106 II 346
Urteilskopf
106 II 346
66. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. November 1980 i.S. Roto-Frank AG gegen Mockenwies Bau AG (Berufung)
Regeste
1. Art. 17 Abs. 3 BZP.
Die Übernahme von Aktiven und Passiven ist als Gesamtnachfolge im Sinne dieser Bestimmung zu beurteilen (E. 1).
2. Art. 31 OR.
Die Einrede der Täuschung ist auch nach Ablauf der Jahresfrist zulässig. In der Anfechtungserklärung braucht nicht auf einen der drei in Art. 31 Abs. 1 OR aufgezählten Willensmängel hingewiesen zu werden (E. 3a).
3. Art. 933 Abs. 1 OR.
Positive Publizitätswirkung von Handelsregistereintragungen. Einschränkung des Grundsatzes, wenn dies Treu und Glauben gebieten (E. 4).
A.- Die Roto-Frank AG beabsichtigte 1977 die Erstellung eines Büro- und Gewerbehauses in Zürich-Altstetten. Sie übertrug mit Vertrag vom 23. März 1977 der Baugenossenschaft Mockenwies, vertreten durch den Geschäftsführer Stefan Götz, als Generalunternehmerin die Ausführung der Baute. Die Parteien vereinbarten einen Pauschalpreis von 3,7 Millionen Franken. Am 8. Juli 1977 wurde die Baubewilligung erteilt. Mit Brief vom 29. Juli 1977 trat die Roto-Frank AG mit sofortiger Wirkung vom Vertrag zurück, weil ihr inzwischen neue Tatsachen bekannt geworden seien über die Person von Götz, über die Seriosität und Kreditwürdigkeit der Baugenossenschaft und über deren Kontakte mit Mitarbeitern der Roto-Frank AG.
B.- Die Baugenossenschaft Mockenwies machte mit ihrer am 21. Februar 1978 erhobenen Klage gegen die Roto-Frank AG wegen grundloser Vertragsauflösung Fr. 907'975.-- Schadenersatz nebst 5% Zins seit 1. Oktober 1977 geltend. Die Beklagte wandte Unverbindlichkeit des Vertrages wegen Willensmangels ein, doch folgte ihr das Handelsgericht des Kantons Zürich nicht. Dagegen nahm es eine erhebliche Korrektur der klägerischen Schadensberechnung vor und hiess deshalb am 24. Oktober 1979 die Klage nur im Teilbetrag von Fr. 482'404.10 nebst 5% Zins seit 31. Oktober 1977 gut.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 2. Juni 1980 eine Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten ab, soweit darauf einzutreten war.
C.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Roto-Frank AG, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung, soweit auf sie eingetreten werden könne.
D.- Mit Eingabe vom 28. Oktober 1980 machte die Beklagte geltend, die Klägerin habe ihre Parteifähigkeit verloren,
BGE 106 II 346 S. 348
weil gemäss Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 21. Oktober 1980 die Firma der Baugenossenschaft Mockenwies am 10. Oktober 1980 erloschen sei. Der Rechtsvertreter der Klägerin beantragte demgegenüber, den Prozess auf den Namen der Mockenwies Bau AG fortzusetzen, da diese als Gesamtnachfolgerin der Baugenossenschaft Mockenwies im Sinne von Art. 17 Abs. 3 BZP in das vorliegende Verfahren eingetreten sei.Aus den Erwägungen:
1. Gemäss Art. 17 Abs. 3 BZP, der aufgrund von Art. 40 OG anwendbar ist, tritt ein Gesamtnachfolger unabhängig von der Zustimmung der Gegenpartei in das bundesgerichtliche Verfahren ein. Wie sich aus dem Handelsregistereintrag vom 27. Juni 1980 ergibt, übernahm die Mockenwies Bau AG die Aktiven und Passiven der Baugenossenschaft Mockenwies, womit sie deren Gesamtnachfolgerin wurde (nicht veröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Februar 1966 i.S. C. E. S.p.A. und V. S.A. gegen F. H. AG).
Die Beklagte behauptet allerdings, aus den beim Handelsregisteramt deponierten Akten gehe hervor, dass die Mockenwies Bau AG nicht sämtliche Aktiven der Baugenossenschaft Mockenwies übernommen habe; die von der Klägerin eingereichte Zessionserklärung vom 24. Juni 1980 stelle überdies klar, dass nicht eine Gesamt-, sondern eine Spezialnachfolge vorliege. Sie hat indessen ihr erstes Vorbringen, gegen das der eindeutige und nach Art. 9 ZGB beweisbildende Wortlaut des Handelsregistereintrags vom 27. Juni 1980 spricht, in keiner Weise belegt. Aus der Abtretungserklärung vom 24. Juni 1980, in der ausgeführt wird, sie sei "als integrierender Bestandteil in bezug auf die Umwandlung der Baugenossenschaft Mockenwies auf die Mockenwies Bau AG zu betrachten", ist ebenfalls nichts gegen eine Gesamtnachfolge herzuleiten. Die Mockenwies Bau AG ist somit anstelle der Baugenossenschaft Mockenwies als Klägerin in das Verfahren eingetreten; das bundesgerichtliche Urteil muss darum auf ihren Namen ausgestellt werden.
3. Nach Auffassung der Beklagten ist der Generalunternehmervertrag wegen Grundlagenirrtums und absichtlicher Täuschung für sie unverbindlich. Das Handelsgericht gesteht der Beklagten zu, dass sie mit dem Schreiben vom 29. Juli 1977
BGE 106 II 346 S. 349
den Vertrag rechtzeitig wegen Grundlagenirrtums anfocht, verweigert ihr aber die Anrufung absichtlicher Täuschung.a) Die Beklagte machte im kantonalen Verfahren zunächst nur Grundlagenirrtum geltend, in der Duplikschrift berief sie sich aber auch auf absichtliche Täuschung. Das Handelsgericht erklärt diese Anfechtungserklärung für verspätet, weil sie nach Ablauf der Jahresfrist von Art. 31 OR erfolgte. Es übersieht indessen, dass die Beklagte der klägerischen Erfüllungs- bzw. Schadenersatzklage gegenüber die Täuschung einredeweise geltend machte, was nach Lehre und Rechtsprechung auch zulässig ist, wenn die Jahresfrist nicht eingehalten wird (GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 7. Aufl., S. 130 und 179; VON TUHR/PETER, OR, S. 341/2 mit Hinweis auf BGE 66 II 160 /1 und BGE 84 II 625). Anders verhielte es sich nur, wenn die Beklagte zuvor den Vertrag in Kenntnis des Willensmangels genehmigt hätte, doch ist das nicht behauptet und wäre durch die Anfechtungserklärung vom 29. Juli 1977 auch widerlegt. Dass darin nur Grundlagenirrtum geltend gemacht werde, betrachtet das Handelsgericht als Verzicht auf die Anrufung von absichtlicher Täuschung, wobei die Beklagte sich behaften lassen müsse. Es beruft sich darauf, dass die Anfechtungserklärung bereits auf einen der drei Willensmängel hinweisen müsse. Diese Ansicht vertreten neben den vom Handelsgericht zitierten VON TUHR/PETER (S. 147 und 332) noch OSER/SCHÖNENBERGER (N. 16 zu Art. 31 OR). BECKER (N. 1 zu Art. 31 OR), ENGEL (Traité des obligations, S. 233) und BUCHER (OR, S. 186) sind jedoch gegenteiliger Meinung. Das Bundesgericht seinerseits hat schon mit BGE 14 S. 319 zu Art. 28 alt OR in gleichem Sinn entschieden und hielt, wie die Urteile BGE 31 II 421 und BGE 64 II 132 zeigen, seither an dieser Auffassung fest. Es bezeichnete im einen Entscheid die Erklärung als genügend, eine Schuldanerkennung werde wegen Willensmangels als unverbindlich betrachtet (BGE 31 II 428 E. 6), und anerkannte im andern auch ein konkludentes Verhalten, das zum vornherein keinen Anfechtungsgrund spezifizieren kann, als gemäss Art. 31 Abs. 1 OR ausreichende Vertragsanfechtung (BGE 64 II 135). An dieser Auffassung, die nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn von Art. 31 OR entspricht, ist festzuhalten.
b) Keinesfalls aber kann der Umstand, dass die Beklagte in ihrer Anfechtungserklärung nach Meinung der Vorinstanz nur Grundlagenirrtum geltend machte, als Verzicht auf die Anrufung
BGE 106 II 346 S. 350
absichtlicher Täuschung gewertet werden. Im Schreiben vom 29. Juli 1977 weist die Beklagte zur Begründung des Vertragsrücktritts auf Tatsachen hin, die ihr inzwischen bekannt geworden seien, sie zweifellos vom Abschluss des Vertrages abgehalten hätten und für sie nach Treu und Glauben notwendige Grundlage für den Vertragsschluss gewesen seien. Der Brief spielt somit wohl auf Grundlagenirrtum an, verweist aber auch allgemein auf die Umstände, welche die Beklagte zum Rücktritt vom Vertrag veranlassten. Dass die Beklagte damit auf die Geltendmachung von absichtlicher Täuschung verzichte, falls sich aus den nämlichen Tatsachen auch eine solche ergeben sollte, durfte die Baugenossenschaft Mockenwies in guten Treuen nicht annehmen. Die Beklagte ist daher berechtigt, neben Grundlagenirrtum auch absichtliche Täuschung geltend zu machen.
4. Die Beklagte begründete die absichtliche Täuschung unter anderem damit, es sei ihr vorgespiegelt worden, Ralph Schmid und die Sparbank Luzern stünden finanziell hinter der Baugenossenschaft Mockenwies, was sie zum Vertragsschluss veranlasst habe; in Wirklichkeit habe Götz die Genossenschaft beherrscht. Das Handelsgericht verwarf diese Vorbringen, weil sich die falsche Vorstellung der Beklagten auf den Umstand reduziere, dass sie nicht wusste, dass Schmid auf den 1. Februar 1977 aus dem Vorstand der Baugenossenschaft Mockenwies ausgetreten war; das sei jedoch wegen der positiven Publizitätswirkung der Eintragungen im Handelsregister unbehelflich (Art. 933 Abs. 1 OR).
a) Aus den Akten ergibt sich indes ein von der Darstellung des Handelsgerichts in wesentlichen Punkten abweichendes Bild. Am 13. Dezember 1976, im Anfangsstadium der Vertragsverhandlungen, wies Götz die Beklagte darauf hin, dass Ralph Schmid, Vizepräsident und Hauptaktionär der Sparbank Luzern, Vorstandspräsident der Baugenossenschaft Mockenwies sei. Entsprechend holte die Beklagte eine Bankauskunft sowohl über die Baugenossenschaft wie über die Sparbank Luzern ein. Die Luzerner Kantonalbank befasste sich in ihrer Information vom 27. Dezember 1976 zur Hauptsache mit der Sparbank Luzern und mit Ralph Schmid, den sie als massgebende Persönlichkeit und Hauptaktionär dieser Bank bezeichnete. Aufgrund eigener Geschäftsbeziehungen erklärte die Luzerner Kantonalbank, beide genannten Rechtspersönlichkeiten
BGE 106 II 346 S. 351
arbeiteten mit grossem Erfolg; die finanzielle Basis sei gesund; die Vereinbarungen würden eingehalten, eine Aufnahme von Geschäftsbeziehungen könne empfohlen werden. Die Klägerin sei der Luzerner Kantonalbank dagegen nicht näher bekannt. Weil aber Ralph Schmid Präsident der Genossenschaft sei, träfen die vorstehenden Angaben auch für sie zu. Aufgrund der bisher mit Schmid abgewickelten Geschäfte könne auch hier die Aufnahme einer Verbindung empfohlen werden.Nach dem angefochtenen Urteil beschränkt sich die Bankauskunft im wesentlichen auf Schmid und die Sparbank Luzern, während es über die Baugenossenschaft Mockenwies nur heisse, sie sei der Luzerner Kantonalbank nicht näher bekannt. Das Handelsgericht verkennt, dass überdies erklärt wurde, alle positiven Feststellungen über Schmid persönlich und die Sparbank Luzern träfen auch für die Baugenossenschaft Mockenwies zu, weil Schmid deren Präsident sei. Anderseits ging es aber zu Recht davon aus, dass für ein finanzielles Engagement Schmids und der Sparbank konkret nur die Stellung des erstern als Vorstandspräsident sprach. Dieser Umstand fiel noch vor Abschluss des Generalunternehmervertrages vom 23. März 1977 mit dem am 1. Februar 1977 erfolgten Rücktritt Schmids aus dem Vorstand der Baugenossenschaft Mockenwies dahin. Das wurde im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 14. Februar 1977 bekannt gemacht, weshalb die Beklagte nach Auffassung des Handelsgerichts sich nicht darauf berufen könne, sie habe vom Rücktritt Schmids nichts gewusst.
Vom Grundsatz, den Art. 933 Abs. 1 OR festsetzt, muss indessen abgewichen werden, wenn Treu und Glauben dies gebieten. Die Nichteinsicht in das Handelsregister schadet dem Gutgläubigen namentlich dann nicht, wenn die Gegenpartei zum guten Glauben an eine vom Registereintrag abweichende Rechtslage Anlass gegeben hat (JÄGGI, N. 145 zu Art. 3 ZGB). Mit Aufnahme der Vertragsverhandlungen entsteht für die Parteien die Pflicht, einander in gewissem Mass Aufklärung über Tatsachen zu geben, welche für den Entschluss des Gegners von ausschlaggebender Bedeutung sind (GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 7. Aufl., S. 92 und 128; VON TUHR/PETER, S. 192 und 321/2). Nachdem die Baugenossenschaft zu Beginn der Verhandlungen sich auf den Vorstandspräsidenten Ralph Schmid
BGE 106 II 346 S. 352
und seine Beziehungen zur Sparbank Luzern berufen hatte, war sie nach Treu und Glauben verpflichtet, die Beklagte auch über das spätere Ausscheiden Schmids zu orientieren.b) Eine Täuschung im Sinne von Art. 28 OR setzt indessen voraus, dass der Getäuschte dadurch zum Vertragsschluss verleitet wurde. Das Handelsgericht hat es unterlassen, den Sachverhalt in dieser Hinsicht abzuklären. (Folgen Ausführungen darüber, die zur Rückweisung gemäss Art. 64 Abs. 1 OG führten.)