117 II 156
Urteilskopf
117 II 156
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Mai 1991 i.S. T. und M. J. gegen E. und R. V. (Berufung)
Regeste
Art. 264 OR und Art. 257 aOR; vorzeitige Rückgabe der Mietsache; Umstände, welche den Vermieter berechtigen, einen vom Mieter vorgeschlagenen Ersatzmieter abzulehnen.
Der Vermieter darf einen Ersatzmieter ablehnen, der lediglich dazu bereit ist, einen erheblich niedrigeren als den bisherigen Mietzins zu zahlen. Das gilt auch dann, wenn der Mieter bereit ist, den Zinsunterschied bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer direkt an den Vermieter zu leisten.
Mit Vertrag vom 28. August 1985 mietete das Ehepaar J. vom Ehepaar V. in Egg im Kanton Zürich eine 5 1/2-Zimmerwohnung. Das Mietverhältnis begann am 15. Dezember 1985 und war erstmals auf den 30. September 1988 kündbar.
Am 2. Februar 1986 kündigten die Mieter das Mietverhältnis vorzeitig auf den 15. Mai 1986. Im Juni 1986 zogen sie aus der Wohnung aus. Den Mietzins bezahlten sie bis Ende Oktober 1986 vollständig, danach nur noch in herabgesetztem Umfang und ab März 1987 überhaupt nicht mehr. Die Abgabe der Wohnung erfolgte am 18. Mai 1987.
Auf Klage der Eheleute V., welche damit den Restmietzins einschliesslich Nebenkosten für die Zeit vom 1. November 1986 bis 30. Juni 1987 sowie Ersatz der Auslagen für Zeitungsinserate verlangten, verpflichtete das Mietgericht des Bezirkes Zürich das Ehepaar J. mit Urteil vom 29. September 1988 zur Zahlung von Fr. X. nebst Zins und Betreibungskosten. Die Beklagten appellierten an das Obergericht des Kantons Zürich, das am 4. April 1989 den von den Beklagten zu zahlenden Betrag geringfügig herabsetzte. Nachdem dieser Entscheid vom Kassationsgericht des Kantons Zürich aufgehoben worden war, sprach das Obergericht den Klägern - mit teilweise anderer Begründung - am 6. November 1990 wiederum den gleichen Betrag zu. Das Bundesgericht weist die von den Beklagten dagegen erhobene Berufung ab.
Aus den Erwägungen:
3. a) Zieht ein Mieter vorzeitig aus der Wohnung aus, so muss sich der Vermieter nach Art. 257 Abs. 2 aOR anrechnen lassen, was er an Auslagen erspart und aus anderweitiger Verwertung oder Verwendung der Mietsache erlangt hat. Gleiches gilt gemäss Art. 264 Abs. 3 OR, wobei zusätzlich festgehalten wird, dass sich der Vermieter auch anrechnen lassen muss, was er absichtlich zu gewinnen unterlassen hat. Diese Bestimmungen sind nicht für sich allein, sondern zusammen mit ähnlichen Vorschriften
BGE 117 II 156 S. 158
zu betrachten, weil das Gesetz als Einheit und aus seinem gesamten Zusammenhang zu verstehen ist (BGE 105 Ib 228; MEIER-HAYOZ, N. 188 zu Art. 1 ZGB). Soweit es vergleichbare Tatbestände nicht ausdrücklich einer unterschiedlichen Ordnung unterstellt, sind seine Vorschriften daher einheitlich auszulegen. Dazu gehört hier vorweg der Zweckgedanke von Art. 44 Abs. 1 OR, der sinngemäss auch für die vertragliche Haftung gilt (Art. 99 Abs. 3 OR) und namentlich im Bereich des Arbeitsvertragsrechts weiter konkretisiert wird (Art. 324 Abs. 2 und 337c Abs. 2 OR). Danach behält der Arbeitnehmer zwar seinen Lohnanspruch, wenn er durch Umstände, welche der Arbeitgeber zu vertreten hat, an der Arbeitsleistung verhindert wird; er hat sich auf seine Forderung aber anrechnen zu lassen, was er erspart, anderweitig erwirbt oder zu erwerben absichtlich unterlassen hat.Dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften entsprechend haben Lehre und Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass der Vermieter nicht nach freiem Belieben über eine anderweitige Verwertung oder Verwendung der Mietsache entscheiden darf. Im Sinne einer Obliegenheit, die er schon im eigenen Interesse beachten muss, hat vielmehr auch der Vermieter zur Schadensminderung beizutragen, indem er sich zusammen mit dem Mieter um die Weitervermietung bemüht. Dazu gehört insbesondere, dass er allfällige Ersatzangebote des Mieters gewissenhaft prüft und einen objektiv annehmbaren Vorschlag nicht ablehnen darf (SCHMID, N. 11 ff. zu Art. 257 OR; GMÜR/PREROST/TRÜMPY, Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl., S. 170 mit Hinweisen auf kantonale Entscheide; nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 22. Juni 1989 und vom 21. September 1988).
Das heisst indessen nicht, dass jeder beliebige Umstand, welcher zum Leerstehen der Mietwohnung führt, vom Vermieter zu vertreten ist und die Verpflichtung des Mieters erlöschen lässt. Das widerspräche schon dem Prinzip der Vertragstreue. Wenn die gesetzlichen Wertungen, welche ähnlichen Bestimmungen zugrunde liegen, bei der Auslegung von Art. 257 Abs. 2 aOR und Art. 264 Abs. 3 OR mitberücksichtigt werden, ergibt sich vielmehr, dass der Mieter nur durch schwerer wiegende Unterlassungen oder Handlungen des Vermieters ganz oder teilweise befreit wird. Der Grundsatz, dass sich die Parteien während der Vertragsverhandlungen nach Treu und Glauben zu verhalten haben, ändert nichts daran. Der Vermieter ist deswegen weder aufgrund von Art. 2 Abs. 1 ZGB noch von Art. 257 Abs. 2 aOR oder Art. 264
BGE 117 II 156 S. 159
Abs. 3 OR verpflichtet, einen vom Mieter vorgeschlagenen, objektiv beurteilt aber ungeeigneten Ersatzmieter anzunehmen. Weist er einen solchen Mieter und damit auch den angebotenen Aufhebungsvertrag ab, so trägt er die Folgen daraus nur dann, wenn die Ablehnung nach Würdigung der Umstände und Abwägung der gegenseitigen Interessen als ungerechtfertigt erscheint.Zu beachten ist ferner, dass Art. 44 Abs. 1 OR dem Richter einen breiten Ermessensspielraum zubilligt, ihm folglich erlaubt, im Einzelfall die Risiken in Würdigung der Umstände sachgerecht zu verteilen und den beidseitigen Verantwortlichkeiten angemessen Rechnung zu tragen (MERZ, SPR, Bd. VI/1, S. 214 ff.). Dabei sind nicht bloss einseitig die Interessen des Mieters, sondern ebenso die schützenswerten Anliegen des Vermieters zu berücksichtigen.
b) Nach Ansicht des Obergerichts hat der Vermieter einen vom Mieter vorgeschlagenen Ersatzmieter nur dann anzunehmen, wenn dieser bereit ist, zu den bisherigen Bedingungen ein neues Mietverhältnis einzugehen; dem Vermieter sei insbesondere nicht zuzumuten, sich mit einem tieferen Mietzins zu begnügen; es sei denn, es handle sich lediglich um einen unbedeutenden Unterschied. Das gilt nach dem angefochtenen Urteil selbst dann, wenn der bisherige Mieter bereit ist, den sich aus dem niedrigeren Mietzins des Ersatzmieters ergebenden Differenzbetrag dem Vermieter bis zum Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Dauer des Mietverhältnisses zu vergüten.
Der Auffassung des Obergerichts ist insoweit beizupflichten, als sie grundsätzlich die Ansprüche des Vermieters nach altem Mietrecht nur erlöschen lässt, wenn dieser einen geeigneten Ersatzmieter ablehnt, der bereit ist, die bisherigen Mietbedingungen zu akzeptieren. Das entspricht denn auch der Regelung des neuen Mietrechts, das in Art. 264 Abs. 1 OR festhält, der Mieter werde bei vorzeitiger Rückgabe der Sache befreit, wenn er einen für den Vermieter zumutbaren neuen Mieter vorschlägt, der zahlungsfähig und bereit ist, den Mietvertrag zu den gleichen Bedingungen zu übernehmen. Mit dieser Bestimmung sollte die frühere - aus Art. 257 Abs. 2 aOR und allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleitete - Ordnung gesetzlich verankert werden (Botschaft des Bundesrates, BBl 1985 I 1444 ff.; vgl. auch ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, S. 89 f. und LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, S. 313/14).
Richtig ist sodann ebenfalls, dass ein Ersatzmieter, der nur einen tieferen als den bisherigen Mietzins zahlen will, vom Vermieter
BGE 117 II 156 S. 160
in der Regel auch dann abgelehnt werden darf, wenn der Mieter bereit ist, den Zinsunterschied bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer direkt an den Vermieter zu zahlen. Wie das Obergericht zutreffend festhält, wäre der Vermieter andernfalls - verglichen mit dem Fall korrekter Vertragserfüllung durch den Mieter - schlechter gestellt, weil die Möglichkeit einer Erstreckung des neuen Mietverhältnisses bestünde und der Vermieter dadurch unter Umständen gezwungen wäre, den tieferen Mietzins auch weiterhin zu akzeptieren. Der Hinweis der Beklagten auf Art. 267a Abs. 4 aOR ändert nichts daran, denn eine Anpassung des Mietzinses gemäss dieser Bestimmung kann nur im Rahmen der Missbrauchsgesetzgebung erfolgen. So oder anders bliebe somit ein Nachteil für den Vermieter bestehen.Offen bleiben kann dagegen, ob die Auffassung des Obergerichts zutrifft, dass der Vermieter eine geringfügige Minderung des Mietzinses in Kauf nehmen muss. Denn nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil ist keiner der möglichen Ersatzmieter bereit gewesen, auch nur annähernd den von den Klägern mit den Beklagten vereinbarten Mietzins zu zahlen. Zu Unrecht wollen die Beklagten schliesslich aus den arbeitsrechtlichen Bestimmungen von Art. 324 Abs. 2 und Art. 337c Abs. 2 OR und vor allem der zugehörigen Gerichtspraxis ableiten, dass der Vermieter selbst Mietzinseinbussen von mehr als einem Viertel des bisherigen Betrages hinzunehmen habe. Die Beklagten verkennen, dass diese Vorschriften hier lediglich analog und nur insoweit anzuwenden sind, als ihnen der gleiche Regelungsgedanke wie Art. 257 Abs. 2 aOR oder Art. 264 Abs. 1 OR zugrunde liegt. Miet- und Arbeitsverhältnisse beruhen indessen auf unterschiedlichen Grundlagen und dürfen deshalb nur dann gleich beurteilt werden, wenn es um eine Regelung geht, die ihnen auch wirklich gemeinsam ist. Das ist bezüglich der Frage der zumutbaren Lohn- oder Mietzinseinbussen nicht der Fall, da der Gesetzgeber durch Art. 264 Abs. 1 OR eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sich der Vermieter keine Minderung seines Vermögensstandes gefallen lassen muss. Das gilt nach dem Gesagten auch für Streitsachen, die noch aufgrund des alten Mietrechts zu beurteilen sind. Es bleibt deshalb beim Grundsatz, dass der Vermieter einen Ersatzmieter, der weniger Mietzins als der bisherige Mieter bezahlen will, ablehnen darf.
Referenzen
BGE: 105 IB 228
Artikel: Art. 264 Abs. 3 OR, Art. 264 Abs. 1 OR, Art. 44 Abs. 1 OR, Art. 264 OR mehr...