BGE 80 III 20 |
6. Entscheid vom 26. Februar 1954 i. S. Lustenberger. |
Regeste |
Unentbehrliche Hausgeräte und Möbel (Art. 92 Ziff. 1 Sch KG). |
Rechtsverweigerung (Art. 17 Abs. 3 SchKG) begangen durch mangelhaften Pfändungsvollzug? Kann die Pfändung eines Kleider- und Wäscheschrankes gegen die öffentliche Ordnung verstossen? (E. 3). |
Sachverhalt |
A.- Am 19. Juni 1953 pfändete das Betreibungsamt Cham in einer Betreibung der Kredit- und Verwaltungsbank Zug A.-G. gegen Frau Theresia Lustenberger einen Wäscheschrank. Darüber beschwerte sich der Ehemann der Schuldnerin am 8. Januar 1954, weil dieses Möbelstück der vierköpfigen Familie die einzige Möglichkeit zum Versorgen von Wäsche und Kleidern biete. |
B.- Das Betreibungsamt trug auf Gutheissung der Beschwerde an. Der Stellvertreter des Betreibungsbeamten hatte sich zum Pfändungsvollzug nicht in die Wohnung der Schuldnerin begeben, sondern diese in das Bureau des Amtes vorgeladen, sie nach pfändbaren Gegenständen befragt und hierauf (neben zwei andern Sachen) den dreitürigen Wäscheschrank, "Ankauf 1952, Neuwert Fr. 370. -" gepfändet und, ohne ihn zu sehen, auf Fr. 240.-- geschätzt. Die Pfändungsurkunde wurde den Beteiligten am selben Tage zugestellt. Als das Betreibungsamt dann nach Hinfall eines der Schuldnerin gewährten Verwertungsaufschubes die gepfändeten Sachen abholte, widersetzte sich der Ehemann Paul Lustenberger der Wegnahme des der Familie angeblich unentbehrlichen Wäscheschrankes. Er erklärte, vom Umfang der Pfändung bisher nichts gewusst zu haben. Der Stellvertreter des Betreibungsbeamten schaute nachträglich die Wohnungseinrichtung nach und stellte fest, dass tatsächlich "ausser einem unbedeutenden Wandschrank" kein Behältnis für Wäsche und Kleider vorhanden sei. Zur Beschwerde bemerkte er noch, "so wie uns die Verhältnisse in der Familie der Schuldnerin bekannt sind", sei es wohl denkbar, dass der Ehemann "vom Umfang der Pfänder bis zu deren Abholung keine Kenntnis hatte". |
C.- Mit Entscheid vom 25. Januar 1954 trat die kantonale Aufsichtsbehörde auf die Beschwerde nicht ein, weil sie verspätet sei. Die Schuldnerin habe die Pfändungsurkunde am 19. Juni 1953 erhalten, somit sei die Beschwerdefrist von da an gelaufen. Das gelte auch für den Ehemann, der nur als Vertreter der Schuldnerin handeln könne und sich deren Kenntnis anrechnen lassen müsse. Ob er selbst von der Pfändung Näheres gewusst habe, bis die Sachen abgeholt wurden, sei nicht zu prüfen.
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D.- Mit vorliegendem Rekurs hält Paul Lustenberger an der Beschwerde fest.
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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: |
1. Der Ansicht der Vorinstanz wäre beizutreten, wenn der Ehemann der Schuldnerin nur in deren Interesse, als ihr Vertreter, Beschwerde geführt hätte. Nun hat er aber den gepfändeten Wäscheschrank als für sich selbst und die ganze Familie unentbehrlich in Anspruch genommen. Es steht ihm denn auch ein eigener Kompetenzanspruch an den der Familie dienenden Hausgeräten und Möbeln zu, selbst wenn sie im Eigentum der Ehefrau stehen und zu deren Sondergut gehören (wie dies die vorliegende, nur gegen die Ehefrau geführte Betreibung voraussetzt, BGE 64 III 98 ff.). Bereits bei Anwendung der frühern Ziff. 2 von Art. 92 SchKG wurde das Interesse der mit dem Schuldner (oder der Schuldnerin) zusammenlebenden Angehörigen in dieser Weise berücksichtigt (BGE 55 III 8). Daran ist festzuhalten, zumal nun Art. 92 Ziff. 1 SchKG laut der Gesetzesnovelle vom 28. September 1949 diese Gegenstände ausdrücklich in Betracht zieht, soweit sie "dem Schuldner und seiner Familie" unentbehrlich sind. Ja, über den erwähnten Entscheid hinaus (vgl. dessen Erw. 2) hält der Kompetenzanspruch der Angehörigen auch einem schriftlichen Verzicht des betriebenen Schuldners stand. Er verdient als selbständiger Anspruch geschützt zu werden, auf den nur sie selbst verzichten können, nicht der betriebene Schuldner. Nur so wird dem Gedanken des Familienschutzes die ihm gebührende Stellung im System des Art. 92 SchKG zuteil. In den vorliegenden Akten ist übrigens ein schriftlicher Verzicht der Schuldnerin auf Freigabe des Wäscheschrankes nicht zu finden. In der Vernehmlassung des Betreibungsamtes heisst es bloss, sie habe auf Befragen "folgende pfändbaren Gegenstände angegeben". Das Pfändungsprotokoll ist nicht vorgelegt worden. Aber wie dem auch sein mag, wäre nach dem Gesagten ein schriftlicher Verzicht der Schuldnerin nur für sie selbst, nicht auch für den Ehemann (und die dabei durch ihn vertretenen Kinder) verbindlich. |
2. Dem Kompetenzanspruch des Ehemannes entspricht ein ihm selbst zustehendes Beschwerderecht. Für ihn läuft daher die Beschwerdefrist nach Art. 17 SchKG erst von seiner persönlichen Kenntnis an. Nun wurde die Pfändungsurkunde zwar der Schuldnerin, nicht aber auch ihrem Ehemanne zugestellt. Im allgemeinen erfahren freilich die mit dem Schuldner lebenden Angehörigen bald von einer bei ihm vorgenommenen Pfändung, und aus einem Brief des Rekurrenten vom 16. September 1953 an das Betreibungsamt (den er selbst vorgelegt hat) geht hervor, dass er durch die Ehefrau von der Pfändung im allgemeinen ("dass Sie bei mir in meiner Abwesenheit gepfändet haben") erfahren hatte. Ob er aber auch wusste, was gepfändet war, steht dahin und muss erst noch abgeklärt werden, zumal das Betreibungsamt eine ungenügende Orientierung des Ehemannes über den Umfang der Pfändung für "wohl denkbar" hält. Die Sache ist hiezu an die Vorinstanz zurückzuweisen, die alsdann neu über die Rechtzeitigkeit und, bei deren Bejahung, über die Begründetheit der Beschwerde zu entscheiden hat. |
3. Die Frage der Fristwahrung ist nicht etwa deshalb belanglos, weil die Art des Pfändungsvollzuges vom 19. Juni 1953, mittels blosser Befragung der Schuldnerin im Amtsbureau, ohne Feststellung an Ort und Stelle, in grober Weise gegen die Regeln einer ordnungsmässigen Pfändung verstiess. Weder bot dieses Vorgehen Gewähr für eine richtige Schätzung, noch ermöglichte es die Prüfung der bei Anwendung von Art. 92 SchKG massgebenden Verhältnisse. Immerhin ist nicht von Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 17 Abs. 3 SchKG zu sprechen (wie sie bei Ausserachtlassung der Rechtsnatur eines Pfändungsobjektes vorliegen kann, vgl. BGE 73 III 3). Das Betreibungsamt hat die Pfändung zwar in unzulänglicher Weise vorbereitet, dann aber doch in aller Form vollzogen und dabei die gepfändeten Gegenstände eindeutig bezeichnet. Es waren körperliche Sachen, nicht Rechte, deren Inhalt und Tragweite noch näher zu bestimmen gewesen wären. Unter diesem Umständen liesse es sich nicht rechtfertigen, die Pfändung unbefristeter Anfechtung auszusetzen. Nach ständiger Praxis (seit der grundsätzlichen Stellungnahme in BGE 29 I 109 ff. = Sep.-Ausg. 6 S. 43 ff.) ist grundsätzlich keine Rechtsverweigerung anzunehmen, wenn das Amt eine bestimmte Massnahme (Verfügung) getroffen hat, die sich eben mit einer Beschwerde anfechten lässt. Davon gehen auch neuere Entscheidungen aus (vgl. BGE 77 III 85 und 145, BGE 78 III 22). Man hat es hier auch nicht etwa mit einer nichtigen Pfändung zu tun, die um der öffentlichen Ordnung willen jederzeit aufzuheben wäre, weil sie den Schuldner oder seine Angehörigen geradezu in eine unhaltbare Notlage bringen oder seine Menschenwürde verletzen würde (vgl. BGE 71 III 148, BGE 76 III 33). Das Fehlen eines Kleider- und Wäscheschrankes, auch wenn er bei rechtzeitiger Beschwerde als unpfändbar, weil unentbehrlich erschiene, ist nicht derart anstössig, dass die Pfändung bei Versäumung der Beschwerdefrist nicht rechtskräftig zu werden verdiente. |
Auf die Beschwerde des Ehemannes der Schuldnerin wird somit nur einzutreten sein, wenn er die Beschwerdefrist gewahrt hat.
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Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
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