BGE 137 II 419
 
37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Steueramt des Kantons Aargau gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_480/2010 vom 20. September 2011
 
Regeste
Art. 12 Abs. 3 lit. e StHG; Ersatzbeschaffung von selbstgenutztem Wohneigentum; aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Höhe des (aufgeschobenen) Grundstückgewinns.
 
Sachverhalt


BGE 137 II 419 (420):

A. X. kaufte im Jahre 2005 zusammen mit A. die Liegenschaft Brugg-Gbbl. Nr. z für Fr. 400'000.- (zur Selbstnutzung). In der Folge wurde diese Liegenschaft umgebaut. Mit Vertrag vom 8. Oktober 2007 trat X. seinen Anteil am Gesamteigentum an der besagten Liegenschaft an A. ab. Diese leistete ihm hierfür eine Ausgleichszahlung von Fr. 390'000.-. Kurz darauf, am 18. Oktober 2007, erwarb X. das Grundstück Brugg-Gbbl. Nr. y zum Preis von Fr. 400'000.-, ebenfalls wieder zur Selbstnutzung.
B. Die Steuerkommission Brugg veranlagte X. am 3. Juni 2008 zufolge Ersatzbeschaffung auf einen im Jahr 2007 steuerbaren Grundstückgewinn von Fr. 0.-. Zugleich stellte sie einen aufgeschobenen

BGE 137 II 419 (421):

Grundstückgewinn von Fr. 138'356.- fest. Auf Einsprache hin reduzierte sie den aufgeschobenen Grundstückgewinn auf Fr. 21'142.-. Den hiegegen erhobenen Rekurs von X., der eine weitere Reduktion des aufgeschobenen Grundstückgewinns auf Fr. 16'500.- verlangt hatte, wies das Steuergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 24. September 2009 vollumfänglich ab.
C. Mit Eingabe vom 30. Oktober 2009 beantragte X. dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, den Rekursentscheid des Steuergerichts aufzuheben und die "Liste der Investitionen" bzw. "die berechnete Summe des Grundstückgewinns (...) entsprechend anzupassen".
Mit Urteil vom 21. April 2010 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintrat, und hob das Urteil des kantonalen Steuergerichts auf, "soweit darin über den Aufschub der Grundstückgewinnsteuer hinaus Feststellungen betreffend die Höhe des aufgeschobenen Grundstückgewinns getroffen werden". Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, nachdem infolge des Steueraufschubs vorderhand kein Grundstückgewinn besteuert werde, fehle es am aktuellen Rechtsschutzinteresse betreffend die Festlegung des (aufgeschobenen) Gewinns. (...)
Das Bundesgericht heisst die von X. gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut, hebt das genannte Urteil auf und weist die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau zurück.
(Auszug)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
Das Vorliegen eines solchen Ersatzbeschaffungstatbestandes (vgl. den im Wesentlichen gleich lautenden § 98 StG/AG [SAR 651.100],

BGE 137 II 419 (422):

der zusätzlich noch die Fristen für die Ersatzbeschaffung regelt), ist hier unbestritten. Es geht vielmehr um das (aktuelle) Rechtsschutzinteresse an der Festlegung der Höhe des (aufgeschobenen) Grundstückgewinns.
 
Erwägung 2.2
 
Erwägung 3
3.1 Nicht ausser Acht gelassen werden kann zunächst, dass in den Eidgenössischen Räten die Ergänzung des

BGE 137 II 419 (423):

Steuerharmonisierungsgesetzes mit Bestimmungen zur Ersatzbeschaffung von Wohneigentum kürzlich zur Sprache kam (Parlamentarische Initiative Hegetschweiler/Ersatzbeschaffung von Wohneigentum, Förderung der beruflichen Mobilität [vgl. dazu insbesondere den entsprechenden Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 19. Januar 2010, BBl 2010 2585 ff.; im Folgenden: Bericht WAK Ersatzbeschaffung]). Die vom Nationalrat verabschiedete Regelung war nicht unbestritten; keine Meinungsverschiedenheiten bestanden im Erstrat jedoch insofern, als einerseits gelten sollte, bei der Ermittlung des Grundstückgewinnes im Zeitpunkt der Veräusserung des Ersatzgrundstückes seien die Anlagekosten der Ersatzliegenschaft um den aufgeschobenen Gewinn zu vermindern, und als andererseits vorgesehen wurde, der Kanton, in welchem die veräusserte Liegenschaft liege, habe dem Kanton, in welchem sich die Ersatzliegenschaft befinde, die Höhe des aufgeschobenen Gewinns sowie die Besitzesdauer zu melden (vgl. AB 2010 N 916 ff.). Auch wenn die genannte Vorlage schliesslich am Ständerat gescheitert ist (vgl. AB 2011 S 520, Voten Marty und Präsident Inderkum), weisen diese - im Erstrat unbestrittenen - Regelungen auf gesetzgeberische Bestrebungen hin, dem "Prinzip der separaten Besteuerung" des aufgeschobenen Grundstückgewinns zu folgen (vgl. dazu ROLF BENZ, Fortschritte und Rückschritte bei der Ersatzbeschaffung von dauernd und ausschliesslich selbst genutztem Wohneigentum, Zeitschrift für Schweizerisches und Internationales Steuerrecht [ZSIS] 06/2009 S. 3), was insbesondere zur Folge hat, dass der aufgeschobene Gewinn definitiv festzulegen ist und grundsätzlich keiner Veränderung mehr unterliegt.
3.2 Unabhängig von den genannten parlamentarischen Beratungen ergibt sich auch unter der geltenden Rechtslage (absolute Methode, vorne E. 2.2.1), dass bei der Geltendmachung einer Ersatzbeschaffung einerseits festgestellt werden muss, wie viel der erzielte Gewinn beträgt (Rohgewinn), und damit auch, auf welchen Betrag sich die Anlagekosten belaufen, berechnet sich doch der Rohgewinn aus dem Erlös minus die Anlagekosten. Andererseits muss die Höhe der Reinvestition ermittelt werden, wird doch für den Rohgewinn - im Umfange der Differenz zwischen Reinvestition und Anlagekosten des Veräusserungsobjekts - ein Steueraufschub gewährt (vgl. zur absoluten Methode den Bericht WAK Ersatzbeschaffung, a.a.O., S. 2595). Nur wenn die beiden Werte - Rohgewinn und damit Anlagekosten sowie Reinvestitionsbetrag - bekannt sind, lässt sich bei Anwendung der absoluten Methode beurteilen, ob und in welchem Umfange ein Steueraufschub gewährt wird.


BGE 137 II 419 (424):

3.3 Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach es in Fällen eines Steueraufschubs infolge Ersatzbeschaffung von selbstbewohntem Wohneigentum regelmässig an einem schützenswerten Interesse der Betroffenen an der definitiven Festlegung des aufgeschobenen Gewinns fehle, kann nicht gefolgt werden: Vorab macht es wenig Sinn, den Steuerpflichtigen eine Steuererklärung einreichen zu lassen (in welcher er u.a. die Anlagekosten anzugeben bzw. zu belegen hat) sowie in der nachfolgend zu erlassenden Veranlagungsverfügung zwar notwendigerweise die Berechnung von Anlagekosten, Rohgewinn und aufgeschobenem Grundstückgewinn vorzunehmen, aber diese dann - mangels Anfechtungsmöglichkeit - als blosse unverbindliche Meinungsäusserung der Verwaltung zu behandeln. Sodann ist die Bestimmung des aufgeschobenen Gewinnes im Zeitpunkt der Vornahme der Ersatzbeschaffung in aller Regel um einiges leichter durchzuführen als bei der - allenfalls um Jahrzehnte aufgeschobenen - späteren Veräusserung des Ersatzgrundstückes. Hinzu kommt, dass sich die mit der späteren Festlegung des aufgeschobenen Grundstückgewinnes verbundenen Probleme potenzieren, wenn nacheinander mehrere Ersatzbeschaffungen stattfinden. Da es sich bei der Grundstückgewinnsteuer um eine reine Objektsteuer handelt, sind bei der Beurteilung eines Verkaufes sowohl die Besitzesdauer wie auch der Grundstückgewinn vor der Ersatzbeschaffung klar bestimmbar; eine - bezogen auf das Datum der Ersatzbeschaffung - zeitnahe Berechnung verursacht keinen unnötigen Aufwand (vgl. KLÖTI-WEBER/BAUER, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Klöti-Weber/Siegrist/Weber [Hrsg.], 3. Aufl. 2009, N. 22 zu § 98 StG/AG).
3.4 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum fehlenden schutzwürdigen Interesse betreffend Festsetzung eines Verlustvortrages nichts für die vorliegend zu beurteilende Konstellation ableiten. Abgesehen davon, dass das Bundesgericht bisher die Frage offengelassen hat, wie das schutzwürdige Interesse in Bezug auf die Festsetzung der Höhe des im Veranlagungsjahr angefallenen Verlustes zu beurteilen wäre (vgl. Urteil 2A.192/2000 vom 9. Mai 2001 E. 1b/cc, in: StE 2001 B 96.11 Nr. 6), haben die dort massgebenden Überlegungen - namentlich, dass die Berechnung der vorzutragenden Verluste sich jährlich ändere und der sich ergebende Verlustvortrag in den folgenden Jahren seine Bedeutung verliere - für die Bestimmung des aufgeschobenen Gewinns bei der Ersatzbeschaffung von Wohneigentum keine Bedeutung.


BGE 137 II 419 (425):

4. Zusammenfassend ergibt sich, dass - entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung der Vorinstanz - sowohl die Steuerbehörden ein Interesse daran haben, den infolge der Ersatzbeschaffung von selbstgenutztem Wohneigentum aufgeschobenen Grundstückgewinn verbindlich festzusetzen, als auch dem Steuerpflichtigen ein aktuelles Rechtsschutzinteresse daran zuzugestehen ist, eine solche Berechnung mit den ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln anzufechten. An diesem grundsätzlichen Interesse vermag nichts zu ändern, dass allenfalls später ein aufgeschobener Gewinn gar nie zur Besteuerung gelangt oder sich bei der später vorzunehmenden Besteuerung unter Umständen Abweichungen ergeben können.