Urteilskopf
106 II 66
14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Februar 1980 i.S. Hoechst AG gegen Dumex AG und Handelsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Vorsorgliche Massnahmen gemäss
Art. 77 ff. PatG.
1. Eine Sicherheitsleistung gemäss Art. 79 Abs. 2 PatG enthebt den Richter nicht von der Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für vorsorgliche Massnahmen nach Art. 77 Abs. 2 PatG gegeben seien.
2. Dazu gehört insbesondere, ob dem Gesuchsteller aus der behaupteten Verletzung ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil drohe, der nur durch eine solche Massnahme abgewendet werden kann.
Im Jahre 1976 liess die Dumex AG das Medikament Impugan, das den Wirkstoff Furosemid enthält, bei der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel registrieren, um es in der Schweiz vertreiben zu können. Im August 1978 erhoben die Dumex AG und die Lagap S.A. beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage gegen die Farbwerke Hoechst AG, Frankfurt, welche die Dumex AG verwarnt hatte. Die Klägerinnen wollten damit vor allem festgestellt wissen, dass die Herstellung und der Vertrieb furosemidhaltiger Präparate, wie Impugan, die Schweizer Patente Nr. 390936 und 459254 der Hoechst AG nicht verletze. Die Beklagte war gegenteiliger Ansicht und erhob Widerklage mit den Begehren, den Klägerinnen Einfuhr, Herstellung und Vertrieb furosemidhaltiger Präparate zu untersagen.
Auf Gesuch der Hoechst AG verbot der Handelsgerichtspräsident i.V. am 15. Juni 1979 der Dumex AG mit sofortiger Wirkung, für das Präparat Impugan durch Inserate, Rundschreiben, Prospekte oder Gratismuster zu werben. Das Verbot stützte sich insbesondere auf Art. 77 PatG und sollte bis zum Entscheid über vorsorgliche Massnahmen gelten. Es wurde mit der Androhung verbunden, dass die verantwortlichen Organe im Falle der Widerhandlung bestraft würden. Die Dumex AG leistete Fr. 100'000.-- Sicherheit.
Am 31. August 1979 wies der Handelsgerichtspräsident i.V. das Begehren um Anordnung vorsorglicher Massnahmen ab und hob das am 15. Juni 1979 erlassene Verbot auf.
Die Hoechst AG führte gegen diese Verfügung staatsrechtliche Beschwerde, die vom Bundesgericht gutgeheissen wurde.
Aus den Erwägungen:
5. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die angefochtene Verfügung nicht nur zu Unrecht auf den baldigen Patentablauf hinweise, sondern die Massnahmen zum Schutz des Unterlassungsanspruchs in einen Arrest zur Sicherung der Schadenersatzforderung umfunktioniere und ihre Nachteile kurzweg mit dem direkten Schaden aus dem Umsatz der Gegenpartei während der Restlaufzeit gleichsetze. Damit sei willkürlich ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil im Sinne von
Art. 77 Abs. 2 PatG verneint worden.
a) Der Handelsgerichtspräsident hat die Abweisung des Massnahmenbegehrens nicht nur mit der fehlenden Voraussetzung aus
Art. 77 Abs. 2 PatG begründet; nach seiner Auffassung kann von einer vorsorglichen Massnahme auch abgesehen werden, weil die Beschwerdegegnerin gemäss
Art. 79 Abs. 2 PatG Sicherheit geleistet hat. Die Beschwerdeführerin rügt dies nicht ausdrücklich als willkürlich, beharrt aber darauf, dass die Sicherheit am Vorliegen eines nicht leicht ersetzbaren Nachteils nichts zu ändern vermöge. So ist offensichtlich auch die angefochtene Verfügung zu verstehen, deren Hinweis auf
Art. 79 Abs. 2 PatG mit keinem Wort begründet und mit den Ausführungen zu
Art. 77 Abs. 2 PatG vermengt wird. Gewiss betrifft der Hinweis eine Kannvorschrift. Entscheiden nach Ermessen heisst indes nicht Entscheiden nach Belieben; der Richter hat auch diesfalls nach Recht und Billigkeit zu urteilen, Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung mitzuberücksichtigen und die Interessen der Parteien sorgfältig gegeneinander abzuwägen (
BGE 98 Ia 463 E. 3 mit Zitaten). Das Bundesgericht pflegt auch auf staatsrechtliche Beschwerde hin insbesondere zu prüfen, ob der kantonale Richter dabei auf unerhebliche Umstände abgestellt oder entscheidende nicht berücksichtigt habe (
BGE 100 Ia 307 lit. b,
BGE 99 Ia 563 E. 2 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin erblickt den angeblich drohenden Nachteil nicht in einer erschwerten Eintreibung der
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Schadenersatzforderung nach einem Obsiegen im Hauptprozess; sie hält die Gegenpartei offenbar für zahlungsfähig und deren Sicherheitsleistung daher für belanglos (vgl.
BGE 103 II 294 oben). Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem in
BGE 94 I 11 E. 8c veröffentlichten. Dass
Art. 79 Abs. 2 PatG nur Fälle erfasse, in welchen der Schadenersatzanspruch gefährdet wäre, will die Beschwerdeführerin offenbar nicht behaupten und wäre schon mit dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu vereinbaren. Diese rechtfertigt einen Verzicht auf vorsorgliche Massnahmen jedenfalls dann nicht, wenn der Patentinhaber trotz Sicherstellung mit einem Nachteil rechnen muss, der nur durch eine vorsorgliche Massnahme abgewendet werden kann (vgl. TROLLER, Immaterialgüterrecht, Bd. II, 2. Aufl., S. 1209; BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, Bd. III, 2. Aufl., S. 665). Sonst könnten zahlungsfähige Verletzer sich während des Prozesses einer vorläufigen Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs entziehen und wären davon entbunden, das Patent zu respektieren. Dass solche Folgen dem Sinn und Zweck von
Art. 77 PatG stracks zuwiderliefen, bedarf keiner Begründung.
b) Die Beschwerdeführerin erachtet den Vorhalt des Handelsgerichtspräsidenten, dass sie keine anderen als finanzielle Nachteile geltend mache, für völlig verfehlt, weil das Patent stets ein finanzieller Vorteil für den Erfinder sei und die Nachteile daher ebenfalls nicht anderer Art sein könnten. Der Handelsgerichtspräsident ist offenbar nicht anderer Meinung, rechtfertigt seine aber damit, dass die finanziellen Auswirkungen bei Erlass einer vorsorglichen Massnahme viel schwieriger zu ermitteln sind als bei einem Verzicht. Er findet, dass die Nachteile der Beschwerdeführerin bei Verzicht auf die Massnahme jedenfalls durch Schadenersatz ausgeglichen und leicht berechnet werden könnten, da sich ihre Ansprüche schon aus dem Umsatz ergäben, den die Gegenpartei während der restlichen Laufzeit des Patentes mit Impugan in der Schweiz erziele. Bei Erlass einer vorsorglichen Massnahme drohten der Beschwerdegegnerin jedoch Nachteile, die nur schwer zu beziffern seien, weil sich der Umsatz, den sie ohne die Massnahme gehabt hätte, nachträglich nicht mehr feststellen lasse.
Eine solche Betrachtungsweise würde indes, wie die Beschwerdeführerin mit Recht einwendet, in jedem Patentverletzungsprozess vorsorgliche Massnahmen ausschliessen. Deren
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Anordnung darf aber schon deshalb nicht von Beweisschwierigkeiten abhängig gemacht werden, weil
Art. 77 Abs. 2 PatG nur vom Nachteil spricht, der dem Gesuchsteller droht, eine allfällige Beeinträchtigung der Gegenpartei also nicht für entscheidend hält (
BGE 103 II 294 oben,
BGE 94 I 9 E. 5); andernfalls würde die gesetzliche Ordnung ins Gegenteil verkehrt.
c) Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, der ihr drohende Nachteil sei überhaupt nicht ersetzbar, weil die Schutzfrist für das Patent Nr. 390936 im Dezember 1980 ablaufe und das Urteil im Hauptprozess vorher nicht zu erwarten sei; die Beschwerdegegnerin könne deshalb während der restlichen Schutzdauer einen Markt aufbauen und sich damit einen Vorsprung sichern, ohne Gefahr zu laufen, sich nach einem für sie ungünstigen Prozessausgang wieder aus dem Markt zurückziehen zu müssen. Es handle sich dabei um ein systematisches Vorgehen, dass dem Bundesgericht bereits aus andern Fällen bekannt sei (vgl.
BGE 103 II 287 ff. und 99 II 344 ff.). Entscheidend sei nicht eine allfällige Umsatzeinbusse während der restlichen Laufzeit, sondern die der Beschwerdeführerin über den Patentablauf hinaus drohende Markteinbusse.
Damit behauptet die Beschwerdeführerin entgegen den Einwänden in der Beschwerdeantwort nichts Neues. Sie führte schon zur Begründung des Massnahmenbegehrens aus, der Nachteil in ihrer Marktstellung könne niemals voll ersetzt werden, selbst wenn die Beschwerdegegnerin zahlungsfähig sei, den Prozess verliere und sich deshalb später aus dem Markt zurückziehen müsse; zudem spekuliere die Gegenpartei mindestens beim Patent Nr. 390936 auf den baldigen Fristablauf, womit der im Prozess angestrebte Rechtsschutz definitiv und irreparabel vereitelt würde. Diese Ausführungen wurden im zweiten Schriftenwechsel erneuert und hinsichtlich des von der Beschwerdegegnerin bezweckten Marktvorsprungs ergänzt. Der Handelsgerichtspräsident nahm dazu nicht Stellung, sondern setzte den der Beschwerdeführerin drohenden Nachteil mit dem Umsatz gleich, den die Beschwerdegegnerin bis 20. Dezember 1980 auf dem Impugan erzielen werde. Damit verfiel er auch in diesem Punkte in Willkür.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin über die befürchteten Nachteile machen dies klar. Wenn damit zu rechnen ist, dass die Beschwerdegegnerin bis zum Ablauf des Patentschutzes im Dezember 1980 noch keinen nennenswerten
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Umsatz erreicht, sondern den Markt durch Abgabe von Gratismustern an Ärzte zuerst aufbauen muss, so erweist sich die Berechnungsweise des Handelsgerichtspräsidenten im vornherein als illusorisch; diesfalls ginge die Beschwerdeführerin leer aus, obschon ihr Patentrecht auch ohne Geschäfte mit zahlenden Käufern bereits klar verletzt wäre (
Art. 8 Abs. 2 PatG; TROLLER, a.a.O., S. 724). Die Beschwerde ist daher auch insoweit begründet, als die angefochtene Verfügung sich auf das Patent Nr. 390936 bezieht.