Urteilskopf
115 II 15
4. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Februar 1989 i.S. I. AG gegen B. (Direktprozess)
Regeste
Haftung des Vormundes gegenüber Dritten.
Prüfung der möglichen Haftungsnormen (E. 2).
Deliktshaftung; allgemein zur objektiven und zur subjektiven Widerrechtlichkeitstheorie (E. 3a); Widerrechtlichkeit durch Unterlassen (E. 3b) hängt von einer Garantenstellung ab (E. 3c).
Vormundschaftliche Massnahmen schützen in erster Linie die Person des Betreuten, einschliesslich seines Vermögens; daneben dienen sie auch dem Schutz von Drittinteressen. Besondere Vorkehren, um Beeinträchtigungen des Vermögens von Drittpersonen zu verhindern, hat der Vormund nur zu treffen, wenn gewichtige Anzeichen bestehen, dass bedeutende Drittinteressen einer hohen Gefährdung ausgesetzt sind (E. 4a).
A.- In Zusammenhang mit einer Verurteilung wegen Vermögensdelikten und Urkundenfälschung wurde A. im Jahre 1974 nach
Art. 371 ZGB unter Vormundschaft gestellt und Rechtsanwalt B. zu seinem Vormund ernannt. Die Bevormundung wurde gemäss
Art. 375 ZGB veröffentlicht.
Noch im gleichen Jahr wurde A. bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Mit Zustimmung seines Vormundes arbeitete er als Angestellter. Daneben tätigte er, ohne Genehmigung der vormundschaftlichen Organe, selbständig Handelsgeschäfte, wovon der Vormund erst ab Herbst 1978 und nur in Einzelfällen Kenntnis erlangt haben will.
Im Frühjahr 1978 bezog A. bei der im Jahre 1976 gegründeten I. AG. Waren für Fr. 380.-- und im Jahre 1979 solche für insgesamt Fr. 708'048.--. Die Rechnungen wurden, entsprechend den Weisungen des Warenbezügers, teils auf diesen, teils auf ausländische Firmen ausgestellt. Sie blieben unbeglichen.
In der Folge wurde A. am 16. Juni 1983 erneut zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht liess eine Adhäsionsforderung der I. AG von Fr. 593'000.-- nebst Zins zu. Am 28. März 1984
BGE 115 II 15 S. 17
wurde sodann über A. der Konkurs eröffnet. Dieses Verfahren ist noch hängig. Die I. AG kann für ihre Forderung nicht mit einer Konkursdividende rechnen.
C.- Gestützt auf eine Prorogationsvereinbarung reichte die I. AG am 10. Juli 1987 dem Bundesgericht als einziger Instanz gemäss
Art. 41 lit. c Abs. 2 OG eine Klage gegen den Vormund B. mit dem Rechtsbegehren ein, diesen zu verpflichten, ihr Fr. 412'131.65 nebst Zins ab verschiedenen Verfalldaten zu bezahlen.
Sie macht den Beklagten aus Art. 41 OR sowie aus culpa in contrahendo für den aus ihren unbeglichenen Forderungen entstandenen Schaden haftbar, wobei sie namentlich dafür hält, dass die unbewilligte selbständige Geschäftstätigkeit des A. nur durch ungenügende vormundschaftliche Beaufsichtigung möglich geworden sei und bei ordnungsgemässer Amtsführung unterblieben wäre. Damit wären auch ihre Geschäftsabschlüsse mit dem Mündel verhindert worden.
In seiner Antwort vom 30. Oktober 1987 schliesst der Beklagte auf Abweisung der Klage. Er bestreitet insbesondere ein rechtswidriges Verhalten sowie einen rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen seiner Amtsführung und dem Schaden der Klägerin.
Mit Zustimmung der Parteien wurde das Verfahren vorerst auf die Frage der grundsätzlichen Haftung des Beklagten beschränkt.
Aus den Erwägungen:
2. Die Haftung der vormundschaftlichen Organe gegenüber Dritten richtet sich im allgemeinen - allfällige Besonderheiten um Ansprüche unterstützungspflichtiger oder unterstützungsgefährdeter Ehegatten oder Verwandter stehen hier ausser Frage - nicht nach den Vorschriften über die vormundschaftliche Verantwortlichkeit (Art. 426 ff. und Art. 454 f. ZGB), sondern nach den Haftungsbestimmungen des Obligationenrechts (Art. 41 ff., eventuell
Art. 97 ff. OR), allenfalls nach kantonalem Recht (
Art. 61 OR) oder im Sonderfall der Hausgewalt nach
Art. 333 ZGB (
BGE 62 II 270;
BGE 53 II 365 ff.). Als Haftungsnorm ausser Betracht fällt
Art. 411 Abs. 2 ZGB. Diese Bestimmung regelt ausschliesslich die Verantwortlichkeit des Bevormundeten.
Eine Vertragshaftung des Beklagten steht im vorliegenden Fall ausser Frage, ebenso eine solche nach kantonalem Recht. Die
BGE 115 II 15 S. 18
Klage ist damit allein nach Massgabe der
Art. 41 ff. OR zu beurteilen, gegebenfalls zusätzlich nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo, soweit diese nicht ohnehin als Anwendungsfall der aquilianischen Haftung erscheint (
BGE 108 II 310 E. a mit Hinweis; dazu neuestens MERZ, Vertrag und Vertragsschluss, S. 80 ff. Rz. 143 ff. mit zahlreichen Hinweisen). Davon gehen übereinstimmend auch die Parteien aus.
3. Die Haftungsvoraussetzung der Widerrechtlichkeit im Sinne von
Art. 41 Abs. 1 OR erblickt die Klägerin in einer mangelnden Überwachung des Mündels durch den Beklagten. Dieser habe die Neigungen von A. zu schädigenden Handlungen im Vermögensbereich gekannt.
a) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre liegt der Blankettnorm nach
Art. 41 Abs. 1 OR die sogenannte objektive Widerrechtlichkeitstheorie zugrunde (
BGE 113 Ib 423 E. 3 mit Hinweis;
BGE 108 II 311 f. E. b; aus der jüngeren Literatur zur objektiven Widerrechtlichkeit namentlich BREHM, N. 33 ff. zu
Art. 41 OR; KELLER/GABI, Haftpflichtrecht, S. 1145 ff.; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/ 1, S. 17 Rz. 43 bei Fn. 64 und S, 35 f. Rz. 101; HEINZ RASCHEIN, Thesen zum System des schweizerischen Haftpflichtrechts, recht 1988 S. 83 ff.). Danach ist die Schadenszufügung widerrechtlich, wenn sie gegen eine allgemeine gesetzliche Pflicht verstösst, sei es, dass ein absolutes Recht des Geschädigten verletzt (Erfolgsunrecht) oder eine reine Vermögensschädigung durch Verstoss gegen eine einschlägige Schutznorm bewirkt wird (Verhaltensunrecht). Die Widerrechtlichkeit liegt im objektiven Normverstoss und entfällt bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes.
Demgegenüber knüpft die sogenannte subjektive Theorie an den Begriff der Befugnis an und erachtet grundsätzlich jede Drittschädigung als widerrechtlich, es sei denn, sie erfolge befugtermassen mit subjektiver Rechtfertigung (zum Theorienstreit einlässlich BRUNO GABRIEL, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR; Diss. Freiburg 1987, S. 212 ff.). Sie hat sich in der Schweiz bisher nicht durchzusetzen vermocht (Nachweise bei GABRIEL, a.a.O., S. 81 ff.).
Der Theorienstreit bleibt ohne Auswirkungen auf die Ersatzpflicht für Schäden, die aus der Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter resultieren, oder deren Widerrechtlichkeit von vornherein aus gegebenem Rechtfertigungsgrund entfällt (GABRIEL, a.a.O., S. 108 f. Rz. 368). Dagegen erlangt sie Bedeutung im Bereiche
BGE 115 II 15 S. 19
der reinen Vermögensschäden ohne objektiven Schutznormverstoss. Zu Recht wird allerdings darauf hingewiesen, dass die praktische Bedeutung der unterschiedlichen Betrachtungsweise Gefahr läuft, überschätzt zu werden, da einerseits die Vertreter der objektiven Theorie zunehmend geneigt sind, den Begriff der haftpflichtrechtlichen Schutznorm auszudehnen, diejenigen der subjektiven Theorie anderseits gezwungen sind, nach immer neuen Rechtfertigungsgründen zu suchen, soll die allgemeine Deliktshaftung nicht uferlos auswuchern (RASCHEIN, a.a.O., S. 88 unter b).
b) Die Klägerin wirft dem Beklagten nicht ein rechtswidriges positives Verhalten vor, sondern erblickt die Widerrechtlichkeit allein in einer ungenügenden Beaufsichtigung des Mündels, in der Unterlassung geeigneter Schutzvorkehren zu ihren Gunsten.
Wer eine Handlung unterlässt, zu der er von der Rechtsordnung nicht verpflichtet ist, verstösst nicht gegen diese und handelt nicht rechtswidrig. Eine allgemeine Rechtspflicht, im Interesse anderer tätig zu werden, besteht nicht. Widerrechtlichkeit durch Unterlassen kann daher nur entstehen, wenn das Gesetz ein Handeln verlangt, eine Unterlassung ausdrücklich ahndet (BREHM, N. 56 zu Art. 41 OR). Dabei versteht sich von selbst, dass die Verletzung einer Handlungspflicht nicht irgendwelche beliebigen Schadenersatzpflichten auszulösen vermag; vielmehr drängt sich die notwendige Einschränkung auf, dass die Handlungspflicht haftpflichtrechtlich nur dann von Bedeutung ist, wenn sie im Interesse des Geschädigten besteht, einer Schutzvorschrift zu dessen Gunsten entfliesst. Widerrechtliche Unterlassung setzt damit eine Garantenstellung für den Geschädigten voraus (GABRIEL, a.a.O., S. 99, Rz. 339 mit Hinweisen in Fn. 88).
Bedarf aber die Untätigkeit im allgemeinen keiner besonderen Rechtfertigung, kann sie auch nach der subjektiven Theorie nicht grundsätzlich als widerrechtlich erscheinen, und der Haftungsausschluss darf nicht von einem zusätzlichen Rechtfertigungsgrund abhängen. Ist vom Grundsatz der befugten Untätigkeit auszugehen, kann die Widerrechtlichkeit sich nur aus der Verletzung einer Handlungspflicht ergeben. Diese Handlungspflicht wiederum wird - von hier nicht interessierenden vorbestandenen Sonderverhältnissen, insbesondere Vertragsverhältnissen abgesehen - allein durch das objektive Recht bestimmt. Nach der einen wie der andern Theorie hängt demnach die Frage der widerrechtlichen Unterlassung im Sinne von
Art. 41 Abs. 1 OR ausschliesslich von der Verletzung einer objektiven Norm ab, und zwar zwingend von
BGE 115 II 15 S. 20
einer Schutznorm zu Gunsten des Geschädigten. Unterschiede ergeben sich auch nicht in der Verteilung der Beweislast, erfordert doch die Natur der Sache, dass bei gegebener Garantenstellung und Handlungspflicht der belangte Schädiger die gebotene Handlung und nicht der Geschädigte deren Unterlassung zu beweisen hat (sinngemäss KUMMER, N. 201 f. zu
Art. 8 ZGB). Daraus aber folgt, dass der Theorienstreit zum Begriff der Widerrechtlichkeit auch im Bereich der Unterlassungen ohne Bedeutung ist, und zwar unbesehen darum, ob für Schäden aus der Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter oder für reine Vermögensschäden Ersatz beansprucht wird.
c) Die Frage nach der Widerrechtlichkeit des Verhaltens des Beklagten beurteilt sich damit in jedem Fall aus dem Bestand einer Garantenstellung und der Missachtung einer daraus fliessenden Handlungspflicht, somit aus dem Verstoss gegen eine Schutznorm. Dabei ist zu beachten, dass solche Schutznormen sich aus irgend einem Teil des objektiven, selbst des ungeschriebenen Rechts ergeben können (
BGE 111 II 474,
BGE 109 II 4 ff.;
BGE 108 II 311). Zu prüfen bleibt somit, ob der Beklagte gegen eine solche Norm mit Schutzfunktion zu Gunsten der Klägerin verstossen hat.
4. a) Vormundschaftliche Massnahmen, darunter auch die Entmündigung und die Führung der Vormundschaft an sich, dienen der Überwindung eines Schwächezustandes, manifestiert in der Schutzbedürftigkeit eines Schwachen (SCHNYDER/MURER, Systematischer Teil, N. 98). Geschütztes Rechtsgut ist die Person des Betreuten, einschliesslich seines Vermögens (SCHNYDER/MURER, Systematischer Teil, N. 19 f.). Darüber hinaus dienen die vormundschaftlichen Massnahmen auch unmittelbar dem Schutz bestimmter Dritter, der Familie und solcher, deren Sicherheit ohne diesen Schutz gefährdet wäre (SCHNYDER/MURER, Systematischer Teil, N. 243 und 245).
Die Schutzbedürftigkeit Dritter erwähnt das Gesetz ausdrücklich nur in den
Art. 369 und 370 ZGB und zwar als alternative Voraussetzung einer Entmündigung wegen herabgesetzter oder fehlender Urteilsfähigkeit oder wegen verwerflichen Verhaltens. Das heisst allerdings nicht, dass der Schutzbereich Dritter im Rahmen der übrigen Entmündigungsgründe unbeachtlich wäre. Er kann insbesondere auch bei Massnahmen nach
Art. 371 ZGB, namentlich bei dessen relativierter Auslegung (
BGE 109 II 9 ff.), oder nach
Art. 372 ZGB, welches Verfahren die Zwangsentmündigung weitgehend zu ersetzen vermag und dieser grundsätzlich
BGE 115 II 15 S. 21
vorgeht (SCHNYDER/MURER, N. 45 ff. und 98 zu
Art. 372 ZGB), Bedeutung erlangen. Ebensowenig bedeutet die Erwähnung des Drittschutzes bloss bei den Entmündigungsvoraussetzungen, dass er einzig bei Anordnung der vormundschaftlichen Massnahmen, nicht aber auch bei deren Durchführung Geltung erlangte; vielmehr ist ihm auch dort Rechnung zu tragen (SCHNYDER /MURER, N. 147 zu
Art. 369 ZGB).
Zu den geschützten Gütern Dritter gehören ebenfalls wirtschaftliche Interessen, namentlich der Schutz vor Vermögensdelikten (SCHNYDER/MURER, N. 145 zu Art. 369 und N. 198 zu
Art. 370 ZGB mit Hinweisen; EGGER, N. 57 zu
Art. 369 ZGB; vgl. auch die analog heranzuziehenden Ausführungen zur Haftung des Familienhauptes bei OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 441, Rz. 57 sowie die dort angeführte Kasuistik, S. 471 f. Ziff. 6). Allerdings stehen diese Vermögensinteressen angesichts des vormundschaftlichen Hauptschutzes für das Vermögen des Betreuten nicht im Vordergrund. Besondere Massnahmen sind daher bloss angezeigt, wenn bedeutende Vermögensinteressen Dritter auf dem Spiel stehen. Dabei sind an den Grad der Gefährdung hohe Anforderungen zu stellen (SCHNYDER/MURER, N. 145 zu
Art. 369 ZGB). Das muss dem Grundsatz nach sowohl für die Anordnung wie für die Führung der Vormundschaft gelten. Der eingesetzte Vormund darf nach der Publikation der Entmündigung zufolge der dadurch fingierten Zerstörung des guten Glaubens (SCHNYDER/MURER, N. 70 ff. zu
Art. 375 ZGB) im Regelfall davon ausgehen, die potentiell geschützten Dritten hätten im allgemeinen Kenntnis von der Bevormundung und damit der fehlenden selbständigen Verpflichtungsfähigkeit des Mündels. In besonderem Masse wird er diese Aufmerksamkeit von Geschäftskreisen erwarten dürfen, namentlich wenn sie dem Bevormundeten nahestehen. Zusätzliche Schutzvorkehren hat er demnach nur zu treffen, wenn gewichtige Anzeichen darauf hindeuten, dass eine erhöhte Gefahr künftiger Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Interessen Dritter besteht. Die Berechenbarkeit und weitgehende Vermeidbarkeit reiner Vermögensschäden, die durch betrügerische oder ähnliche Machenschaften verursacht werden, gibt dem Dritten im wirtschaftlichen Bereich einen weniger weitgehenden präventiven Handlungsanspruch gegenüber dem Vormund als beispielsweise drohende Angriffe auf die körperliche Integrität durch in ihrer Urteilsfähigkeit beeinträchtigte Personen. Dieser Grundgedanke entspricht
Art. 333 Abs. 2 ZGB. Auch diese Bestimmung verlangt besondere Vorsichtsmassnahmen
BGE 115 II 15 S. 22
nur gegenüber geisteskranken oder geistesschwachen Hausgenossen. Sie versucht somit vorab, einer spezifisch unberechenbaren Handlungsweise vorzubeugen (dazu OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 425 f. Rz. 18).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Vormundschaftsrecht ebenfalls den Interessen Dritter dient, somit auch Schutznormen enthält, deren Verletzung die für eine Haftpflicht der vormundschaftlichen Organe aus
Art. 41 Abs. 1 OR vorausgesetzte Widerrechtlichkeit abzugeben vermag. Das gilt auch für den Bereich reiner Vermögensschäden. Steht aber - wie im vorliegenden Fall - ausschliesslich eine Haftung des Vormundes aus der Führung der Vormundschaft in Frage, ist zu beachten, dass dessen Garantenstellung bloss eine stark eingeschränkte ist. Besondere Vorkehren zur Verhinderung rein vermögensmässiger Beeinträchtigungen hat der Vormund nur zu treffen, wenn konkrete und gewichtige Anzeichen dafür bestehen, dass bedeutende Drittinteressen einer hohen Gefährdung ausgesetzt sind. Das setzt einmal voraus, dass der Vormund um das besondere Risiko weiss oder mit einer Schädigung rechnen muss. Dabei genügt nicht, dass er Kenntnis von früheren Verfehlungen seines Mündels hat, die allenfalls sogar zur Entmündigung geführt haben; vielmehr muss eine erhöhte Rückfallgefahr objektiv erkennbar sein. Des weiteren beschränkt sich die Handlungspflicht des Vormundes im hier interessierenden Bereich weitgehend auf Weisungen an den Entmündigten oder auf gezielte Interventionen bei konkret und erkennbar gefährdeten Personen, zumal der Allgemeinheit durch die Publikation nach
Art. 375 ZGB Kenntnis vom Entzug der Handlungsfähigkeit gegeben wird. Sich in weitergehendem Masse oder gar periodisch an die Allgemeinheit zu wenden, ist der Vormund nicht gehalten, im Regelfall auch nicht befugt, da er in erster Linie die persönlichen Interessen des Mündels zu wahren und auf die Überwindung von dessen Schutzbedürftigkeit hinzuwirken hat. Diesem Zweck aber ist eine oft als diskriminierend empfundene Publizität vormundschaftlicher Aktivitäten nicht förderlich. Weiter darf der Vormund grundsätzlich von der Fiktion des
Art. 375 ZGB ausgehen und insbesondere im geschäftlichen Verkehr die tatsächliche Kenntnis der interessierten Kreise von der Entmündigung voraussetzen. Schliesslich reicht seine Garantenstellung nicht so weit, dass er präventiv auch mögliche Schädigungen Dritter zu vermeiden hätte, welche aus eigenmächtigen Geschäften mit dem Bevormundeten, in Kenntnis von dessen Handlungsunfähigkeit und der
BGE 115 II 15 S. 23
fehlenden Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, drohen. Im Bewusstsein des Rechtsmangels übernommene Risiken abzuwenden, ist der Vormund nicht verpflichtet.
(Das Gericht verneint eine Verletzung der aus der beschränkten Garantenstellung gegenüber der Klägerin fliessende Handlungspflicht des Beklagten. Damit entfällt der Vorwurf der widerrechtlichen Unterlassung. Bei den weiteren Vorhalten die die Klägerin dem Beklagten macht, mangelt die Schadenskausalität, was auch Voraussetzung einer Haftung aus culpa in contrahendo wäre. Das Bundesgericht weist die Klage ab.)