105 II 200
Urteilskopf
105 II 200
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juli 1979 i.S. Steiner gegen Bürke & Co. (Berufung)
Regeste
Dahinfallen des Konkurrenzverbotes nach Art. 360 Abs. 2 aOR.
Dahinfallen des Konkurrenzverbotes bei beiderseitigen Verfehlungen (E. 3)? Fortbestand des Konkurrenzverbotes, wenn beide Parteien die Vertragsauflösung aus wichtigem Grund in etwa gleichem Masse zu vertreten haben; Herabsetzung der Konventionalstrafe (Art. 163 Abs. 3 OR) (E. 6).
Arnold Steiner trat am 1. Mai 1970 als Handelsreisender in den Dienst der Bürke & Co., St. Gallen. Gemäss Anstellungsvertrag oblag ihm die Aufnahme von Bestellungen für Verpflegungsautomaten
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und Einwegartikel aus Kunststoff. Er versprach, sich in dem ihm zugeteilten Reisegebiet während mindestens drei Jahren nach Vertragsauflösung weder unmittelbar noch mittelbar an Fabrikation, Handel Oder Vertrieb derartiger Produkte zu beteiligen; für die Übertretung dieses Konkurrenzverbots wurde eine Konventionalstrafe von Fr. 20'000.- vereinbart.Unter Berufung auf Vertragsbruch der Arbeitgeberin kündigte Steiner am 30. Juni 1972 das Arbeitsverhältnis mit Wirkung auf den 31. August 1972. Am 4. August teilte ihm die Arbeitgeberin mit, dass sie den Vertrag aus wichtigem Grund auflöse. Darauf erklärte Steiner seinerseits am 9. August 1972 den Vertrag aus wichtigem Grund als aufgelöst.
Im Februar 1973 erhob Steiner gegen die Bürke & Co. Klage auf Zahlung von Salär-, Provisions- und Spesenansprüchen. Die Beklagte bestritt diese Forderung und erhob ihrerseits Widerklage auf Zahlung der Konventionalstrafe von Fr. 20'000.- wegen Verletzung des Konkurrenzverbots. Am 25. Januar 1979 schützte das Kantonsgericht (II. Zivilkammer) St. Gallen die Widerklage für den Teilbetrag von Fr. 5'000.- nebst Zins. Das Bundesgericht weist die vom Kläger und Widerbeklagten erhobene Berufung ab.
Aus den Erwägungen:
3. Nach Art. 360 Abs. 2 aOR fällt das Konkurrenzverbot dahin, wenn der Dienstherr das Dienstverhältnis Ohne wichtigen, vom Dienstpflichtigen zu verantwortenden Grund aufgehoben oder aber durch sein eigenes Verschulden dem Dienstpflichtigen einen wichtigen Grund zur Vertragsauflösung gegeben hat. Als wichtiger Grund im Sinn dieser Bestimmung genügt nach der Rechtsprechung schon ein Umstand, der zur Vertragsauflösung begründeten Anlass gibt, wie das nun mit dem neuen Art. 340c Abs. 2 OR klargestellt wird (BGE 92 II 35 E. 3, BGE 82 II 143 E. 1).
a) Von dieser Anschauung geht zutreffend auch das Kantonsgericht aus. Dieses stellt fest, dass vorerst der Kläger am 30. Juni 1972 vertragsgemäss und mit Wirkung auf 31. August 1972 gekündigt habe, wobei noch vor Vertragsablauf die Beklagte am 4. August und der Kläger am 9. August 1972 den Vertrag aus wichtigen Gründen fristlos aufgehoben erklärten.
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Angesichts der beiderseitigen Auflösungserklärungen komme nichts darauf an, welche Umstände in welcher Erklärung angeführt und für diese kausal waren; entscheidend sei festzustellen, welche Umstände das Arbeitsverhältnis gestört hätten, welche Partei sie zu vertreten habe und wie sie zu gewichten seien. Das schliesse nicht aus, auch Umstände zu berücksichtigen, die zwar vor Vertragsauflösung eingetreten, aber erst nachher bekannt geworden seien. Die Berufung widerspricht dem allem zu Recht nicht. Zutreffend ist namentlich, dass auch die erst nachträglich bekanntgewordene Konkurrenztätigkeit des Beklagten in die Beurteilung einzubeziehen ist; die Überlegungen, welche in dieser Hinsicht die Rechtsprechung zu Art. 352 aOR bestimmten, gelten sinngemäss auch im vorliegenden Zusammenhang (BGE 92 II 185 mit Hinweisen).
b) Auf dieser Grundlage stellt das Kantonsgericht fest, dass beide Vertragspartner zur Vertragsauflösung begründeten Anlass hatten bzw. zur gegnerischen Erklärung begründeten Anlass gaben. Die Vorinstanz wägt nun ab, dass das Konkurrenzverbot entfalle, wenn der Arbeitgeber überwiegend Anlass zur Auflösung gegeben habe, dagegen aufrechterhalten bleibe, wenn die Hauptursache auf Seiten des Arbeitnehmers liege. Es entspricht denn auch herrschender Lehre, dass bei beiderseitigen Verfehlungen auf das grössere Verschulden abzustellen ist (BECKER N. 7 zu Art. 360 aOR; OSER/SCHÖNENBERGER N. 10 zu Art. 360 aOR; SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, 2. Aufl. 1976, N. 5 zu Art. 340c; HAEFLIGER, Das Konkurrenzverbot im neuen schweizerischen Arbeitsvertragsrecht, Diss. Bern, 2. Aufl. 1975, S. 94f.). In dieser Richtung geht ebenfalls die Rechtsprechung, wenn auch nur unter Berufung auf Treu und Glauben (BGE 92 II 37, 76 II 228 E. 4c). Wieweit statt einem Verschulden auch unverschuldete Umstände zu berücksichtigen sind, ist vorliegend nicht von Belang.
6. In der Gesamtwürdigung gelangt das Kantonsgericht zum Schluss, die vom Kläger während eines längeren Zeitraums begangenen Treuepflichtverletzungen wögen mindestens ebenso schwer wie das Inserat der Beklagten, das gespannte Betriebsklima und die Vertretertätigkeit von Hudecek im Rayon des Klägers. Mangels überwiegender Veranlassung der Vertragsauflösung durch die Beklagte sei das Konkurrenzverbot nicht dahingefallen; zwar habe der Kläger das Arbeitsverhältnis aufgelöst, nachdem ihm die Beklagte dazu begründeten
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Anlass gegeben habe, doch habe er den gänzlichen Wegfall des Konkurrenzverbots durch eigenes Fehlverhalten von mindestens gleicher Schwere verscherzt.a) Demgegenüber behauptet der Kläger ein überwiegendes Verschulden der Beklagten, werde doch seine angebliche Verfehlung schon dadurch aufgewogen, dass die Beklagte Vertreter in seinem Rayon habe arbeiten lassen, während ihr Inserat und das völlig unzumutbare Betriebsklima darüber hinaus zu berücksichtigen seien. Der Wertung durch die Vorinstanz ist jedoch beizupflichten. Dem Kläger fällt eine sich über längere Zeit erstreckende, heimliche Konkurrenztätigkeit zur Last, die schwer gegen seine Treuepflicht und gegen die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten verstiess (vgl. dazu auch BGE 92 II 37, BGE 76 II 229 oben). Demgegenüber fallen das Inserat vom Mai und die Kundenkontakte Hudeceks im Juni/Juli in die letzte Zeit des bereits gespannten Arbeitsverhältnisses. Wird dazu das ungünstige Betriebsklima berücksichtigt, über welches das angefochtene Urteil nicht sehr bestimmte Feststellungen enthält, so kann gleichwohl nicht mit der Berufung von einer Hauptverantwortlichkeit der Beklagten ausgegangen werden. Beide Parteien haben vielmehr, wie das auch das Kantonsgericht annimmt, ungefähr in gleichem Mass zur Auflösung ihres Vertragsverhältnisses beigetragen.
b) Aus diesem Umstand folgert das Kantonsgericht, mangels überwiegender Veranlassung der Vertragsauflösung durch die Beklagte sei das Konkurrenzverbot nicht dahingefallen. Mit der Berufung wird demgegenüber die Auffassung vertreten, mangels Hauptverursachung durch den Kläger könne das Konkurrenzverbot nicht aufrechterhalten bleiben. Zu dieser Stellungnahme des Klägers hat die Vorinstanz selbst Anlass gegeben, indem sie in rechtlicher Hinsicht stets davon ausging, das Konkurrenzverbot entfalle, wenn der Arbeitgeber überwiegend die Auflösung veranlasst habe, bleibe dagegen bestehen, wenn die Hauptursache auf Seiten des Arbeitnehmers liege. Diese Formulierung lässt die vorliegend verwirklichte Möglichkeit unberücksichtigt, dass beide Parteien in gleichem Mass für die Vertragsauflösung verantwortlich sind.
Diese besondere Situation wird auch in der Literatur nicht behandelt. Eine Lösung kann nicht etwa unter Berufung auf die Beweislast der die Auflösung erklärenden Partei versucht werden, wo, wie hier, beide Partner den Vertrag aufgelöst haben.
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Ebensowenig erlaubt der Schutzcharakter von Art. 360 aOR, derartige Auslegungsprobleme einfach generell zugunsten des Arbeitnehmers zu lösen (in diesem Sinn, wenn auch in anderem Zusammenhang: HAEFLIGER, a.a.O., S. 92 f.). Gleich wie bei Vertragsauflösung infolge Zeitablaufs oder Vereinbarung (BECKER N. 6 zu Art. 360 aOR; OSER/SCHÖNENBERGER N. 9 zu Art. 360 aOR; HAEFLIGER, a.a.O., S. 94) muss vielmehr bei beiderseitiger gleichmässiger Verursachung grundsätzlich der Fortbestand des Konkurrenzverbots bejaht werden.
c) Das rechtfertigt sich um so eher, als nur bei Aufrechterhaltung, nicht aber bei Wegfall des Konkurrenzverbots eine differenzierte Lösung möglich ist, welche der besonderen Situation und der Billigkeit entspricht, indem der Richter in Anwendung von Art. 357 aOR bzw. Art. 340 aOR das Verbot nach Ort, Zeit oder Gegenstand einschränken kann, wo das in Würdigung aller Umstände, also auch der gemeinsam veranlassten Vertragsauflösung, als angemessen erscheint (BECKER N. 7 zu Art. 360 aOR; OSER/SCHÖNENBERGER N. 10 zu Art. 360 aOR; HAEFLIGER, a.a.O., S. 93). Steht, wie vorliegend, nur noch die Vertragsstrafe wegen Verbotsverletzung zur Beurteilung, so entspricht diesem Vorgehen - wie das die Vorinstanz zu Recht annimmt und auch die Berufung anerkennt - eine angemessene Herabsetzung der Strafe, die sich auf Art. 163 Abs. 3 OR stützen lässt. Unter dieser Voraussetzung entspricht die Aufrechterhaltung des Konkurrenzverbots bei gleichmässigem Verschulden der Parteien zugleich dem Art. 360 aOR bestimmenden Billigkeitsgedanken (BGE 92 II 35 E. 3, 82 II 146 E. 2).