99. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. November 1983 i.S. Vogt gegen Lebar (Berufung)
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Regeste
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Hinterlegungsvertrag. Schadenersatz wegen unmöglich gewordener Rückgabe der hinterlegten Sache. Massgebender Zeitpunkt für die Schadensberechnung (Art. 97 Abs. 1, Art. 475 OR).
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Sachverhalt
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BGE 109 II 474 (474):
A.- Louis Lebar kaufte Ende August 1975 von Frau Tanner 100 Aktien der Atlas Kassenfabrik AG zum Preis von Fr. 40'000.-. Unmittelbar nach dem Kauf übergab er die Aktien Therese Vogt zur Aufbewahrung. Diese liess ihm im Januar 1976 BGE 109 II 474 (475):
durch die Schweizerische Bankgesellschaft Aarau einen Betrag von US$ 4975.- sowie von Fr. 200.- als Gegenwert für 33 Aktien gutschreiben, worauf Lebar nicht reagierte. Am 3. April 1979 verlangte Lebar von Frau Vogt Auskunft über den Verbleib der 67 Aktien, für die ihm kein Gegenwert gutgeschrieben worden war.
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B.- Im Dezember 1979 erhob Lebar gegen Frau Vogt Schadenersatzklage für einen Betrag von Fr. 26'800.- nebst Zins, entsprechend dem von ihm für die 67 Aktien bezahlten Kaufpreis. Am 8. Mai 1980 fiel die Atlas AG nach Darstellung der Beklagten in Konkurs.
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Das Bezirksgericht Lenzburg hiess die Klage am 29. April 1982 gut, abgesehen vom Zinsenlauf, dessen Beginn es erst auf den 15. Juni 1979 festsetzte. Es berechnete den Schaden nach dem Wert der Aktien im Mai 1976 und ermittelte so eine Ersatzforderung von Fr. 50'384.-, konnte aber nicht mehr zusprechen, als eingeklagt worden war.
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Auf Appellation der Beklagten bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau dieses Urteil am 3. Dezember 1982.
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C.- Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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In teilweiser Gutheissung der Berufung hebt das Bundesgericht das Urteil auf und weist die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen:
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Welchen Schaden der Kläger erlitten hat, ist grundsätzlich als Tatfrage mit dem angefochtenen Urteil abschliessend festgestellt und bindet das Bundesgericht im Berufungsverfahren, unter Vorbehalt von Art. 63 Abs. 2 OG. Rechtsfrage und vom Bundesgericht zu prüfen ist dagegen, ob der kantonale Richter den Rechtsbegriff des Schadens verkannt oder Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung verletzt hat (BGE 107 II 225 mit Hinweisen).
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Die Vorinstanz, die in diesem Punkt auf die Erwägungen des Bezirksgerichts verweist, hat angenommen, massgeblich sei die Schadenshöhe zu dem Zeitpunkt, wo die vertraglich geschuldete Leistung unmöglich geworden sei. Dies sei der Mai 1976, da zu BGE 109 II 474 (476):
diesem Zeitpunkt die Beklagte nach eigener Darstellung über die Aktien "verfügt" habe. Nach Auffassung der Beklagten kommt dagegen für die Berechnung frühestens der Zeitpunkt in Betracht, zu dem der Kläger sich erstmals nach dem Verbleib der Aktien erkundigt habe, was im April 1979 geschehen sei. Damals hätten die Aktien indes keinen Wert mehr gehabt, da die Atlas AG ein knappes Jahr später in Konkurs gefallen sei.
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Die Vorinstanz beruft sich zur Begründung auf BUCHER (OR Allg. Teil S. 302, 309), wonach bei Nichterfüllung wegen nachträglicher Unmöglichkeit die Schadenshöhe auf den Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit zu berechnen sei. In der übrigen Lehre findet diese Auffassung keine Stütze. Nach GUHL/MERZ/KUMMER (7. Aufl. S. 69) ist bei Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrags regelmässig auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Schuldner hätte erfüllen sollen. Auch nach VON TUHR/ESCHER (OR Allg. Teil II S. 102) ist der Augenblick, in dem die unmöglich gewordene Leistung dem Gläubiger hätte zukommen sollen, massgebend für die Schätzung des Schadens, wobei nach Wahl des Gläubigers auch der Zeitpunkt des Urteils in Frage komme. Barth (Schadenersatzrecht bei nachträglicher Unmöglichkeit der Erfüllung, Diss. Zürich 1957, S. 149 f.) stellt für die konkrete Schadensberechnung auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts ab, für die abstrakte Schadensberechnung auf den Zeitpunkt, in dem hätte erfüllt werden sollen. Sofern die Unmöglichkeit früher offenbar werde, sei dieser Zeitpunkt massgebend, frühestens aber jener der Fälligkeit. Dabei lässt er ebenfalls dem Gläubiger die Wahl, seiner Schadensberechnung statt den Zeitpunkt der Erfüllung den Tag des Urteils zugrunde zu legen.
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Aus der bisherigen Rechtsprechung ist kein Entscheid bekannt, in dem das Bundesgericht den Standpunkt der Vorinstanz eingenommen hätte. Von der Sache her kann ihr im vorliegenden Zusammenhang schon aus folgenden Überlegungen nicht beigepflichtet werden: Die Beklagte war verpflichtet, die Aktien für den Kläger so lange aufzubewahren, bis dieser sie zurückverlangte. Erst in diesem Zeitpunkt musste sie die Aktien herausgeben. Wäre sie ihrer Verpflichtung nachgekommen, hätte der Kläger die hinterlegten Papiere zum Wert in diesem Zeitpunkt zurückbekommen. Die Werteinbusse, die er im Vergleich zum höheren Wert der Titel im Mai 1976 erleidet, geht daher nicht auf die Vertragsverletzung zurück. Sie wäre auch eingetreten, wenn der Vertrag erfüllt worden wäre, und sie wäre unterblieben, wenn der Kläger entsprechend BGE 109 II 474 (477):
früher die Rückgabe verlangt hätte, was er jederzeit hätte tun können (Art. 475 Abs. 1 OR). Der Schadensberechnung kann daher frühestens der Wert der Aktien im Zeitpunkt der Rückforderung zugrunde gelegt werden (vgl. auch BGE 39 II 572; BGE 102 II 11 E. 3).
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Im Entscheid 97 II 361 E. 3, wo es um ein Lagergeschäft im Sinne von Art. 482 ff. OR über ein antikes Möbelstück ging, hat das Bundesgericht für die Berechnung des dem Hinterleger entstandenen Schadens den Wert des hinterlegten Möbels im Zeitpunkt des letzten kantonalen Urteils als massgebend bezeichnet, weil grundsätzlich der gegenwärtige Schaden zu ersetzen sei; Art. 475 OR, der auch die Rückforderung eines allfälligen Zuwachses erfasse, stimme damit überein. Diese Regel versteht sich auch für die Berechnung von zusätzlichem Schaden, der sich daraus ergibt, dass z.B. hinterlegte Wertpapiere zwischen dem Zeitpunkt der Rückforderung und dem Urteilsdatum im Wert steigen. Sie mache zudem klar, dass vom Wert zur Zeit der Fälligkeit auszugehen ist, die hier mit dem Tag, an dem der Kläger die Aktien erstmals zurückforderte, zusammenfiel. Im Falle von Wertverminderungen zwischen der Fälligkeit und dem Urteilsdatum geht es dagegen nicht an, Art. 475 OR analog gegen den Hinterleger auslegen zu wollen. Nach den angeführten Lehrmeinungen kann der Geschädigte sich diesfalls vielmehr auf den für ihn günstigeren früheren Zeitpunkt berufen (vgl. auch OFTINGER, Haftpflichtrecht I, 4. Aufl. S. 258). Im einen wie im andern Fall hat er somit vorweg den Wert der Sache zur Zeit, als die Rückforderung fällig war, darzutun. Wenn er eine Wertsteigerung seit der Fälligkeit bis zum Urteilsdatum beweisen kann, darf er aber auch dafür Ersatz verlangen.
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Die kantonalen Instanzen haben sich zur Frage, wann der Kläger erstmals die Aktien herausverlangt hat, nicht geäussert; ausserdem bestehen keine tatsächlichen Feststellungen über den Wert der Aktien in jenem Zeitpunkt. Das angefochtene Urteil ist daher gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG in diesem Punkt aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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