105 III 28
Urteilskopf
105 III 28
6. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 21. März 1979 i.S. Bank in B. und O. (Rekurs)
Regeste
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung.
Erstreckung der Pfandhaft auf die Mietzinserträgnisse (Art. 806 ZGB).
1. Rekurslegitimation der Liquidatorin (E. 1).
2. Die Frage, ob sich die Pfandhaft auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung im Sinne von Art. 806 ZGB auf die Mietzinserträgnisse erstrecke, kann nicht im Beschwerdeverfahren entschieden werden (E. 2).
3. Enthält der Kollokationsplan keinen Entscheid darüber, ob sich die Pfandhaft auf die Mietzinserträgnisse erstrecke, so ist er nachträglich zu ergänzen und neu aufzulegen (E. 3).
A.- Das Bezirksgericht Werdenberg gewährte der Handwerkergenossenschaft R. am 2. Dezember 1976 eine Nachlassstundung. Am 9. August 1977 bestätigte es den von der Schuldnerin vorgeschlagenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Im Liquidationsverfahren meldete die Staatskassenverwaltung X. unter anderem eine grundpfandgesicherte Forderung von Fr. 5'500'000.- zuzüglich Zinsen an, lastend auf dem durch ein Mehrfamilienhaus überbauten Grundstück Nr. 2784, Brunnenstrasse 5, Buchs. Die Bank in B. beanspruchte ihrerseits eine grundpfandgesicherte Forderung
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von Fr. 500'000.- nebst Zinsen, lastend auf den unüberbauten Parzellen Nr. 2849 und 2877, Unterer Graben, Buchs. Beide Grundpfandgläubigerinnen wurden entsprechend ihren Eingaben im Lastenverzeichnis kolloziert. Kollokationsplan und Lastenverzeichnis erwuchsen in Rechtskraft.Am 25. Oktober 1978 legte die Liquidatorin die Schlussrechnung und die Verteilungsliste auf. Daraus ergibt sich, dass aus den Mietzinseinnahmen aus der Liegenschaft Brunnenstrasse 5 in Buchs im Gesamtbetrag von Fr. 405'777.15 an die Staatskassenverwaltung Fr. 234'858.85 und an die Bank in B. Fr. 32455.- ausbezahlt wurden, während der nach Bezahlung der Unterhaltskosten verbleibende Rest ins Massevermögen floss.
B.- Gegen die Verteilungsliste führte die Staatskassenverwaltung bei der kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen Beschwerde. Sie machte im wesentlichen geltend, die Mietzinseinnahmen hätten nur an sie ausbezahlt werden dürfen, da sich entsprechend der in Art. 806 ZGB für den Konkurs vorgesehenen Regelung die Pfandhaft auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung auf die Mietzinseinnahmen erstrecke und nur das ihr verpfändete Grundstück Brunnenstrasse 5 einen Ertrag abgeworfen habe.
Mit Entscheid vom 11. Januar 1979 hiess die Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut, hob die Verteilungsliste auf und wies die Liquidatorin an, diese im Sinne der Erwägungen neu zu erstellen und aufzulegen. Sie ging davon aus, Art. 806 ZGB sei auch im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung anwendbar. Dementsprechend sei in der neu zu erstellenden Verteilungsliste der Ertrag aus der Liegenschaft Brunnenstrasse 5 nach Abzug der Aufwendungen für diese Liegenschaft ausschliesslich der Staatskassenverwaltung zuzuweisen.
C.- Gegen diesen Entscheid erhoben sowohl die Liquidatorin als auch die Bank in B. Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, beide mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde der Staatskassenverwaltung und Bestätigung der Verteilungsliste. Die Bank in B. stellt zusätzlich den Eventualantrag, die Liquidatorin sei anzuweisen, die Pfandhaft für die Mietzinseingänge auf die Zeit vom 9. August 1977, dem Zeitpunkt des Bestätigungsentscheids, bis zur Verwertung einzuschränken.
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Die Staatskassenverwaltung beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Rekurse.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. Indem sie sich dagegen wehrt, dass sämtliche Mietzinseinnahmen entsprechend den Anweisungen im angefochtenen Entscheid der Staatskassenverwaltung zukommen, vertritt die Liquidatorin nicht nur die Interessen der Bank in B., sondern auch diejenigen der Masse, da ein Teil dieser Einnahmen nach der von der Vorinstanz aufgehobenen Verteilungsliste ins Massevermögen floss. Insoweit ist sie zum Rekurs legitimiert (vgl. BGE 103 III 10, 77, 82; BGE 102 III 80, 92). Die Bank in B. ist anderseits durch den angefochtenen Entscheid persönlich betroffen, muss sie doch nach der von der Vorinstanz angeordneten Verteilung die von ihr bereits bezogenen Zinsen herausgeben. Auf beide Rekurse ist daher einzutreten.
2. Die Vorinstanz hat die Beschwerde der Staatskassenverwaltung deswegen gutgeheissen, weil sie annahm, Art. 806 ZGB sei auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung anwendbar und die Miet- und Pachtzinsforderungen seien deshalb auch bei dieser Liquidationsart den Grundpfandgläubigern verhaftet. Die Rekurrentinnen vertreten die gegenteilige Ansicht und machen geltend, die analoge Anwendung von Art. 806 ZGB auf den Liquidationsvergleich sei nicht gerechtfertigt. Streitig ist somit der Umfang der Pfandhaft. Dabei handelt es sich indessen um eine materiell-rechtliche Frage, die grundsätzlich nicht von den Aufsichtsbehörden, sondern vom Richter zu entscheiden ist. In diesem Sinne hat das Bundesgericht stets geurteilt, wenn der Streit darum ging, ob sich die Pfandhaft auf die Zugehör erstrecke (BGE 99 III 70 E. 4, BGE 97 III 41 E. 1, BGE 58 III 137 ff., BGE 40 III 320). Bei der Frage, ob die Pfandhaft auch die Mietzinserträgnisse erfasse, verhält es sich gleich (BGE 55 III 42 E. 1, BGE 51 III 232). Die Vorinstanz war deshalb nicht berechtigt, diese Frage selbst zu entscheiden und die Mietzinserträgnisse ohne weiteres der Staatskassenverwaltung zuzuweisen.
3. Im Konkursverfahren hat die Konkursverwaltung über den Umfang der Pfandhaft im Kollokationsplan bzw. im Lastenverzeichnis zu befinden (BGE 99 III 69, BGE 97 III 41 /42, BGE 86 III 74, BGE 58 III 140, BGE 55 III 39 ff.). Bezüglich der Mietzinse schreibt Art. 60 Abs. 3 KOV dementsprechend ausdrücklich
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vor, bei Grundpfandansprachen seien die mitverhafteten Erträgnisse der verpfändeten Liegenschaften im Kollokationsplan genau zu bezeichnen. Enthält der Kollokationsplan keinen unzweideutigen Entscheid über den Umfang eines geltend gemachten Pfandrechts, so kann dies mit Beschwerde gerügt werden, und zwar gegebenenfalls noch im Anschluss an die Auflegung der Verteilungsliste, da ein solcher Kollokationsplan als Grundlage für die Verteilung des Konkursergebnisses schlechthin untauglich ist. Die Konkursverwaltung hat den Kollokationsplan durch eine entsprechende Verfügung zu ergänzen und neu aufzulegen, womit den Beteiligten ermöglicht wird, die Frage des Umfangs der Pfandhaft durch Kollokationsklage dem Richter zu unterbreiten (BGE 99 III 69 /70, BGE 97 III 42 /43, BGE 55 III 42 /43; vgl. auch BGE 85 III 97).Nach Art. 316g SchKG hat der Liquidator auch beim Vollzug eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung einen Kollokationsplan aufzustellen. Dafür sind grundsätzlich die Vorschriften des Konkursrechts massgeblich (vgl. BGE 92 III 30 hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 59 Abs. 2 KOV, BGE 87 III 121 hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 61 KOV, BGE 76 I 292, BGE 52 III 120; LUDWIG, Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, Diss. Bern 1970, S. 84 und 86). Auch beim Liquidationsvergleich kann demzufolge ein Kollokationsplan bzw. ein Lastenverzeichnis mit Beschwerde angefochten werden, wenn der Liquidator darin keinen klaren Entscheid darüber getroffen hat, ob die Erträgnisse einer Liegenschaft den Grundpfandgläubigern verhaftet seien, und es muss gegebenfalls der Kollokationsplan ergänzt und neu aufgelegt werden.
4. Im vorliegenden Fall lässt sich dem Kollokationsplan bzw. dem Lastenverzeichnis über die Liegenschaft Brunnenstrasse 5 nicht entnehmen, ob sich die Pfandhaft auch auf die Mietzinseinnahmen aus dieser Liegenschaft erstrecke oder nicht. Der Kollokationsplan weist somit in dieser Hinsicht einen Mangel auf. Freilich hatte die Staatskassenverwaltung in ihrer Konkurseingabe die Ausdehnung der Pfandhaft auf die Mietzinserträgnisse nicht ausdrücklich verlangt. Das kann ihr jedoch nicht schaden. Sie konnte der Ansicht sein, die Pfandhaft erstrecke sich auch beim Liquidationsvergleich wie beim Konkurs von Gesetzes wegen (Art. 806 ZGB) auf die Mietzinse, ohne dass es einer ausdrücklichen Anmeldung bedurft hätte, so wie die Pfandhaft ohne weiteres alle Gegenstände erfasst, die
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nach der am Orte üblichen Auffassung Bestandteil oder Zugehör sind (Art. 246 SchKG, 11 Abs. 1 VZG; BGE 86 III 74). Ferner durfte sie annehmen, die Liquidatorin anerkenne stillschweigend ihren Anspruch auf die Erträgnisse der Liegenschaft, erhielt sie doch im Laufe des Liquidationsverfahrens beträchtliche Zinszahlungen ausgerichtet, die aus den Mietzinseinnahmen stammten. Es kann ihr daher nicht entgegengehalten werden, sie hätte gegen das Lastenverzeichnis unverzüglich Beschwerde führen müssen.Bei dieser Sachlage ist der Kollokationsplan nach dem Gesagten aufzuheben und die Liquidatorin anzuweisen, ihn durch eine klare Verfügung gemäss Art. 60 Abs. 3 KOV hinsichtlich des Umfangs der Pfandhaft zu ergänzen und neu aufzulegen. Bei ihrem Entscheid wird die Liquidatorin zu prüfen haben, ob Art. 806 ZGB auch beim Liquidationsvergleich anwendbar sei. Sollte sie diese Frage bejahen, wird sie sich auch darüber aussprechen müssen, von welchem Zeitpunkt an sich die Pfandhaft auf die Mietzinseinnahmen erstrecke. Der endgültige Entscheid in diesen Fragen bleibt dem Richter in einem allfälligen Kollokationsprozess vorbehalten. Je nach dem Ausgang des Kollokationsverfahrens wird die neue Verteilungsliste zu erstellen sein. Dabei wird die Liquidatorin Art. 262 SchKG und Art. 85 KOV zu berücksichtigen haben (LUDWIG, a.a.O. S. 117). In diesem Sinne sind die Rekurse gutzuheissen.
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Die Rekurse werden gutgeheissen, der angefochtene Entscheid und die Verteilungsliste werden aufgehoben und die Liquidatorin wird angewiesen, den Kollokationsplan im Sinne der Erwägungen zu ergänzen und neu aufzulegen.
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