109 II 116
Urteilskopf
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28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Juli 1983 i.S. Aktiengesellschaft X. gegen Bank Y. (Berufung)
Regeste
Ausführung von gefälschten Zahlungsaufträgen durch eine Bank; Wegbedingung der Haftung.
1. Gültigkeit einer vorgedruckten Freizeichnungsklausel, die vom Kontoinhaber unterschriftlich anerkannt worden ist (E. 2).
2. Frage offen gelassen, ob Art. 100 Abs. 2 und Art. 101 Abs. 3 OR auch auf Banken anwendbar sind, weil hier die Bank kein Verschulden trifft (E. 3).
A.- A., B. und C. gründeten im Dezember 1977 die Aktiengesellschaft X., die bei der Bank Y. in Bern ein Konto auf ihren Namen eröffnete. Am 6. Januar 1978 bestätigte die Bank die Eröffnung und legte eine Karte bei, welche sie zur Kontrolle der Unterschriften benötigte. A. führte zusammen mit einem zweiten Gründer der Gesellschaft Kollektivunterschrift. Er liess die Karte mit den verlangten Angaben versehen und anerkannte zusammen mit C. unterschriftlich, von den "besonderen Bedingungen für das vorstehende Konto" Kenntnis genommen, ein Exemplar der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Verkehr mit der Bank erhalten zu haben und mit diesen Bedingungen und mit den auf der Rückseite der Karte abgedruckten Bestimmungen einverstanden zu sein. Zu den letzteren gehörte insbesondere die Klausel, dass der Rechnungsinhaber die mit dem Nichterkennen von gefälschten Unterschriften verbundenen Risiken trage.
C. verfügte als Mitglied und Sekretär des Verwaltungsrates über die Quittungsformulare der Bank. Zwischen dem 17. Oktober 1978 und dem 11. Januar 1979 bezog er mittels gefälschter Quittungen an Schaltern der Bank insgesamt Fr. 20'600.-- zulasten des Gesellschaftskontos, wobei er sich jeweils an Filialen der Bank wandte. Die vorgelegten Quittungen trugen neben seiner eigenen stets auch die Unterschrift des A., die er nachahmte.
Das Handelsgericht des Kantons Bern wies die Klage am 1. November 1982 ab, weil die Beklagte als Beauftragte keine Sorgfaltspflichten verletzt habe.
C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, mit der sie an ihrem Schadenersatzbegehren festhält.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Aus den Erwägungen:
2. Die Klägerin macht geltend, die Lehre lasse eine Globalübernahme von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zumal in Form einer blossen Verweisung, nur mit grosser Zurückhaltung als verbindlich gelten; grundsätzlich werde eine schriftliche Anerkennung verlangt, was auch in der Bankpraxis die Regel sei. Sie bestreite aber entschieden, von der Beklagten je ein Exemplar dieser Bedingungen erhalten zu haben; es gehe daher ohne Beweisführung nicht an, dass das Handelsgericht sie einfach bei ihrer Unterschrift behaften wolle.
Zum Schutze der schwachen oder unerfahrenen Partei ruft die Lehre in der Tat schon seit Jahren nach einer vermehrten Kontrolle durch den Richter, wenn von der Gegenpartei für eine Vielzahl von Fällen aufgestellte Geschäftsbedingungen, sei es durch blossen Verweis oder durch Eingliederung, zum Bestandteil eines bestimmten Vertrages erklärt werden (statt vieler: FORSTMOSER, Rechtsprobleme der Bankpraxis, S. 24; FORSTMOSER in Festgabe für Max Kummer, S. 99 ff.; KRAMER, N. 173 ff. zu Art. 1 OR; MERZ, in Festschrift SCHÖNENBERGER, S. 137 ff.; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 427 ff. zu Art. 1 OR; OFTINGER, in Festschrift Zepos, Bd. II, S. 546 ff.; BUCHER, OR Allg. Teil, S. 130 ff.; BUCHER in Festschrift Deschenaux, S. 267; GUGGENHEIM, Les contrats de la pratique bancaire suisse, S. 60 ff.).
Eine Stellungnahme zu kritischen Bemerkungen, welche von der Lehre insbesondere unter den Gesichtspunkten des Konsenses, der Vertragsauslegung und des Rechtsmissbrauches über die Gültigkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemacht werden, erübrigt sich indes im vorliegenden Fall; dies gilt selbst dann, wenn die Klägerin kein Exemplar davon erhalten haben sollte, wie sie behauptet. Sie übergeht, dass die hier streitige Freizeichnungsklausel, wonach die mit dem Nichterkennen von gefälschten Unterschriften verbundenen Risiken zulasten des Rechnungsinhabers
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gingen, auch auf der Rückseite der Unterschriftenkarte steht und sie sich damit einverstanden erklärt hat. Der Wortlaut der Klausel ist eindeutig und lässt nach der Vertrauenstheorie keinen Raum zum Streit darüber, ob sie als Teil des Kontokorrentvertrages anzusehen sei. Die Klägerin kann im Ernst auch nicht von fehlendem Konsens oder mangelndem Verzichtswillen sprechen. Das Handelsgericht hält ihr mit Recht entgegen, dass sie der Beklagten sogleich hätte widersprechen müssen, wenn sie die Klausel nicht gegen sich gelten lassen wollte (BGE 64 II 357).
3. Eine andere Frage ist, ob die zuständigen Bankangestellten die Fälschungen des C bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätten erkennen müssen, wie die Klägerin behauptet, und wenn ja, ob die Beklagte diesfalls die Haftung nach der Freizeichnungsklausel beschränken oder sogar ausschliessen durfte.
a) Gemäss Art. 100 OR darf die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit nicht vertraglich wegbedungen werden (Abs. 1). Der Richter kann zudem auch einen zum voraus erklärten Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden unter anderem dann als nichtig betrachten, wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betrieb eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt (Abs. 2). Unter der gleichen Voraussetzung darf ferner die Haftung für Hilfspersonen gemäss Art. 101 Abs. 3 OR höchstens für leichtes Verschulden ausgeschlossen werden.
Das Bundesgericht hat sich mit der Frage, ob der Geschäftsbetrieb einer Bank einem obrigkeitlich konzessionierten Gewerbe im Sinne dieser Bestimmung gleichzusetzen sei, bisher nicht auseinandergesetzt; es ist vielmehr, allerdings ohne nähere Begründung, noch 1982 davon ausgegangen, dass gegen eine vertraglich vereinbarte Beschränkung der Haftung durch die Bank auf grobe Fahrlässigkeit nichts einzuwenden sei, da sie damit dem Vorbehalt des Art. 100 Abs. 1 OR Rechnung trage (BGE 108 II 316 E. 2 am Ende; vgl. ferner BGE 94 II 207 /8, BGE 91 I 233, BGE 71 II 239, BGE 64 II 358, BGE 41 II 491).
In der Lehre wird jedoch seit einigen Jahren mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass eine Anwendung von Art. 100 Abs. 2 und 101 Abs. 3 OR auf Banken folgerichtig wäre, weil die Privatbanken zu ihrem Betrieb jedenfalls eine Polizeierlaubnis benötigten und der zivilrechtliche Begriff der obrigkeitlichen Konzession im Sinne der angeführten Bestimmungen weiter gehe als der öffentlichrechtliche und auch auf Erwerb gerichtete Betriebe umfasse, wenn sie einer solchen Erlaubnis bedürften; bei den Kantonalbanken
BGE 109 II 116 S. 120
sodann liesse sich die obrigkeitliche Konzession füglich schon in der staatlichen Begründung erblicken (P. NOBEL, Praxis zum öffentlichen und privaten Bankrecht der Schweiz, S. 289/90 mit Zitaten; FORSTMOSER, Rechtsprobleme der Bankpraxis, S. 26 mit Hinweisen). Ähnlich äussert sich C. STOCKAR (Zur Frage der richterlichen Korrektur von Standardverträgen nach schweizerischem Recht, S. 25), der Gewerbebetriebe unbekümmert darum, ob sie von einer echten Konzession im verwaltungsrechtlichen Sinne oder bloss von einer staatlichen Erlaubnis abhängig gemacht werden, dem Art. 100 Abs. 2 OR unterstellt wissen will. Der gleichen Ansicht ist ferner A. KOLLER (Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen, S. 116), der angesichts der Voraussetzungen für eine Bewilligung gemäss Art. 3 BankG die Banken ebenfalls nicht von der strengeren Haftung ausnehmen möchte.Gegen eine Anwendung der Art. 100 Abs. 2 und 101 Abs. 3 OR auf das Bankgewerbe ist insbesondere KLEINER (Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, Giro- und Kontokorrentvertrag, S. 15), weil eine Ausdehnung der sozialen Schutzgesetzgebung auf den Bankkunden, der einem qualifizierten Publikum angehöre und keiner staatlichen Bevormundung bedürfe, nicht gerechtfertigt sei.
b) Die Auffassung der Autoren, die eine Anwendung der Art. 100 Abs. 2 und 101 Abs. 3 OR auf Banken befürworten, hat einiges für sich, insbesondere wenn die Bestimmungen zeitgemäss ausgelegt werden. Auch ihre Kritik an der bisherigen Rechtsprechung ist ernst zu nehmen. Zu einer Stellungnahme besteht im vorliegenden Fall jedoch kein Anlass, da es so oder anders beim angefochtenen Urteil bleibt. Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, kann nämlich der Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass sie ihre Sorgfaltspflicht bei der Prüfung der Unterschriften fahrlässig verletzt habe (was näher ausgeführt wird).
Referenzen
BGE: 108 II 316, 94 II 207, 91 I 233
Artikel:
Art. 100 Abs. 2 und