BGE 115 II 237
 
40. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Juni 1989 i.S. X. gegen Schweizerische Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung GSF (Berufung)
 
Regeste
Art. 56 OR; Art. 3 Abs. 2 und 19 VG. Haftung eines Tierhalters.
2. Art. 48 und 49 OG. Verneint der kantonale Richter seine Zuständigkeit, so ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG anzunehmen. Wenn er sie bejaht, liegt entweder ein selbständiger oder ein unselbständiger Zwischenentscheid vor, der im ersten Fall gemäss Art. 49 OG, im zweiten dagegen zusammen mit dem Endentscheid angefochten werden kann (E. 1b).
3. Art. 56 OR ist eine Sonderbestimmung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 VG und geht der allgemeinen Staatshaftung grundsätzlich auch dann vor, wenn der Tierhalter mit öffentlichen Aufgaben des Bundes betraut ist. Anders verhält es sich nur, wenn der Halter sich des Tieres zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse bedient und der Schaden damit zusammenhängt (E. 2).
 
Sachverhalt


BGE 115 II 237 (238):

A.- X. wurde am 13. Mai 1985 auf einem Schlachtviehmarkt in St. Ursanne, den die Schweizerische Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung GSF überwachte, von einem Stier angefallen und erheblich verletzt. Der Ablauf des Marktes und die Organisation an Ort oblagen angeblich wie üblich der Coopérative agricole jurassienne (JURANICO) in Courfaivre.
B.- Am 16. März 1988 klagte X. gegen die Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung GSF auf Fr. 434'081.-- Schadenersatz und Fr. 50'000.-- Genugtuung nebst Zins. Er berief sich auf Haftung des Tierhalters gemäss Art. 56 OR und machte geltend, der wildgewordene Stier sei bei einer Ausmerzaktion von der Beklagten übernommen worden und habe damals ihr gehört.
Der Appellationshof des Kantons Bern wies die Klage am 16. November 1988 mit der Begründung zurück, dass er sachlich nicht zuständig sei. Er hielt dem Kläger entgegen, die streitigen Ansprüche beurteilten sich nach öffentlichem Recht, nämlich nach den Vorschriften des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (VG; SR 170.32); nach dessen Art. 10 habe sich einzig das Bundesgericht als Verwaltungsgericht mit der Sache zu befassen.


BGE 115 II 237 (239):

C.- Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er beantragt, den Entscheid des Appellationshofes aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Unter einem Zivilrechtsstreit in diesem Sinn ist ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren Parteien zu verstehen, das sich vor dem Richter oder einer anderen staatlichen Spruchbehörde abspielt und die Streitigkeit ein für allemal erledigen soll. Als Parteien kommen neben natürlichen und juristischen Personen auch Behörden in Frage, wenn diese wie jene als Träger privater Rechte anzusehen sind und ihnen nach Bundesrecht Parteistellung zukommt (BGE 107 II 501 und BGE 106 II 366). Entscheidend für den Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit ist aber, ob der Anspruch, der Gegenstand der Auseinandersetzung ist, dem Bundeszivilrecht zuzuordnen ist (BGE 112 II 34, BGE 110 II 94 E. 3 und 222 E. 1b mit Zitaten). Wie es sich damit verhält, wenn es um die Zuständigkeit des angerufenen Richters geht, beurteilt sich nach den Sachvorbringen des Klägers. Die Zuordnung obliegt dem Richter, im Berufungsverfahren dem Bundesgericht, das gemäss Art. 63 OG weder an die rechtliche Begründung des angefochtenen Entscheides noch an die Rechtsauffassung der Parteien gebunden ist.
Die Zulässigkeit der Berufung hängt vorliegend somit unter anderem davon ab, ob der eingeklagte Anspruch aus unerlaubter Handlung zivilrechtlicher Natur ist und als solcher dem Bundesrecht untersteht. Die Frage gehört zur materiellen Prüfung der Streitsache und ist daher in diesem Zusammenhang näher zu erörtern.
b) Die Parteien halten die Berufung gemäss Art. 49 OG für zulässig, weil der Appellationshof die Klage mangels Zuständigkeit zurückgewiesen hat. Sie gehen somit von einem selbständigen Vor- oder Zwischenentscheid aus, der dem Begriff des Endentscheides gemäss Art. 48 OG gegenübersteht. Die beiden Arten

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unterscheiden sich namentlich dadurch, dass beim Endentscheid das Verfahren vor der angerufenen Instanz abgeschlossen ist, beim Vor- oder Zwischenentscheid dagegen fortgesetzt wird. Das Bundesgericht hat bisher Erledigungsentscheide, mit welchen kantonale Richter wegen Unzuständigkeit auf eine Klage nicht eingetreten sind oder sie zurückgewiesen haben, nicht einheitlich behandelt. Es hat solche Entscheide bald ohne jede Begründung (BGE 95 II 205 E. 1, BGE 101 II 368 E. 1) oder ausdrücklich (BGE 100 II 263 E. 1, BGE 102 II 391 E. 2) Art. 49 OG unterstellt, bald aber darauf ohne nähere Begründung Art. 48 OG angewendet (BGE 103 II 269 E. 1). Diese Unsicherheit, die allerdings nur in der Frage der Parteiverhandlung praktische Folgen hat (Art. 62 Abs. 2 OG), geht einerseits auf die Entstehung von Art. 49 OG zurück, mit dem die Möglichkeit, Vor- oder Zwischenentscheide sofort weiterzuziehen, eingeführt worden ist. Die Anfechtung des Endentscheides wegen Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften sollte gemäss Art. 48 Abs. 3 OG aber nur ausgeschlossen sein, wenn diesem tatsächlich ein Entscheid über die Zuständigkeit vorausging (Botschaft zur Novelle, BBl 1943 S. 122). Anderseits ist die Unsicherheit, wie dies namentlich aus BGE 103 II 269 E. 1a und 71 III 194 E. 1 erhellt, mit dem Begriff des Endentscheides zu erklären, der aber nicht vorbehaltlos auf Nichteintretensentscheide übertragen werden darf.
Der eigentliche Anwendungsfall von Art. 49 OG ist entsprechend den Fällen von Art. 50 OG in einem Zwischenentscheid zu erblicken, mit dem der kantonale Richter eine Unzuständigkeitseinrede verwirft, seine Zuständigkeit also bejaht, um sodann das Verfahren bis zum Endentscheid weiterzuführen. Um solche Fälle ging es z.B. in BGE 97 II 182 E. 1, BGE 96 II 86 E. 5, BGE 94 II 295. Es widerspricht jedoch seinem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte, wenn Art. 49 OG auch angewendet wird, wo nicht ein selbständiger Zwischenentscheid, sondern ein Erledigungsentscheid angefochten wird; diesem Fall entspricht vielmehr Art. 48 Abs. 1 OG. Die beiden Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck daher wie folgt voneinander abzugrenzen: Verneint der kantonale Richter seine Zuständigkeit, so ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG anzunehmen; wenn er sie bejaht, liegt entweder ein selbständiger oder ein unselbständiger Zwischenentscheid vor, der im ersten Fall nach Art. 49 OG, im zweiten dagegen gemäss Art. 48 Abs. 1 mit der Berufung gegen den Endentscheid angefochten werden kann (so auch LEUCH, N. 5 zu Art. 34 ZPO/

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BE). Ein Nichteintretensentscheid, der auf Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften beruht, ist daher selbst dann nach Art. 48 OG berufungsfähig, wenn er nicht zu einem materiellen Rechtsverlust führt.
c) Zuständigkeitsvorschriften gehören an sich zum Verfahrensrecht, das gemäss Art. 64 Abs. 3 BV den Kantonen vorbehalten ist. Schranken dieses Vorbehalts zur Regelung der Zuständigkeit ergeben sich vereinzelt schon aus Sondervorschriften des materiellen Rechts, ferner aus dem Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, wonach die Kantone mit ihren Verfahrensvorschriften die Wirksamkeit des Bundeszivilrechts nicht beeinträchtigen oder gar verunmöglichen dürfen; sie haben mit ihren Vorschriften vielmehr die Verwirklichung des materiellen Rechts zu gewährleisten, dem Rechtssuchenden bei hinreichendem Interesse ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, in dem über seine Sachvorbringen durch Urteil, d.h. kraft staatlicher Autorität entschieden wird (BGE 112 II 484 /85, BGE 111 Ia 174 E. 4c).
Für den Anspruch des Klägers fehlt, sofern er sich auf Bundeszivilrecht abstützen lässt, eine ausdrückliche eidgenössische Zuständigkeitsregel. Die kantonale Zuständigkeit hängt mittelbar indes so oder anders vom Bundesrecht ab, nämlich von der Vorfrage, ob der Anspruch privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur ist. Eine solche Vorfrage kann gemäss Art. 43 OG dem Bundesgericht unterbreitet werden, wenn das eidgenössische Recht dem kantonalen gebietet, dem Entscheid über die Vorfrage Rechnung zu tragen (BGE 103 II 76 E. 1 und BGE 102 II 393 E. 6 mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Entscheid über die materiellrechtliche Qualifikation des Anspruchs beschlägt nicht bloss die innerkantonale Zuständigkeitsordnung, sondern gibt auch Antwort darauf, ob die Streitsache nach kantonalem Prozessrecht oder im Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage gemäss Art. 116 ff. OG zu beurteilen sei. Kann der Kläger sich aber auf Art. 56 OR berufen, so hat er auch einen bundesrechtlichen Anspruch darauf, dass die Vorinstanz seine Klage materiell beurteile (BGE 101 II 377 E. 1).
2. Nach Auffassung des Appellationshofes sind die eingeklagten Ansprüche öffentlichrechtlicher Natur, weil die Veranstaltung von Schlachtviehmärkten samt den damit verbundenen Tätigkeiten zu den hoheitlichen Aufgaben gehöre, die der Bund gestützt auf die Schlachtviehordnung vom 17. Februar 1982 (SVO; SR 916.341) der Beklagten übertragen habe; die Haftung für

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solche Aufgaben richte sich nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes und sei daher nicht vom Zivilrichter zu beurteilen. Davon geht auch die Beklagte aus. Der Kläger beharrt dagegen darauf, dass es um zivilrechtliche Ansprüche gehe, der Appellationshof seine Zuständigkeit folglich zu Unrecht verneint habe.
a) Sieht das Gesetz für gleiche Tatbestände mehrere Rechtsbehelfe mit unterschiedlichen Rechtsfolgen vor, so sind seine Normen vermutungsweise alternativ anwendbar, wenn ihre Auslegung nicht ergibt, dass die eine als Sonderbestimmung den andern vorgeht (BGE 114 II 136). Dies gilt auch im ausservertraglichen Haftpflichtrecht, wobei eine allgemeine Einschränkung schon darin zu erblicken ist, dass die Kausalhaftungen als lex specialis die Verschuldenshaftung gemäss Art. 41 ff. OR ausschliessen. Unter mehreren Sondernormen ist dagegen anzunehmen, dass sie wahlweise anwendbar sind, wenn sich nicht durch Auslegung etwas anderes ergibt (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, 4. Aufl. S. 479 ff.).
Nach dem alten Verantwortlichkeitsgesetz vom 9. Dezember 1850 haftete der Bund grundsätzlich nicht für Schaden, den Dritte als Folge einer rechtswidrigen Amtsführung seiner Beamten erlitten (Botschaft zur Novelle, BBl 1956 I 1393/94). Nach dem neuen vom 14. März 1958 haftet er dagegen kausal für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt; gegenüber dem Fehlbaren hat der Geschädigte keinen Anspruch (Art. 3 Abs. 1 und 3 VG). Eine besondere Haftungsordnung gilt für Schädigungen durch Organe oder Angestellte einer Organisation, die ausserhalb der Bundesverwaltung steht, aber mit öffentlichen Aufgaben des Bundes betraut ist. Haftung und Verfahren richten sich auch diesfalls nach dem Verantwortlichkeitsgesetz, doch hat der Bund dem Geschädigten gegenüber nur aufzukommen, wenn und soweit die Organisation den Schaden nicht selbst zu ersetzen vermag (Art. 19 VG). Dieser Ordnung untersteht gemäss Art. 76 Abs. 4 SVO auch die Beklagte.
Zur Abgrenzung von Spezialerlassen schlug der Bundesrat vor, die darin enthaltenen Bestimmungen über eine beschränkte Haftung des Bundes vorzubehalten (BBl 1956 I 1405). Auf Antrag der ständerätlichen Kommission wurde jedoch beschlossen, dass bei Tatbeständen, die unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen, sich die Haftung des Bundes nach jenen besonderen Bestimmungen richten sollte. Dabei blieb es (Art. 3 Abs. 2 VG). Nach Ausführungen in der parlamentarischen Beratung beruht

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diese Lösung auf der Überlegung, dass das Verantwortlichkeitsgesetz als lex generalis hinter den besonderen Haftpflichtnormen zurückzutreten habe und keine Haftungskumulation anzunehmen sei (Sten.Bull. 1956 StR S. 325, Votum von Moos); ausdrücklich hingewiesen wurde auf die Vorschriften über die Haftung von Post und Eisenbahn (Sten.Bull. 1957 NR S. 807, Votum Boerlin). Das Bundesgericht hat daraus auf Subsidiarität des Verantwortlichkeitsgesetzes geschlossen und diesem z.B. Art. 55 Abs. 4 VwVG (BGE 100 Ib 496), die Haftungsbestimmungen des PVG (BGE 95 I 83), des TVG (BGE 95 I 288 E. 3), des EHG (BGE 93 I 292, BGE 91 I 234) und gestützt auf Art. 129 Abs. 1 KUVG auch die Sonderordnung des OR (BGE 93 I 293) vorgehen lassen. Es hält das Verantwortlichkeitsgesetz in all jenen Bereichen für nicht anwendbar, für die das übrige Bundesrecht eine Haftung des Bundes begründet, besonders ausgestaltet oder ausschliesst (BGE 95 I 288 E. 3, BGE 94 I 172 E. 3). Diese Rechtsprechung hat ihm den Vorwurf eingetragen, dass es Art. 3 Abs. 2 VG unnötig eng auslege (USTERI, in Die Verantwortlichkeit im Recht, Bd. 2 S. 731). Der Vorwurf vermag am Versuch, die privatrechtliche Haftung des Tierhalters von der Staatshaftung abzugrenzen, nichts zu ändern, weshalb sich vorliegend Äusserungen dazu erübrigen. Zu bemerken ist immerhin, dass das Bundesgericht die teilweise unbefriedigenden Ergebnisse selbst nicht verkannt hat, sich jedoch ausserstande sah, im Rahmen der Rechtsanwendung korrigierend einzugreifen (dazu MÜLLER, in ZBJV 105/1969 S. 341 ff. und 362; P. BISCHOF, in ZSR 104/1985 I S. 101).
Das Verantwortlichkeitsgesetz steht somit im Verhältnis des übrigen Haftpflichtrechts auf dem Boden der exklusiven Gesetzeskonkurrenz. Das heisst, dass bei Zusammentreffen mehrerer Haftungsgründe in der Person eines Haftpflichtigen die Spezialgesetzgebung nicht bloss vorgeht, sondern das Verantwortlichkeitsgesetz ausschliesst, dieses also bloss subsidiär gilt. Ausschliesslichkeit besteht auch im Bereiche der Anspruchskonkurrenz, da der Geschädigte entgegen den allgemeinen Bestimmungen über die solidarische Haftung (Art. 50 und 51 OR) keinen konkurrierenden Anspruch gegenüber dem schädigenden Beamten hat (Art. 3 Abs. 3 VG). Diese Bestimmungen gelten selbst dann nicht, wenn der Bund auf mehrere Beamten, die den Schaden gemeinsam verschuldet haben, zurückgreifen kann (Art. 9 Abs. 2 VG).
b) Schliesslich ist Art. 3 Abs. 2 VG von dessen Art. 11 Abs. 1 abzugrenzen. Nach dieser Bestimmung haftet der Bund wie ein

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Privater, wenn er als Subjekt des Zivilrechts auftritt. Die Haftung ergibt sich diesfalls nicht aus der Ausübung staatlicher Hoheit, sondern aus Beziehungen, die zwischen dem Bund und Dritten als gleichberechtigte Subjekte entstanden sind und in gleicher Weise auch zwischen Privatpersonen hätten entstehen können (BBl 1959 I 1400/01). Auch diese Abgrenzung bereitet gelegentlich Schwierigkeiten (BGE 112 Ib 336 E. 2, BGE 111 II 151 E. 3, BGE 108 Ib 389, BGE 102 Ib 317 E. 3b; KAUFMANN, in ZSR 72/1953 S. 286a ff.; GRAFF, ebenda S. 457 ff.; TERCIER, in Die Verantwortlichkeit im Recht, Bd. 2 S. 711). Art. 11 Abs. 1 VG ist vor allem von Bedeutung, wenn die öffentlichrechtliche Staatshaftung von der privatrechtlichen Geschäftsherrenhaftung zu unterscheiden ist (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, II/l S. 286 ff.).
Art. 3 Abs. 2 VG dagegen übergeht den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Recht, weil er auf dem gleichen Grundgedanken beruht wie dessen Abs. 1 und daher zusammen mit diesem zu lesen ist. Abs. 2 will alle Tatbestände, die bereits von Spezialgesetzen des Haftpflichtrechts erfasst werden, diesen Gesetzen unterstellt wissen, gleichviel ob die Frage der Verantwortlichkeit sich letztlich aus privatem oder öffentlichem Recht stellt, eine gefährliche Anlage z.B. dem Gemeinwesen oder einem Privaten gehört, weil die Haftung so oder anders nach den gleichen Kriterien zu beurteilen ist, wenn die Gefahr sich verwirklicht. So gilt die Haftung des Werkeigentümers gemäss Art. 58 OR auch für das Gemeinwesen, wenn Anlagen des Verwaltungsvermögens oder im Gemeingebrauch mit Mängeln behaftet sind und Dritte deswegen geschädigt werden (BGE 112 II 230 E. 2b mit Hinweisen; OFTINGER/STARK, a. a.O. S. 175 f. und 232 ff.; TERCIER, a.a.O. S. 718/19). Im gleichen Sinn sehen einige Spezialgesetze ausdrücklich vor, dass das Gemeinwesen unbekümmert um die Art der Tätigkeit, der die Schädigung zuzuschreiben ist, ebenfalls nach dem Sondergesetz haftet (Art. 73 Abs. 1 SVG, Art. 36 Abs. 4 GschG, Art. 27 Abs. 3 Sprengstoffgesetz).
Die Haftung nach einem Spezialgesetz hat dort zurückzutreten, wo die hoheitliche Tätigkeit sich in den normierten Tatbestand nicht oder nur unbefriedigend einordnen lässt, die öffentliche Pflichterfüllung vielmehr nach einer Betrachtungsweise ruft, der das konkurrierende Gesetz nicht oder bloss ungenügend gerecht zu werden vermag. Diesfalls sind die Bestimmungen der Staatshaftung ihren Grundgedanken entsprechend vorzuziehen und anzuwenden, weil sie Umstände berücksichtigen, die vom Spezialgesetz

BGE 115 II 237 (245):

nicht erfasst werden. Diese Besonderheiten liegen vor allem in der subjektiven Seite des Behörden- oder Beamtenverhältnisses, in der öffentlichrechtlichen Aufgabe und deren Erfüllung. Damit wird auch dem Postulat Rechnung getragen, die Einheit der Rechtsordnung und des Haftungssystems nicht ohne Not zu durchbrechen (TERCIER, a.a.O. S. 724).
c) Die Tierhalterhaftung gemäss Art. 56 OR gehört zu den gewöhnlichen Kausalhaftungen. Sie setzt voraus, dass der Schaden durch das Verhalten eines Tiers verursacht wird. Es kann deshalb nichts darauf ankommen, ob der Halter eine natürliche oder juristische, eine Person des privaten oder öffentlichen Rechts ist; entscheidend für den Begriff des Halters ist vielmehr, dass dieser in einem Gewaltverhältnis zum Tier steht, darüber also verfügen kann (BGE 104 II 25 mit Hinweisen). Rechtsprechung und Lehre haben denn auch seit jeher angenommen, dass das Gemeinwesen ebenfalls als Halter in Betracht kommt (BGE 19 S. 992/93, 27 II 227; VEB 14/1940 Nr. 42; OFTINGER/STARK, a.a.O. S. 383 Rz. 61). Es verhält sich gleich wie im Bereiche der Werkeigentümerhaftung; Art. 56 ist wie Art. 58 OR eine Sonderbestimmung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 VG und geht daher der allgemeinen Staatshaftung grundsätzlich vor, gleichviel ob die Haltereigenschaft des Gemeinwesens als Ausfluss hoheitlicher oder privatrechtlicher Befugnisse erscheint und ob die der Haftung zugrunde liegende Verletzung der Sorgfaltspflicht aus öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist (TERCIER, a.a.O. S. 711).
Ein Vorbehalt drängt sich dann auf, wenn der Halter des öffentlichen Rechts sich des Tieres zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse bedient, das Tier als Werkzeug zur Erfüllung öffentlichrechtlicher Aufgaben benutzt wird und dabei Schaden verursacht. Wie in solchen Fällen die Werkeigentümerhaftung durch die enteignungsrechtliche Ersatzpflicht abgelöst wird, hat auch hier die allgemeine Staatshaftung an Stelle der zivilrechtlichen Sonderhaftung zu treten. Zu denken ist insbesondere an den Einsatz von Tieren zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung (berittene Polizei), an die Verwendung von Hunden durch Polizei- oder Zollbeamte, die mit ihrer Hilfe z.B. flüchtige Delinquenten verfolgen oder Drogen aufspüren. Zwischen dem dienstlichen Einsatz des Tieres und dem schädigenden Ereignis muss aber nicht nur ein zeitlicher und örtlicher, sondern auch ein funktioneller Zusammenhang bestehen; dieser ist nicht gegeben, wenn bloss bei Gelegenheit des Einsatzes Schaden entsteht, ein Polizeihund z.B. einen Fahrgast beisst, der

BGE 115 II 237 (246):

ihm im Gang des Eisenbahnwagens versehentlich auf die Pfote tritt (OFTINGER/STARK, a.a.O. S. 383 Rz. 62 und 63).
d) Für einen solchen Vorbehalt zugunsten der allgemeinen Staatshaftung sind weder den Behauptungen der Parteien noch den Feststellungen des Appellationshofes irgendwelche Anhalte zu entnehmen. Es fehlt folglich auch an einem funktionellen Zusammenhang zwischen dem Unfall und öffentlichrechtlichen Aufgaben der Beklagten; der Unfall hing nur zufällig mit solchen Aufgaben zusammen, weil er sich anlässlich eines von der Beklagten überwachten Schlachtviehmarktes ereignet hat, der Stier an der Marktkette angeblich unsorgfältig angebunden worden ist und sich deshalb losreissen konnte. Das Tier war allenfalls Gegenstand, nicht aber ein Mittel zur Erfüllung von Aufgaben, welche der Beklagten gemäss Art. 74 SVO übertragen sind. Damit entfällt eine Haftung aus Verantwortlichkeitsgesetz; in Frage kommt nur eine Haftung der Beklagten als Tierhalterin, was die Vorinstanz verkannt hat.