98 III 64
Urteilskopf
98 III 64
14. Entscheid vom 25. August 1972 i.S. W.
Regeste
Aufhebung eines Steigerungszuschlages.
Ein nichtiger Steigerungszuschlag ist grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Einhaltung der Beschwerdefrist von Amtes wegen aufzuheben, es sei denn, er könne nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil der Erlös aus der Steigerung bereits verteilt worden ist.
A.- In der Betreibung gegen W. für eine Mietzinsforderung von Fr. 4148.-- erstellte das Betreibungsamt am 5. Juni 1970 eine Retentionsurkunde mit 21 Positionen im Schätzungswerte von total Fr. 1364.--. Das Betreibungsamt vermerkte auf der Urkunde, der Schuldner mache geltend, sämtliche aufgeführten Gegenstände seien Eigentum seiner Ehefrau. Ohne das Widerspruchsverfahren einzuleiten, versteigerte das Betreibungsamt am 9. September und 31. Oktober 1970 die in der Retentionsurkunde aufgeführten Objekte. Der Erlös wurde der betreibenden Gläubigerin ausgehändigt, welche für den ungedeckt gebliebenen Betrag einen Verlustschein erhielt.
B.- Am 2. Mai 1972 erhob Frau W. bei der kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde. Sie machte geltend, das Betreibungsamt habe Art. 106 ff. SchKG verletzt, weil es das Widerspruchsverfahren nicht eingeleitet habe. Sie selber habe erst am 24. April 1972 von der Verwertung der Retentionsgegenstände Kenntnis erhalten.
Die Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde mit Entscheid vom 10. Juli 1972 ab, soweit sie darauf eintrat. Sie führte aus, das Betreibungsamt habe sich zweifellos nicht gesetzeskonform verhalten, indem es das Widerspruchsverfahren aus Versehen nicht durchgeführt habe. Darin liege für Frau W. eine Rechtsverweigerung, welche grundsätzlich jederzeit mit Beschwerde
BGE 98 III 64 S. 65
angefochten werden könne. Das Beschwerderecht könne aber trotzdem verwirkt werden, wenn die Rechtsverweigerung für den Beschwerdeberechtigten im weiteren Verlaufe des Verfahrens offenkundig werde und er dann nicht innert nützlicher Frist Beschwerde einreiche. Da Frau W. nicht glaubhaft dargetan habe, dass sie erst am 24. April 1972 von der Verwertung Kenntnis erhalten habe, müsse angenommen werden, sie habe auf die Einreichung einer Beschwerde und auf die Durchführung des Widerspruchsverfahrens verzichtet. Selbst wenn ihr aber ein Beschwerderecht zustünde, müsste die Beschwerde abgewiesen werden, weil die Verwertung und die Verteilung des Verwertungserlöses nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
C.- Frau W. erhebt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragt, den Entscheid der Aufsichtsbehörde aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, ihr die in der Retentionsurkunde unter Pos. 1 bis 21 aufgeführten Gegenstände zu unbeschwertem Eigentum herauszugeben bzw. zurückzubeschaffen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen:
1. Mit dem Rekursantrag wird verlangt, das Betreibungsamt habe die retinierten und in der Folge verwerteten Gegenstände der Rekurrentin zu unbeschwertem Eigentum herauszugeben bzw. zurückzubeschaffen. Die Rückbeschaffung und Herausgabe dieser Gegenstände ist rechtlich jedoch nicht möglich, ohne dass vorgängig der Steigerungszuschlag beseitigt wird. Der Rekursantrag könnte daher in der vorliegenden Fassung nicht geschützt werden. In Frage käme höchstens die Aufhebung des Steigerungszuschlages bezüglich der verwerteten Gegenstände, was unter gewissen Bedingungen auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist möglich ist (vgl.BGE 73 III 23ff. und BGE 98 III 57 ff.). Es ist deshalb zugunsten der Rekurrentin davon auszugehen, ihr Rekursantrag sei in dem Sinne zu verstehen, dass sie die Aufhebung der Zuschläge der versteigerten Gegenstände verlange.
2. Der kantonalen Aufsichtsbehörde ist beizupflichten, dass das Betreibungsamt die Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren missachtet hat, indem es der Eigentumsansprache Art. 106 und 107 SchKG vorgesehene Folge gab. Die Rekurrentin kam somit nicht in die Lage, im Falle des Festhaltens der Gläubigerin an der Retention Klage auf Aberkennung des Retentionsrechts zu erheben. Die Vorinstanz hat indessen angenommen, die Rekurrentin habe ihr Beschwerderecht verwirkt, weil sie nicht glaubhaft dargetan habe, dass sie erst am 24. April 1972 von der Retention und der Versteigerung Kenntnis erhalten habe. In diesem Zusammenhang hätte die Aufsichtsbehörde immerhin prüfen sollen, ob die Nichtbeachtung der Vorschriften über das Widerspruchsverfahren nicht allenfalls zur Nichtigkeit des weiteren Betreibungsverfahrens und insbesondere der Versteigerung geführt haben könnte. Bei Nichtigkeit wäre der Steigerungszuschlag grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Einhaltung der Beschwerdefrist von Amtes wegen aufzuheben (BGE 97 III 96 Erw. 2). Doch wäre die Aufhebung des Zuschlags auch dann nur möglich, wenn er noch rückgängig gemacht werden könnte (Art. 21 SchKG; BGE 94 III 71 mit Verweisungen, BGE 96 III 105 und BGE 98 III 62).
BGE 98 III 64 S. 66
der Rekurrentin an den retinierten Gegenständen nicht die in Gemäss Art. 107 Abs. 4 SchKG kann ein Dritter, der nicht in die Lage gesetzt wurde, nach Massgabe der Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren vorzugehen, einen Anspruch an der gepfändeten Sache oder an deren Erlös geltend machen, solange dieser nicht verteilt ist. Aus dieser Bestimmung ergibt sich durch Umkehrschluss mit aller Deutlichkeit, dass es jedenfalls nach der Verteilung des Erlöses für einen Dritten ausgeschlossen sein soll, die Aufhebung des Steigerungszuschlags zu verlangen oder auf den Erlös Anspruch zu erheben. Unter diesen Umständen kann die Rekurrentin ihren Anspruch auf die verwerteten Gegenstände bzw. deren Erlös auf keinen Fall durchsetzen; es kann somit offen bleiben, ob sie das Beschwerderecht verwirkt habe oder nicht. Da sie durch ein Versäumnis des Betreibungsamtes nicht in die Lage versetzt wurde, Widerspruchsklage zu erheben, bleibt ihr allenfalls die Möglichkeit, gegen den verantwortlichen Beamten vorzugehen und von diesem den Ersatz des ihr erwachsenen Schadens zu verlangen. Gemäss Art. 5 SchKG und nach feststehender Rechtsprechung (BGE 59 III 186/187) hätte dies aber durch Klage beim zuständigen Gericht und nicht auf dem Beschwerdeweg zu geschehen.