109 II 208
Urteilskopf
109 II 208
48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. August 1983 i.S. Minelli und Schweiz, Journalisten-Union gegen Grundbuchamt Wiedikon-Zürich und Obergericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Öffentlichkeit des Grundbuchs.
1. Zur Einsichtnahme ins Grundbuch ist berechtigt, wer ein relevantes Interesse hat. Ausschlaggebend ist dabei die Zweckbestimmung des Grundbuches als Mittel zur Bekanntmachung der dinglichen Rechte an Grundstücken (E. 3).
2. Eine bloss denkbare Gefährdung wirtschaftlicher Interessen der Arbeitnehmer oder die Motivforschung in bezug auf das Verhalten des Arbeitgebers vermögen noch keine Berechtigung im Sinne von Art. 970 Abs. 2 ZGB zu begründen (E. 3-5).
Am 29. April 1982 stellte Ludwig A. Minelli beim Grundbuchamt Wiedikon-Zürich das Begehren, es seien ihm Grundbuchauszüge auszufertigen über die Liegenschaften Edenstrasse 20, Rüdigerstrasse 11, Staffelstrasse 8-12, Rüdigerstrasse 1 sowie allfälliger weiterer Liegenschaften, welche in irgendeiner Weise zum Jean-Frey-AG-Komplex in jenem Gebiet gehören. Dieses Begehren wurde mit Verfügung vom 10. Mai 1982 abgewiesen.
Eine gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde wies das Bezirksgericht Zürich mit Beschluss vom 15. Juli 1982 ab. Desgleichen wies das Obergericht des Kantons Zürich einen Rekurs Minellis und der von ihm vertretenen Schweizerischen Journalisten-Union (SJU) mit Beschluss vom 14. Januar 1983 ab.
BGE 109 II 208 S. 209
Am 15. Februar 1983 reichten Ludwig A. Minelli und die SJU Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht ein. Sie beantragen, den obergerichtlichen Entscheid aufzuheben und das Grundbuchamt Wiedikon-Zürich anzuweisen, ihnen die verlangten Auszüge zuzustellen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJDP) beantragt in seiner Vernehmlassung vom 17. Juni 1983, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell diese abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
3. Das Grundbuch ist öffentlich (Art. 970 Abs. 1 ZGB). Dieser Grundsatz wird in Absatz 2 von Art. 970 ZGB insofern eingeschränkt, als nur diejenigen Personen Einsichtnahme verlangen können, die ein Interesse daran glaubhaft zu machen vermögen. Dieses Interesse braucht nicht ein rechtliches zu sein; ein bloss tatsächliches, z.B. wirtschaftliches oder wissenschaftliches, Interesse ist ausreichend. Hingegen genügt es nicht, einfach irgendein Interesse, wie z.B. Neugierde, glaubhaft zu machen. Das Interesse muss relevant sein, damit es zur Einsichtnahme ins Grundbuch berechtigt. Ausschlaggebend ist dabei die Zweckbestimmung des Grundbuchs als Mittel zur Bekanntmachung der dinglichen Rechte an Grundstücken (BGE 97 I 703, BGE 59 I 252; DESCHENAUX, Le registre foncier, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/2, S. 137 ff.; HOMBERGER, N. 7/8 zu Art. 970 ZGB; OSTERTAG, N. 2 zu Art. 970 ZGB; LEEMANN, Wer ist zur Einsicht in das Grundbuch berechtigt?, in SJZ 13 (1917), S. 373/4; Kreisschreiben der Justizdirektion des Kantons Bern vom 24. März 1969 betreffend Grundbuchaufschlag und Erteilung von Auszügen, in ZBGR 41 (1960), S. 121 ff.; EMILIO CATENAZZI, La pubblicità formale del registro fondiario, Diss. Freiburg 1963, S. 54 ff.). Wird das Interesse auf wirtschaftliche Gründe gestützt, muss mithin noch dazukommen, dass dieses Interesse auch vor dem Hintergrund des Grundbuchzwecks und des vom Gesuchsteller mit der Einsichtnahme verfolgten Zieles Schutz verdient (DESCHENAUX, a.a.O. S. 139). Dies trifft namentlich zu, wenn die Einsichtnahme in das Grundbuch der Wahrnehmung (auch künftiger) obligatorischer Rechte zu dienen vermag (HOMBERGER, N. 7 zu Art. 970 ZGB).
BGE 109 II 208 S. 210
Wie das Obergericht dazu zutreffend ausführt, müssen dabei Tatsachen vorgebracht werden, aus welchen sich eine aktuelle und nicht bloss mögliche Gefährdung solcher Rechte herleiten lässt oder welche zumindest deren aktuelle Gefährdung wahrscheinlich machen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, steht grundsätzlich nichts entgegen, Arbeitnehmern im Umfang und in Abhängigkeit ihres Interesses Einsicht in Grundbuchteile, welche den Arbeitgeber betreffen, zu geben.
4. Nach dem Gesagten hätte dem Gesuch der SJU entsprochen werden müssen, wenn ihr Interesse an den Grundbuchauszügen entweder in Funktion zum Öffentlichkeitsprinzip des Grundbuches stünde oder wenn sie eine aktuelle Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Interessen darzutun vermöchte, deren Behebung durch Kenntnis der Einträge im Grundbuch erleichtert würde. Ein solches Interesse ist indessen nicht glaubhaft gemacht worden.
a) Die SJU macht eine potentielle Gefährdung beruflicher Interessen derjenigen SJU-Mitglieder geltend, die beim Jean-Frey-AG-Konzern arbeiten. Zudem beruft sie sich auf eine offensichtliche Diskriminierung der SJU-Mitglieder im Verhältnis zu den Mitgliedern des Konkurrenzverbandes durch den Jean-Frey-AG-Konzern. In beiden Ausgangspunkten lägen Anstösse zu gewerkschaftlichem Handeln, denn sie habe satzungsgemäss in Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder eine anerkannte potentielle Gefährdung der finanziellen Interessen ihrer Mitglieder abzuklären, um je nachdem verhindern zu helfen, dass ihre Mitglieder zu Verlust kämen. Ausserdem habe sie satzungsgemäss Schritte zur Beseitigung der Diskriminierung ihrer Mitglieder zu planen.
b) Beide kantonalen Instanzen haben zutreffend festgehalten, dass ein wirtschaftliches Interesse des Arbeitnehmers, über Grundbesitz des Arbeitgebers Auskünfte aus dem Grundbuch zu erhalten, jedenfalls dann als rechtlich schützenswert gelten könne, wenn eine aktuelle Gefährdung seiner Lohnansprüche dargetan sei. Sei nämlich ein Arbeitgeber mit der Lohnzahlung in Verzug oder sei in naher Zukunft damit zu rechnen, dass er seine Vertragspflichten nicht mehr erfüllen werde, könne dem gefährdeten Lohngläubiger die Kenntnis der grundpfandrechtlichen Belastung des Grundbesitzes seines Arbeitgebers durchaus eine zweckdienliche Entscheidungshilfe für sein weiteres Vorgehen sein. Entgegen der Meinung der SJU wurde damit noch nicht ein glaubhaft gemachtes Interesse anerkannt. Die Vorinstanz hat vielmehr weiter ausgeführt, dass das Begehren des Arbeitnehmers um Einsichtnahme
BGE 109 II 208 S. 211
auf eine allgemeine Auskundschaftung des Arbeitgebers in einem Teilbereich der Vermögenssituation hinauslaufe, wenn es an einer aktuellen Gefährdung fehle. Das bloss allgemeine wirtschaftliche Interesse, die Vermögenslage des Arbeitgebers zu kennen, berechtige nicht zur Einsichtnahme in das Grundbuch, weil sich eben dieses Interesse nicht direkt auf das Grundstück beziehe und so vom eigentlichen Zweck der Grundbucheinrichtung nicht mehr gedeckt werde. Eine konkrete Gefährdung der Lohninteressen der von der SJU vertretenen Arbeitnehmer sei indessen weder erwiesen noch glaubhaft gemacht. Es werde nicht einmal behauptet, die Jean Frey AG sei ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den bei ihr angestellten Arbeitnehmern nicht oder nur mit Verzug nachgekommen. Die Tatsache, dass zwei Zeitungstitel verkauft worden seien, lasse auch nur einigermassen zuverlässige Rückschlüsse auf die aktuelle Finanzlage der Jean Frey AG nicht zu. Gleiches gelte bezüglich der teilweisen Weigerung, die Teuerung halbjährlich auszugleichen; dass die Jean Frey AG ihren diesbezüglichen Entscheid mit Liquiditätsproblemen begründet hätte, werde ebenfalls nicht behauptet. Nachdem die SJU den genauen Umfang des Grundbesitzes der Jean Frey AG gar nicht kenne, erschienen auch ihre Vermutungen im Zusammenhang mit der hypothekarischen Belastung insgesamt als spekulativ.c) Diese Auffassung verstösst nicht gegen Bundesrecht. Die SJU stützt ihre Argumente, mit denen sie eine potentielle Gefährdung ihrer bei der Jean Frey AG beschäftigten Mitglieder glaubhaft zu machen versucht, auf Gerüchte über angeblichen "asset stripping", also darauf, dass Max Frey den Konzern "gewisser günstiger Aktiven (und Aufträge) zugunsten anderer - ihm allein gehörender - Betriebe entblösse". Im weiteren verweist sie auf die Veräusserung zweier Zeitungstitel und auf die Verlagerung von Druckaufträgen in die Max Frey gehörende Druckerei Winterthur AG. All diese auf Gerüchten basierenden Vorbringen der SJU sind nicht geeignet, eine konkrete und damit aktuelle Gefährdung wirtschaftlicher Interessen einzelner Arbeitnehmer des Jean-Frey-AG-Konzerns glaubhaft zu machen. Eine bloss denkbare Gefährdung wirtschaftlicher Interessen vermag noch keine Berechtigung im Sinne von Art. 970 Abs. 2 ZGB zu begründen.
5. Etwas anderes kann auch nicht gelten, soweit sich die SJU auf ihre Pflicht, ihre Mitglieder vor Diskriminierung durch den Arbeitgeber zu schützen, beruft. Auch diesbezüglich stützt sie sich
BGE 109 II 208 S. 212
auf blosse Behauptungen. Selbst wenn es zutrifft, dass die Arbeitgeberin tatsächlich Kapital aus der Konkurrenzsituation zweier Gewerkschaften zu schlagen versucht, ist es unerfindlich, inwiefern diese Situation ein vernünftiges, schutzwürdiges Interesse der SJU zu begründen vermöchte, Einsicht in das Grundbuch nehmen zu können. Der Einsatz der SJU gegen Diskriminierungen durch die Jean Frey AG hat nichts mit deren Grundbesitz zu tun, und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Kenntnis davon diesen Einsatz zu erleichtern vermöchte. Zudem hat es die SJU auch unter diesem Gesichtspunkt unterlassen, Tatsachen zu behaupten und zu belegen, aus denen sich eine wirtschaftliche Gefährdung ihrer Mitglieder, z.B. wegen drohender Nichterfüllung der Arbeitsverträge durch die Jean Frey AG, ergeben könnte. Eine Einsichtnahme bloss zur "Motivforschung in bezug auf das Verhalten des Arbeitgebers" würde nur dem Zweck der Auskundschaftung von dessen Grundbesitz dienen und kann nicht als Interesse im Sinne von Art. 970 Abs. 2 ZGB gelten. Ebensowenig genügt das Interesse der SJU an der Frage, ob über die Erfüllung vertraglicher oder gesetzlicher Zahlungen hinaus sich aus der Einsicht in das Grundbuch Aspekte ergäben, die gestatten würden, die Verhandlungsführung anders zu gestalten.