BGE 95 III 21
 
5. Entscheid vom 27. März 1969 i.S. Helfenstein.
 
Regeste
Verwertung eines Grundstücks im Konkurs.
 
Sachverhalt


BGE 95 III 21 (21):

Im Konkurs über Franz Moser in Zürich beauftragte das Konkursamt Fluntern-Zürich das Betreibungsamt Eschenz mit der Schätzung und später mit der Verwertung der dem Gemeinschuldner gehörenden Rheinuferparzelle Kat. Nr. 1763 in Wagenhausen. Das Betreibungsamt schätzte das Grundstück am 15. Oktober 1965 unter Annahme eines Quadratmeterpreises von Fr. 15.- auf Fr. 74 000.--. Dazu bemerkte es im Schätzungsprotokoll: "Die Grundstückfläche entfällt je zur Hälfte in ebenes Gelände und bewaldete Rheinhalde. Nur ca. die Hälfte der Fläche ist zur Überbauung frei". Diese Bemerkung wurde samt der Schätzung in das den Steigerungsbedingungen beigelegte Lastenverzeichnis übernommen. Bei der Steigerung vom 28. August 1967 bot Paul Helfenstein Fr. 71 000.-- und erhielt zu diesem Preise den Zuschlag.
Am 6. September 1967 führte Helfenstein gegen das Betreibungsamt Eschenz Beschwerde mit dem Begehren, der Zuschlag sei wegen Grundlagenirrtums aufzuheben. Er machte geltend, er habe sich bei seinem Angebot auf die wiedergegebene Bemerkung

BGE 95 III 21 (22):

über die Möglichkeit der Überbauung eines Teils des Grundstücks verlassen; nachträglich habe er erfahren, dass aus forstrechtlichen Gründen nicht nur die bewaldete Halde, sondern auch das ebene Gelände nicht überbaubar sei.
Die untere und die obere kantonale Aufsichtsbehörde wiesen die Beschwerde ab, die obere mit Entscheid vom 4. November 1968.
Diesen Entscheid hat Helfenstein an das Bundesgericht weitergezogen.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Der Rekurrent beruft sich denn auch nicht auf eine Gewährspflicht. Er macht nicht geltend, es sei ihm eine besondere Zusicherung gemacht oder er sei absichtlich getäuscht worden, sondern er ficht den Zuschlag nur wegen Grundlagenirrtums an.


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Die Vorinstanz hat freilich nicht ausdrücklich festgestellt, die Überbaubarkeit des Grundstücks habe für den Rekurrenten eine unerlässliche Voraussetzung des Steigerungskaufes bedeutet. Sie erklärt im Gegenteil, es könne nicht ohne weiteres gesagt werden, "dass sowohl das Betreibungsamt wie der Ersteigerer nur die Möglichkeit einer Überbauung als notwendige Vertragsgrundlage vorausgesetzt hätten" (was wohl heissen soll, es stehe nicht von vornherein fest, dass der Steigerungskauf nur deshalb zustandekam, weil die Beteiligten die Überbauung des Grundstücks für möglich hielten); für Parzellen wie die streitige könne "ein Preis von Fr. 14.50/m2 als Liebhaberwert sogar ohne Überbaubarkeit in Frage kommen"; dem Erwerber bleibe die Möglichkeit, das Land als Badeplatz oder für das Aufstellen von Campingwagen zu verwenden (eventuell zu vermieten). Damit hat jedoch die Vorinstanz keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die für das Bundesgericht verbindlich wären, sondern nur Mutmassungen darüber angestellt, welche Beweggründe der Rekurrent für sein Angebot haben konnte. Angesichts des Schätzungspreises von Fr. 15.- pro Quadratmeter, den der Zuschlagspreis nahezu erreichte, muss mangels konkreter Anhaltspunkte für das Gegenteil nach der Lebenserfahrung angenommen werden, dass der Rekurrent die Überbaubarkeit eines Teils des Grundstücks als notwendige Grundlage des Steigerungskaufs betrachtet hat, und ist ihm zuzubilligen, dass er sie nach Treu und Glauben als solche betrachten durfte. Es kann ihm, wie auch für das Betreibungsamt erkennbar war, nicht gleichgültig gewesen sein, ob das Grundstück überbaut werden könne. Sein Angebot von Fr. 71 000.-- lässt sich vernünftigerweise nur mit der Annahme erklären, diese Möglichkeit bestehe. Die von der Vorinstanz zum Vergleich herangezogenen anderen Parzellen konnten, soweit für sie ähnliche Preise bezahlt wurden, tatsächlich überbaut werden.
Die Wegbedingung der Gewährpflicht steht freilich unter Umständen nicht bloss der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen, sondern auch der Annahme eines Grundlagenirrtums mit Bezug auf Eigenschaften der Kaufsache im Wege (vgl. BGE 91 II 279 f.). Im vorliegenden Falle steht jedoch nicht fest, dass die Wegbedingung der Gewährspflicht sich nicht bloss auf die eigentlichen Sach- und Rechtsmängel, sondern auch auf bestimmte andere Eigenschaften der Kaufsache wie z.B. die Überbaubarkeit bezog. Auf jeden Fall wurde

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in den Steigerungsbedingungen nicht ausdrücklich erklärt, für die in der Beschreibung der Liegenschaft erwähnte Möglichkeit der Überbauung werde keine Gewähr übernommen. Dem Rekurrenten kann daher nicht entgegengehalten werden, er habe die Gefahr in Kauf genommen, dass die Liegenschaft sich entgegen der Liegenschaftsbeschreibung als unüberbaubar erweisen könnte. Vielmehr liess es der Steigerungsleiter in diesem Punkte an der nach den Umständen gebotenen Aufklärung des Gantpublikums fehlen (vgl. zu dieser AufklärungspflichtBGE 79 III 118). Bei einer Steigerung müssen klare, saubere Verhältnisse vorliegen und ist jede Möglichkeit der Irreführung der Steigerungsteilnehmer zu vermeiden. Im vorliegenden Falle war dem Steigerungsleiter zuzumuten, über die Frage derÜberbaubarkeit, die für den Entschluss zum Kauf offensichtlich wesentlich sein konnte, genauen Aufschluss zu geben, wenn er verhüten wollte, dass die Steigerungsteilnehmer sich auf die betreffende Angabe in der Liegenschaftsbeschreibung verliessen. Eine solche Aufklärung ist nicht erfolgt. Unter diesen Umständen durfte der Rekurrent die Überbaubarkeit trotz der Wegbedingung der Gewährspflicht als notwendige Grundlage des Steigerungskaufs betrachten (vgl. BGE 91 II 280 Erw. 2 a.E.).
a) Irgendwelche Zusagen dürfen bei der Zwangsversteigerung überhaupt nicht in die Steigerungsbedingungen aufgenommen werden. Die Aufnahme solcher Zusagen ist ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung des Zuschlags im Beschwerdeverfahren führen kann (v. TUHR, Streifzüge im rev. OR, SJZ 1921/22 S. 384; vgl. auch OSER/SCHÖNENBERGER N. 4 zu Art 234 OR).
b) Ein weiterer Verfahrensfehler besteht darin, dass die Schätzung, die am 15. Oktober 1965 erfolgt war und somit fast zwei Jahre zurücklag, vor der Versteigerung nicht wiederholt oder doch überprüft wurde. Dass nach der Lastenbereinigung eine neue Schätzung angeordnet werden muss, ist zwar nur für die Betreibung auf Pfändung ausdrücklich vorgeschrieben (Art. 140 Abs. 3 SchKG, Art. 44 VZG). Im Konkurs und bei der Betreibung auf Pfandverwertung gilt dieser Grundsatz aber entsprechend (BGE 51 III 8,BGE 52 III 157), bei der Betreibung auf Pfandverwertung nach dem zuletzt genannten Entscheide wenigstens dann, wenn die Versteigerung wegen eines Lastenbereinigungsstreits gemäss Art. 41 und 102 VZG verschoben werden musste.


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Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid sowie der dem Rekurrenten bei der Versteigerung des Grundstücks Kat. Nr. 1763 in Wagenhausen durch das Betreibungsamt Eschenz erteilte Zuschlag werden aufgehoben.