106 II 71
Urteilskopf
106 II 71
15. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Januar 1980 i.S. Jobst gegen Hardy Löhrer KG (Berufung)
Regeste
Urheberrecht, Art. 1 URG.
1. Voraussetzungen des Urheberrechtsschutzes für die rohen Köpfe von gewerblich hergestellten Kasperlifiguren (E. 2a).
2. Verneinung des Schutzes für die Köpfe und die Negativformen, mit deren Hilfe sie hergestellt werden (E. 2b).
Erica Jobst verkaufte am 29. Januar 1971 die "ERI-Werkstätte" in Lörrach, die 1956 zur serienmässigen Herstellung von Kasperlifiguren gegründet wurde, mit allen Aktiven und Passiven an Hardy Löhrer. Der Kauf erfasste auch die Rechte, den Namen "ERI" für die neue Firma und deren Produkte zu
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verwenden und das Know-how sowie die Fabrikationskapazität voll zu nutzen.Am 30./31. März 1971 schlossen Frau Jobst und Löhrer einen Lizenzvertrag, der wie der Kaufvertrag ab 1. Januar 1971 gelten sollte. Damit übertrug Erica Jobst dem Lizenznehmer weltweit die ausschliesslichen Rechte für Fabrikation und Vertrieb der "ERI-Handpuppen" sowie der "ERI-Künstler- und Hampelfiguren"; für letztere nahm sie das Gebiet der Schweiz aus. Neue von der Lizenzgeberin entworfene Figuren sollten automatisch unter den Vertrag fallen. Löhrer verpflichtete sich, eine Lizenzgebühr von 5% des Netto-Grosshandelsumsatzes zu bezahlen.
Frau Jobst kündigte den Lizenzvertrag am 15. August 1977, weil der Umsatz seit 1973 ständig und wegen Verschulden Löhrers zurückgegangen sei.
Im Januar 1979 klagte Erica Jobst beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die Hardy Löhrer KG mit dem Begehren, es sei der Beklagten zu verbieten, mit den von ihr entworfenen Negativformen Puppenköpfe herzustellen und diese zu verkaufen, feilzuhalten oder sonstwie in Verkehr zu bringen, oder die Negativformen zu bearbeiten und davon Puppenköpfe herzustellen und diese zu verkaufen, feilzuhalten oder in Verkehr zu bringen.
Der Appellationshof wies die Klage am 16. Mai 1979 ab, weil die Klägerin mit dem Kaufvertrag auch sämtliche ihr zustehenden Urheberrechte an den Puppenköpfen und Negativformen auf den Käufer übertragen habe. Gegenstand des Lizenzvertrages sei nach dem Willen der Parteien nur die Abgeltung des im Kaufpreis nicht enthaltenen Geschäftswertes (Goodwill) gewesen. Er erachtete zudem Rohlinge und Negativformen nicht als Kunstwerke im Sinne von Art. 1 URG.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, die vom Bundesgericht abgewiesen worden ist.
Aus den Erwägungen:
2. Die Vorinstanz hat in ihrer Eventualerwägung den Rohlingen und Negativformen - nur diese liegen gemäss den Klagebegehren im Streit - den urheberrechtlichen Schutz versagt, weil sie keine Kunstwerke im Sinne von Art. 1 URG seien. Nach Auffassung der Klägerin hat sie damit Bundesrecht verletzt.
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a) Das als Vorbild für die gewerbliche Herstellung eines Gegenstandes dienende Muster oder Modell fällt grundsätzlich unter das MMG; Urheberrechtsschutz wird ihm nur ausnahmsweise, nämlich dann gewährt, wenn es sich wirklich zum Kunstwerk im Sinne des URG erhebt (BGE 75 II 358). Ein Kunstwerk liegt vor, wenn sich die Gestaltung des Gegenstandes als eigenartige Geistesschöpfung von individuellem Gepräge darstellt, diese Gestaltung der Ausdruck einer neuen, originellen geistigen Idee oder die Verkörperung eines Gedankens ist, für die es einer individuellen geistigen Idee bedurfte (BGE 101 II 105 E. 2b mit Hinweisen, BGE 75 II 359 /60 mit Hinweisen). Blosse handwerkliche Leistungen, die lediglich bekannte Formen oder Linien verbinden oder abwandeln, erhalten keinen Urheberrechtsschutz (BGE 100 II 172 mit Hinweisen). Der ästhetische Wert und die Bedeutung des Werkes sind nicht zu berücksichtigen (BGE 75 II 360 mit Hinweisen), an die Originalität keine grossen Anforderungen zu stellen (BGE 100 II 172), aber insgesamt doch ein höherer Grad von Individualität oder Originalität und eigenpersönlicher Prägung zu verlangen als beim Muster und Modell (BGE 75 II 360 E. 2a; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Auflage, Bd. I, S. 449).
b) Der Appellationshof hat den Figuren der Klägerin die Originalität abgesprochen, weil deren charakteristische Züge durch vorbekannte Merkmale geprägt seien, die den Erwartungen der Abnehmer entsprächen und deshalb von anderen Herstellern ebenfalls berücksichtigt würden. Da dies für die fertigen Figuren gelte, treffe es um so mehr auf die noch weniger individualisierten Rohlinge und die Negativformen zu.
Auch die Klägerin anerkennt, dass bestimmte allgemeine Vorstellungen über einen Figurentyp bestehen, an die sie sich bei der konkreten Formgebung gehalten hat. In dem von ihr vorgelegten Gutachten wird ausgeführt, das Gesicht der Zaubererfigur passe "ganz genau zu einem Zauberer und nicht zu einem Doktor oder gar zu einer Krankenschwester". Die einzelnen Figurentypen erhalten ihre Charakterisierung jedoch vornehmlich durch Bemalung und Ausstattung. Gerade das muss aber ausser Betracht bleiben, da die Klägerin allein für die rohen Kopf- und Negativformen Urheberrechtsschutz beansprucht. Soweit der Gutachter der Klägerin die fertigen Figuren, insbesondere unter Einbezug ihrer Bemalung und der Dekors würdigt, was vorwiegend der Fall ist, erscheint das
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Gutachten deshalb im vornherein nicht als schlüssig. Es dürfen zudem nicht die verschiedene Spieltypen darstellenden Figuren miteinander verglichen werden, wie es das Gutachten tut, sondern zu fragen ist, ob bestimmte von der Klägerin entworfene Spielfigurentypen sich von gleichartigen anderer Hersteller rechtsgenüglich unterscheiden. Aufgrund der rohen Kopfform und nach dem Gesamteindruck beurteilt offenbaren diese zur Hauptsache eine Kombination von wiederum gängigen, für bestimmte Charakteren allgemein als typisch erachtete Gesichtsmerkmale. Eine ausgeprägte, mühelos erkennbare Eigenwilligkeit fehlt diesen rohen Kopfformen. Nur bei einem detaillierten Nebeneinandervergleich würden Einzelheiten auffallen, durch die sie sich von Kopfformen anderer Hersteller allenfalls unterscheiden. Nicht darauf aber kommt es an, sondern entscheidend ist, ob sich die Einzelheiten zu einer von Figurenköpfen anderer Hersteller merkbar unterschiedlichen Einheit zusammenfügen (TROLLER, a.a.O., S. 490; KUMMER, Das urheberrechtlich schützbare Werk, S. 43), was zu verneinen ist. Erheblich ist die Verschiedenheit nur, sofern sie handgreifliche Züge aufweist, mühelos erkennbar ist; Individualität bringen nicht bereits kleinste Abweichungen in Einzelheiten hervor. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten erschöpft sich insoweit in einer Hervorhebung einzelner Feinheiten bestimmter Figurentypen, was aber nicht wegleitend sein kann, wenn der durch bestehende Vorstellungen, eigentliche Klischees und die Erwartungshaltung des Marktes weitgehend vorbestimmte Gesamteindruck, den die fertigen Figuren machen sollen und in aller Regel auch machen, dadurch im Verhältnis zu gleichwertigen Figuren anderer Hersteller nicht entscheidend verändert wird. Gehen die von der Klägerin entworfenen rohen Kopf- sowie Negativformen bei einer Gesamtbetrachtung über eine blosse Typisierung nicht mühelos erkennbar hinaus, so sind sie urheberrechtlich nicht schützbar (KUMMER, a.a.O., S. 60). Dies gilt um so mehr, als nach der angeführten Rechtsprechung an die Originalität oder Individualität der rohen Puppenköpfe, die als Vorbild für die gewerbliche Herstellung von Gegenständen dienen, erhöhte Anforderungen zu stellen sind.