BGE 137 II 30 |
5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. und Gemeinderat Beckenried und Regierungsrat des Kantons Nidwalden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_296/2010 vom 25. Januar 2011 |
Beschwerdelegitimation (Art. 89 BGG). |
Lärmprognose (Art. 11 und 25 USG); Anwendung der Vollzugshilfe des "Cercle Bruit". |
Sachverhalt |
A. Y. reichte am 21. Januar 2008 ein Baugesuch für den Neubau des Seerestaurants Z. in Beckenried ein. Das Projekt beinhaltet insbesondere die Erstellung einer überdachten Seeterrasse mit maximal 60 Sitzplätzen. Gegen das Bauvorhaben erhob X. Einsprache. Mit Entscheid vom 26. Mai 2008 erteilte der Gemeinderat Beckenried Y. unter Bedingungen und Auflagen die Baubewilligung und wies die Einsprache ab. |
Die von X. eingereichte Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Nidwalden mit Beschluss vom 3. Februar 2009 ab, soweit er darauf eintrat.
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X. focht diesen Beschluss mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden an, welches die Beschwerde mit Urteil vom 14. September 2009 abwies.
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B. X. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit den Anträgen, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die vom Gemeinderat Beckenried erteilte Baubewilligung sei zu verweigern. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Des Weiteren ersucht sie, ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. |
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) reicht eine Stellungnahme ein, ohne ausdrücklich Anträge zu stellen. Der Gemeinderat von Beckenried stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Der Regierungsrat beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Beschwerdegegnerin und das Verwaltungsgericht verzichten auf eine Vernehmlassung. Die Beschwerdeführerin hält an ihren Anträgen fest.
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C. Mit Verfügung vom 15. Juli 2010 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
Erwägung 2.2 |
2.2.1 Gemäss Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG gewährleistet das kantonale Recht gegen Verfügungen betreffend die Raumplanung die Legitimation mindestens im gleichen Umfang wie für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Ferner schreibt Art. 111 BGG in Fortführung von Art. 98a des früheren Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG) die Einheit des Verfahrens vor. Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können (Art. 111 Abs. 1 BGG). Die unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts muss grundsätzlich mindestens die Rügen nach den Artikeln 95-98 BGG prüfen können (Art. 111 Abs. 3 BGG). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die kantonalen Behörden die Rechtsmittelbefugnis nicht enger fassen dürfen, als dies für die Beschwerde an das Bundesgericht vorgesehen ist. Zur Beurteilung der Frage, ob die Vorinstanz die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin zu Recht teilweise verneint hat, ist daher vorliegend die Beschwerdeberechtigung nach den Grundsätzen von Art. 89 Abs. 1 BGG zu prüfen. |
2.3 Die Vorinstanz bejaht die Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin im Grundsatz, geht allerdings von einer rügebezogenen Beurteilung der Legitimation aus, indem sie bei jedem Einwand die Frage des Rechtsschutzinteresses gesondert prüft. Im Ergebnis verneint die Vorinstanz die Legitimation in Bezug auf die erhobenen Rügen der fehlenden Zonenkonformität des Neubaus, der zu geringen Anzahl Parkplätze und der Farb- und Materialwahl des Baus. |
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Mit ihrer rügespezifischen Beurteilung vermengt die Vorinstanz Beschwerdelegitimation und Beschwerdegründe. Die Beschwerdelegitimation richtet sich ausschliesslich nach Art. 89 BGG. Sind die Voraussetzungen gegeben, ist die Beschwerdeführerin mit sämtlichen der in Art. 95 ff. BGG aufgeführten Rügen zum Verfahren zuzulassen, wenn ihr durch die Gutheissung der Beschwerde ein praktischer Nutzen entstehen würde (vgl. HÄNNI/WALDMANN, Besonderheiten der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach dem neuen Bundesgerichtsgesetz im Bereich des Planungs- und Baurechts, Baurecht 2007 S. 161 f.; ETIENNE POLTIER, RDAF 2008 I S. 490). Vorliegend ist dies in Bezug auf die genannten Rügen der Beschwerdeführerin ohne Weiteres der Fall. Würde sie mit einer der Rügen durchdringen, könnte das Bauvorhaben nicht wie geplant realisiert werden (vgl. insoweit auch Urteil 1C_236/2010 vom 16. Juli 2010 E. 1.5 mit Hinweisen).
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Erwägung 3 |
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt weiter, die Baubewilligungsbehörde habe zu Unrecht keine Lärmprognose eingeholt. Die Erteilung der Baubewilligung setze eine positive Prognose hinsichtlich der Einhaltung der Planungswerte voraus, wobei weitere Ermittlungen in Form einer Lärmprognose schon dann geboten seien, wenn eine Überschreitung der Planungswerte - wie vorliegend der Fall - zumindest als möglich erscheine. |
3.3 Nach Art. 11 Abs. 2 USG (SR 814.01) sind Emissionen im Rahmen der Vorsorge so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist (vorsorgliche Emissionsbegrenzung). Gemäss Art. 11 Abs. 3 USG werden die Emissionsbegrenzungen verschärft, wenn feststeht oder zu erwarten ist, dass die Einwirkungen unter Berücksichtigung der bestehenden Umweltbelastung schädlich oder lästig werden (verschärfte Emissionsbegrenzung). Für die Beurteilung der schädlichen oder lästigen Einwirkungen legt der Bundesrat Immissionsgrenzwerte fest (Art. 13 USG). Diese sind so festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören (Art. 15 USG). Neue ortsfeste Anlagen dürfen nur errichtet werden, wenn die durch diese Anlagen allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte in der Umgebung nicht überschreiten (Art. 25 Abs. 1 USG). Diese liegen unter dem Immissionsgrenzwert (Art. 23 USG). |
Der Regierungsrat hat im Beschluss vom 3. Februar 2009 eingehend dargelegt, dass es sich beim Bauvorhaben mit neuer überdachter Seeterrasse mit bis zu 60 Sitzplätzen um eine Neuanlage im Sinn von Art. 25 USG bzw. von Art. 7 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) handelt, da im Zeitpunkt des Inkrafttretens des USG am 1. Januar 1985 ein Gartenbuffet weder erstellt noch bewilligt gewesen ist. Die Vorinstanz hat diese Beurteilung zu Recht geschützt. Nach Art. 7 LSV müssen die Lärmemissionen einer neuen ortsfesten Anlage nach den Anforderungen der Vollzugsbehörde so weit begrenzt werden als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist und dass die von der Anlage allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten (Art. 7 Abs. 1 lit. a und b LSV). Die vom Projekt verursachten Lärmimmissionen müssen somit sowohl die Planungswerte der jeweils massgebenden Empfindlichkeitsstufen einhalten als auch der Vorsorge (Art. 11 Abs. 2 USG) genügen. Fehlen Belastungsgrenzwerte, so beurteilt die Vollzugsbehörde die Lärmimmissionen nach Art. 15 USG, unter Berücksichtigung der Art. 19 und 23 USG (Art. 40 Abs. 3 LSV), wobei bei der vorliegenden Neuanlage die Planungswerte gemäss Art. 25 USG massgeblich sind.
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Die Frage, ob Grund zur Annahme besteht, dass die Belastungsgrenzwerte überschritten werden (Art. 36 Abs. 1 LSV), verlangt eine vorweggenommene Würdigung der Lärmsituation. Ist diese Frage zu bejahen, so ist die Behörde zur Durchführung eines Beweis- und Ermittlungsverfahrens nach den Art. 36 ff. LSV und den Anhängen 2-7 LSV verpflichtet, ohne dass ihr insoweit noch ein Ermessensspielraum zustünde. Dabei dürfen keine hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Überschreitung der Planungswerte gestellt werden. Dies gilt jedenfalls im Kontext von Art. 25 Abs. 1 USG: Setzt die Erteilung der Baubewilligung eine positive Prognose hinsichtlich der Einhaltung der Planungswerte voraus, so sind weitere Ermittlungen in Form einer Lärmprognose (i.S.v. Art. 25 Abs. 2 Satz 1 und Art. 36 ff. LSV) schon dann geboten, wenn eine Überschreitung der Planungswerte möglich erscheint, d.h. beim aktuellen Kenntnisstand nicht ausgeschlossen werden kann (Urteil 1A.180/2006 vom 9. August 2007 E. 5.5). |
Nach der Auffassung des BAFU führt eine Hochrechnung der zu erwartenden Lärmimmissionen vorliegend zu folgenden Ergebnissen: Der energieäquivalente Schallleistungspegel pro Person bei Unterhaltung in normaler Lautstärke mit häufigen Servicegeräuschen betrage rund 63 dB (A). Bei 60 geplanten Sitzplätzen betrage die Gesamtemission der neuen Anlage rund 80 dB (A), bei einem Abstand des Gebäudes der Beschwerdeführerin von ca. 25 Metern ergebe dies einen Immissionspegel von 44 dB (A). Für die Beurteilung der Lärmbelastung sind nach der Vollzugshilfe des "Cercle Bruit" zu diesem Wert rund 6 dB (A) zu addieren, um den Bestandteilen Ton und Rhythmus oder den deutlich hörbaren Stimmen Rechnung zu tragen. Der mutmassliche Wert beträgt damit gemäss BAFU insgesamt 50 dB (A). Das BAFU folgert, insbesondere in der Zeit ab 19.00 Uhr könne eine Überschreitung der massgebenden Grenzwerte von 45 dB (A) respektive 40 dB (A) durch das geplante Vorhaben nicht ausgeschlossen werden. Das BAFU kommt deshalb zum Schluss, dass ein Lärmgutachten hätte erstellt werden müssen. |
Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten zu Unrecht auf die Einholung einer Lärmprognose verzichtet.
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3.7 In BGE 130 II 32 hat das Bundesgericht in Bezug auf ein Jugend- und Kulturzentrum, an dessen Betrieb ein wichtiges öffentliches Interesse bestand, ergänzend auf die Möglichkeit hingewiesen, Erleichterungen i.S.v. Art. 25 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 LSV zu gewähren, wenn die Einhaltung der Planungswerte zu einer unverhältnismässigen Belastung für das Projekt führen würde. Auch diese Normen verlangen, dass die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden. Erscheint es also unverhältnismässig, Betriebseinschränkungen festzulegen, die geeignet wären, jegliche Störung der Nachbarn während der Nacht zu verhindern, so darf es dennoch nicht zu empfindlichen Beeinträchtigungen kommen (vgl. BGE 130 II 32 E. 2.2 S. 36 f.). Beim zu beurteilenden Projekt für den Neubau eines Restaurants erscheint es sehr fraglich, ob ein vergleichbares überwiegendes öffentliches Interesse an diesem Vorhaben besteht. Da das Bauvorhaben noch nie unter diesem Aspekt geprüft worden ist, kann diese Frage aber letztlich offenbleiben.
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