BGE 105 II 149 |
25. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Februar 1979 i.S. Roth gegen H. Hächler AG, Hoch- und Tiefbau (Berufung) |
Regeste |
Einrede der abgeurteilten Sache. |
2. Auslegung der Klagebegehren, Feststellungs- oder Leistungsklage? |
Identität der Klagen? (E. 2.) |
3. Rechtsmissbräuchliche Erhebung der Einrede der abgeurteilten Sache? (E. 3.) |
4. Prozessuale Folgen bei Gutheissung der Einrede der abgeurteilten Sache (E. 4). |
Sachverhalt |
A.- In den Jahren 1970 und 1971 erstellte Theodor Roth in Wettingen unter anderem drei Einfamilienhäuser, nämlich zwei als Generalunternehmer für zwei verschiedene Auftraggeber sowie ein eigenes. Die Baumeisterarbeiten für diese Häuser und deren Zugänge übertrug er der H. Hächler AG Hoch- und Tiefbau. Auf Begehren der Bauunternehmung bewilligte der Bezirksgerichtspräsident von Baden am 17. Februar 1972 die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes auf den beiden Roths Auftraggebern gehörenden Grundstücken sowie auf einem gemeinsamen Weggrundstück, dessen Miteigentümer auch Roth und ein weiterer Anstösser waren. Gleichzeitig wurde der Bauunternehmung Frist angesetzt, um Klage im Sinne von Art. 839 Abs. 3 ZGB zu erheben; diese Frist lief am 4. Mai 1972 ab. |
Unterm 4. Mai 1972 reichte die H. Hächler AG Hoch- und Tiefbau beim Bezirksgericht Baden ein Weisungszeugnis sowie eine gegen Roth gerichtete Klageschrift ein, mit der sie verlangte, dass der Beklagte zu verurteilen sei, der Klägerin einen Betrag von insgesamt Fr. 178'626.85 nebst 6% Verzugszins ab 28. Oktober 1971 zu bezahlen. Die Klageschrift enthielt keine Begründung. Mit Schreiben vom 9. Mai 1972 forderte der Gerichtspräsident die Klägerin auf, eine prozessordnungsgemässe Klage einzureichen, damit die Klage an die Hand genommen werden könne. In der Folge reichte die Klägerin eine neue, vom 10. Mai 1972 datierte Klageschrift ein. Mit ihrem Klageschluss verlangte sie, "es sei richterlich festzustellen, dass der Beklagte folgenden Betrag nebst 6% Zins seit dem 28. Oktober 1971 schuldet und zu bezahlen hat: ... Totaler Schuldbetrag: Fr. 178'626.85 unter Kosten- und Entschädigungsfolgen". Aus der Begründung der Klageschrift ergibt sich, dass die Klägerin den unbezahlt gebliebenen Werklohnanteil für verschiedene von ihr im Auftrage des Beklagten erbrachte Arbeiten forderte, nämlich Fr. 97'058.35 bzw. Fr. 59'205.85 für die beiden von ihm als Generalunternehmer erstellten Einfamilienhäuser, Fr. 11'973.65 für acht Unterflurgaragen, Fr. 9'121.55 für einen gemeinsamen Treppenaufgang sowie Fr. 1'267.45 für die Erstellung einer Trafo-Station. Durch Verfügung vom 19. Mai 1979 erklärte der Bezirksgerichtspräsident die Streitsache als appellabel und setzte dem Beklagten Frist für die Erstattung der Klageantwort. Im Laufe des Verfahrens zog die Klägerin Fürsprecher K. als Anwalt bei. Mit Schreiben vom 26. September 1972 teilte dieser dem Bezirksgericht Baden mit, dass er namens der Klägerin die am 10. Mai 1972 eingereichte Feststellungsklage zurückziehe; den Gegenanwalt, Fürsprecher B., habe er über diesen Schritt bereits telefonisch orientiert. In seiner Sitzung vom 2. Oktober 1972 beschloss sodann das Bezirksgericht: "Das Verfahren wird als durch Klagerückzug erledigt von der Kontrolle abgeschrieben." |
B.- Am 16. Februar 1973 reichte die H. Hächler AG Hoch- und Tiefbau beim Bezirksgericht Baden gegen Roth eine neue Klage ein, wiederum zusammen mit einem Weisungszeugnis. Dabei stellte sie den Antrag, dass der Beklagte zu verurteilen sei, der Klägerin Fr. 164'925.30 nebst 6% Verzugszins ab 28. Oktober 1971 zu bezahlen. Auch in diesem Verfahren forderte sie für die beiden von Roth als Generalunternehmer erstellten Häuser Fr. 97'058.35 bzw. Fr. 59'205.85, für den gemeinsamen Treppenaufgang Fr. 7'393.65 sowie unter dem Titel Restbetrag für Trafo-Station Fr. 1'267.45. Mit seiner Klageantwort erhob der Beklagte die Einrede der abgeurteilten Sache. Nachdem die Klägerin auf Grund einer bereinigten Abrechnung die Klage auf Fr. 153'344.70 herabgesetzt hatte, sprach ihr das Bezirksgericht mit Urteil vom 13. Dezember 1976 diesen Betrag nebst 5% Zins seit dem 26. Oktober 1972 zu. Eine Appellation des Beklagten wies das Obergericht (1. Zivilabteilung) des Kantons Aargau am 27. Januar 1978 ab.
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C.- Gegen das obergerichtliche Erkenntnis hat der Beklagte die Berufung erklärt. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage in Gutheissung der Einrede der abgeurteilten Sache abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Zu beurteilen ist einzig, ob die Vorinstanz zu Recht die Einrede der abgeurteilten Sache verworfen hat. Dabei ist nicht streitig, dass nach dem massgebenden kantonalen Prozessrecht auch eine Abschreibung wegen Klagerückzuges zur materiellen Rechtskraft und damit zur Einrede der abgeurteilten Sache führt. Da ein bundesrechtlicher Anspruch in Frage steht (Werkvertrag), beurteilt sich im übrigen nach Bundesrecht, ob die Erledigung jenes ersten Prozesses der neuen Klage entgegensteht; mit der Berufung kann sowohl geltend gemacht werden, die Vorinstanz habe die Einrede zu Unrecht geschützt, als auch, sie habe diese zu Unrecht verworfen (BGE 97 II 396, BGE 95 II 643 E. 4b mit Hinweisen). Wie es sich damit verhält, hängt davon ab, ob es sowohl heute als auch im früheren Prozess zwischen den gleichen Parteien um den in bezug auf Inhalt und geltend gemachte Tatsachen gleichen Anspruch geht (BGE 98 II 27 E. 1, BGE 97 II 396 mit Hinweisen). |
a) Ist im späteren Prozess das frühere Klagebegehren auszulegen, so kann es nicht darum gehen, den damaligen wirklichen Willen eines Klägers abzuklären; massgebend ist vielmehr eine objektive Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Auflage, Zürich 1979, S. 262; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen ZPO, Zürich 1976, N. 6 zu § 54; vgl. auch BGE 82 II 178). Was die Klägerin in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf eine Willenstheorie vorbringt, ist daher unerheblich. Eine Anfechtung der damaligen Rückzugserklärung wegen Irrtums kann ohnehin nicht im vorliegenden Prozess erfolgen.
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b) Nach der damaligen Situation lag es nahe, mit der Klage von 1972 die vorläufig eingetragenen Handwerkerpfandrechte zu prosequieren, wozu der Klägerin Frist angesetzt worden war. Gegenstand einer solchen Klage wäre nicht die Feststellung der Werklohnforderung gegenüber dem Unternehmer gewesen, sondern die endgültige Eintragung des Handwerkerpfandrechts, unter Feststellung des Werklohns allein den Pfandeigentümern gegenüber und nur als Pfandsumme; das Pfandrecht setzt nicht eine fällige Werklohnforderung, ja nicht einmal Arbeitsleistung voraus (Art. 839 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 961 Abs. 3 ZGB und Art. 22 Abs. 2 GBV; HOMBERGER, N. 34 zu Art. 961). Die Beurteilung oder der Rückzug einer solchen Pfandrechtsklage bewirkt demgemäss auch für den späteren Prozess gegen den Werklohnschuldner keine abgeurteilte Sache.
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Eine Klage auf endgültige Eintragung des Handwerkerpfandrechts wurde indessen nie erhoben. Weder in der beanstandeten Klageschrift noch in der verbesserten vom 10. Mai 1972 findet sich der geringste Hinweis auf ein Pfandrecht, auf das vorangegangene Eintragungsverfahren oder auf die erfolgte Klagefristansetzung. Auch wurde der Klage nicht eine entsprechende richterliche Verfügung, sondern das Weisungszeugnis des Friedensrichters vom 19. November 1971 beigelegt, das schon vor dem Pfandrechtsverfahren eingeholt worden und von diesem unabhängig war. Dass die Klage hinsichtlich der Häuser Humbel und Nägeli allein gegen den Werklohnschuldner und nicht gegen die Grundeigentümer gerichtet war, schliesst diesen Zusammenhang ebenfalls aus. Das Bezirksgericht behandelte denn auch folgerichtig die Eingabe als ordentliche Klage im appellablen Verfahren und nicht als Klage auf Bauhandwerkerpfandrecht im beschleunigten Verfahren (§ 124 EG/ZGB). |
Freilich begründet die Klägerin vor Bundesgericht die Formulierung ihrer verbesserten Klage vom 10. Mai 1972 mit der Absicht, damit das Handwerkerpfandrecht zu sichern; im kantonalen Verfahren führte sie denn auch aus, diese Klage sei "im Rahmen des damals pendenten Bauhandwerkerpfandrechts gegen Dr. Nägeli und Dr. Humbel" eingereicht, dann aber als verspätet wieder zurückgezogen worden. Angesichts der Aktenlage handelt es sich dabei nur um subjektive Gesichtspunkte, die nicht entscheidend sein können. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die Frist zur Prosequierung des Pfandrechts am 4. Mai 1972 ablief und versäumt wurde, wie es das angefochtene Urteil feststellt, oder ob sie bis zum 14. Mai 1972 lief und gewahrt wurde, wie die Klägerin vor Bundesgericht in Korrektur ihrer bisherigen Haltung behauptet. Die neue These stützt sich ohnehin auf kantonales Prozessrecht und ist im Berufungsverfahren nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
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c) Die Vorinstanz hat daher zu Recht nur geprüft, ob die Klage vom Mai 1972 eine selbständige Feststellungsklage gewesen sei und sich als solche von der späteren Leistungsklage unterscheide, und hier setzt denn auch die Kritik der Berufung ein. Dabei anerkennt die Klägerin, dass ihre erste Klageschrift vom 4. Mai eine gewöhnliche Forderungsklage zum Gegenstand hatte. Für die Klägerin war demgegenüber - wie offenbar für die Vorinstanz - die verbesserte Klageschrift vom 10. Mai eine neue Klage, während nach Meinung des Beklagten nicht von zwei verschiedenen Klagen gesprochen werden darf. Wie es sich damit verhält, braucht nicht entschieden zu werden; jedenfalls ist nicht zu beanstanden, dass das erste Schreiben für die Auslegung des zweiten mitberücksichtigt wird. Auch der verbesserten Eingabe war das gleiche Weisungszeugnis über eine reine Forderungsklage beigelegt; in ihr wurde Fälligkeit der Forderung behauptet und Verzugszins verlangt. Neu war, dass die Eingabe als Klage "betreffend Feststellung der Forderung" bezeichnet wurde und dass der Klageschluss lautete, "es sei richterlich festzustellen, dass der Beklagte der Klägerin folgenden Betrag nebst 6% Zins seit dem 28. Oktober 1971 schuldet und zu bezahlen hat: ... Fr. 178'626.85". Das angefochtene Urteil bezeichnet diese Fassung als zweideutig, nimmt aber nach den Umständen eher eine Leistungs- als eine Feststellungsklage an. In der Tat wurde mit der verbesserten Klage die Feststellung nicht nur des Bestehens einer Schuld, sondern auch der Zahlungspflicht verlangt; das kann in guten Treuen nicht anders denn als Leistungsklage verstanden werden (LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Auflage, Bern 1956, N. 1 zu Art. 174, S. 193; STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 9 zu § 59). Daran ändert auch nichts, dass der später beigezogene Anwalt der Klägerin den Rückzug der "eingereichten Feststellungsklage" erklärte und dass der Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts in den Erwägungen von einer Klage auf "Feststellung eines Schuldbetrages in der Höhe von Fr. 178'626.85" sprach. Entscheidend war demgegenüber, dass die Klage vom 10. Mai 1972 tatsächlich zurückgezogen und abzuschreiben war, nicht diese beiläufigen Bezeichnungen. Anlass zur Anfechtung des entsprechenden bezirksgerichtlichen Beschlusses durch die Klägerin bestand daher nicht; weshalb es sich für den Beklagten anders verhalten hätte, ist unerfindlich, denn er wäre so wenig wie die Klägerin durch die Abschreibung beschwert gewesen. |
d) Da die heute vorliegende Klage unstreitig eine Leistungsklage ist, besteht somit auch hinsichtlich des Klagebegehrens Identität mit der seinerzeitigen Klage. Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob bei Annahme einer Feststellungsklage diese Identität zu verneinen wäre, wie das Bezirksgericht ohne Begründung erklärt (vgl. dazu immerhin KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 67 f.; LEUCH, a.a.O., S. 194).
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a) Das angefochtene Urteil hält fest, dass die abgeurteilte Sache nur auf Einrede der berechtigten Partei und nicht von Amtes wegen zu beachten sei. Der Beklagte meint, die Frage des Rechtsmissbrauchs würde gegenstandslos, wenn die abgeurteilte Sache von Amtes wegen zu berücksichtigen wäre, weil dann selbst Einverständnis des Gegners unbeachtlich wäre. Das ist nach dem Zusammenhang wohl auch die Meinung der Vorinstanz. Die Rechtsprechung hat bisher die Frage nicht eindeutig geklärt, ob sich aus Bundesrecht auch ergebe, dass die materielle Rechtskraft von Amtes wegen berücksichtigt werde (offen gelassen in BGE 95 II 643, dagegen ohne nähere Begründung bejaht in BGE 98 II 27). Das braucht indessen hier nicht entschieden zu werden, weil dadurch die Geltendmachung von Rechtsmissbrauch nicht ausgeschlossen wird; entsprechendes gilt denn auch für die rechtsmissbräuchliche Anrufung eines Formmangels (vgl. BGE 104 II 101 E. 2 mit Hinweisen).
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b) Nach dem angefochtenen Urteil führten die beiden Parteivertreter unmittelbar vor dem Rückzugsschreiben von Fürsprecher K. vom 26. September 1972 ein Telefongespräch, dessen Inhalt streitig ist. Nach den Feststellungen des Obergerichts war es Fürsprecher K., der Fürsprecher B. anrief und über den bevorstehenden Klagerückzug orientierte. Mit der Berufung wird daran festgehalten, dass dem ein Anruf von Fürsprecher B. vorangegangen sei, doch ist das nicht wesentlich. Bestritten ist sodann nach dem angefochtenen Urteil, dass Fürsprecher K. bei diesem Gespräch auch die Gründe des Klagerückzugs mitgeteilt habe, nämlich das Vorliegen einer blossen Feststellungsklage, die mit dem Handwerkerpfandrechtsverfahren in keinem Zusammenhang mehr stehe; indessen sei auf diese Behauptung von Fürsprecher K. abzustellen, weil sich schon aus seinem Rückzugsschreiben ergebe, dass er jene Klage irrtümlich für eine Feststellungsklage gehalten und als solche zurückgezogen habe.
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Der Beklagte bestreitet nach wie vor, dass Fürsprecher K. bei jenem Gespräch eine derartige Begründung des Klagerückzugs gegeben habe. Es handle sich hier um eine blosse Vermutung der Vorinstanz, der das Bundesgericht eine eigene Vermutung entgegensetzen könne. Ohne Beweisführung sei dabei auf eine bestrittene Parteibehauptung abgestellt worden, worin eine Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften liege. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben. |
c) Das angefochtene Urteil geht davon aus, dass die Einrede der abgeurteilten Sache entfalle, wenn die Klage mit Einwilligung des Gegners unter Vorbehalt der Wiedereinreichung zurückgezogen werde. Das ist unwidersprochen geblieben und dürfte im übrigen kantonalem Recht entsprechen, das im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen ist. Vorliegend kommt darauf jedoch nichts an, weil feststeht, dass die Klage seinerzeit nicht unter Vorbehalt der Wiedereinreichung zurückgezogen worden ist, der Rückzug vielmehr dem Gericht gegenüber vorbehaltlos erklärt wurde. Die Klägerin hat aber auch nie behauptet, dass ihr Anwalt beim Anruf vor der Rückzugserklärung das Einverständnis des Gegenanwalts mit einem solchen Vorgehen habe einholen wollen; Zweck dieses Anrufs war vielmehr nach ihrer eigenen Darstellung ausschliesslich, weitere Bemühungen des Gegenanwalts für die von ihm zu erstattende Klageantwort und entsprechende Entschädigungsfolgen zulasten der Klägerin zu vermeiden. Nach dem angefochtenen Urteil war denn auch gar nicht die Rede von der Erhebung einer neuen Klage.
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d) Gleichwohl durfte nach Meinung der Vorinstanz Fürsprecher K. auf Grund des Verhaltens von Fürsprecher B. davon ausgehen, dass dieser die Einrede der abgeurteilten Sache nicht erheben werde. Weil das Verhalten Fürsprecher B. gegen Treu und Glauben verstosse, sei die Einrede der abgeurteilten Sache missbräuchlich und unbeachtlich. Zu prüfen ist indes vorab die Frage, ob Fürsprecher B. anlässlich des Telefongesprächs mit dem Gegenanwalt stillschweigend auf die Erhebung der Einrede der abgeurteilten Sache verzichtet hat, was sich nach dem Vertrauensgrundsatz und nach Art. 2 Abs. 1 ZGB beurteilt; nur eventuell ist alsdann die zweite Frage zu prüfen, ob widersprüchliches Verhalten im Sinn von Art. 2 Abs. 2 ZGB vorliegt. Beides ist jedoch zu verneinen, wenn die Vorinstanz zu Unrecht von einem Verstoss Fürsprecher B. gegen Treu und Glauben ausgeht.
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e) Nach dem angefochtenen Urteil war Fürsprecher K. offensichtlich der Auffassung, der Rückung stehe, weil eine Feststellungsklage betreffend, einer späteren Leistungsklage nicht entgegen; dieser Irrtum kann nach Auffassung des Obergerichts Fürsprecher B. nicht entgangen sein, denn dieser habe als sicher annehmen müssen, dass die Klägerin auf ihre restlichen hohen Werklohnansprüche nicht verzichten wollte. Das betrifft Wissen und Willen von Fürsprecher B. und damit tatsächliche Verhältnisse. In diesem Zusammenhang rügt der Beklagte wiederum die Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften, weil die Vorinstanz, ohne Beweise zu erheben, auf bestrittene Parteibehauptungen abgestellt habe. Die Klägerin unterstützt dagegen die angefochtene Feststellung mit zusätzlichen Argumenten. Auch diese Frage kann offen bleiben, da auf die angefochtene Feststellung nichts ankommt. |
f) Der Beklagte anerkennt, dass sein Anwalt die telefonischen Mitteilungen von Fürsprecher K. einfach zur Kenntnis nahm. Nach dem angefochtenen Urteil wäre aber Fürsprecher B., angesichts des Irrtums von Fürsprecher K., als Anwaltskollege verpflichtet gewesen, diesen darauf aufmerksam zu machen, dass er im Fall eines Klagerückzuges sich veranlasst sehen würde, gegen eine neue Klage die Einrede der abgeurteilten Sache zu erheben. Nach den Standesregeln und dem Standesrecht unterstehe er andern Anwälten gegenüber den Geboten der Kollegialität, der gegenseitigen Rücksichtnahme und Achtung. Das kollegiale Verhalten, auf das die Anwälte im gegenseitigen Verkehr angewiesen seien, finde allerdings seine Grenze am Interesse des eigenen Klienten. Dieses wäre aber nicht betroffen gewesen, wenn Fürsprecher B. Fürsprecher K. darauf aufmerksam gemacht hätte, dass er einer neuen Klage gegenüber die Einrede der abgeurteilten Sache erheben werde; dadurch wäre Fürsprecher K. veranlasst worden, das weitere Vorgehen nochmals genau zu überdenken.
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Dieser Argumentation des Obergerichts widerspricht der Beklagte. Nicht zu folgen ist ihm darin, dass Standesnormen als Verbandsrecht überhaupt nicht zu berücksichtigen seien, geht es hier doch um Regeln der Verkehrssitte, die im Rahmen von Treu und Glauben durchaus Beachtung verdienen (MERZ, N. 100 und 141 zu Art. 2 ZGB). Auch die Folge, dass die Einrede des Beklagten zu schützen wäre, wenn er nicht durch einen Anwalt vertreten wäre, ist keineswegs "grotesk", sondern durchaus natürlich, da nach Treu und Glauben in rechtlichen Belangen an eine rechtskundig vertretene Partei höhere Anforderungen gestellt werden dürfen als an eine rechtsunkundige Partei. |
Zu Recht rügt dagegen die Berufung, dass die Vorinstanz an Fürsprecher B. höhere Anforderungen stellt als an Fürsprecher K., indem sie ersteren für den Irrtum verantwortlich macht, der letzterem unterlaufen ist. Nach dem angefochtenen Urteil lag ja der Irrtum von Fürsprecher K. darin, dass er die erste Klage für eine Feststellungsklage hielt, die einer späteren Leistungsklage nicht hinderlich sei. Wenn dieser Irrtum nach dem angefochtenen Urteil Fürsprecher B. nicht entgangen sein kann, heisst das nicht, dass er bereits in diesem Zeitpunkt die Möglichkeit einer späteren Einrede der abgeurteilten Sache erkannte und eine entsprechende Absicht verschwieg. Selbst wenn er anlässlich jenes Telefongesprächs erkannte, dass Fürsprecher K. sich mit dem beabsichtigten Rückzug der Klage allenfalls unbeabsichtigt der Gefahr aussetzte, mit einer neuen Klage auf die Einrede der abgeurteilten Sache zu stossen, war Fürsprecher B. auch unter Berücksichtigung von Standesrecht nach Treu und Glauben nicht gehalten, seinen Gegenanwalt auf den Irrtum aufmerksam zu machen und ihm dieses Vorgehen abzuraten. Wer bei solchen Gesprächen nicht nach Irrtümern des Gegners forscht, die dieser bei gehöriger Aufmerksamkeit selber wahrnehmen könnte, handelt nicht gegen Treu und Glauben; niemand ist gehalten, im Interesse des Gegners umsichtiger zu sein, als dieser ist und sein kann (BGE 102 II 84). Auf diesen Grundsatz stützt sich die Berufung zu Recht. Wie dargelegt, verhält es sich ja nicht so, dass Fürsprecher K. die Frage einer neuen Klage und der Einrede der abgeurteilten Sache auch nur andeutungsweise zur Diskussion stellte und dazu eine Meinungsäusserung des Gegenanwalts herbeiführen wollte; er orientierte diesen vielmehr, nach eigener Darstellung, über den bevorstehenden Klagerückzug ausschliesslich, damit dieser nicht noch weitere Bemühungen unternehme, die sich dann in der Prozessentschädigung auswirken müssten. Diese Orientierung durfte Fürsprecher B. kommentarlos entgegennehmen, ohne dass er mit dem Verzicht auf Ratschläge an seinen Gegenanwalt gegen Treu und Glauben oder gegen Standespflichten verstossen hätte.
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g) Auch das Verhalten des Beklagten bzw. seines Anwalts nach dem Klagerückzug vom 26. September 1972 widerspricht weder Treu und Glauben noch ist es rechtsmissbräuchlich. Nach Meinung der Vorinstanz hätte er nach Erhalt der Kopie des Rückzugsschreibens gegen eine allfällige Abschreibung der Klage als Feststellungsklage Verwahrung einlegen müssen, wenn er später die Einrede der abgeurteilten Sache zu erheben gedachte; dadurch hätte er das Bezirksgericht zu entsprechenden Ausführungen im Abschreibungsbeschluss veranlasst, wobei dann die Klägerin allenfalls diesen Beschluss hätte anfechten können; indem der Beklagte statt dessen nicht reagiert habe, habe er den Anschein erweckt, als stimme er der Bezeichnung der Klage als Feststellungsklage zu. Das alles ist schon deshalb unerheblich, weil die Klage damals bereits zurückgezogen war. Davon abgesehen gilt wiederum, dass Tatsache und Gegenstand des Klagerückzuges klar waren und es dafür auf die Bezeichnung nicht ankam. Die Klägerin hält sogar die Einrede des Beklagten auch deshalb für missbräuchlich, weil er selbst es seinerzeit unterlassen habe, den von ihm als fehlerhaft bezeichneten Abschreibungsbeschluss durch Beschwerde anzufechten; worin aber die Beschwerdelegitimation des Beklagten gelegen hätte, wird nicht dargetan. |
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage, während die Vorinstanz diesen Antrag ohne nähere Begründung in Anführungszeichen setzt. Das Bundesgericht hat bisher nicht entschieden, ob abgeurteilte Sache die Abweisung der Klage oder das Nichteintreten auf sie zur Folge hat. In BGE 85 II 57 wurde ein auf Nichteintreten lautendes kantonales Urteil bestätigt, in BGE 95 II 639 dagegen eine Scheidungsklage wegen abgeurteilter Sache abgewiesen. Bei richtigem Ergebnis wird das Bundesgericht die kantonale Terminologie nicht korrigieren, doch ist eine solche hier nicht vorgezeichnet. Immerhin scheint im Aargauer Zivilprozessrecht die Frage der abgeurteilten Sache als solche des Rechtsschutzinteresses und damit als Prozessvoraussetzung behandelt zu werden (EICHENBERGER, Beiträge zum Aargauischen Zivilprozessrecht, S. 146 f.). Das dürfte auch sonst die Regel sein (STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 26 zu § 191; GULDENER, a.a.O., S. 221; LEUCH, a.a.O., N. 2 zu Art. 194). Im gleichen Sinn bestimmt Art. 22 BZP, dass die Klage unzulässig ist, wenn der Anspruch bereits rechtskräftig beurteilt ist, was gemäss Art. 40 OG auch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen ist. Das hat zur Folge, dass auf die Klage nicht einzutreten ist. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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