Urteilskopf
146 II 150
14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung, Dienst für Informationsaustausch in Steuersachen SEI gegen UBS Switzerland AG (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
2C_653/2018 vom 26. Juli 2019
Regeste a
Art. 28 Abs. 1 DBA CH-FR; Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR; Art. 2 der Vereinbarung vom 25. Juni 2014 über die Änderung des Zusatzprotokolls zum revidierten DBA CH-FR;
Art. 3 lit. c StAhiG; Unterscheidung zwischen Listenersuchen und Gruppenersuchen; zeitlicher Anwendungsbereich von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR.
Umschreibung des Verfahrensgegenstands (E. 4.1-4.2). Begriff des Listenersuchens (E. 4.3). Abgrenzung der Listenersuchen von den Gruppenersuchen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4.4). Charakterisierung des streitbetroffenen Ersuchens als Listenersuchen (E. 4.5). Zusammenfassung der Position der Vorinstanz (E. 5.1). Geschichtlicher Hintergrund von Ziff. XI Zusatzprotokoll DBA CH-FR (E. 5.2). Regeln über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge gemäss Völkergewohnheitsrecht, das in der VRK kodifiziert ist (E. 5.3). Vorschriften über Amtshilfe sind unmittelbar anwendbar, soweit das Abkommen nichts anderes vorsieht (E. 5.4). Auslegung von Art. 2 Abs. 3 der Vereinbarung vom 25. Juni 2014. Resultat: Diese Bestimmung betrifft nur Gruppenersuchen; für andere Arten von Ersuchen ohne Namensangabe gilt Art. 2 Abs. 2 der Vereinbarung vom 25. Juni 2014 (E. 5.5). Fazit: Für Listenersuchen ist unter dem DBA CH-FR für Zeiträume ab 1. Januar 2010 Amtshilfe zu leisten, wenn sie die betroffenen Personen auf andere Weise als durch Angabe der Namen und Adressen identifizieren (E. 5.6).
Regeste b
Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 DBA CH-FR; Ziff. XI Abs. 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR; voraussichtliche Erheblichkeit und "fishing expedition"; Spezialitätsprinzip und Geheimhaltungspflicht.
Kriterien zur Abgrenzung zulässiger Gruppenersuchen von unzulässigen "fishing expeditions" gelten auch für Listenersuchen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 6.1). Anwendung der Kriterien auf vorliegenden Fall (E. 6.2). Resultat: Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die betroffenen Personen ihre steuerrechtlichen Pflichten verletzt haben. Keine "fishing expedition" (E. 6.3). Keine Rückweisung an die Vorinstanz (E. 6.4). Pacta sunt servanda ist ein Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts. Hieraus folgt das Vertrauensprinzip zwischen Vertragsstaaten. Der gute Glaube des ersuchenden Staates ist zu vermuten (E. 7.1). Der ersuchende Staat ist zur Geheimhaltung verpflichtet und darf übermittelte Informationen nur zu den Zwecken gemäss Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR verwenden, solange die zuständige Behörde des ersuchten Staates die abkommensfremde Verwendung nicht genehmigt (E. 7.2). Wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der ersuchende Staat die Geheimhaltungspflicht oder das Spezialitätsprinzip verletzen wird und er diese Zweifel auf Aufforderung des ersuchten Staates nicht mittels entsprechender Zusicherungen ausräumt, ist Amtshilfe zu verweigern (E. 7.3). Vorliegend hatten ursprünglich konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Verletzung der Geheimhaltungspflicht und des Spezialitätsprinzips bestanden (E. 7.4 und 7.5). Der ersuchende Staat hat diese Zweifel aber mittels Zusicherungen ausgeräumt (E. 7.6 und 7.7). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der ersuchende Staat diese Zusicherungen nicht einhalten wird (E. 7.8). Fazit: Im Lichte der gemachten Zusicherungen bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für eine drohende Verletzung der Geheimhaltungspflicht oder des Spezialitätsprinzips (E. 7.9).
A.a Am 11. Mai 2016 sandte die Direction Générale des Finances Publiques (DGFP) ein Amtshilfeersuchen an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). Laut ihrem Ersuchen stützte sich die DGFP auf Art. 28 des Abkommens vom 9. September 1966 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
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dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht (DBA CH-FR; SR 0.672.934.91) sowie die Vereinbarung vom 25. Juni 2014 über die Änderung des Zusatzprotokolls zum revidierten Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. September 1966 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht (nachfolgend: Vereinbarung 2014, AS 2016 1195; teilweise wiedergegeben unter SR 0.672.934.91). Vom Ersuchen betroffen seien gewisse, mutmasslich in Frankreich steuerpflichtige Personen, die anhand einer dem Ersuchen beigelegten Liste identifizierbar seien. Als Informationsinhaberin in der Schweiz nannte die DGFP die UBS AG (heute: UBS Switzerland AG). Die Informationen sollten laut der DGFP der Erhebung der französischen Einkommenssteuer ("impôt sur le revenu") für die Steuerjahre 2010-2014 und der Solidaritätssteuer auf Vermögen ("impôt de solidarité sur la fortune") für die Steuerjahre 2010-2015 dienen.
A.b Gemäss der DGFP lag dem Ersuchen folgender Sachverhalt zugrunde:
A.b.a Eine von der Staatsanwaltschaft Bochum geleitete Untersuchung und die Durchsuchung der deutschen Zweigniederlassungen der UBS im Mai 2012 und im Juli 2013 hätten zur Beschlagnahme von Daten über französische Steuerpflichtige geführt, die eine Verbindung mit bei der UBS in der Schweiz eröffneten Konten aufgewiesen hätten. Unter Berufung auf die Richtlinie Nr. 2011/16/EU (Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG) hätte die französische Steuerverwaltung daraufhin mit Schreiben vom 20. April 2015 von der deutschen Steuerverwaltung verlangt, dass ihr diese Informationen mitgeteilt würden. Die deutsche Steuerverwaltung habe ihr am 3. Juli 2015 Folgendes übermittelt:
- eine Liste A von Konten mit genauer Identifikation der damit verbundenen Steuerpflichtigen (1'130 Konten), die alle einen Domizilcode für Frankreich aufgewiesen hätten;
- zwei Listen betreffend die Jahre 2006 (Liste B) und 2008 (Liste C) mit Kontoangaben, die alle mit dem Domizilcode für Frankreich aufgeführt seien. Insgesamt würden diese Listen über 45'161 unterschiedliche Kontonummern beinhalten.
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Die Vermögenswerte, die diese Listen auswiesen, würden sich auf über 11 Mia. Fr. belaufen, was laut der DGFP Mindereinnahmen von mehreren Milliarden Euro für den französischen Fiskus bedeuten könnte.
A.b.b Gemäss Art. 1949 A des französischen Steuergesetzes ("Code général des impôts") müssten in Frankreich steuerlich ansässige Personen ihre im Ausland eröffneten Bankkonten deklarieren. Ebenso müssten sie die Einkünfte aus französischen und ausländischen Quellen sowie in Frankreich und im Ausland vorhandenes Vermögen deklarieren. Sodann würden jene Personen, die in die Rechte und Pflichten der vorgenannten Steuerpflichtigen eingetreten seien, auf unbestimmte Zeit für deren Steuerschulden haften. Zahlreiche Hinweise liessen vermuten, dass gewisse französische Steuerpflichtige diesen Steuerpflichten nicht nachgekommen seien.
Frankreich habe im Jahr 2013 eine Regularisierungsstelle für nicht deklarierte Finanzvermögen eingerichtet. Diese habe seit ihrer Errichtung mehr als 45'000 Gesuche und 5.5 Mia. EUR an Steuern und Strafzahlungen entgegengenommen bzw. eingenommen. Überdies habe die Analyse der Regularisierungsgesuche gezeigt, dass 91 % davon Finanzvermögen bei Schweizer Finanzinstituten betreffen würden. Unter diesen Finanzinstituten befinde sich die Bank UBS. Bisher seien 7'858 ursprünglich gegenüber der französischen Steuerverwaltung nicht deklarierte UBS-Konten durch französische Steuerpflichtige regularisiert worden.
A.b.c Ausserdem seien gegen die Bank UBS AG in Frankreich im Juni 2013 und im Juli 2014 Untersuchungen wegen unlauteren Bank- oder Finanzgebarens ("démarchage bancaire ou financier illicite") bzw. wegen Geldwäscherei in einem schweren Fall mit Vortat des Steuerbetrugs ("blanchiment aggravé de fraude fiscale") eingeleitet worden. Gegen UBS France SA seien derweil im Jahr 2013 wegen Beihilfe zu unlauterem Bank- oder Finanzgebaren ("complicité de démarchage bancaire ou financier illicite") und im Jahr 2015 wegen Beihilfe zu Geldwäscherei in einem schweren Fall mit Vortat des Steuerbetrugs ("complicité de blanchiment aggravé de fraude fiscale") Untersuchungen eingeleitet worden. Es sei zu beachten, dass die Zeiträume, aus denen die übermittelten Listen stammten (2006 und 2008), mitten in die Periode fallen, für welche die UBS verdächtigt werde, ein umfassendes Steuerfluchtsystem aufgebaut zu haben. In diesem Zusammenhang sei es zwingend an der französischen Steuerverwaltung,
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systematische Kontrollen der Informationen vorzunehmen, welche von der deutschen Steuerverwaltung geliefert worden seien.
A.b.d In Bezug auf die Liste von Bankkonten, welche französische Steuerpflichtige direkt identifizierte (Liste A), hätten die Nachforschungen der französischen Steuerverwaltung ergeben, dass nahezu alle Betroffenen (97 %) tatsächlich in Frankreich steuerlich ansässig gewesen seien. Die Vermutung der französischen Steuerverwaltung habe sich somit bestätigt.
Es sei bereits eine erste Reihe von Steuerprüfungen hinsichtlich der Liste A eingeleitet worden, die ungefähr einen Drittel der Konten auf dieser Liste betreffe. Die Ergebnisse belegten die Verlässlichkeit der Liste und das Vorliegen von Betrug. Die ersten Ergebnisse, die sich auf die Hälfte der eingeleiteten Steuerprüfungen bezögen, liessen erkennen, dass die Steuerpflichtigen entweder anerkannt hätten, ein undeklariertes Konto gehalten zu haben oder dass sie ihre Situation seither bei der Regularisierungsstelle geregelt hätten.
Was die anonymen Bankkonten (Listen B und C) betreffe, so habe die französische Steuerverwaltung diese abgeglichen mit:
- den Daten (Kontonummern), die sie von der ESTV im Rahmen des bilateralen Zinsbesteuerungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweiz (Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über Regelungen, die den in der Richtlinie 2003/48/EG des Rates im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen festgelegten Regelungen gleichwertig sind [SR 0.641.926.81]; neuer Titel seit 1. Januar 2017: Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten [AS 2016 5003]) erhalten habe;
- den Kontonummern der Steuerpflichtigen, die ihre Steuersituation im Rahmen der Regularisierungsprogramme vom April 2009 und vom Juni 2013 bei der französischen Steuerverwaltung regularisiert hätten;
- Informationen, die sie im Rahmen der internationalen Amtshilfe von der Schweiz erhalten habe.
Die Abgleiche hätten 4'782 von der französischen Steuerverwaltung bereits identifizierte Kontonummern ergeben, was über 10 % der
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Konten auf den Listen B und C entspreche. Es habe sich erwiesen, dass alle der identifizierten Konten tatsächlich mit in Frankreich steuerlich ansässigen Personen verbunden gewesen seien. Diese Kontonummern seien vom vorliegenden Ersuchen ausgenommen worden, da ihre Inhaber bereits identifiziert worden seien. Demnach habe die französische Steuerbehörde alle ihre innerstaatlichen Untersuchungsmittel ausgeschöpft.
A.b.e Nach Abschluss der geschilderten Nachforschungen, welche die Vermutung erhärtet hätten, dass die Konten tatsächlich mit französischen Steuerpflichtigen verbunden seien, verblieben 40'379 Bankkonten, die mittels Amtshilfe zu identifizieren seien. In Anbetracht des dargelegten Sachzusammenhangs betreffend in der Schweiz gehaltener Guthaben mutmasslicher französischer Steuerpflichtiger bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil der nicht identifizierten Konten der Listen B und C nicht deklariert worden sei. Somit dränge sich eine systematische Kontrolle sämtlicher Personen auf, die mit den Konten verbunden seien, um herauszufinden, ob ihre Steuerpflichten erfüllt worden seien. Die Identifizierung der Personen, die mit den Konten verbunden seien, sei unabdingbar, damit die französische Steuerverwaltung diese Kontrolle vornehmen könne.
Unter diesen Voraussetzungen seien die ersuchten Informationen zwecks Identifizierung der mutmasslichen Steuerpflichtigen, die im Zusammenhang mit diesen Konten stünden, voraussichtlich erheblich zur Durchsetzung der französischen Steuergesetzgebung.
A.b.f Gestützt auf den vorstehenden Sachverhalt ersuchte die DGFP die ESTV um die Übermittlung der folgenden Informationen:
a) Namen/Vornamen, Geburtsdaten und letzte bekannte Adressen gemäss Bankunterlagen
i. des Kontoinhabers bzw. der Kontoinhaber,
ii. der wirtschaftlich berechtigten Person bzw. Personen gemäss Formular A,
iii. jeder anderen Person, die in die Rechte und Pflichten der beiden letztgenannten Personen tritt bzw. getreten ist.
b) Die Kontostände jeweils per 1. Januar der Jahre 2010, 2011, 2012, 2013, 2014 und 2015.
B.a Nachdem die ESTV mit E-Mail vom 19. Mai 2016 bei der DGFP nachgefragt hatte, weshalb vom Domizilcode auf einen Zusammenhang
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mit Frankreich geschlossen werde, erhielt sie gleichentags von der DGFP eine Liste mit Domizilcodes, welche die Zuordnung der in Deutschland beschlagnahmten Daten zu Personen mit einem bestimmten Domizilland ermöglichen soll. Diese Liste hatte Frankreich amtshilfeweise von Deutschland erhalten.
B.b Mit Editionsverfügung vom 10. Juni 2016 forderte die ESTV die UBS Switzerland AG auf, die ersuchten Informationen einzureichen und bat sie, die betroffenen Personen mit noch aktiver Geschäftsbeziehung über das Amtshilfeverfahren zu informieren. Die UBS Switzerland AG kam dieser Aufforderung nach, verlangte aber mit Gesuch vom 21. Juni 2016, dass die ESTV ihre Editionsverfügung in Wiedererwägung ziehe und der UBS Akteneinsicht gewähre. Nachdem die ESTV beides abgelehnt hatte, ordnete das Bundesverwaltungsgericht auf Beschwerde der UBS Switzerland AG hin mit Urteil vom 25. Oktober 2016 an, dass der UBS Switzerland AG im Verfahren vor der ESTV Parteistellung eingeräumt und Akteneinsicht gewährt werde.
B.c Parallel zu diesem ersten Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht beantragte die UBS Switzerland AG bei der ESTV mit Schreiben vom 23. August 2016 die Sistierung der amtshilfeweisen Datenübermittlung bis zum Erhalt einer schriftlichen Zusicherung der DGFP, dass diese das Spezialitätsprinzip einhalten werde. Mit Schreiben vom 1. September 2016 bat die ESTV die DGFP um Klärung in Bezug auf die Einhaltung des Spezialitätsprinzips.
Die DGFP antwortete mit Schreiben vom 27. Dezember 2016. Nachdem die UBS Switzerland AG Einsicht in dieses Schreiben erhalten hatte, teilte sie der ESTV am 6. Februar 2017 mit, dass die Bestätigung der DGFP ihrer Auffassung nach nicht genüge. Mit Schreiben vom 7. Februar 2017 und vom 29. März 2017 wies die ESTV die DGFP noch einmal auf ihre Bedenken hinsichtlich des Spezialitätsprinzips hin. Mit letzterem Schreiben teilte die ESTV der DGFP mit, dass sie die Amtshilfe nicht nur in diesem Fall, sondern bezüglich sämtlicher Ersuchen Frankreichs suspendieren werde, bis sie hinreichende Zusicherungen seitens der DGFP erhalten habe, dass Frankreich das Spezialitätsprinzip und die Geheimhaltungspflicht einhalten werde.
In einem Briefwechsel vom 11. Juli 2017 (nachfolgend auch als "Verständigungslösung" bezeichnet) bestätigten sich die ESTV und
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die DGFP gegenseitig gestützt auf Art. 27 Abs. 3 DBA CH-FR die Ergebnisse eines Treffens vom 22. Juni 2017 wie folgt:
"Les informations transmises par l'État requis dans le cadre de l'assistance administrative sont utilisées dans l'État requérant uniquement dans un contexte fiscal, dans le respect des dispositions conventionnelles applicables et de l'article 26 du Modèle de Convention OCDE ainsi que de son commentaire.
Une utilisation de ces informations dans tout autre contexte est soumise à autorisation préalable de l'autorité compétente requise.
Les autorités compétentes reconnaissent que la réponse à une demande visant une personne précise peut être utilisée dans un contexte fiscal à l'encontre d'une personne tierce. Au moment du dépôt de la demande, l'intention d'une telle utilisation n'est toutefois pas encore concrétisée."
Ebenfalls am 11. Juli 2017 informierte die DGFP die ESTV über den Abschluss des strafrechtlichen Untersuchungsverfahrens. Die DGFP könne die ESTV zum jetzigen Zeitpunkt deshalb informieren, dass die Informationen nicht im Strafverfahren verwendet werden sollten. Zudem bestünden aktuell keine konkreten Pläne für eine sonstige Verwendung der Informationen gegen die Bank UBS ("Par ailleurs, je vous informe que la phase d'instruction pénale visant la banque UBS est désormais close. À ce jour, je puis donc vous informer qu'aucune utilisation des informations susceptibles d'être reçues des autorités suisses et afférentes à des comptes détenus au sein de cette banque n'a lieu d'être faite dans la procédure pénale visant cette banque. Au demeurant, à ce jour, aucune autre utilisation n'est non plus concrétisée à l'encontre de ladite banque.").
Mit Schreiben vom 25. Juli 2017 teilte die UBS der ESTV mit, die Verständigungslösung und das Schreiben vom 11. Juli 2017 enthielten ihrer Auffassung nach keine ausreichenden Zusicherungen.
B.d Nach weiterer Korrespondenz erliess die ESTV schliesslich am 9. Februar 2018 acht Schlussverfügungen, mit welchen sie der UBS eröffnete, dass der DGFP im gewünschten Umfang Amtshilfe erteilt werde. Die UBS focht diese Schlussverfügungen mit Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht an. Das Bundesverwaltungsgericht vereinigte die Verfahren und hiess die Beschwerden mit Urteil vom 30. Juli 2018 gut, soweit es darauf eintrat, und hob die Schlussverfügungen sowie die Editionsverfügung der ESTV auf.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 10. August 2018 beantragt die ESTV die Aufhebung
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des vorinstanzlichen Urteils unter Bestätigung ihrer Editionsverfügung vom 10. Juni 2016 und ihrer Schlussverfügungen vom 9. Februar 2018, eventualiter die Rückweisung an die Vorinstanz im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen.
Die Beschwerdegegnerin hat sich vernehmen lassen und zwei Rechtsgutachten eingereicht. Sie beantragt die Abweisung der Beschwerde, eventualiter die Rückweisung an die Vorinstanz zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen, subeventualiter teilweise die Abweisung der Beschwerde und Aufhebung der Editions- und Schlussverfügungen, soweit sie eine Herausgabepflicht von Bankunterlagen und Informationen betreffend Sachverhalte erfassen, die sich vor dem 1. Februar 2013 zugetragen haben.
Das Bundesgericht hat am 26. Juli 2019 eine öffentliche Beratung durchgeführt. Es heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
II. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens
4.1 Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist ein Urteil der Vorinstanz, mit welchem sie acht Schlussverfügungen der ESTV nach Art. 17 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 28. September 2012 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (Steueramtshilfegesetz, StAhiG; SR 651.1) sowie eine Editionsverfügung nach
Art. 10 Abs. 1 StAhiG aufhob, welche die Beschwerdegegnerin nach
Art. 19 Abs. 1 StAhiG bei ihr angefochten hatte. In ihren Schlussverfügungen hatte die ESTV den gemäss
Art. 3 lit. a StAhiG betroffenen Personen und der Beschwerdegegnerin angezeigt, dass sie der DGFP Amtshilfe leiste und die ersuchten Informationen übermittle, welche die Beschwerdegegnerin zu den betroffenen Personen infolge der Editionsverfügung herausgegeben hatte. Weiter verfügte die ESTV, dass sie die DGFP anlässlich der Übermittlung der Informationen auf die Einschränkungen bei deren Verwendung und die Geheimhaltungspflichten gemäss Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR hinweisen werde.
4.2 Am Ursprung der angefochtenen acht Schlussverfügungen stand das Amtshilfeersuchen der DGFP vom 11. Mai 2016. Dieses Ersuchen stützte sich auf eine Liste mit rund 40'000 Konto- und
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anderen Banknummern, mithilfe derer die ESTV und die Beschwerdegegnerin die betroffenen Personen in der Folge identifizieren und die ersuchten Informationen zusammenstellen konnten. Nebst den erwähnten Konto- und Banknummern enthielt das Ersuchen weder Namen noch Adressen der betroffenen Personen.
4.3 Das Bundesgericht hat sich bereits mehrmals mit ähnlichen Ersuchen auseinandergesetzt. Dabei kam es zum Schluss, dass Ersuchen, die eine Mehrzahl von Personen betreffen und welche die betroffenen Personen namentlich oder mittels einer Liste mit Nummern - etwa Kreditkarten- oder Bankkontonummern - identifizieren, als eine Sammlung einzelner Ersuchen zu betrachten sind. Die ersuchende Behörde fasst diese einzelnen Ersuchen aus Gründen der Verfahrensökonomie in einem gemeinsamen Gesuch zusammen, könnte sie aber grundsätzlich auch einzeln stellen. Für solche Ersuchen verwendet das Bundesgericht den Begriff "Listenersuchen" (
demande collective; vgl.
BGE 143 II 628 E. 4.4 und 5.1 S. 640 ff.; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 4.4, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14; Urteil 2C_893/2015 vom 16. Februar 2017 E. 12.1, nicht publ. in:
BGE 143 II 202, aber in: RDAF 2017 II S. 336, StE 2017 A 31.2 Nr. 14, StR 72/2017 S. 612).
4.4 Art. 3 lit. c StAhiG definiert die Gruppenersuchen als "Amtshilfeersuchen, mit welchen Informationen über mehrere Personen verlangt werden, die nach einem identischen Verhaltensmuster vorgegangen sind und anhand präziser Angaben identifizierbar sind". Sofern ein Listenersuchen die betroffenen Personen nur mittels einer Nummer und nicht namentlich identifiziert, erscheint der Unterschied zu einem Gruppenersuchen geringfügig (vgl.
BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14). Dennoch liegt kein Gruppenersuchen gemäss
Art. 3 lit. c StAhiG vor; im Gegensatz zu einem definierten Verhaltensmuster stellt eine Kreditkarten- oder Kontonummer ein individuell identifizierendes Merkmal dar (vgl. Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 4.4, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14).
4.5 Das Ersuchen der DGFP betrifft zwar wegen der grossen Zahl von Banknummern aller Wahrscheinlichkeit nach eine sehr grosse Anzahl von Personen. Dabei handelt es sich um ein Listenersuchen im Sinne der zitierten Rechtsprechung und nicht um ein Gruppenersuchen nach
Art. 3 lit. c StAhiG. Die betroffenen Personen können aufgrund des Listenersuchens anhand der bekannten Konto- und
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anderen Banknummern einzeln identifiziert werden (vgl.
BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642). Bei einem Gruppenersuchen hingegen stützt sich der ersuchende Staat auf ein identisches Verhaltensmuster einer Gruppe von Personen, ohne dass dabei ein individuelles Merkmal, wie eine Banknummer, bekannt wäre.
III. Zeitlicher Anwendungsbereich von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR
5.1 Die Vorinstanz hielt in ihrem Urteil dafür, dass dem Amtshilfeersuchen der DGFP vom 11. Mai 2016 für Informationen betreffend Zeiträume vor dem 1. Februar 2013 schon alleine deshalb nicht stattgegeben werden könne, weil insoweit die aktuelle, im Zuge der Vereinbarung 2014 geänderte Fassung von Ziff. XI Abs. 3 Zusatzprotokoll DBA CH-FR nicht anwendbar und eine Identifikation der betroffenen Personen mit Namen und Adressen unabdingbar sei. Sie stützte diese Auffassung auf Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014, welcher die Anwendung von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR für alle Ersuchen, die den Namen der betroffenen Person nicht nennen, auf Sachverhalte betreffend Zeitperioden ab dem 1. Februar 2013 beschränke.
5.2 Bevor die Tragweite von Art. 2 Abs. 3 der Vereinbarung 2014 beurteilt wird, ist die Entstehung der anwendbaren Bestimmungen kurz darzustellen.
5.2.1 Das Amtshilfeersuchen der DGFP stützt sich auf Art. 28 DBA CH-FR. Die heute geltende Fassung dieser Bestimmung wurde mit dem Zusatzabkommen vom 27. August 2009 zum DBA CH-FR (AS 2010 5683; nachfolgend: Zusatzabkommen 2009), genehmigt durch Bundesbeschluss vom 18. Juni 2010 (AS 2010 5681), in das DBA CH-FR aufgenommen. Hintergrund dieser Änderung von Art. 28 DBA CH-FR waren die veränderten internationalen Gegebenheiten auf dem Gebiet der Steueramtshilfe, aufgrund derer sich die Schweiz im Jahre 2009 veranlasst sah, dieses und andere Doppelbesteuerungsabkommen dahingehend zu ändern, dass sie inskünftig Amtshilfe nach dem internationalen Standard gemäss Art. 26 des OECD-Musterabkommens (nachfolgend: OECD-MA) leisten konnte (vgl. Zusatzbotschaft vom 27. November 2009 zur Botschaft vom 6. März 2009 über die Genehmigung eines neuen Zusatzabkommens zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich [nachfolgend: Zusatzbotschaft 2009], BBl 2010 1543 f.).
5.2.2 Mit dem Zusatzabkommen 2009 wurde nicht nur Art. 28 DBA CH-FR geändert, sondern auch das integrierenden Bestandteil des DBA CH-FR bildende Zusatzprotokoll vom 9. September 1966 (nachfolgend: Zusatzprotokoll DBA CH-FR) um eine Ziffer XI ergänzt. Diese Bestimmung verpflichtet den ersuchenden Staat unter anderem, zuerst seine innerstaatlichen Untersuchungsmöglichkeiten auszuschöpfen (sog. Subsidiaritätsprinzip), und untersagt den Vertragsstaaten sogenannte "fishing expeditions", d.h. Amtshilfeersuchen, die ohne präzises Ermittlungsobjekt in der Hoffnung gestellt werden, steuerlich relevante Informationen zu erhalten (Ziff. XI Abs. 1 und 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR; vgl. Zusatzbotschaft 2009, BBl 2010 1548). Zudem verlangte das Abkommen, dass die ersuchenden Behörden Namen und Adresse der in eine Prüfung oder Untersuchung einbezogenen Person liefern müssen (Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR).
5.2.3 In der ersten Phase der Überprüfung der Amtshilfepraxen in den verschiedenen Staaten (sog. Peer Review), welche das Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes (nachfolgend: Global Forum) in den Jahren 2010 und 2011 durchführte, zeigte sich, dass die zwingende namentliche Identifikation der betroffenen Person aus internationaler Sicht ein zu grosses Hindernis für die Umsetzung eines funktionierenden Informationsaustauschs darstellte. Diverse der von der Schweiz in den Jahren 2009 und 2010 an den internationalen Standard angepassten Doppelbesteuerungsabkommen - darunter das DBA CH-FR - machten die Gewährung der Amtshilfe indessen gerade von dieser Voraussetzung abhängig (vgl. Botschaft vom 6. April 2011 zur Ergänzung der am 18. Juni 2010 von der Schweizerischen Bundesversammlung genehmigten Doppelbesteuerungsabkommen, BBl 2011 3756 und 3761). Um dieses Hindernis abzubauen und so den Wünschen des Global Forum Rechnung zu tragen, autorisierte die Bundesversammlung die Bundesverwaltung Ende 2011, die betroffenen Doppelbesteuerungsabkommen dahingehend anzupassen, dass die Identifikation der betroffenen Personen auch auf andere Weise als durch den Namen und die Adresse erfolgen konnte (vgl. Bundesbeschluss vom 23. Dezember 2011 über eine Ergänzung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Frankreich, BBl 2011 155). Am 25. Juni 2014 einigten sich die Regierungen der Vertragsstaaten des DBA CH-FR schliesslich im Rahmen der Vereinbarung 2014 auf eine Änderung von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR.
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Danach sollte der ersuchte Staat inskünftig auch Ersuchen stattgeben, welche die betroffenen Personen auf andere Weise als durch den Namen und die Adresse identifizierten.
5.2.4 Das Bundesgericht hat die Wirksamkeit der völkerrechtlichen Verträge, welche der Bundesrat bzw. die Bundesverwaltung gestützt auf die entsprechenden referendumspflichtigen Bundesbeschlüsse abgeschlossen haben, im Zusammenhang mit den Briefwechseln mit den Niederlanden (
BGE 143 II 136 E. 5.3.3 S. 151), Norwegen (
BGE 143 II 628 E. 4.1 S. 636) und Schweden (Urteil 2C_387/2016 vom 5. März 2018 E. 2.2, in: StE 2018 A 32 Nr. 33) geprüft und bejaht. Diese Rechtsprechung gilt gleichermassen für das DBA CH-FR und die Vereinbarung 2014. Die Wirksamkeit der Änderung des Zusatzprotokolls DBA CH-FR durch die Vereinbarung 2014 wird vor Bundesgericht zu Recht nicht bestritten.
5.2.5 Die Vereinbarung 2014 ist am 30. März 2016 durch gegenseitigen Notenaustausch in Kraft getreten. In der durch Art. 1 Abs. 1 Vereinbarung 2014 geänderten Fassung lautet Ziff. XI Zusatzprotokoll DBA CH-FR in den hier relevanten Teilen (Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Bst. a und Abs. 4) seither wie folgt (deutsche Übersetzung des französischen Originaltextes gemäss SR 0.672.934.91):
"XI. Im Falle des Austauschs von Informationen nach Artikel 28 des Abkommens stellt die zuständige Behörde des ersuchenden Staates ein Begehren erst dann, wenn alle in seinem innerstaatlichen Steuerverfahren vorgesehenen üblichen Mittel zur Beschaffung der Information ausgeschöpft sind.
Der Verweis auf «voraussichtlich erhebliche» Informationen soll einen möglichst breiten Informationsaustausch in Steuersachen gewährleisten, ohne dass die Vertragsstaaten «fishing expeditions» durchführen oder Informationen verlangen können, deren Erheblichkeit für die Aufklärung der Steuerangelegenheiten bestimmter Steuerpflichtiger wenig wahrscheinlich ist.
Bei einem Informationsbegehren haben die ersuchenden Behörden den Behörden des ersuchten Staates folgende Informationen zu liefern:
a) die Identität der in eine Prüfung oder Untersuchung einbezogenen Person, wobei diese Information mittels Angabe des Namens der betreffenden Person oder weiterer Informationen, welche ihre Identifikation ermöglichen, geliefert werden kann;
[...]
Es besteht Einvernehmen darüber, dass die oben genannten Buchstaben a)-e) so auszulegen sind, dass sie einen wirksamen Informationsaustausch für die Anwendung von Artikel 28 dieses Abkommens nicht behindern."
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In der Fassung vor dem Inkrafttreten der Vereinbarung 2014 hatte Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR wie folgt gelautet:
"Bei einem Informationsbegehren haben die ersuchenden Behörden den Behörden des ersuchten Staates folgende Informationen zu liefern:
a) Namen und Adresse der in eine Prüfung oder Untersuchung einbezogenen Person und sofern verfügbar weitere Angaben, welche die Identifikation erleichtern (wie Geburtsdatum oder Zivilstand); [...]"
Die Vereinbarung 2014 enthält sodann folgende Übergangsbestimmung (Art. 2 Abs. 2 und 3 Vereinbarung 2014):
"2. Die vorliegende Vereinbarung findet Anwendung auf die Informationsbegehren betreffend Kalender- oder Geschäftsjahre, die ab dem 1. Januar 2010 beginnen.
3. Ungeachtet der Bestimmungen von Absatz 2 findet Artikel 1 Absatz 1 der vorliegenden Vereinbarung Anwendung auf Informationsbegehren über Sachverhalte, welche Zeitperioden ab dem 1. Februar 2013 betreffen."
5.3 Das vorliegende Amtshilfeersuchen betrifft Informationen zu Zeiträumen ab dem 1. Januar 2010. Zwischen den Parteien umstritten und zu prüfen ist, ob bereits für Zeiträume ab dem 1. Januar 2010 oder erst für Zeiträume ab dem 1. Februar 2013 die Identifikation der betroffenen Personen auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse erfolgen kann. Diese Frage ist auf dem Wege der Auslegung der relevanten Bestimmungen (Art. 2 Abs. 2 und 3 Vereinbarung 2014) zu beantworten.
5.3.1 Bei der Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen sind die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze zu beachten, wie sie namentlich das Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111, nachfolgend auch: Wiener Übereinkommen) vorgibt (
BGE 145 II 339 E. 4.4.1;
BGE 144 II 130 E. 8.2 S. 139;
BGE 143 II 136 E. 5.2.1 S. 148,
BGE 143 II 202 E. 6.3.1 S. 207 f.;
BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167;
BGE 139 II 404 E. 7.2.1 S. 422). Jedenfalls soweit vorliegend relevant, stellen die Grundsätze des Wiener Übereinkommens zur Vertragsauslegung kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht dar (Gutachten des Internationalen Gerichtshofs [IGH] vom 9. Juli 2004, Conséquences juridiques de l'édification d'un mur dans le territoire palestinien occupé, C.I.J. Recueil 2004 S. 174 § 94;
BGE 125 II 417 E. 4d S. 424 f.;
BGE 122 II 234 E. 4c S. 238;
BGE 120 Ib 360 E. 2c S. 365). Sie sind deshalb für die Auslegung des DBA CH-FR, des Zusatzprotokolls DBA CH-FR sowie der Vereinbarung 2014 durch hiesige rechtsanwendende Behörden zu beachten,
BGE 146 II 150 S. 166
obschon Frankreich nicht Vertragsstaat des Wiener Übereinkommens ist (
BGE 145 II 339 E. 4.4.1).
5.3.2 Nach
Art. 31 Abs. 1 VRK haben die Vertragsstaaten eine zwischenstaatliche Übereinkunft nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, ihren Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte ihres Zieles und Zweckes auszulegen. Neben dem Zusammenhang (
Art. 31 Abs. 2 VRK) sind gemäss
Art. 31 Abs. 3 VRK in gleicher Weise jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen (Bst. a), jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht (Bst. b), sowie jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz (Bst. c) zu berücksichtigen. Die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses sind nach
Art. 32 VRK ergänzende Auslegungsmittel und können herangezogen werden, um die nach
Art. 31 VRK ermittelte Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach
Art. 31 VRK die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt (Art. 32 Bst. a VRK) oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt (Art. 32 Bst. b VRK; vgl.
BGE 145 II 339 E. 4.4.2;
BGE 144 II 130 E. 8.2 S. 139;
BGE 143 II 136 E. 5.2; je mit Hinweisen).
Art. 31 Abs. 1 VRK bestimmt eine Reihenfolge der Berücksichtigung der verschiedenen Auslegungselemente, ohne dabei eine feste Rangordnung unter ihnen festzulegen. Den Ausgangspunkt der Auslegung völkerrechtlicher Verträge bildet jedoch die gewöhnliche Bedeutung ihrer Bestimmungen (
BGE 144 II 130 E. 8.2.1 S. 139;
BGE 143 II 202 E. 6.3.1 S. 208,
BGE 143 II 136 E. 5.2.2 S. 148). Diese gewöhnliche Bedeutung ist nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs und des Ziels und Zwecks des Vertrags zu bestimmen (
BGE 144 II 130 E. 8.2.1 S. 139;
BGE 143 II 202 E. 6.3.1 S. 208,
BGE 143 II 136 E. 5.2.2 S. 148). Ziel und Zweck des Vertrags ist dabei, was mit dem Vertrag erreicht werden sollte. Zusammen mit der Auslegung nach Treu und Glauben stellt die teleologische Auslegung den "effet utile" des Vertrags sicher (
BGE 144 II 130 E. 8.2.1 S. 139;
BGE 143 II 136 E. 5.2.2 S. 148;
BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167;
BGE 141 III 495 E. 3.5.1 S. 503). Der auszulegenden Bestimmung eines Doppelbesteuerungsabkommens ist unter mehreren möglichen Interpretationen demnach derjenige Sinn beizumessen, welcher ihre effektive Anwendung gewährleistet
BGE 146 II 150 S. 167
und nicht zu einem Ergebnis führt, das dem Ziel und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen widerspricht (
BGE 143 II 136 E. 5.2.2 S. 149;
BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167). Ausserdem sind die Vertragsstaaten nach Treu und Glauben gehalten, jedes Verhalten und jede Auslegung zu unterlassen, mittels welcher sie ihre vertraglichen Pflichten umgehen oder den Vertrag seines Ziels und Zwecks entleeren würden (
BGE 144 II 130 E. 8.2.1 S. 139;
BGE 143 II 202 E. 6.3.1 S. 208;
BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167).
5.4 Bestimmungen über die Amtshilfe, wie etwa solche über den Inhalt des Amtshilfeersuchens, sind verfahrensrechtlicher Natur. Die Doppelbesteuerungsabkommen enthalten die materiellen Anforderungen an dieses Verfahren, während das interne Recht dazu dient, den Vollzug desselben in der Schweiz zu konkretisieren. Die Formulierung des Bundesgerichts, wonach das Steueramtshilfegesetz den Charakter eines Vollzugsgesetzes von verfahrensrechtlicher Natur hat, ist in diesem Sinne zu verstehen (
BGE 143 II 628 E. 4.3 S. 639 mit Hinweisen). Anderslautende Bestimmungen vorbehalten kommen sowohl die Bestimmungen des StAhiG als auch die Amtshilfebestimmungen in den Doppelbesteuerungsabkommen gemäss der bundesgerichtlichen Praxis als Verfahrensregeln unmittelbar ab Inkrafttreten zur Anwendung (vgl.
BGE 123 II 134 E. 5b/bb S. 139;
BGE 112 Ib 576 E. 2 S. 584 mit Hinweisen; Urteile 2A.185/2003 vom 27. Januar 2004 E. 2; 2A.551/2001 vom 12. April 2002 E. 2a; 2A.250/2001 vom 6. Februar 2002 E. 3, in: StE 2002 A 31.4 Nr. 6, StR 57/2002 S. 410). Diese unmittelbare Anwendbarkeit gilt auch für Ersuchen, die nach dem Inkrafttreten der Verfahrensregeln gestellt werden, aber Steuerperioden vor dem Inkrafttreten der Verfahrensregeln betreffen (
BGE 143 II 628 E. 4.3 S. 639 mit Hinweisen; zur Bedeutung von
Art. 28 VRK in diesem Zusammenhang vgl. Urteil 2A.551/2001 vom 12. April 2002 E. 2a; vgl. auch Urteil des EGMR
G.S.B. gegen
Schweiz vom 22. Dezember 2015, § 39 und 78).
Den Staaten ist es allerdings unbenommen, die Amtshilfebestimmungen auf gewisse Steuerperioden einzuschränken. Sie tun dies regelmässig, indem sie in den Doppelbesteuerungsabkommen mittels Angabe eines Datums die Steuerperioden bezeichnen, für welche Amtshilfeersuchen gestellt werden können. So sehen die nach 2009 an Art. 26 OECD-MA angepassten Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz vor, dass nur für Steuerperioden ab einem bestimmten Datum Amtshilfe geleistet wird. Während dieses Datum in den meisten
BGE 146 II 150 S. 168
Doppelbesteuerungsabkommen auf den 1. Januar des auf das Inkrafttreten folgenden Jahres festgelegt wurde (vgl.
BGE 143 II 628 E. 4.3 S. 640), wählten die Vertragsstaaten des DBA CH-FR bei der Anpassung von Art. 28 DBA CH-FR den 1. Januar des auf die Unterzeichnung folgenden Jahres (1. Januar 2010; vgl. Art. 11 Abs. 3 Zusatzabkommen 2009).
Diese Regel wird in Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014 wiederholt. In Bezug auf die Änderung von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR enthält die Vereinbarung 2014 indessen eine spezielle Regel (Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014; vgl. oben E. 5.2.5), die es auszulegen gilt.
5.5 Die ESTV ist der Auffassung, dass die Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs in Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 ausschliesslich Gruppenersuchen gemäss
Art. 3 lit. c StAhiG betreffe. Für alle anderen Arten von Ersuchen bestimme sich der Anwendungsbereich hingegen nach Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014, sodass beim vorliegenden Listenersuchen für Zeiträume ab dem 1. Januar 2010 Amtshilfe geleistet werden könne.
5.5.1 Nach Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014 findet die Vereinbarung 2014 grundsätzlich Anwendung auf die Informationsbegehren betreffend Kalender- oder Geschäftsjahre, die ab dem 1. Januar 2010 beginnen. Nach dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Vereinbarung 2014 kommt die aktuell geltende Fassung von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR hingegen erst für Ersuchen zum Tragen, die sich auf Zeiträume ab dem 1. Februar 2013 beziehen. Der Wortlaut scheint nicht zwischen Gruppenersuchen und anderen Arten von Ersuchen zu unterscheiden. Nichtsdestotrotz ist er angesichts des gewählten Datums (1. Februar 2013) nicht restlos klar. Dieses Datum lässt nämlich erhebliche Zweifel aufkommen, ob wirklich alle Arten von Ersuchen ohne Namensangabe von der Ausnahmebestimmung von Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 erfasst werden sollten.
5.5.2 Die ESTV ist der Auffassung, Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 beziehe sich nur auf Gruppenersuchen, nicht auf andere Ersuchen ohne Namensnennung. Sie begründet dies unter Rückgriff auf Ziel und Zweck der Vereinbarung 2014 (
Art. 31 Abs. 1 VRK) sowie die Umstände des Vertragsschlusses (
Art. 32 VRK). Ihr zufolge sollte der zeitliche Geltungsbereich der Vereinbarung 2014 mit dem Inkrafttreten der Bestimmungen über Gruppenersuchen im StAhiG koordiniert
BGE 146 II 150 S. 169
werden. Anders als das DBA CH-FR, das Zusatzprotokoll DBA CH-FR und die Vereinbarung 2014 unterscheide das StAhiG ausdrücklich zwischen Gruppenersuchen und anderen Ersuchen ohne Namensangabe.
5.5.3 Den Ausführungen der ESTV kann zugestimmt werden. Der im Jahre 2011 veröffentlichte Entwurf des Steueramtshilfegesetzes hatte Gruppenersuchen zwar noch ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 4 Abs. 1 E-StAhiG; BBl 2011 6234). Allerdings war der Bundesrat schon damals davon ausgegangen, dass Gruppenanfragen aufgrund der anstehenden Überarbeitung des Kommentars der OECD zum OECD-MA in Kürze zugelassen werden mussten (vgl. Botschaft vom 6. Juli 2011 zum Erlass eines Steueramtshilfegesetzes, BBl 2011 6204 f.). Nachdem diese Überarbeitung am 17. Juli 2012 von der OECD beschlossen worden war und Gruppenersuchen damit im Kommentar der OECD zu Art. 26 OECD-MA verankert worden waren, entfernte das Parlament den Satzteil von Art. 4 Abs. 1 E-StAhiG, der Gruppenersuchen noch ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Die rege Diskussion, die in beiden Kammern des Parlaments zu dieser Bestimmung und ihrer Anpassung geführt wurde, bestätigt, dass Gruppenersuchen nach dem Willen der Parlamentsmehrheit ab Inkrafttreten des Steueramtshilfegesetzes zulässig sein sollten (vgl. Diskussion im Ständerat, AB 2012 S 296 ff., und Diskussion im Nationalrat, AB 2012 N 1347 ff.; vgl. auch Botschaft vom 16. Oktober 2013 zur Änderung des Steueramtshilfegesetzes, BBl 2013 8370).
Seit der Änderung vom 21. März 2014 unterscheidet das Steueramtshilfegesetz nunmehr auch dem Wortlaut nach zwischen Gruppen- und anderen Ersuchen (vgl. AS 2014 2309). Gemäss dieser Änderung gelten als Gruppenersuchen "Amtshilfeersuchen, mit welchen Informationen über mehrere Personen verlangt werden, die nach einem identischen Verhaltensmuster vorgegangen sind und anhand präziser Angaben identifizierbar sind" (Art. 3 lit. c StAhiG). Ein Teil der Bestimmungen über die Gruppenersuchen wurde der Klarheit halber für ab dem 1. Februar 2013 eingereichte Gruppenersuchen für anwendbar erklärt (vgl. Art. 24a Abs. 1 StAhiG; Botschaft vom 16. Oktober 2013 zur Änderung des Steueramtshilfegesetzes, BBl 2013 8380).
Gruppenersuchen gemäss
Art. 3 lit. c StAhiG sind somit nach internem Recht erst seit dem 1. Februar 2013 zulässig. Hingegen enthielt das interne Recht keine vergleichbare Einschränkung für Einzelersuchen
BGE 146 II 150 S. 170
(inkl. solcher, die in einem Listenersuchen zusammengefasst wurden), welche die betroffenen Personen zwar ohne Angabe des Namens und der Adresse, aber auf andere Weise (z.B. mittels Banknummern) individuell identifizierten (vgl. oben E. 4.3). Solche Ersuchen konnten demnach auch schon vor dem 1. Februar 2013 gestellt werden, sofern das anwendbare Doppelbesteuerungsabkommen nicht die individuelle Identifizierung mittels des Namens und der Adresse vorschrieb (vgl. zu dieser Problematik
BGE 143 II 628 E. 4.2 S. 637 ff.,
BGE 143 II 136 E. 5.3 S. 149 ff.). Das Datum des 1. Februars 2013 ist folglich nur für Gruppenersuchen gemäss
Art. 3 lit. c StAhiG von Bedeutung.
5.5.4 Eine einschränkende Auslegung von Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 trägt im Übrigen auch dem Ausnahmecharakter Rechnung, der dieser Bestimmung im Verhältnis zur Regel von Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014 zukommt. Nach Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014 gelten die Vereinbarung 2014 und die darin enthaltenen Änderungen des DBA CH-FR und des zugehörigen Protokolls für alle Informationsbegehren betreffend Kalender- oder Geschäftsjahre, die ab dem 1. Januar 2010 beginnen. Fände Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 nicht nur für Gruppen-, sondern auch für Listenersuchen Anwendung, verlöre die Regel von Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014 einen grossen Teil ihres Anwendungsbereichs an die Ausnahme von Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014.
Des Weiteren gilt es Ziff. XI Abs. 4 Zusatzprotokoll DBA CH-FR zu beachten, worauf die ESTV zu Recht hinweist. Diese Bestimmung gilt für sämtliche Ersuchen, mit welchen Informationen für Steuerperioden ab dem 1. Januar 2010 verlangt werden. Sie ist Teil des Zusammenhangs der Vereinbarung 2014 und folglich bei der Auslegung dieser völkerrechtlichen Vereinbarung zu berücksichtigen (
Art. 31 Abs. 1 und 2 VRK).
Ziff. XI Abs. 4 Zusatzprotokoll DBA CH-FR hält die Vertragsstaaten an, die formellen Anforderungen an die Amtshilfeersuchen nicht zu überspannen (für den Wortlaut vgl. oben E. 5.2.5). Dieser Bestimmung kann zwar kein direkter Hinweis darauf entnommen werden, dass für Zwecke von Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 zwischen Gruppen- und anderen Ersuchen ohne Namensangabe zu unterscheiden wäre. Immerhin kann daraus aber abgelesen werden, dass Ziel und Zweck der Vereinbarung 2014 darin bestand, die formellen Anforderungen an die Amtshilfe zu lockern. Eine zu extensive Auslegung
BGE 146 II 150 S. 171
von Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 würde diesem Ziel und Zweck zuwiderlaufen, sofern dadurch die Amtshilfe verunmöglicht würde.
5.5.5 Diese Auslegung wird schliesslich auch durch eine Medienmitteilung vom 30. März 2016 des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) gestützt, welches auf der Schweizer Seite für die Verhandlung der Vereinbarung 2014 verantwortlich gezeichnet hatte. Darin informierte das SIF die Öffentlichkeit über den Inhalt der Vereinbarung 2014 und äusserte sich unter anderem wie folgt: "Die Vereinbarung wird der Schweiz zudem erlauben, Gruppenanfragen aus Frankreich stattzugeben. Solche Ersuchen kommen für Sachverhalte in Frage, die ab dem 1. Februar 2013, dem Datum des Inkrafttretens des Bundesgesetzes über die internationale Amtshilfe in Steuersachen, eingetreten sind."
Unilaterale Äusserungen wie Pressemitteilungen einer für die Verhandlungen zuständigen Behörde sind zwar nicht den vorbereitenden Arbeiten im Sinne von Art. 32 VRK zuzurechnen (vgl. OLIVER DÖRR, in: Vienna Convention on the Law of Treaties, A Commentary, Dörr/Schmalenbach [Hrsg.], 2. Aufl. 2018, N. 15 zu Art. 32 VRK; RICHARD GARDINER, Treaty interpretation, 2. Aufl. 2015, S. 119). Dennoch können sie im Rahmen von Art. 32 VRK als ergänzende Auslegungsmittel berücksichtigt werden, wenn sie wie hier Rückschlüsse auf die Umstände des Vertragsschlusses erlauben (vgl. Urteil des IGH vom 12. Dezember 1996, Affaire des plates-formes pétrolières [Iran gegen USA], C.I.J. Recueil 1996 S. 814 § 29; MARK E. VILLIGER, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, 2009, N. 5 zu Art. 32 VRK).
5.6 Die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 Vereinbarung 2014 unter Berücksichtigung des Ziels und Zwecks der Vereinbarung 2014, ihres Zusammenhangs sowie der Umstände des Vertragsschlusses zeigt somit, dass diese Bestimmung die Anwendung von Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR alleine für Gruppenersuchen auf Informationen betreffend die Zeiträume ab dem 1. Februar 2013 beschränkt. Beim vorliegenden Ersuchen handelt es sich nicht um ein Gruppenersuchen gemäss
Art. 3 lit. c StAhiG, sondern um ein Listenersuchen, bei dem die betroffenen Personen aufgrund der bekannten Banknummern einzeln identifiziert werden können (vgl. oben E. 4.5). Somit ist nach Art. 2 Abs. 2 Vereinbarung 2014 und nach Ziff. XI Abs. 3 Bst. a Zusatzprotokoll DBA CH-FR grundsätzlich
BGE 146 II 150 S. 172
für Zeiträume ab dem 1. Januar 2010 Amtshilfe zu leisten, obschon das Ersuchen die betroffenen Personen auf andere Weise als durch Angabe der Namen und Adressen identifiziert. Die gegenteilige Ansicht der Vorinstanz ist mit dem Völkerrecht schwer vereinbar.
IV. Voraussichtliche Erheblichkeit und "fishing expedition"
6. Die Vorinstanz hat die Schlussverfügungen und die Editionsverfügung der ESTV aufgehoben, weil das Amtshilfeersuchen der DGFP den höheren Anforderungen für Listenersuchen nicht genüge. Die ESTV rügt, dass die Vorinstanz das Ersuchen der DGFP zu Unrecht nach den für Gruppenersuchen geltenden Kriterien geprüft habe. Selbst wenn diese Kriterien aber anwendbar seien, wären sie im vorliegenden Fall erfüllt gewesen. Das Ersuchen betreffe also voraussichtlich erhebliche Informationen im Sinne von Art. 28 Abs. 1 DBA CH-FR und stelle keine unzulässige "fishing expedition" im Sinne von Ziff. XI Abs. 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR dar.
6.1 In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die Kriterien zur Abgrenzung der zulässigen Gruppenersuchen von den unzulässigen "fishing expeditions" auch auf Listenersuchen anwendbar sind.
6.1.1 Nach Art. 28 Abs. 1 DBA CH-FR tauschen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten Informationen aus, die zur Durchführung des Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern voraussichtlich erheblich sind. Das Erfordernis der voraussichtlichen Erheblichkeit bezweckt, einen möglichst umfassenden Informationstausch zu gewährleisten, ohne den Vertragsstaaten zu erlauben, Informationen aufs Geratewohl oder Auskünfte zu verlangen, von denen wenig wahrscheinlich ist, dass sie Licht in die Steuerangelegenheiten einer bestimmten steuerpflichtigen Person bringen würden (vgl. Ziff. XI Abs. 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR;
BGE 143 II 185 E. 3.3.1 S. 193;
BGE 142 II 161 E. 2.1.1 S. 165;
BGE 141 II 436 E. 4.4.3 S. 445; Kommentar der OECD, N. 5 zu Art. 26 OECD-MA; vgl. auch DANIEL HOLENSTEIN, in: Internationales Steuerecht, 2015, N. 93 zu Art. 26 OECD-MA; XAVIER OBERSON, in: Modèle de Convention fiscale OCDE concernant le revenu et la fortune, commentaire, Danon und andere [Hrsg.], 2014, N. 35 zu Art. 26 OECD-MA). Die Voraussetzung der voraussichtlichen Erheblichkeit bildet dementsprechend eine nicht sehr hohe Hürde für ein Amtshilfeersuchen (
BGE 143 II 185 E. 3.3.2 S. 195;
BGE 142 II 161 E. 2.1.1 S. 166 mit Hinweisen).
6.1.2 Einem Amtshilfeersuchen fehlt es an der voraussichtlichen Erheblichkeit, wenn es zur Beschaffung von Beweismitteln aufs Geratewohl und ohne konkreten Zusammenhang zu laufenden Steuerverfahren gestellt wird. Solche Amtshilfeersuchen zur Beweisausforschung werden als "fishing expeditions" bezeichnet (vgl. Definition der OECD: "demandes des renseignements dont il est peu probable qu'ils aient un lien avec une enquête ou un contrôle en cours"; Kommentar der OECD, Fassung vom 17. Juli 2012, N. 5 zu Art. 26 OECD-MA; vgl. auch
Art. 7 lit. a StAhiG; NICOLA INGLESE, Das Beweisausforschungsverbot, 2017, S. 293 ff.). Das Bundesgericht hat dieses Verständnis des Begriffs der "fishing expedition" bereits der Auslegung mehrerer Doppelbesteuerungsabkommen zugrunde gelegt (vgl. etwa
BGE 143 II 628 E. 5.2 S. 642 [Norwegen],
BGE 143 II 185 E. 3.3.1 S. 193, 136 E. 6.1 S. 152 ff.;
BGE 141 II 436 E. 4.4.3 S. 445 [Niederlande]; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14 [Deutschland]). Auch nach dem DBA CH-FR brauchen die Vertragsstaaten für "fishing expeditions" keine Hand zu bieten (Ziff. XI Abs. 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR). Das Steueramtshilfegesetz hat das Prinzip von Art. 26 OECD-MA in
Art. 7 lit. a StAhiG übernommen. Danach wird auf ein Amtshilfeersuchen nicht eingetreten, wenn es zum Zweck der Beweisausforschung gestellt worden ist.
6.1.3 Amtshilfeersuchen, welche die betroffenen Personen nicht namentlich identifizieren, sind nach der Rechtsprechung einer genaueren Überprüfung zu unterziehen, um "fishing expeditions" auszuschliessen (vgl.
BGE 139 II 404 E. 7.2.3 S. 426 f.). Zu diesem Zweck hat das Bundesgericht unter Bezugnahme auf den Kommentar der OECD zum OECD-MA drei Kriterien entwickelt. Danach muss die ersuchende Behörde in ihrem Ersuchen
(i) eine detaillierte Beschreibung der Gruppe geben, welche die spezifischen Tatsachen und Umstände beschreibt, die zum Ersuchen geführt haben;
(ii) das anwendbare (Steuer-) Recht erläutern und aufzeigen, weshalb Gründe vorliegen, welche annehmen lassen, die Steuerpflichtigen in der Gruppe hätten ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, d.h. das Steuerrecht verletzt; und
(iii) aufzeigen, dass die eingeforderten Informationen zur Erfüllung der Verpflichtungen der Steuerpflichtigen der Gruppe führen können (vgl.
BGE 143 II 136 E. 6.1.2 S. 157; vgl. auch
BGE 143 II 628 E. 5.2 S. 642; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14).
BGE 146 II 150 S. 174
Das Bundesgericht hat diese Kriterien in erster Linie im Hinblick auf Gruppenersuchen gemäss
Art. 3 lit. c StAhiG entwickelt (vgl.
BGE 143 II 136 E. 6.1 S. 152 ff.). Allerdings hat das Bundesgericht in mehreren Urteilen erwogen, dass dieselben Kriterien aus Gründen der Kohärenz auch Anwendung finden müssen, um Listenersuchen von unzulässigen "fishing expeditions" abzugrenzen (vgl.
BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14).
Die gegenteilige Auffassung der ESTV, wonach Listenersuchen keine höheren Anforderungen entgegengehalten werden dürfen als Einzelersuchen, da sie auf einem stärkeren Identifikationsmerkmal (z.B. Bankkontonummer) als einem blossen Verhaltensmuster beruhen, entspricht somit nicht der aktuellen Rechtsprechung zu dieser Frage.
Die ESTV stellt die bundesgerichtliche Rechtsprechung in diesem Punkt zur Diskussion. Das Bundesgericht hat in den genannten Entscheiden (vgl.
BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642 und Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14) bereits geprüft, ob es angezeigt ist, die an Gruppenersuchen gestellten Anforderungen für ein Listenersuchen anzuwenden, wenn dieses die betroffenen Personen mittels eines klar bestimmten Kriteriums - wie etwa Bankkontonummern - identifiziert. Es hat diese Frage bejaht, um den potenziell erheblichen praktischen Auswirkungen von Listenersuchen Rechnung zu tragen, insbesondere wenn eine grosse Anzahl von Identifikationsmerkmalen (z.B. Bankkontonummern) auf einer solchen Liste einer Vielzahl von betroffenen Personen entspricht. Der vorliegende Fall zeigt dies nunmehr exemplarisch. Diese Praxis wurde im Übrigen auch in der Literatur als kohärent begrüsst (vgl. MATTEOTTI/WINGEIER, Analyse der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur internationalen Amtshilfe in Steuerangelegenheiten aus dem zweiten Halbjahr 2018, ASA 87 S. 780). Es besteht vorliegend keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
6.2 Die für Gruppenersuchen entwickelten Kriterien sind somit für das vorliegende Ersuchen anwendbar. In einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, ob die drei Voraussetzungen erfüllt sind, welche nach der Rechtsprechung erlauben, "fishing expeditions" auszuschliessen (vgl. oben E. 6.1.3), wie dies die ESTV subsidiär geltend macht.
6.2.1 Das vorliegende Ersuchen samt den Ergänzungen, welche die DGFP auf Anfrage der ESTV nachträglich geliefert hat, enthält eine
BGE 146 II 150 S. 175
Liste von Bankkonto- und andern Banknummern und stellt den konkreten Sachverhalt dar, aufgrund dessen die DGFP ihr Ersuchen gestellt hat. Es beschreibt sodann die anwendbaren steuerlichen Vorschriften und zeigt, dass die ersuchten Informationen geeignet sind, die Einhaltung dieser Vorschriften durchzusetzen. Nach vertiefter Auseinandersetzung verlangt alleine die Frage, ob das Ersuchen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme enthält, dass die betroffenen Steuerpflichtigen ihre Verpflichtungen nicht erfüllt haben.
6.2.2 Nach der Rechtsprechung hat die ersuchende Behörde Tatsachen vorzubringen, die auf ein gesetzeswidriges Verhalten der Personen hindeuten, die der Gruppe bzw. der Liste angehören (
BGE 143 II 628 E. 5.2 S. 642; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14; vgl. auch
Art. 3 Abs. 1 lit. g der Verordnung vom 23. November 2016 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen [Steueramtshilfeverordnung, StAhiV; SR 651.11]). Es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Missachtung steuerrechtlicher Verpflichtungen vorliegen. Anfragen zu blossen Veranlagungszwecken ohne Verdachtsmomente werden nicht zugelassen (
BGE 143 II 136 E. 6.1.2 S. 157). Umgekehrt muss der ersuchende Staat das steuerrechtswidrige Verhalten nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beweisen; konkrete Verdachtsmomente genügen (vgl.
BGE 143 II 628 E. 5.2 S. 642; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14). Ob die vorgebrachten Verdachtsmomente ausreichen, ist anhand einer gesamtheitlichen Betrachtung zu beurteilen. Geht es um eine Liste von potenziell steuerpflichtigen Personen, die durch Kontonummern individualisiert sind, müssen sich die Verdachtsmomente nicht auf die einzelnen Individuen beziehen, wohl aber in allgemeiner Weise auf die Personen in dieser Gruppe (
BGE 143 II 628 E. 5.4 S. 644; Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14). Je nach den Umständen kann auch die Art und Weise, wie der ersuchende Staat Kenntnis von der Liste erlangt hat, ein Indiz dafür sein, dass die Kontoinhaber ihre steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht eingehalten haben (Urteil 2C_695/ 2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14).
6.2.3 Der Kommentar der OECD zum OECD-MA enthält diverse Beispiele, die bei der Abgrenzung von voraussichtlich erheblichen Ersuchen und unzulässigen "fishing expeditions" helfen sollen. Vorliegend sind deren zwei einschlägig:
BGE 146 II 150 S. 176
- Ein genügender Verdacht und keine "fishing expedition" liegt vor, wenn der ersuchende Staat im Zuge einer laufenden Untersuchung gestützt auf eine Liste mit Kreditkartennummern um Auskunft über die Inhaber gewisser Kreditkarten ersucht, die von einer Bank im ersuchten Staat ausgegeben wurden und von denen der ersuchende Staat im Lichte seiner Untersuchungserkenntnisse wegen der regelmässigen Verwendung der Karten im ersuchenden Staat annimmt, dass sie Personen gehören, die im ersuchenden Staat steuerlich ansässig sind. Um die voraussichtliche Erheblichkeit der ersuchten Informationen zu belegen, muss der ersuchende Staat den ersuchten Staat nicht nur über die Kreditkartennummern, sondern auch über die vorstehend erwähnten Umstände und Untersuchungserkenntnisse unterrichten (vgl. Kommentar der OECD, N. 8 lit. f zu Art. 26 OECD-MA;
BGE 143 II 628 E. 5.2 S. 643,
BGE 143 II 136 E. 6.1.2 S. 155 f.; je mit Wiedergabe des Kommentars der OECD).
- Kein genügender Verdacht besteht und keine Amtshilfe muss hingegen geleistet werden, wenn der ersuchende Staat vom ersuchten Staat ohne nähere Begründung verlangt, ihm die Namen, Adressen und Kontostände von im ersuchten Staat ansässigen Personen mitzuteilen, die bei einer bestimmten Bank im ersuchten Staat ein Konto haben (vgl. Kommentar der OECD, N. 8.1 lit. a zu Art. 26 OECD-MA).
6.2.4 Das Bundesgericht hat bisher in folgenden Konstellationen hinreichende Verdachtsmomente angenommen:
- Eine Bank hatte Kontoinhabern Schreiben gesandt, mit welchen sie über die anstehende Kündigung der Geschäftsbeziehung orientiert wurden, sollten sie nicht innert Frist das Formular "EU-Zinsbesteuerung - Ermächtigung zur freiwilligen Offenlegung" unterzeichnet zurücksenden oder der Bank ihre Steuerkonformität auf andere Art und Weise belegen. Die holländische Steuerbehörde ersuchte um Auskünfte über jene Kontoinhaber, die in den Niederlanden ansässig waren und keinen genügenden Nachweis über die Steuerkonformität erbracht hatten (
BGE 143 II 136 E. 6.3 S. 158 f.).
- Ein Amtshilfeersuchen der norwegischen Steuerbehörde nannte neun Nummern von Kreditkarten, die Schweizer Finanzinstitute ausgestellt hatten. Laut dem Ersuchen waren diese Kreditkarten für Transaktionen über grosse Beträge und über lange
BGE 146 II 150 S. 177
Zeiträume in derselben Region in Norwegen verwendet worden. Während die norwegische Steuerbehörde die Inhaber ähnlicher Karten dank Transaktionen im Internet bereits selbständig hatte identifizieren können, war dies für die fraglichen neun Karten nicht möglich gewesen, da diese für die Abhebung von Bargeld oder nur mittels PIN verwendet worden waren (
BGE 143 II 628 E. 5.4 S. 644 f.).
- Die deutsche Steuerbehörde stellte ein Amtshilfeersuchen aufgrund einer Liste mit Kontonummern, die im Rahmen einer Strafuntersuchung gefunden worden und in einer verborgenen Datei auf dem Personal Computer einer Mitarbeiterin, nicht aber im Systembackup der Bank verzeichnet gewesen waren. In Kombination mit den weiteren Umständen, wie dem Ermittlungsverfahren bei der Bank mit anschliessender Beschlagnahme der Daten und der hohen Summe auf dem betreffenden Konto, stellte dies einen konkreten Hinweis auf Unregelmässigkeiten dar (Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.3.1, in: StE 2019 A 31.1 Nr. 14).
6.2.5 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz, die das Bundesgericht binden (
Art. 105 Abs. 1 BGG; vgl. nicht publ. E. 3.1), ergeben sich aus dem Ersuchen der DGFP folgende Hinweise:
- Die streitbetroffenen Listen B und C wurden von der Staatsanwaltschaft Bochum im Rahmen einer Steuerstrafuntersuchung bei Hausdurchsuchungen bei einer deutschen Gruppengesellschaft der Beschwerdegegnerin im Mai 2012 und im Juli 2013 gefunden.
- Die Staatsanwaltschaft Bochum fand zudem eine Liste A, welche die Namen von 1'130 Personen auswies. Bei diesen Personen handelte es sich zu 97 % um französische Steuerpflichtige. Gegenüber einem Drittel dieser Personen hatte die DGFP im Zeitpunkt des Ersuchens bereits Untersuchungen angestrengt. Die ersten Resultate hieraus, welche ungefähr die Hälfte der eröffneten Untersuchungen beträfen, bestätigten laut DGFP, dass die betroffenen Steuerpflichtigen ihr Konto entweder nicht deklariert oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt regularisiert gehabt hätten.
- Die Listen B und C standen in einer Verbindung mit der Liste A, wurden diese Listen doch allesamt bei denselben Hausdurchsuchungen im gleichen Zusammenhang gefunden.
BGE 146 II 150 S. 178
- Die Listen B und C enthielten zwar keine Namen, aber einen Domizilcode, der darauf hindeutete, dass die betroffenen Bankkunden in Frankreich ansässig waren.
- Neben der bereits erwähnten Strafuntersuchung in Deutschland wird in Frankreich ein Strafverfahren gegen die Beschwerdegegnerin und mit ihr verbundene Personen geführt. Der Beschwerdegegnerin wird dabei laut DGFP unter anderem der Aufbau eines weitreichenden Steuerfluchtsystems vorgeworfen. Die Listen B und C stammten gemäss DGFP gerade aus dem Zeitraum, der Gegenstand dieser Vorwürfe sei.
6.2.6 Diese Anhaltspunkte begründen zusammen betrachtet einen hinreichenden Verdacht auf steuerrechtswidriges Verhalten der Personen, auf die sich die Nummern auf den Listen B und C beziehen. Davon erfasst sind auch die von den acht Schlussverfügungen betroffenen Personen.
Aufgrund der ersten Untersuchungsergebnisse der DGFP zur Liste A erscheint es statistisch gesehen als sehr wahrscheinlich, dass zumindest eine grosse Mehrheit der Personen auf der Liste A ihre französischen Steuerpflichten verletzt hat. Da keine qualitativen Unterschiede zwischen den Personen hinter den Listen B und C einerseits und den Personen auf der Liste A andererseits erkennbar sind, ist die Steuerunehrlichkeit der Personen auf der Liste A angesichts des Zusammenhangs unter den Listen ein Indiz für die Steuerunehrlichkeit der Personen hinter den Listen B und C. Der Umstand, dass die Listen B und C nicht die Namen der Bankkunden enthalten, legt keinen anderen Schluss nahe.
Wenn wie vorliegend drei Listen zusammen gefunden werden, wovon eine Liste Bankkunden namentlich identifiziert, die im ersuchenden Staat ansässig sind und zu einem hohen Anteil ihre dortigen Steuerpflichten nicht erfüllt haben, besteht kein Anlass zur Annahme, dass es sich bezüglich der anderen beiden Listen, die nur Nummern und einen Domizilcode für Frankreich ausweisen, anders verhalten könnte. Das Fehlen von Namen auf diesen Listen wäre gar eher ein zusätzliches Indiz für ein mögliches steuerliches Fehlverhalten der betroffenen Personen.
Auch der Umstand, dass die Listen B und C bei einer Hausdurchsuchung im Rahmen einer Steuerstrafuntersuchung in Deutschland gefunden wurden, stellt ein Indiz dar, das im vorliegenden Kontext zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 E. 5.3.1).
BGE 146 II 150 S. 179
6.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Amtshilfeersuchen der DGFP hinreichend konkrete Verdachtsmomente für ein steuerrechtswidriges Verhalten der Personen hinter den Listen B und C - und damit der von den acht Schlussverfügungen betroffenen Personen - nennt. Beim Amtshilfeersuchen Frankreichs handelt es sich nicht um eine "fishing expedition" im Sinne von Ziff. XI Abs. 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR. Die ersuchten Informationen erfüllen die Voraussetzung der voraussichtlichen Erheblichkeit nach Art. 28 Abs. 1 DBA CH-FR. Entgegen dem Urteil der Vorinstanz steht es der Schweiz im vorliegenden Fall völkerrechtlich nicht zu, gestützt auf Art. 28 Abs. 1 DBA CH-FR und Ziff. XI Abs. 2 Zusatzprotokoll DBA CH-FR die Amtshilfe zu verweigern.
6.4 Soweit die Beschwerdegegnerin im Weiteren beantragt, die Sache sei zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz zurückzuweisen, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hat berücksichtigt, dass dem Ersuchen nicht nur Konto-, sondern auch andere Arten von Banknummern zugrunde lagen. Die Frage der voraussichtlichen Erheblichkeit bzw. des Vorliegens einer "fishing expedition" ist aufgrund des vorinstanzlich festgestellten Sachverhalts ohne Weiteres spruchreif (vgl.
Art. 107 Abs. 2 BGG).
V. Geheimhaltungspflicht und Spezialitätsprinzip
7. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass dem Amtshilfeersuchen wegen der drohenden Verletzung der Geheimhaltungspflicht und des Spezialitätsprinzips gemäss Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR keine Folge geleistet werden dürfe. Konkret bemängelt sie, dass die DGFP nie unmissverständlich ausgeschlossen habe, dass die ersuchten Informationen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und schliesslich in das gegen die Beschwerdegegnerin geführte Strafverfahren eingebracht würden. Die ESTV ist der Auffassung, dass die DGFP mit ihren Zusicherungen vom 11. Juli 2017 die Zweifel an der Einhaltung des Völkerrechts ausgeräumt habe, Frankreichs guter Glaube zu vermuten sei und Amtshilfe erteilt werden müsse.
7.1 Der völkergewohnheitsrechtlich anerkannte, in
Art. 26 VRK kodifizierte Grundsatz
pacta sunt servanda besagt, dass ein in Kraft stehender völkerrechtlicher Vertrag die Vertragsparteien bindet und von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen ist (
BGE 143 II 136 E. 5.2.1 S. 148;
BGE 142 II 35 E. 3.2 S. 38, je mit Hinweisen). Damit besteht die Vermutung, dass die Vertragsstaaten nach Treu und Glauben
BGE 146 II 150 S. 180
handeln. Im Bereich der Amtshilfe in Steuersachen bedeutet diese Vermutung, dass der ersuchte Staat auf die Angaben des ersuchenden Staats vertraut (Vertrauensprinzip). Das Vertrauensprinzip schliesst indessen nicht aus, dass der ersuchte Staat vom ersuchenden Staat zusätzliche Erklärungen verlangt, wenn ernsthafte Zweifel an der Einhaltung der völkerrechtlichen Grundsätze bestehen. Die Vermutung des guten Glaubens eines Vertragsstaates kann nur aufgrund konkreter, nachgewiesener Anhaltspunkte umgestossen werden (vgl.
BGE 144 II 206 E. 4.4 S. 215 mit zahlreichen Hinweisen).
7.2 Die hier einschlägige Bestimmung Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR lautet wie folgt (deutsche Übersetzung des französischen Originaltextes gemäss SR 0.672.934.91):
"2. Alle Informationen, die ein Vertragsstaat nach Absatz 1 erhalten hat, sind ebenso geheim zu halten wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts dieses Staates beschafften Informationen und dürfen nur den Personen oder Behörden (einschliesslich der Gerichte und der Verwaltungsbehörden) zugänglich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder der Erhebung, mit der Vollstreckung oder der Strafverfolgung oder mit der Entscheidung von Rechtsmitteln hinsichtlich der in Absatz 1 genannten Steuern oder mit der Aufsicht darüber befasst sind. Diese Personen oder Behörden dürfen die Informationen nur für diese Zwecke verwenden. Sie dürfen die Informationen in einem öffentlichen Gerichtsverfahren oder in einer Gerichtsentscheidung offenlegen. Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen kann ein Vertragsstaat die erhaltenen Informationen für andere Zwecke verwenden, wenn solche Informationen nach dem Recht beider Staaten für solche andere Zwecke verwendet werden dürfen und die zuständige Behörde des ersuchten Staates dieser anderen Verwendung zustimmt."
Wie sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, sind die Vertragsstaaten zur Geheimhaltung amtshilfeweise übermittelter Informationen verpflichtet. Sie dürfen diese Informationen keinen anderen als den in dieser Bestimmung genannten Personen und Behörden zugänglich machen. Zudem untersagt es Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR den Vertragsstaaten, amtshilfeweise übermittelte Informationen zu anderen als den in dieser Bestimmung aufgeführten Zwecken zu verwenden (sog. Spezialitätsprinzip; vgl. DANIEL HOLENSTEIN, a.a.O., N. 243 zu Art. 26 OECD-MA; XAVIER OBERSON, a.a.O., N. 93 zu Art. 26 OECD-MA; ANDREA OPEL, Trau, schau, wem - Zum Grundsatz von Treu und Glauben im internationalen Steueramtshilfeverkehr, ASA 86 S. 277 f.; vgl. auch MICHAEL ENGELSCHALK, in: Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und Vermögen,
BGE 146 II 150 S. 181
Lehner [Hrsg.], 6. Aufl. 2015, N. 82 zu Art. 26 OECD-MA ["Zweckbindung"]). Eine Verwendung für einen abkommensfremden Zweck kommt nur in Frage, wenn erstens die Verwendung der Informationen für andere Zwecke nach dem Recht beider Vertragsstaaten zulässig ist und zweitens die zuständige Behörde des ersuchten Staates dieser abkommensfremden Verwendung zustimmt. Geht es um die Verfolgung von Straftaten, setzt Ersteres voraus, dass die abkommensfremde Verwendung im ersuchenden Staat nach dessen Recht möglich ist und die betreffenden Straftaten nach dem Recht des ersuchten Staats (einschliesslich einschlägigen Völkerrechts) rechtshilfefähig sind (vgl. Kommentar der OECD, N. 12.3 zu Art. 26 OECD-MA; ANA DOURADO, in: Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, Reimer und andere [Hrsg.], Bd. II, 4. Aufl. 2015, N. 267 zu Art. 26 OECD-MA; DANIEL HOLENSTEIN, a.a.O., N. 268 ff. zu Art. 26 OECD-MA).
7.3 Erkennt der ersuchte Staat konkrete Anzeichen dafür, dass der ersuchende Staat übermittelte Informationen anderen als den in Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR genannten Personen und Behörden zugänglich machen oder sie für einen abkommensfremden Zweck einsetzen wird, gebietet es der völkerrechtliche Grundsatz von Treu und Glauben (
Art. 26 VRK), dass sich der ersuchte Staat zunächst an den ersuchenden Staat wendet und diesen anhält, die Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zuzusichern (vgl. oben E. 7.1). Macht der ersuchende Staat hinreichende Zusicherungen, ist sein guter Glaube zu vermuten. Der ersuchte Staat muss grundsätzlich auf die Aufrichtigkeit der Zusicherungen vertrauen (Vertrauensprinzip,
Art. 26 VRK; vgl. oben E. 7.1). Falls der ersuchende Staat trotz Aufforderung keine inhaltlich genügenden Zusicherungen macht oder seine Zusicherungen unglaubwürdig sind, mithin also weiterhin konkrete Anhaltspunkte für die drohende Verletzung der Geheimhaltungspflicht oder des Spezialitätsprinzips bestehen, darf der ersuchte Staat die Amtshilfe verweigern (vgl. Kommentar der OECD, N. 11 zu Art. 26 OECD-MA; vgl. auch Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20. August 2008 2 V 1948/08 E. 3.b/bb. [1] und [3], in: Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2008 S. 1764; DONATSCH UND ANDERE, Internationale Rechtshilfe, 2. Aufl. 2015, S. 245; MICHAEL ENGELSCHALK, a.a.O., N. 38 und 112 zu Art. 26 OECD-MA; MICHAEL HENDRICKS, in: Doppelbesteuerung, Franz Wassermeyer [Hrsg.], Loseblatt, Ergänzungslieferung 2013, N. 52 zu Art. 26 OECD-MA; STEFAN OESTERHELT, Amtshilfe im internationalen Steuerrecht der Schweiz, Jusletter 12. Oktober 2009 Rz. 140).
BGE 146 II 150 S. 182
7.4 Die ESTV hegte zunächst Zweifel, dass Frankreich die Geheimhaltungspflicht und das Spezialitätsprinzip einhalten würde. Gemäss dem Schreiben an die DGFP vom 1. September 2016 stützten sich diese Zweifel auf folgende konkrete Anhaltspunkte, welche die Beschwerdegegnerin der ESTV zugetragen hatte:
- Gemäss Informationen der Beschwerdegegnerin sei die DGFP Privatklägerin im Justizverfahren gegen die Beschwerdegegnerin und befinde sich folglich in einem Interessenkonflikt, was die Verwendung amtshilfeweise übermittelter Informationen angehe.
- Aus Gerichtsunterlagen ergebe sich, dass der französische Fiskus bereits zahlreiche Steuerinformationen an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt habe, darunter namentlich 4'000 Dossiers zu Steuerpflichtigen, die ihre Angelegenheiten regularisiert hätten.
- Die CD mit den Listen B und C sei den mit dem Strafverfahren befassten Behörden übermittelt worden.
- Ein Schreiben der DGFP vom 28. August 2014 an den Richter Guillaume Daieff bezeuge die Übermittlung von Informationen zu zwölf Klienten der Beschwerdegegnerin an die Strafverfolgungsbehörden. Es werde darin gar der Anschein erweckt, dass die Justizbehörden die betreffenden Amtshilfeersuchen veranlasst hätten.
- Laut den französischen Anwälten der Beschwerdegegnerin seien die französischen Steuerbehörden nach internem Recht verpflichtet, den Strafverfolgungsbehörden alle erforderlichen Informationen zu übergeben, ungeachtet des DBA CH-FR.
7.5 Zu Recht ging die ESTV in ihrer Analyse davon aus, dass die französischen Strafverfolgungs- und Strafjustizbehörden, die mit dem Strafverfahren gegen die Beschwerdegegnerin und mit ihr verbundene Personen befasst waren, keine Behörden im Sinne von Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR darstellten und sich die Verwendung übermittelter Informationen in einem Verfahren wegen unlauteren Bank- oder Finanzgebarens ("démarchage bancaire ou financier illicite") und Geldwäscherei in einem schweren Fall mit Vortat des Steuerbetrugs ("blanchiment aggravé de fraude fiscale") nicht unter die Zwecke gemäss Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR hätte subsumieren lassen. Denn mit "Strafverfolgung [...] hinsichtlich der in [Art. 28
BGE 146 II 150 S. 183
Abs. 1 DBA CH-FR] genannten Steuern" ("poursuites concernant ces impôts") ist alleine die Ahndung der Verletzung jener Straftatbestände gemeint, welche die öffentlichen Fiskalinteressen schützen und deren Unrechtsgehalt sich in der Widerhandlung gegen die Steuergesetzgebung erschöpft (vgl. OECD, Bekämpfung der Steuerkriminalität: Die zehn zentralen Grundsätze, 2018, S. 14 Ziff. 3 und Beispielkatalog auf S. 15 Ziff. 8). Die Tatbestände Geldwäscherei und unlauteres Bank- oder Finanzgebaren fallen nicht hierunter (zum Rechtsgut hinter dem Tatbestand der Geldwäscherei vgl.
BGE 145 IV 335 E. 4.5.1; vgl. auch Kommentar der OECD, Fassung vom 15. Juli 2005, N. 12.3 zu Art. 26 OECD-MA, wonach die Bekämpfung der Geldwäscherei ein abkommensfremder Zweck ist, für den die OECD empfiehlt, die Verwendung zu genehmigen).
Da die zuständigen Behörden in der Schweiz (ESTV und Bundesamt für Justiz; vgl. Art. 20 Abs. 3 StAhiG) keine abkommensfremde Verwendung genehmigt haben, ist es Frankreich nach Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR untersagt, die ersuchten Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten oder sie im Strafverfahren gegen die Beschwerdegegnerin zu verwenden. Da es auf jeden Fall an der erforderlichen Zustimmung der Schweiz fehlt, braucht nicht geprüft zu werden, ob die abkommensfremde Verwendung überhaupt mit dem Recht beider Vertragsstaaten vereinbar wäre (vgl. oben E. 7.2).
7.6 Angesichts der ihr damals vorliegenden, konkreten Anzeichen für drohende Verletzungen der Geheimhaltungspflicht und des Spezialitätsprinzips ist nicht zu beanstanden, dass die ESTV dem Amtshilfeersuchen der DGFP nicht umgehend entsprach, sondern von der DGFP zuerst Zusicherungen verlangte, dass die übermittelten Informationen nur Personen und Behörden gemäss Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR zugänglich gemacht und nur für die dort aufgeführten Zwecke verwendet würden. Wie sich aus den Akten ergibt, ging die ESTV dabei sogar so weit, dass sie die Amtshilfe nicht nur für den vorliegenden Fall, sondern für alle pendenten Fälle sistierte, um die DGFP zur Abgabe hinreichender Zusicherungen zu bewegen (vgl. Pressemitteilung der ESTV vom 12. Juli 2017).
Solche Zusicherungen erhielt die ESTV schliesslich im Rahmen eines Briefwechsels vom 11. Juli 2017 (Verständigungslösung) und eines weiteren Schreibens der DGFP gleichen Datums. Im Rahmen der Verständigungslösung sicherte die DGFP zu, dass Frankreich die ersuchten Informationen nur im Zusammenhang mit Steuern
BGE 146 II 150 S. 184
verwenden ("dans un contexte fiscal") und dabei die Vorgaben der anwendbaren Abkommen sowie des OECD-MA und des zugehörigen Kommentars einhalten werde ("dans le respect des dispositions conventionnelles applicables et de l'article 26 du Modèle de Convention OCDE ainsi que de son commentaire"). Jede Verwendung in einem anderen Zusammenhang sei der vorgängigen Genehmigung durch die zuständige ersuchte Behörde unterstellt. Ausserdem erklärte die DGFP in ihrem separaten Schreiben, dass aktuell keine Verwendung der übermittelten Informationen gegen die Beschwerdegegnerin geplant sei (für den Wortlaut der Zusicherungen vgl. oben Sachverhalt B.c).
7.7 Soweit sich die Verständigungslösung im Rahmen des DBA CH-FR hält, waren die ESTV und die DGFP als zuständige Behörden im Sinne von Art. 27 Abs. 2 und 3 DBA CH-FR zum Abschluss eines solchen Briefwechsels kompetent (zu den Grenzen von Verständigungsvereinbarungen nach Art. 27 DBA CH-FR vgl.
BVGE 2010/7 E. 3.7.7, 3.7.10 und 3.7.11 S. 102 ff.; JOHN F. AVERY JONES, The relationship between the mutual agreement procedure and internal law, EC Tax Review 8/1999 S. 4 ff.; WALTER BOSS, in: Internationales Steuerrecht, 2015, N. 112 f. zu Art. 25 OECD-MA; MADELEINE SIMONEK, Problemfelder aus dem Verhältnis von Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsvereinbarungen zum innerstaatlichen Recht, ASA 73 S. 118 ff.; vgl. zum Ganzen auch DRÜEN/KOFLER/SIMONEK, Bindungswirkung von generellen Verständigungsverfahren aus deutscher, österreichischer und schweizerischer Sicht, IFF Forum für Steuerrecht 2019 S. 215 ff.). Nach dieser Verständigungslösung bestehen keine Anzeichen dafür, dass Frankreich die nach dem vorliegenden Entscheid zu übermittelnden Informationen an die Behörden (Staatsanwaltschaft und Gerichte) weiterleiten wird, die mit dem Strafverfahren (inkl. allfälliger Rechtsmittelverfahren) wegen unlauteren Bank- oder Finanzgebarens ("démarchage bancaire ou financier illicite") und Geldwäscherei in einem schweren Fall mit Vortat des Steuerbetrugs ("blanchiment aggravé de fraude fiscale") befasst sind, oder sich auf andere Weise nicht nach Treu und Glauben an diesen völkerrechtlichen Vertrag halten wird. Dies gilt umso mehr, als sich die DGFP in einem separaten Schreiben desselben Datums konkret in Bezug auf das gegen die Beschwerdegegnerin gerichtete Strafverfahren verpflichtet hat. Das Bundesgericht nimmt im vorliegenden Verfahren diese Zusicherungen und Verpflichtungen des französischen Staates zur Kenntnis. Die ESTV
BGE 146 II 150 S. 185
wird die französischen Behörden auf ihren Zusicherungen zu behaften haben, soweit sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, dass die ersuchten Informationen zu übermitteln sind.
7.8 Die von der Beschwerdegegnerin erwähnten Umstände und Befürchtungen, wonach Frankreich die Zusicherungen und Verpflichtungen vom 11. Juli 2017 nicht einhalten wird, sind unbegründet.
7.8.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die DGFP am 19. September 2016 von einer Schweizer Filiale der Beschwerdegegnerin verlangt hat, ihr direkt Bankdaten zu bestimmten Steuerpflichtigen zu übermitteln. Mit diesem Vorgehen hat die DGFP die Souveränität der Schweiz missachtet und das Völkerrecht verletzt. Indessen hat die Vorinstanz zu Recht erkannt, dass aus einem völkerrechtswidrigen Versuch einer ausländischen Behörde, Daten in der Schweiz zu erheben, nicht geschlossen werden kann, dass der betreffende Staat amtshilfeweise übermittelte Daten abkommenswidrig verwenden bzw. an Behörden weiterleiten wird, die abkommensfremde Zwecke verfolgen.
7.8.2 Im Übrigen wiederholt die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen die Anhaltspunkte, welche sie bereits gegenüber der ESTV gegen die Amtshilfe vorgebracht hatte und welche gerade Anlass zu den Erkundigungen der ESTV bei der DGFP gegeben hatten. Diese Erkundigungen mündeten schliesslich in den Zusicherungen vom 11. Juli 2017. Die Vorbringen der Beschwerdegegnerin vermögen diese Zusicherungen und damit die Vermutung des guten Glaubens Frankreichs nicht in Zweifel zu ziehen.
Tatsachen und Beweismittel, die sich erst nach dem angefochtenen Urteil ereignet haben bzw. entstanden sind, hat das Bundesgericht nicht zu beachten (
Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. nicht publ. E. 3.1 mit Hinweisen). Immerhin kann aufgrund der Diskussionen an der öffentlichen Beratung darauf hingewiesen werden, dass das Tribunal de Grande Instance de Paris in seinem noch nicht rechtskräftigen Entscheid vom 20. Februar 2019 entgegen der Auffassung der DGFP Beweismittel, die nicht im Einklang mit Art. 26 OECD-MA - und damit Art. 28 DBA CH-FR, der auf Art. 26 OECD-MA basiert - standen, nicht zugelassen hat (S. 66 des genannten Urteils, abrufbar unter
www.dalloz-actualite.fr/document/t-corr-paris-20-fevr-2019-n-11055092033, abgerufen am 10. Oktober 2019).
7.9 Im Lichte der Zusicherungen in der Verständigungslösung vom 11. Juli 2017 und im Schreiben der DGFP vom selben Tage, die das
BGE 146 II 150 S. 186
Bundesgericht zur Kenntnis nimmt, ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte, die darauf schliessen liessen, dass Frankreich beabsichtigte, das Spezialitätsprinzip oder die Geheimhaltungspflicht gemäss Art. 28 Abs. 2 DBA CH-FR zu verletzen. Die Amtshilfe kann folglich nicht aus diesem Grund verweigert werden.