Urteilskopf
84 III 40
13. Entscheid vom 18. April 1958 i.S. Colnaghi und Bäschlin.
Regeste
Abtretung nach Art. 260 SchKG.
Wenn der abgetretene Masseanspruch zwar erst nach der Abtretung, jedoch noch bevor der Abtretungsgläubiger zu dessen Eintreibung irgendwelche (prozessuale oder ausserprozessuale) Vorkehren getroffen hat, vom Drittschuldner anerkannt (z.B.
bezahlt) wird, ist die Abtretung zu widerrufen.
A.- Im Konkurs über die Cintela AG verlangten die Rekurrenten als rechtskräftig kollozierte Gläubiger beim Konkursamt Abtretung eines Guthabens der Masse gegen Carlo Guffanti & Cie, Mailand, im Betrage von Fr. 734.70, auf dessen Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet hatte. Das Konkursamt stellte die Abtretungsurkunde den Rekurrenten am 8. Februar 1958 aus. Am 11. Februar ging dem Konkursamt eine vom 10. Februar datierte Gutschriftsanzeige über den Betrag ein, der von der Mailänder Firma am 7. Februar über den Credito Italiano an den Schweizerischen Bankverein überwiesen worden, hier am 8. Februar eingetroffen und am 11. Februar der Gemeinschuldnerin Cintela AG gutgeschrieben worden war und in der Folge vom Schweizerischen Bankverein an das Konkursamt ausbezahlt wurde.
Mit Schreiben vom 19. Februar 1958 widerrief das Konkursamt gegenüber den Zessionaren die Abtretung unter Hinweis auf den EntscheidBGE 40 III 22ff.
B.- Hiegegen führten die Abtretungsgläubiger Beschwerde mit dem Antrag, der Widerruf sei aufzuheben
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und das Konkursamt anzuweisen, den von der Firma Guffanti eingegangenen Betrag gemäss Art. 260 SchKG zur teilweisen Deckung der Forderungen der Beschwerdeführer zu verwenden. Sie machten geltend, die Zahlung von Guffanti sei erst am 11. Februar 1958, also nach Ausstellung der Abtretungsurkunde vom 8. Februar, erfolgt, d.h. in einem Zeitpunkt, da der einseitige Widerruf der Abtretung nicht mehr möglich gewesen sei; dieser sei daher gesetzwidrig.
C.- Die Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde abgewiesen mit folgender Begründung: Die Abtretung gemäss Art. 260 SchKG charakterisiere sich nach der vom Bundesgericht geteilten Auffassung des Kommentars JAEGER (Art. 260 N. 3, S. 258) als konkursrechtlicher Auftrag an die Abtretungsgläubiger, sich als Vertreter der Konkursmasse zu bemühen, die "abgetretene" Forderung auf dem Prozesswege einzubringen. Dieser Auftrag lasse sich nicht ohne weiteres unter die bezüglichen Vorschriften des OR subsumieren; er kennzeichne sich durch die in BGE 57 III 100dargelegten Besonderheiten, namentlich eine im Vergleich zu Art. 404 OR erschwerte Widerruflichkeit. Die sich in casu stellende Frage, ob und bis wann die gemäss Art. 260 SchKG erfolgte, ein Prozessmandat darstellende Abtretung von der Konkursmasse widerrufen werden konnte, lasse sich nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Mandates beantworten. Wohl sei gemäss dem zitierten Entscheid der freie Widerruf ausgeschlossen. Das besage aber nicht, dass ein Widerruf überhaupt unzulässig sei. Nach dem früheren Entscheid (BGE 40 III 27) sei die Ausstellung einer Abtretung begrifflich nicht mehr möglich, wenn der Anspruch vom Dritten anerkannt werde, bevor gegen ihn überhaupt prozessuale Schitte unternommen wurden, weil es dann eben an einem Streitgegenstand und folglich auch an der notwendigen Vorbedingung für eine Prozessvollmacht mangle. Es liege daher nahe, einen Schritt weiter zu gehen und für
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den Fall, dass die Anerkennung des Anspruchs (z.B. durch Zahlung) erst nach der Abtretung erfolge, jedoch noch bevor die Abtretungsgläubiger zu seiner Eintreibung irgendwelche (prozessuale oder ausserprozessuale) Vorkehren getroffen hätten, durch Widerruf der Abtretung nach aussen zu dokumentieren, dass die durch die Abtretung begründete Prozessvollmacht überflüssig und gegenstandslos geworden sei. Jedenfalls widerspräche es dem Sinn des Art. 260 SchKG, wenn den Abtretungsgläubigern das als Ausgleich für ihre erfolgreichen Bemühungen um die Eintreibung der streitigen Forderung zugedachte "Privileg der Vorwegbefriedigung" selbst dann zustände, wenn die Forderung schon vor dem Stattfinden solcher Bemühungen getilgt sein sollte. Dies treffe hier zu. Selbst wenn das Konkursamt die Abtretung nicht widerrufen hätte, wäre die Berufung der Beschwerdeführer auf dieselbe und das mit ihr verbundene Privileg offenbar rechtsmissbräuchlich und daher nicht zu schützen.
D.- Mit dem vorliegenden Rekurs halten die Beschwerdeführer an ihrem Begehren um Aufrechterhaltung der Abtretung fest. Sie führen aus, als Zahlung könne jedenfalls nicht schon die am 7. Februar erfolgte Anweisung der Mailänder Firma an ihre Bank, sondern erst die am 10. Februar vom Schweizerischen Bankverein der Cintela AG geleistete Gutschrift in Betracht kommen (Art. 467 Abs. 1 und Art. 74 OR ). Nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abtretung von Forderungen wäre der Zedent (die Konkursmasse) trotz der kurzen Frist zwischen Abtretung und Zahlung verpflichtet gewesen, den bei ihm eingegangenen Betrag den Zessionaren zur Verfügung zu stellen, und dürfe sich nicht darauf berufen, er hätte die Abtretung nicht vorgenommen, wenn er gewusst hätte, dass der Debitor cessus so rasch bezahlen werde. Die Abtretung nach Art. 260 SchKG sei kein frei widerrufliches Prozessmandat, sondern begründe einen unwiderruflichen Anspruch des Zessionars auf Vorwegbefriedigung
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aus dem abgetretenen Anspruch. Nachdem die Abtretung einmal erfolgt sei, spiele es für die Widerruflichkeit keine Rolle mehr, ob der Abtretungsgläubiger auf prozessualem Wege gegen den Schuldner vorgehen müsse oder ob er auf anderem Wege Zahlung erhalte. In casu habe der Anwalt des Rekurrenten mit Schreiben vom 10. Februar 1958 die Mailänder Firma zur Zahlung aufgefordert, was sich freilich nachträglich als unnötig erwiesen habe, weil die Zahlung bereits unterwegs war. Das dürfe aber keine Rolle spielen; es wäre sehr wohl denkbar gewesen, dass die Firma sofort nach Empfang der Zahlungsaufforderung bezahlt hätte, und dann wäre nach der Auffassung der Aufsichtsbehörde ein Widerruf nicht in Frage gekommen. Es wäre nun aber willkürlich, zwischen diesem Fall und dem vorliegenden eine Unterscheidung zu machen und die Widerruflichkeit von einem derart zufälligen Moment abhängen zu lassen. Von Rechtsmissbrauch könne nicht die Rede sein.Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Abtretung von Masseansprüchen gemäss Art. 260 SchKG ist ein betreibungs- und prozessrechtliches Institut sui generis, auf das die Regeln der ihm am nächsten verwandten zivilrechtlichen Rechtsgeschäfte, der Abtretung gemäss Art. 164 ff. und des Auftrags gemäss Art. 394 ff. OR, grundsätzlich nur mit Vorbehalt, nämlich soweit sie mit dem exekutionsrechtlichen Sinn und Zweck des Instituts vereinbar sind, angewendet werden können (vgl. J. FLACHSMANN, Die Abtretung der Rechtsansprüche nach Art. 260 SchKG, zürch. Diss. 1927; MARCEL BRIDEL, Contributions à l'étude de l'art. 260 LP, in Journal des tribunaux 1939 II, S. 98 ff., bes. 100). In Ansehung der konkursrechtlichen Funktion der "Abtretung" nach Art. 260, die Einbringung zweifelhafter Masseforderungen durch einzelne Gläubiger
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auf deren eigene Kosten und Gefahr gegen die Belohnung der Überlassung des Prozessgewinns zu ermöglichen, muss den Erwägungen der Vorinstanz beigepflichtet werden.Als das Konkursamt am 8. Februar 1958 den Rechtsanspruch der Masse gegen Guffanti & Cie den Rekurrenten abtrat, war dieser Anspruch, als Objekt rechtlicher Eintreibung, bereits gegenstandslos, da Guffanti schon am Tage vorher, am 7. Februar, den Forderungsbetrag bei seiner Bank zwecks Überweisung einbezahlt hatte. Ob die Tilgung der Schuld im zivilrechtlichen Sinne - gemäss Art. 74 oder 467 Abs. 1 OR - mit dieser Handlung des Drittschuldners schon perfekt war, ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 260 SchKG ohne Belang; wesentlich ist nur, dass die Voraussetzung für eine Abtretung nach Art. 260, die Notwendigkeit, ja die Möglichkeit rechtlicher Schritte zur Geltendmachung des Anspruchs, und damit anderseits auch jede Berechtigung der Überlassung der von selbst eingegangenen Forderungssumme an einen einzelnen Konkursgläubiger als Belohnung, infolge der vom Drittschuldner von sich aus vollzogenen Zahlung dahingefallen war. Das Konkursamt hatte die Abtretung in Unkenntnis dieser Tatsache vorgenommen, also irrtümlich, und musste sie daher widerrufen.
Nur aus dieser Erwägung freilich ist der Widerruf als zulässig zu betrachten. Die allgemein angenommene Befugnis des Betreibungs- bzw. Konkursamtes, innerhalb der für den Betroffenen laufenden Beschwerdefrist seinerseits auf eine Verfügung zurückzukommen (BGE 67 III 163), würde hinsichtlich einer Abtretung gemäss Art. 260 SchKG angesichts der Zweiseitigkeit dieser Verfügung für sich allein zum Widerruf nicht genügen. Hätten die Abtretungsgläubiger seit der Abtretung bereits Schritte zur Eintreibung der noch ausstehenden Forderung unternommen gehabt und diese Schritte, wenn auch an sich erst präliminarer, noch nicht rechtlicher Natur, sich als für den Erfolg kausal erwiesen, so würde der Widerruf der Abtretung
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gegen Treu und Glauben verstossen (vgl. FLACHSMANN, 1.c. S. 92). In casu jedoch erwies sich auch der Aufforderungsbrief des Vertreters der Rekurrenten an die Mailänder Firma vom 10. Februar als ein Stoss ins Leere, nachdem diese schon drei Tage vorher den Betrag überwiesen und die Überweisung am Tage der Abtretung die schweizerische Korrespondenzbank erreicht hatte.Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.