BGE 109 II 286 |
61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. April 1983 i.S. S. gegen S. (Berufung) |
Regeste |
Art. 151 Abs. 1 ZGB; Dauer der Rente. |
Die Praxis, den Rentenanspruch gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB in der Regel auf die halbe Ehedauer zu beschränken, ist bundesrechtswidrig. |
Sachverhalt |
Am 15. Oktober 1979 machte der Ehemann die Scheidungsklage anhängig. Die Beklagte erhob Widerklage auf Scheidung. Das Amtsgericht sprach am 18. September 1981 die Scheidung der Ehe auf Begehren beider Parteien gestützt auf Art. 142 ZGB aus. Die drei Kinder stellte es unter die elterliche Gewalt der Mutter, und es regelte das Besuchsrecht des Klägers. Diesen verpflichtete es, für die Kinder monatlich je Fr. 440.-- nebst Kinderzulagen und der Beklagten eine Rente von Fr. 200.-- gemäss Art. 152 ZGB, begrenzt auf die Dauer von sechs Jahren, zu bezahlen. Sämtliche Beiträge wurden indexiert. |
Die Beklagte zog dieses Urteil an den Appellationshof des Kantons Bern weiter, worauf der Kläger Anschlussappellation erhob. Der Appellationshof hiess beide Appellationen am 10. Juni 1982 teilweise gut. Er erhöhte die Beiträge des Klägers für die Kinder auf je Fr. 480.-- zuzüglich Kinderzulagen und sprach der Beklagten gestützt auf Art. 151 Abs. 1 ZGB eine monatliche Rente von Fr. 300.-- für die Dauer von sechs Jahren zu.
|
Mit Berufung an das Bundesgericht verlangt die Beklagte u.a. für die drei Kinder monatliche Unterhaltsbeiträge von je Fr. 517.-- zuzüglich Kinderzulagen und für sich selber eine Dauerrente gemäss Art. 151 ZGB von Fr. 705.-- im Monat.
|
Der Kläger erhebt Anschlussberufung und beantragt u.a., er sei zu verurteilen, für jedes Kind einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 480.-- nebst Kinderzulagen und für die Beklagte einen solchen von Fr. 200.-- für die Dauer von sechs Jahren gestützt auf Art. 152 ZGB zu leisten.
|
Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und verpflichtet den Kläger, der Beklagten gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB eine monatliche indexierte Rente von Fr. 500.-- bis zum 30. November 1993 zu bezahlen. Die Anschlussberufung weist es ab und bestätigt im übrigen das angefochtene Urteil.
|
Aus den Erwägungen: |
5. a) Die Vorinstanz hat der Beklagten gestützt auf Art. 151 Abs. 1 ZGB eine Unterhaltsersatz- und Entschädigungsrente von Fr. 300.--, begrenzt auf sechs Jahre, zuerkannt. In seiner Anschlussberufung bestreitet der Kläger einen solchen Anspruch. Er möchte seiner Ehefrau lediglich eine Bedürftigkeitsrente von Fr. 200.--, ebenfalls begrenzt auf die Dauer von sechs Jahren, zugestehen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wie der Appellationshof zutreffend festgehalten hat, ist das Verschulden der ansprechenden Ehefrau, falls überhaupt von einem solchen gesprochen werden kann, angesichts der gesamten Umstände des vorliegenden Falles als leicht zu bewerten, das für die Zerrüttung zudem nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Das wird vom Kläger nicht ernsthaft bestritten. Auf der andern Seite aber muss das Verschulden des Klägers selbst als durchaus gewichtig betrachtet werden, wie dies in Erwägung 3 dargelegt wurde. Dass daneben erhebliche objektive Faktoren mit zur Ehezerrüttung beigetragen haben, vermag den Kläger unter dem Gesichtspunkt des Art. 151 ZGB nicht zu entlasten. |
b) Der Appellationshof hat daher zu Recht einen Unterhaltsersatz- und Entschädigungsanspruch der Beklagten gestützt auf Art. 151 Abs. 1 ZGB bejaht. Fraglich ist demnach nur, ob eine entsprechende Rente unter den hier gegebenen Verhältnissen auf Dauer hätte zugesprochen werden müssen, wie es die Beklagte verlangt. Sie verweist zur Begründung ihres Anspruchs auf die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach immer dann, wenn Kinder aus der Ehe hervorgegangen und der Mutter zugeteilt worden sind, eine zeitliche Begrenzung der Rente grundsätzlich auszuschliessen war (BGE 98 II 166 und BGE 97 II 10 E. 4). In einem neuen Entscheid hat das Bundesgericht indessen an dieser Praxis nicht mehr festgehalten (BGE 109 II 185 E. 5). Es hat darauf hingewiesen, dass die bisherige Betrachtungsweise der wirklichen Lage nicht immer gerecht werde; denn es könne nicht gesagt werden, dass jede Frau, die Kinder geboren und auferzogen hat und deren Lebensbedingungen sich dadurch zugegebenermassen grundlegend und dauernd verändert haben, infolge der Scheidung auch stets einen dauernden finanziellen Schaden erleide. Vielmehr sei in jedem konkreten Fall abzuklären, ob eine geschiedene Frau trotz Kinderbetreuung sich auf längere Sicht eine wirtschaftliche Situation werde schaffen können, in der sie nicht schlechter gestellt sein werde, als wenn sie die Ehe nicht eingegangen wäre. Treffe dies zu, rechtfertige sich eine lebenslange Bindung finanzieller Art an den früheren Ehegatten im Sinne einer Dauerrente nicht. Gemäss dieser neuen Rechtsprechung sind bei der Abklärung der Dauer der Leistungspflicht folgende Faktoren zu berücksichtigen: die Dauer der Ehe, die Schwere des Verschuldens des pflichtigen Ehegatten, das Alter und der Gesundheitszustand des anspruchsberechtigten Gatten, seine Ausbildung, seine finanzielle Situation und die allgemeine Wirtschaftslage sowie die dem Gatten wieder offenstehende Möglichkeit, ganz oder teilweise einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Eine Rente ist aber mindestens für so lange zuzusprechen, als die der Ehefrau zugeteilten Kinder eine umfassende Fürsorge und Pflege benötigen, was bis zum 16. Altersjahr des jüngsten Kindes zutreffen dürfte, sowie für die mutmassliche Dauer einer allfälligen beruflichen Wiedereingliederung der Ehefrau.
|
Der Appellationshof hat im vorliegenden Fall alle diese Kriterien ausser acht gelassen. Er hat lediglich festgehalten, bezüglich der Dauer der Leistungspflicht des Klägers sei in Übereinstimmung mit der Vorinstanz und üblicher Praxis folgend etwa auf die halbe Ehedauer abzustellen. Ein Unterhaltsbeitrag für die Dauer von sechs Jahren sei daher angemessen. Er fügte noch bei, eine Dauerrente sei im übrigen schon deswegen nicht zuzusprechen, weil es der noch jungen Beklagten im Zeitpunkt, wo ihre Kinder dies altersmässig erlaubten, durchaus zumutbar sei, einer zusätzlichen Arbeit ausser Hauses nachzugehen. Soweit sich der Appellationshof auf die im Kanton Bern übliche Praxis, den Rentenanspruch auf die halbe Ehedauer zu beschränken, beruft, kann ihm nicht gefolgt werden. Eine solche Lösung ist zu schematisch und widerspricht dem den Art. 151/52 ZGB zugrundeliegenden Grundsatz, die Rentenansprüche nach Recht und Billigkeit, d.h. unter Beachtung aller massgebenden Gesichtspunkte und konkreten Umstände, zu bemessen. Sie ist daher mit dem Bundesrecht nicht vereinbar. |
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Beklagte sehr jung, im 18. Altersjahr, geheiratet hat und heute erst 32 Jahre alt ist. Ihre Kinder sind 14-, 13- und 6jährig. Die Beklagte hat keinen Beruf erlernt, was allerdings auf die Einstellung ihrer Eltern und nicht auf ihre frühe Eheschliessung zurückzuführen ist. Sie hat aber stets auf dem elterlichen Bauernhof gearbeitet und könnte daher im Zeitpunkt, in welchem ihr jüngstes Kind ins Lehrlingsalter treten wird, d.h. in zehn Jahren, diese Arbeit entweder noch ausdehnen oder eine Stelle annehmen, an der sie ähnliche Arbeit verrichten kann. Für sie hat sich in dieser Hinsicht durch die Eheschliessung nicht viel geändert. Die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Dauerrente sind daher nicht gegeben. Allerdings wäre die Beklagte angesichts der guten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bei Fortsetzung der Ehe wohl kaum je gezwungen gewesen, durch Erwerbsarbeit für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Das hindert aber nicht, ihr dies zuzumuten, wenn ihr jüngstes Kind 16 Jahre alt sein wird. Bis dahin hätte sie auch Zeit, sich allenfalls um eine geeignete Ausbildung zu bemühen.
|