs. 1 VZG erhoben würden, wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs örtlich zu vereinigen. In allen Prozessen gehe es um die gleichen Fragen, nämlich darum, ob die Forderungen des Baupfandgläubigers gegen den Bauherrn und das Baupfandrecht zu Recht bestünden, wie die verschiedenen Hypothekarkredite verwendet worden seien und welches der Wert des Bodens der Pfandliegenschaft sei. Diese Fragen müssten in allen Prozessen gleich beantwortet werden, wenn stossende Widersprüche vermieden werden sollten. Solche Widersprüche liessen sich nur verhüten, wenn alle Klagen dem gleichen Richter unterbreitet würden. Ein enger Sachzusammenhang bestehe aber nicht nur zwischen den Klagen eines bestimmten Baupfandgläubigers gegen mehrere vorgehende Pfandgläubiger, sondern auch zwischen den Klagen mehrerer Baupfandgläubiger gegen den gleichen vorgehenden Pfandgläubiger. In diesem häufig vorkommenden Fall bedürfe auch die Frage, ob für den belangten Pfandgläubiger erkennbar war, dass die Errichtung der Hypothek die Handwerker und Unternehmer benachteiligte, und nach welchem Verhältnis sich der Anspruch des einzelnen Baupfandgläubigers auf Ersatz seines Verlustes aus dem Treffnis des vorgehenden Pfandgläubigers bemesse, einer einheitlichen Entscheidung. Verlange aber die widerspruchsfreie Entscheidung der Prozesse eines Handwerkers oder Unternehmers gegen mehrere vorgehende Pfandgläubiger oder mehrerer Handwerker und Unternehmer gegen einen vorgehenden Pfandgläubiger wegen des zwischen diesen Klagen bestehenden Zusammenhangs die Beurteilung aller dieser Klagen durch ein und dasselbe Gericht und sei somit die Möglichkeit, alle diese Klagen dem gleichen Richter zu unterbreiten, eine unerlässliche Voraussetzung für die Verwirklichung des materiellen Bundesrechts auf diesem Gebiet, so müsse für solche Klagen kraft Bundesrechts ein einheitlicher Gerichtsstand bestehen, und zwar unabhängig davon, ob innerhalb oder erst nach Ablauf der Frist von Art. 117 Abs. 1 VZG geklagt werde und ob im konkreten Fall tatsächlich mehrere Klagen eingingen. Nur wenn ein für allemal feststehe, wo solche Klagen anzubringen seien, sei für den Fall der Erhebung mehrerer solcher Klagen deren einheitliche Beurteilung gewährleistet (BGE 96 III 131 ff. E. 5).


BGE 105 II 11 (14):

Nach eingehender Prüfung der Frage, wo sich dieser bundesrechtliche Sondergerichtsstand für Klagen nach Art. 841 Abs. 1 ZGB befinde, kam das Bundesgericht zum Schluss, solche Klagen seien am Ort anzubringen, wo das Baugrundstück oder (beim Vorhandensein mehrerer gemeinsam überbauter Grundstücke) der wertvollste Teil der Grundstücke liege. Es liess dabei die Frage offen, ob die Klage der Baupfandgläubiger als dinglich oder als persönlich zu betrachten sei; selbst wenn man nämlich grundsätzlich am persönlichen Charakter der Klage festhalten wolle, rechtfertige ihr enger Zusammenhang mit den Pfandrechten am Baugrundstück, dass sie am Ort der gelegenen Sache angehoben werden müsse. Für diesen Gerichtsstand spreche auch der Umstand, dass die Handwerker und Unternehmer, denen Art. 841 ZGB ein Vorrecht gewähre, oft am Ort oder in der Nähe des Ortes, wo das Grundstück liegt, niedergelassen seien (BGE 96 III 133 ff. E. 6-8).
3. Die vorliegende Klage stützt sich nicht auf Art. 841 Abs. 1 ZGB, sondern sie richtet sich im Sinne von Art. 841 Abs. 2 ZGB gegen den vorgehenden Pfandgläubiger, der seinen Pfandtitel veräussert hat. Die Gründe, die dafür sprechen, dass sämtliche gestützt auf Art. 841 Abs. 1 ZGB angehobenen Klagen vom gleichen Richter zu beurteilen sind, und zwar am Ort der gelegenen Sache, gelten indessen auch für Klagen nach Art. 841 Abs. 2 ZGB. Diese Klagen unterscheiden sich von denjenigen nach Art. 841 Abs. 1 ZGB nur dadurch, dass statt des jetzigen Pfandgläubigers dessen Rechtsvorgänger passivlegitimiert ist. Die Voraussetzungen der Haftung sind genau die gleichen, ob der vorgehende Pfandgläubiger seinen Titel veräussert hat oder nicht. Auch im Prozess gegen den Pfandgläubiger, der seinen Titel veräussert hat, muss der Bestand von Forderung und Baupfandrecht, die Verwendung des Kredits, der Wert des Bodens, die Erkennbarkeit der Benachteiligung der Bauhandwerker und Unternehmer sowie die Verteilung der Entschädigung an die Kläger geprüft werden. Die Klagen nach Art. 841 Abs. 2 ZGB sind daher gleich wie diejenigen nach Abs. 1 dieser Bestimmung von Bundesrechts wegen dort anzubringen, wo das Grundstück liegt. Nur so ist gewährleistet, dass sämtliche Klagen der Handwerker und Unternehmer, die bei der Verwertung des Baugrundstücks zu Verlust gekommen sind, vom gleichen Richter beurteilt werden, und nur dadurch lassen sich widersprüchliche Urteile vermeiden.


BGE 105 II 11 (15):

Die Klägerin macht geltend, bei der Klage nach Art. 841 Abs. 2 ZGB handle es sich um eine reine Forderungsklage, die nach Art. 59 BV am Wohnsitz des Beklagten anzubringen sei. Dieses Argument wäre allenfalls dann zu hören, wenn die bundesgerichtliche Rechtsprechung davon abhinge, dass die Klage der Bauhandwerker und Unternehmer nach Art. 841 Abs. 1 ZGB als dinglich zu qualifizieren wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach dem in Erwägung 2 Gesagten sah das Bundesgericht vielmehr aus praktischen Gründen für die Klagen nach Art. 841 ZGB einen einheitlichen Gerichtsstand am Ort der gelegenen Sache vor, ohne auf die Qualifikation dieser Klagen als dinglich oder persönlich abzustellen. Im übrigen begründet Art. 59 BV (auf den sich die Klägerin ohnehin nicht berufen kann) keinen eidgenössischen Gerichtsstand des Wohnsitzes für obligatorische Klagen (BGE 103 II 200, BGE 102 Ia 193, BGE 102 II 393, BGE 101 Ia 41, 96 III 136). Zudem kann diese Bestimmung nicht angerufen werden, wenn eine bundesrechtliche Gerichtsstandsvorschrift eingreift (BGE 103 II 200, 96 III 135/136, BGE 81 I 338 /339, BGE 72 I 176). Dies gilt auch bei denjenigen Gerichtsstandsvorschriften, die im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, sondern von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. So verhält es sich z.B. mit der Vorschrift, dass die Klage auf Ausrichtung des Vermächtnisses am letzten Wohnsitz des Erblassers anzubringen ist, obwohl es sich dabei zweifellos um eine persönliche Ansprache handelt (BGE 66 I 48 ff.).
Fehl geht auch der weitere Einwand der Klägerin, die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Bauhandwerker ihre Klagen nach Art. 841 ZGB beim Richter am Ort der gelegenen Sache anzubringen hätten, schliesse nicht aus, dass sich nicht eben doch mehrere Gerichte mit der gleichen Sache befassen müssten, so etwa, wenn entsprechend der kantonalen Regeln über die sachliche Zuständigkeit ein Teil der Kläger beim Bezirksgericht, ein anderer beim Handelsgericht klage. Verlangt nämlich die Verwirklichung des Bundesrechts, dass sämtliche Klagen der Bauhandwerker nach Art. 841 ZGB vom gleichen Richter beurteilt werden, so können die Kantone die sachliche Zuständigkeit nicht in der Weise ordnen, dass sie diese Klagen (sachlich) verschiedenen Instanzen zuweisen. Welches im Kanton Aargau der Richter am Ort der gelegenen Sache ist, der die Klagen der Bauhandwerker zu beurteilen hat, ist hier nicht zu entscheiden.


BGE 105 II 11 (16):

4. Da das Grundstück, bei dessen Verwertung die Rechtsvorgänger der Klägerin zu Verlust gekommen sind, im Kanton Aargau liegt, ist das Handelsgericht des Kantons Zürich zu Recht nicht auf die Klage eingetreten.
Die Berufung ist daher abzuweisen.