Urteilskopf
131 II 587
46. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Privatversicherungen gegen X. und Y. sowie Eidgenössische Rekurskommission für die Aufsicht über die Privatversicherung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
2A.592/2004 vom 13. Mai 2005
Regeste
Art. 6 und 48 lit. a VwVG;
Art. 103 lit. a OG; Beschwerdelegitimation und Parteistellung im Verfahren um die Überprüfung der Aktivitäten der Rentenanstalt-Tochtergesellschaft Long Term Strategy AG (LTS).
Die Mitglieder der Konzernleitung der Rentenanstalt sind zur Anfechtung der Verfügung des Bundesamtes für Privatversicherungen, welche die Rentenanstalt verpflichtete, gegen sie Klage zu erheben, nicht befugt (E. 2-5).
Das Bundesamt für Privatversicherungen (Bundesamt) untersuchte ab Ende 2002 die Aktivitäten der Rentenanstalt-Tochtergesellschaft Long Term Strategy AG (LTS) und richtete am 8. April 2003 folgende Verfügung an die Rentenanstalt:
"1. Sämtliche Mitglieder des Verwaltungsrats-Ausschusses, welche während der Zeitperiode vom 25. April 2000 und dem 18. Juli 2002 im Amt waren, dürfen als Verwaltungsräte der Rentenanstalt nicht wieder gewählt werden.
BGE 131 II 587 S. 588
2. Den Personen, welche während der Zeitperiode vom 25. April 2000 und dem 18. Juli 2002 dem Verwaltungsrats-Ausschuss der Rentenanstalt angehörten, wird die Befugnis, die Interessen der Rentenanstalt im vorliegenden verwaltungsrechtlichen Verfahren in Sachen LTS zu vertreten, entzogen.
3. Die Rentenanstalt hat alle geeigneten Vorkehren zu treffen, um die ihr entgangenen Kreditzinse, Garantiekommissionen und übrigen Kosten für ihre Leistungen sowie den ihr entgangenen Gewinn einzutreiben. Sie hat dafür zu sorgen, dass sämtliche rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Sollte die Höhe der jeweiligen Ansprüche nicht zweifelsfrei feststehen, sind die entsprechenden Beträge durch externe Sachverständige festzulegen. Die Rentenanstalt hat die Aufsichtsbehörde umgehend über jede von ihr ergriffene Massnahme und ab Datum der Rechtskraft dieser Verfügung mindestens alle 2 Monate über die erzielten Ergebnisse zu informieren.
4. (Aufschiebende Wirkung)
5. (Kosten)
6. (Ordnungsbusse)"
Am 30. April 2003 trat das Bundesamt auf ein Akteneinsichtsgesuch von X. nicht ein. Gegen diese Verfügung und diejenige vom 8. April 2003 gelangten X. und Y. (Beschwerdegegner), beide Konzernleitungsmitglieder der Rentenanstalt, an die Eidgenössische Rekurskommission für die Aufsicht über die Privatversicherung (Rekurskommission), welche die Beschwerden am 31. August 2004 insoweit guthiess, als sie Ziff. 3 des Dispositivs der Verfügung vom 8. April 2003 aufhob.
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Bundesamts gegen diesen Entscheid gut und hebt ihn auf.
Aus den Erwägungen:
2. Im vorliegenden Fall steht die Frage im Vordergrund, ob die Beschwerdegegner legitimiert waren, die Verfügung des Bundesamts vom 8. April 2003 anzufechten. Diese Frage beurteilt sich nach
Art. 48 lit. a VwVG, der gleich lautet wie
Art. 103 lit. a OG, so dass dieselben Grundsätze heranzuziehen sind wie bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
2.1 Zur (Verwaltungsgerichts-)Beschwerde ist berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (
Art. 103 lit. a OG bzw.
Art. 48 lit. a VwVG). Als schutzwürdig gilt jedes
BGE 131 II 587 S. 589
praktische oder rechtliche Interesse, das eine von der Verfügung betroffene Person geltend machen kann; es braucht mit dem Interesse, das durch die als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin muss der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen. Das schutzwürdige Interesse besteht damit im Umstand, einen materiellen oder ideellen Nachteil zu vermeiden, den der angefochtene Entscheid mit sich bringen würde. Diese Anforderungen sind besonders bedeutend bei der Beschwerde eines Dritten, der nicht Verfügungsadressat ist (vgl. zum Ganzen
BGE 127 V 80 E. 3 S. 82;
BGE 125 II 497 E. 1a/bb S. 499; siehe auch
BGE 130 II 514 E. 1 S. 516, je mit Hinweisen).
2.2 Die Beschwerdegegner sind nicht Adressaten der angefochtenen Anordnung (namentlich von Ziff. 3 der Verfügung des Bundesamts vom 8. April 2003) und werden durch diese nicht direkt berührt. Die Anordnung richtet sich vielmehr an die Rentenanstalt, welche die geeigneten Vorkehren zu treffen hat, um den ihr angeblich entstandenen Schaden zu beheben. Die Beschwerdegegner werden im Dispositiv der Verfügung vom 8. April 2003 als Subjekte solcher Vorkehren, die sich auch gegen den Verwaltungsrat bzw. dessen Ausschuss richten könnten, nicht namentlich genannt. Indessen ergibt sich aus den Erwägungen der Verfügung, dass nach Auffassung des Bundesamts die betreffenden Konzernleitungsmitglieder zu Lasten der Rentenanstalt Gewinne erzielt hätten, die allenfalls auf dem Prozessweg zurückgefordert werden sollten. Insofern lässt sich nicht bestreiten, dass die Beschwerdegegner durch die angefochtene Verfügung des Bundesamts - wenn auch nur indirekt - mehr als ein beliebiger Dritter betroffen werden.
Dennoch stellt sich die Frage, ob die für Drittbeschwerden erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache gegeben ist.
3. Die Anforderungen an die besondere, nahe Beziehung zum Streitgegenstand sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Ihnen kommt dann eine entscheidende Bedeutung zu, wenn - wie hier - nicht der Verfügungsadressat, sondern ein Dritter den Entscheid anficht. Nur wenn auch in einem solchen Fall ein unmittelbares Berührtsein, eine besondere Beziehungsnähe gegeben ist, hat der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse daran, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben oder geändert wird. Der Beschwerdeführer muss durch den angefochtenen Akt persönlich und
BGE 131 II 587 S. 590
unmittelbar einen Nachteil erleiden. Ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines öffentliches Interesse berechtigt - ohne die erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache selber - nicht zur Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsbeschwerde (vgl. zum Ganzen
BGE 123 II 376 E. 2 S. 378 f. mit Hinweisen).
4. Vorliegend kommt den Beschwerdegegnern kein eigenes und selbständiges Rechtsschutzinteresse zu, dass die fragliche Anordnung aufgehoben wird:
4.1.1 Das Interesse der Beschwerdegegner, die Unbegründetheit der vom Bundesamt verlangten Schadenersatzklage auf dem Beschwerdeweg feststellen zu lassen, ist nicht als schutzwürdig anzuerkennen. Die Beschwerdegegner haben sich in dieser Phase nicht einzumischen. Sie können ihre Interessen im betreffenden Zivilprozess wahrnehmen. Zudem erleiden die Beschwerdegegner rechtlich gesehen im vorliegenden Verfahren keinen Nachteil dadurch, dass die Klage auf Druck des Bundesamts eingeleitet worden ist. Sie müssen aufgrund der angefochtenen Anordnung zwar erdulden, dass sie in einen Zivilprozess hineingezogen werden. Diese rein faktische Beeinträchtigung ihrer Interessen begründet aber noch kein selbständiges Rechtsschutzinteresse.
4.1.2 Die Situation der Beschwerdegegner lässt sich mit derjenigen eines Beamten vergleichen, gegen den ein Disziplinarverfahren eröffnet wird; gegen die Eröffnung eines solchen Verfahrens kann keine Beschwerde geführt werden, obwohl bereits darin ein Nachteil bzw. eine Art Vorverurteilung erblickt werden kann (vgl. Urteil 2P.57/1994 vom 28. März 1996, E. 3b/aa; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 137; siehe auch Urteil 1P.555/2001 vom 3. Januar 2002, E. 5.2). Gleich verhält es sich mit der Eröffnung einer Strafuntersuchung; eine solche ist auch im vorliegenden Fall eingeleitet worden, ohne dass die Beschwerdegegner gegen diese Vorkehr, die sie viel stärker trifft, etwas hätten unternehmen können.
4.1.3 Würde anders entschieden und bereits der Entschluss, Klage oder Strafanzeige einzureichen, als eine für den Betroffenen anfechtbare Verfügung betrachtet, wäre die Verwaltungstätigkeit ausserordentlich erschwert; die betreffenden Verfahren müssten praktisch zuvor schon auf Verwaltungsebene mit sämtlichen Verfahrensrechten durchgeführt werden, bevor die zuständige
BGE 131 II 587 S. 591
Behörde angegangen werden könnte. Es bestünde die Gefahr von zwei Prozessen: Zuerst wäre ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, das bei positivem Ausgang sodann in einen Zivilprozess münden würde. Im vorliegenden Fall beabsichtigt das Bundesamt zwar nicht selber zu klagen, sondern die Rentenanstalt dazu zu veranlassen. Es hätte aber an dieser gelegen, dagegen Beschwerde zu führen; das hat sie offenbar nicht getan. Für die Beschwerdegegner stellt sich die Situation nicht anders dar, wie wenn das Bundesamt selber beschlossen hätte, bei einer andern Behörde direkt gegen sie vorzugehen.
4.2.1 Zwar wurde den Mitgliedern der Konzernleitung in der Verfügung vom 8. April 2003 die Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung abgesprochen. Diese Missbilligung findet sich jedoch nur in den Erwägungen der Verfügung und hat sich bezüglich der Beschwerdegegner - anders als bei den Mitgliedern des Verwaltungsrats und dessen Ausschuss - nicht im Dispositiv niedergeschlagen. Das Bundesamt hat gegen die Beschwerdegegner keinerlei Sanktion ausgesprochen. Gegen die Begründung eines Entscheids kann aber keine Beschwerde geführt werden (vgl. etwa
BGE 120 V 233 E. 1a S. 237).
4.2.2 Im Übrigen ist die Frage der Gewähr für eine korrekte Geschäftsführung und diejenige, ob die Beschwerdegegner die Rentenanstalt widerrechtlich geschädigt haben, nicht deckungsgleich; mit andern Worten könnte das Verhalten der Beschwerdegegner auch dann aufsichtsrechtlich zu beanstanden sein, wenn der Rentenanstalt dadurch kein Schaden entstanden wäre. Dies zeigt übrigens, dass die Aufhebung von Dispositiv Ziff. 3 der Verfügung (betreffend die Eintreibung der entgangenen Vorteile), wie sie die Beschwerdegegner verlangt hatten, nicht geeignet wäre, diese vollständig zu entlasten.
4.2.3 Soweit der Ruf der Beschwerdegegner durch die Art und Weise der Bekanntmachung der angefochtenen Verfügung - insbesondere durch allfällige Äusserungen des Bundesamts an Pressekonferenzen und Medienmitteilungen - gelitten haben sollte, wie dies namentlich auch die Beschwerdegegner geltend machen, wäre die Aufhebung der Verfügung ohnehin nicht das geeignete Mittel zur Wiedergutmachung: Wenn das Bundesamt die Beschwerdegegner dabei ohne hinreichenden Grund beschuldigt und
BGE 131 II 587 S. 592
ihnen dadurch Schaden zugefügt haben sollte, wäre dieser in einem Verantwortlichkeitsverfahren geltend zu machen.
4.3 Demnach kann es entgegen der Begründung des Bundesamts nicht darauf ankommen, dass sich die Rentenanstalt der Verfügung vom 8. April 2003 widersetzen und die für diesen Fall angedrohte Busse bezahlen könnte. Insofern kann offen bleiben, ob es sich dabei um ein unzulässiges Novum handelt, wie der Beschwerdegegner Y. anführt. Ebenso wenig ist entscheidend, dass die Rentenanstalt den angeblichen Schaden freiwillig hätte geltend machen können und entsprechende Schritte - wohl nur auf Druck des Bundesamts - bereits eingeleitet hat. Es geht hier auch nicht um die Frage, ob Aktionäre oder Organträger einer Versicherungsgesellschaft generell gegen Aufsichtsmassnahmen Beschwerde führen können (vgl. dazu Urteil 2A.232/1994 vom 31. Oktober 1994, E. 2c).
5.1 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Vorinstanz zu Unrecht auf die Beschwerden der Beschwerdegegner gegen die Verfügung vom 8. April 2003 eingetreten ist, weshalb der angefochtene Entscheid der Rekurskommission insoweit aufzuheben ist.
5.2 Was die Beschwerde gegen die (Nichteintretens-)Verfügung des Bundesamts vom 30. April 2003 bzw. die Verweigerung der Akteneinsicht angeht, ist der angefochtene Entscheid ebenfalls aufzuheben:
Als Parteien gelten nach Art. 6 VwVG Personen, deren Rechte oder Pflichten die Verfügung berühren soll, und andere Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung zusteht. Nach dem Gesagten sind die Beschwerdegegner weder von der Verfügung vom 8. April 2003 berührt noch haben sie dagegen eine Beschwerdemöglichkeit. Ihnen kommt deshalb im vorinstanzlichen Verfahren keine Parteistellung zu, weshalb sie auch keine Parteirechte (z.B. Akteneinsicht, rechtliches Gehör, Mitwirkung bei Beweisaufnahmen) ausüben konnten. Insofern waren die Beschwerdegegner zur Beschwerde gegen die Verweigerung der Akteneinsicht zwar legitimiert, doch war das entsprechende Begehren entgegen ihrer Ansicht unbegründet.