11. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. März 1977 in Sachen Fallscheer und Mitbeteiligte gegen Widmer
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Regeste
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Verrechnung im Konkurs (Art. 213 SchKG)
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2. Für die Anfechtung des die Verrechnung ermöglichenden Rechtsgeschäftes zwischen dem nachmaligen Konkursiten und seinem Gläubiger (einem späteren Konkursgläubiger) sind die Regeln über die paulianische Anfechtung (Art. 285 ff. SchKG) massgebend, nicht diejenigen des Art. 214 SchKG (E. 2).
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Sachverhalt
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BGE 103 III 46 (47):
Die Mode Widmer AG mit Sitz in Zug, die in der Innerschweiz verschiedene Verkaufsgeschäfte für Textilwaren betrieben hatte, fiel am 3. September 1968 in Konkurs. Mit zwei vom 30. Juni 1968 datierten Verträgen hatte sie das gesamte in ihren Geschäftsfilialen Luzern, Zug und Schwyz vorhandene Inventar und Mobiliar zu einem Preis von insgesamt Fr. 300'000.-- einem gewissen Hansueli Strässle in Herrliberg verkauft. Wie sich nachträglich herausstellte, handelte es sich dabei jedoch um ein fingiertes Rechtsgeschäft. In Wirklichkeit waren die Aktiven der erwähnten Filialen zum gleichen Preis an die Ehefrau des einzigen Verwaltungsrates der Mode Widmer AG, Maria Widmer-Mathis, verkauft worden. Diese bezahlte in der Folge an den Kaufpreis einen Teilbetrag von Fr. 140'000.--. Die Restforderung in der Höhe von Fr. 160'000.-- bildete das grösste Konkursaktivum. Die Konkursmasse sah davon ab, diesen Anspruch selbst geltend zu machen; sie ermächtigte hiezu die drei Konkursgläubiger Horst Fallscheer, Fallscheer GmbH Co. und Samotram AG, die innert der von der Konkursverwaltung hiefür angesetzten BGE 103 III 46 (48):
Frist die Abtretung der Forderung gemäss Art. 260 SchKG verlangt hatten.
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Mit Eingabe vom 28. August 1971 reichten die drei Abtretungsgläubiger beim Amtsgericht Luzern-Land gegen Maria Widmer-Mathis Klage ein. Sie verlangten die Bezahlung von Fr. 160'000.-- nebst 5% Zins ab verschiedenen, gestaffelten Stichtagen. Das Verfahren wurde bis zur Erledigung der Klage, die über den gleichen Anspruch auch gegen Strässle angehoben worden war, eingestellt. Mit Urteil vom 7. Mai 1976 hiess das Amtsgericht die Klage gut und verpflichtete die Beklagte, den Klägern Fr. 160'000.-- nebst 5% Zins seit 28. August 1971 zu bezahlen. Das Gericht hatte auf Grund der Akten die Überzeugung gewonnen, dass die Darstellung der Beklagten, sie habe nicht nur Fr. 140'000.-- bezahlt, sondern den ganzen Kaufpreis, nicht richtig sein könne. Ebenso hatte es die Einrede der Verrechnung mit zwei Verlustscheinsforderungen gegenüber der Mode Widmer AG verworfen, mit der Begründung, die Forderungen seien nicht substantiiert worden und die Verlustscheine könnten auch nicht als Schuldanerkennungen betrachtet werden, da die Ansprüche von der Gemeinschuldnerin nicht anerkannt worden seien.
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Die Beklagte appellierte gegen dieses Urteil und erneuerte ihren Antrag auf Abweisung der Klage. Das Obergericht des Kantons Luzern ging in Übereinstimmung mit der ersten Instanz davon aus, dass von der Kaufpreisschuld ein Betrag von Fr. 160'000.-- unbezahlt geblieben sei und dass die Klage deshalb gutgeheissen werden müsse, sofern die Verrechnungseinrede sich als unbegründet erweise. Im Gegensatz zum Amtsgericht gelangte es aber zur Auffassung, die von der Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen von insgesamt Fr. 157'862.10 bedürften keiner weiteren Substantiierung, weil sie im Konkurs der Mode Widmer AG in den Kollokationsplan aufgenommen und von keiner Seite bestritten worden seien. Mangels Anfechtung des Kollokationsplans sei ihre Zulassung rechtskräftig geworden. Die Verrechnungseinrede sei daher zu schützen, was dazu führe, dass die Kaufpreisrestanz bis auf Fr. 2'137.90 als getilgt zu betrachten sei (Differenz zwischen Fr. 160'000.-- und Fr. 157'862.10). In diesem beschränkten Umfang hiess das Obergericht die Klage gut, wies sie im übrigen jedoch ab.
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Die Kläger haben gegen dieses Urteil Berufung an das BGE 103 III 46 (49):
Bundesgericht eingereicht. Sie stellen den Antrag, die Beklagte sei zu verpflichten, ihnen in Gutheissung der Klage Fr. 160'000.-- nebst 5% Zins seit 28. August 1971 zu bezahlen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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a) Es trifft zu, dass Zweck des Kollokationsverfahrens im Konkurs die Feststellung der Passivmasse ist, d.h. die Ermittlung der Forderungen, die Anspruch auf einen Anteil am Konkursergebnis haben, und die Festlegung ihrer Rangordnung untereinander. Der rechtskräftige Kollokationsplan bildet Grundlage der Verteilung. Nach ihm bestimmt sich somit, in welchem Verhältnis sich die Gläubiger den Konkurserlös zu teilen haben. Dementsprechend geht es im Kollokationsprozess nicht um die rechtskräftige Beurteilung einer Forderung als solcher, sondern nur um die Frage, inwieweit ein Gläubiger Anspruch auf den Erlös aus der Liquidation der Aktiven des Gemeinschuldners haben soll (vgl. BGE 98 II 318 E. 4; BGE 65 III 30/31).
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Aus dieser beschränkten Wirkung der Kollokation, die sich aus dem Wesen der Zwangsvollstreckung ergibt, können die Kläger indessen nichts zu ihren Gunsten ableiten. Im Rahmen der durch den Konkurs herbeigeführten Liquidation der Aktiven der Gemeinschuldnerin entfaltet nämlich die unangefochtene Aufnahme der von der Beklagten eingegebenen Forderungen in den Kollokationsplan volle Wirkung. Der vorliegende Prozess geht darüber nicht hinaus. Die Kläger machen mit ihrer Klage gestützt auf Art. 260 SchKG einen Rechtsanspruch BGE 103 III 46 (50):
der Konkursmasse geltend. Es handelt sich dabei um eine besondere Form der Aktivenverwertung, die für den Fall vorgesehen ist, dass die Gesamtheit der Gläubiger auf die Realisierung verzichtet, und der Verbesserung des Konkurserlöses dient. Dass das Ergebnis der Klage in erster Linie den das Risiko der Prozessführung übernehmenden Konkursgläubigern zugute kommt, ändert an deren Vollstreckungscharakter nichts.
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Auch für die Realisierung von Aktiven auf dem in Art. 260 SchKG vorgesehenen Weg ist der Kollokationsplan verbindlich, und er bleibt es auch für den Fall, dass der Anspruch der Masse - wie hier - erst nach dem formellen Abschluss des Konkursverfahrens geltend gemacht wird. Die klagenden Abtretungsgläubiger müssen sich demnach - im Gegensatz zu einem Gemeinschuldner, der die kollozierte Forderung nicht anerkannt hat (vgl. Art. 265 Abs. 1 SchKG) - entgegenhalten lassen, sie hätten die von der Beklagten zur Verrechnung gestellten, in den Kollokationsplan aufgenommenen Forderungen - durch den Verzicht auf Anfechtung des Planes - selber anerkannt. Diese sind nicht nochmals zu substantiieren, denn die Kläger fordern die Zahlung des noch geschuldeten Kaufpreises anstelle der Konkursmasse und die Konkursverwaltung hätte als deren Vertreterin gegen die Verrechnungserklärung nicht einwenden können, sie lasse die (eigene) Kollokationsverfügung nicht gelten. Mehr Einreden, als die Masse hätte erheben können, stehen aber den Klägern nicht zu.
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Unbehelflich ist schliesslich auch das klägerische Vorbringen, die Beklagte habe während des ganzen Konkursverfahrens nie eine Verrechnungsabsicht geäussert. Da sie die von den Klägern geltend gemachte Forderung zu Beginn des Prozesses stets bestritt, kann nämlich nicht gesagt werden, sie habe auf eine allfällige Verrechnung verzichtet.
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b) Die Richtigkeit des vorinstanzlichen Entscheides in diesem Punkt wird durch eine andere Überlegung bekräftigt. In Art. 213 SchKG wird das Recht eines Gläubigers zur Verrechnung im Konkurs ausdrücklich anerkannt, sofern er nicht erst nach der Konkurseröffnung Schuldner des Konkursiten oder der Masse geworden ist. Mit der Zulassung der Verrechnung im Konkurs wird verhindert, dass ein Gläubiger die dem Gemeinschuldner ihm gegenüber zustehende Forderung voll bezahlen muss, für sein eigenes Guthaben je nach dem Ergebnis BGE 103 III 46 (51):
des Konkurses indessen überhaupt nichts oder nur eine geringe Dividende erhält. Hat ein Gläubiger seine Forderung im Konkurs angemeldet und ist sie im Kollokationsverfahren anerkannt worden, muss er die Gewähr haben, sie den Rechtsansprüchen der Konkursmasse ihm gegenüber ohne weiteres entgegenhalten zu können, solange solche Ansprüche im Rahmen des Konkurses überhaupt geltend gemacht werden können.
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Es trifft zu, dass die Kläger bereits in der Klage- und später auch in der Replikschrift geltend gemacht hatten, durch den Verkauf von Geschäftsaktiven der Mode Widmer AG an die Beklagte sei in anfechtbarer Weise eine Benachteiligung der andern Gläubiger beabsichtigt worden. Das angefochtene Urteil setzt sich damit nicht auseinander. Es ist daher zu prüfen, ob die Vorinstanz Anlass gehabt hätte, auf diesen von den Klägern verfochtenen Rechtsstandpunkt näher einzugehen.
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a) Art. 214 SchKG erklärt die Verrechnung einer Forderung im Konkurs als anfechtbar, "wenn ein Schuldner des Gemeinschuldners vor der Konkurseröffnung, aber in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners, eine Forderung an denselben erworben hat, um sich oder einem andern durch die Verrechnung unter Beeinträchtigung der Konkursmasse einen Vorteil zuzuwenden". Diese Sonderbestimmung ist vor allem deshalb notwendig, weil die allgemeinen Regeln über die paulianische Anfechtung (Art. 285 ff. SchKG) voraussetzen, dass der Betreibungs- oder Gemeinschuldner BGE 103 III 46 (52):
selber an den anfechtbaren Rechtshandlungen beteiligt war (dazu BGE 95 III 86). Art. 214 SchKG regelt den Erwerb einer Forderung gegen den am Rechtsgeschäft nicht beteiligten Gemeinschuldner zum Zwecke der Verrechnung (BGE 95 III 88). Nicht darunter fällt dagegen der Fall, da ein Gläubiger des Gemeinschuldners durch ein vor der Konkurseröffnung mit diesem selbst abgeschlossenes Rechtsgeschäft dessen Schuldner wird, um seine Forderung mit der neu eingegangenen Schuldverpflichtung verrechnen und dadurch einen unzulässigen Vorteil erlangen zu können. Ein solcher Sachverhalt ist ausschliesslich auf Grund der Art. 285 ff. SchKG zu beurteilen (Kommentar WEBER/BRÜSTLEIN, 2. Aufl., herausgegeben von A. Reichel, N. 5 zu Art. 214 SchKG).
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b) Gemäss Art. 288 SchKG sind, ohne zeitliche Einschränkung, alle Rechtshandlungen anfechtbar, die der Gemeinschuldner in der dem andern Teil erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen. Darunter kann - wie bereits ausgeführt - auch ein Rechtsgeschäft fallen, das der Schuldner vor der Konkurseröffnung mit einem Gläubiger abgeschlossen hat, um diesem die Verrechnung zu ermöglichen. In BGE 57 III 144 E. 2 wird als Beispiel hiefür der Fall genannt, dass sich ein Gläubiger vom Schuldner Waren verkaufen lässt, um seine Forderung mit dem Kaufpreis verrechnen zu können. Es wird dabei ausgeführt, als anfechtbare Rechtshandlung falle nicht die Verrechnung als solche in Betracht, an welcher der Gemeinschuldner ja nicht direkt beteiligt sei, sondern das sie ermöglichende Rechtsgeschäft; die Verrechnung werde von der Anfechtung nur indirekt betroffen, indem der Gläubiger seiner Zahlungspflicht effektiv nachkommen müsse, statt von der Möglichkeit der Verrechnung Gebrauch machen zu können.
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Nach den von den Klägern schon im erstinstanzlichen Verfahren aufgestellten Behauptungen läge hier ein solcher Sachverhalt vor. Es wird geltend gemacht, der Ehemann der Beklagten, welcher einziger Verwaltungsrat der Gemeinschuldnerin gewesen sei, habe seiner Frau im Bewusstsein des drohenden Zusammenbruchs der Mode Widmer AG die in Frage stehenden Geschäftsaktiven verkauft, um ihr die Verrechnung eines Teils der Kaufpreisschuld mit ihren Gegenforderungen zu ermöglichen und sie dadurch den andern Gläubigern BGE 103 III 46 (53):
gegenüber zu begünstigen; die Beklagte habe in Kenntnis der schlechten finanziellen Lage des von ihrem Ehemann geführten Unternehmens an diesem Rechtsgeschäft mitgewirkt. Sollte sich diese klägerische Sachdarstellung als richtig erweisen - wofür auf Grund der Akten immerhin einige Anhaltspunkte vorliegen - würde es sich in der Tat fragen, ob der Verkauf von Geschäftsaktiven der Konkursitin an die Beklagte nicht gemäss Art. 288 SchKG als anfechtbar zu betrachten wäre. Die Vorinstanz hat es zu Unrecht unterlassen, diese erhebliche Frage näher abzuklären. Die Sache ist deshalb in Anwendung von Art. 64 Abs. 1 OG zur Ergänzung des Sachverhaltes und zu neuer Entscheidung an sie zurückzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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In Gutheissung des mit der Berufung gestellten Eventualantrages wird das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern (I. Kammer) vom 15. September 1976 aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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