BGE 88 III 23
 
5. Entscheid vom 21. Februar 1962 i.S. Konkursamt Schlieren.
 
Regeste
Verwertung von Liegenschaften im Konkurs.
Kann diese Bewilligung mit der Begründung verlangt werden, dass alle Grundpfandgläubiger der sofortigen Verwertung zustimmen, dass mit einer langen Dauer der Prozesse zu rechnen sei, dass die Grundpfandgläubiger schon lange auf ihr Geld warten und dass es nach der Meinung der Konkursverwaltung vorteilhaft wäre, die betreffende Liegenschaft zusammen mit andern zu verwerten?
 
Sachverhalt


BGE 88 III 23 (24):

Im Konkurs über Emil Siegrist-Michel stellte das als Konkursverwaltung amtende Konkursamt Schlieren in Ausführung eines Beschlusses der zweiten Gläubigerversammlung am 4. Juli 1961 bei der untern Aufsichtsbehörde das Gesuch, es sei ihm auf Grund von Art. 128 Abs. 2 VZG zu bewilligen, die zur Konkursmasse gehörenden Liegenschaften Kat. Nr. 5049, 3333, 4871 und 5094 in Dietikon vor Erledigung der Prozesse über die darauf lastenden Pfandrechte zu verwerten. Dieses Gesuch ist am 19. September 1961 von der untern und am 2. Februar 1962 auch von der kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen worden.
Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht beantragt das Konkursamt, es sei zur sofortigen Verwertung der Liegenschaft Nr. 5049 zu ermächtigen.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. Das Konkursamt hat sein Gesuch auf die Liegenschaft Nr. 5049 eingeschränkt, weil nach seinen Angaben die Kollokationsprozesse mit Bezug auf die Pfandrechte an den übrigen drei Liegenschaften inzwischen rechtskräftig erledigt worden sind, so dass diese Liegenschaften heute ohne Bewilligung der Aufsichtsbehörde verwertet

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werden können. Das Bundesgericht hat also nur darüber zu entscheiden, ob die Verwertung der Liegenschaft Nr.5049 zu bewilligen sei, obwohl noch Prozesse über die Pfandbelastung dieser Liegenschaft hängig sind.
2. Nach Art. 128 Abs. 1 VZG dürfen Grundstücke, an denen Pfandrechte oder andere beschränkte dingliche Rechte geltend gemacht werden, selbst im Falle der Dringlichkeit erst verwertet werden, nachdem das Kollokationsverfahren über diese Rechte durchgeführt ist und allfällige Kollokationsprozesse rechtskräftig erledigt sind. Ausnahmsweise können indes nach Art. 128 Abs. 2 VZG die Aufsichtsbehörden die Versteigerung schon vorher bewilligen, wenn keine berechtigten Interessen verletzt werden. Die Rechtsprechung macht die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift von strengen Voraussetzungen abhängig. Sie lässt ein Abweichen von der Regel des Art. 128 Abs. 1 nur zu, wenn ganz besondere Umstände eine beschleunigte Verwertung fordern. Ist diese Voraussetzung (sog. "Überdringlichkeit" der Verwertung) aber einmal erfüllt, so können anderseits auch nur besonders wichtige Interessen die Verweigerung der in Art. 128 Abs. 2 vorgesehenen Bewilligung rechtfertigen. Der Entscheid darüber, ob die Anwendung von Art. 128 Abs. 2 nach diesen Grundsätzen im einzelnen Falle gerechtfertigt sei oder nicht, liegt weitgehend im Ermessen der kantonalen Aufsichtsbehörden. Das Bundesgericht kann in diesem Punkte nur eingreifen, wenn die kantonalen Behörden die erwähnten Grundsätze verkannt oder bei ihrer Anwendung das ihnen zustehende Ermessen überschritten haben (vgl. zu alledem BGE 72 III 27, BGE 75 III 100, BGE 78 III 80, BGE 80 III 80).
a) Die vom Konkursamt hervorgehobene Tatsache, dass alle Grundpfandgläubiger der vorzeitigen Verwertung zustimmen, stellt keinen ganz besondern Umstand im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 128 Abs. 2 VZG dar.


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Wenn der Wert eines Grundstücks den Gesamtbetrag der anerkannten und bestrittenen Pfandrechte, die darauf lasten, offenkundig übersteigt, ist es durchaus nichts Aussergewöhnliches, dass die Grundpfandgläubiger einen sofortigen Verkauf wünschen. Im übrigen kann es nicht allein auf diese Gläubiger ankommen. Vielmehr ist auch auf die übrigen Gläubiger Rücksicht zu nehmen. Wird die Versteigerung einer Liegenschaft vor der Erledigung aller Prozesse über ihre Pfandbelastung angeordnet, so entsteht ein Zustand der Ungewissheit, der geeignet ist, gewisse Kaufinteressenten von der Teilnahme an der Steigerung abzuhalten, was namentlich den nicht pfandgesicherten Gläubigern zum Nachteil gereichen kann.
b) Die Vorinstanz durfte es auch ablehnen, die Verwertung deswegen als überdringlich zu betrachten, weil mit einer langen Dauer der hängigen Prozesse zu rechnen sei. Trotz der Vorschrift von Art. 250 Abs. 4 SchKG, wonach Kollokationsprozesse im beschleunigten Verfahren zu führen sind, ist es oft unvermeidlich und bedeutet es daher nichts Besonderes, dass die Erledigung eines solchen Prozesses längere Zeit beansprucht. Hievon abgesehen stützt das Konkursamt seine Behauptung, dass im vorliegenden Fall eine baldige Beendigung der Prozesse nicht erwartet werden könne, einzig darauf, dass der Frau des Gemeinschuldners in beiden Prozessen gegen die Schweiz. Bankgesellschaft die unentgeltliche Prozessführung bewilligt und für das Berufungsverfahren ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt wurde. Dies erlaubt keinen Schluss auf den Zeitpunkt der Prozesserledigung. Vielmehr ergibt sich daraus nur, dass die Frau des Gemeinschuldners unbemittelt ist und dass die Prozesse für sie nach der Auffassung des Gerichts nicht aussichtslos sind.
c) Das Argument des Konkursamtes, dass die Grundpfandgläubiger seit mehr als zehn Jahren keine Zinsen mehr erhalten hätten und dass schon seit längerer Zeit alle Grundpfandforderungen zur Zahlung fällig seien, lässt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit der

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Begründung zurückweisen, die erforderliche besondere Dringlichkeit der Verwertung könne sich "nur aus der Beschaffenheit und den Verhältnissen der zu verwertenden Liegenschaft ergeben"; daher könne der Wunsch der Gläubiger, endlich Zahlung zu erhalten, die vorzeitige Verwertung nicht rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts können bei der Beurteilung der Frage der "Überdringlichkeit" auch Tatsachen in Betracht kommen, die sich nicht unmittelbar auf die zu verwertende Liegenschaft beziehen. (So wurde in BGE 72 III 30 u.a. berücksichtigt, dass die Dauer des hängigen Kollokationsprozesses infolge Einstellung des Verfahrens bis zur Erledigung einer angeblich präjudiziellen Strafprozedur schlechterdings unabsehbar war.) Der vom Konkursamt geltend gemachte Umstand, dass die Grundpfandgläubiger schon sehr lange auf ihr Geld warten, ist also unter dem Gesichtspunkt von Art. 128 Abs. 2 VZG nicht von vornherein unbeachtlich. Er könnte aber nur dann zur Anwendung dieser Bestimmung führen, wenn die Gläubiger nichts dafür könnten, dass sie so lange keine Zahlung erhielten. Dies kann nicht angenommen werden. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass die Gläubiger längst mindestens zum Teil befriedigt worden wären, wenn sie vom Eintritt des Verzugs an (d.h. seit 1951) energisch vorgegangen wären.
d) Dass es vorteilhaft wäre, alle vier Liegenschaften miteinander zu versteigern, ist eine blosse Vermutung des Konkursamtes. In Wirklichkeit ist nicht einmal wahrscheinlich, dass die Liegenschaft Nr. 5049 mehr Interessenten fände und dass dafür ein höherer Preis erzielt würde, wenn sie zusammen mit den drei übrigen Liegenschaften des Gemeinschuldners auf die Gant käme.
4. Ist demnach nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Anwendung von Art. 128 Abs. 2 VZG mangels einer sie rechtfertigenden Ausnahmesituation ablehnte, so kann dahingestellt bleiben, ob die vorzeitige Verwertung berechtigte Interessen im Sinne von Art. 128 Abs. 2 VZG verletzen würde. Es mag hiezu lediglich bemerkt

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werden, dass dann, wenn wirklich aussergewöhnliche Umstände die sofortige Verwertung als geboten erscheinen liessen, die Interessen der nicht pfandgesicherten Gläubiger nicht genügen würden, um diese Massnahme zu verhindern.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.