106 III 8
Urteilskopf
106 III 8
3. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 30. Mai 1980 i.S. Y. (Rekurs)
Regeste
Betreibung gegen einen Minderjährigen.
Eine Betreibung, die freies Kindesvermögen im Sinne von Art. 323 Abs. 1 ZGB betrifft, ist ausschliesslich gegen den Minderjährigen anzuheben und durchzuführen. Der Inhaber der elterlichen Gewalt ist in einem solchen Fall nicht Kraft seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter, sondern nur mit besonderer Ermächtigung befugt, Beschwerde zu führen (E. 3 und 4).
Am 28. Januar 1980 vollzog das Betreibungsamt W. einen von X. gegen den im Jahre 1961 geborenen Y. für eine Zechschuld von Fr. 792.70 erwirkten Arrestbefehl. Es wurden dabei in der Wohnung in A., die der Schuldner bis anfangs 1980 bewohnt hatte, eine Stereoanlage samt verschiedenem Zubehör, diversen Schallplatten und Tonbändern sowie ein Motorfahrrad mit Beschlag belegt.
Am 28. Januar 1980 wurde der in B. wohnenden U. V., der Inhaberin der elterlichen Gewalt über Y., ein Exemplar der Arresturkunde zugestellt.
U. V. erhob beim Bezirksgerichtspräsidium als unterer Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde mit dem Antrag, der Arrest sei aufzuheben. Mit Entscheid vom 26. Februar 1980 wurde die Beschwerde gutgeheissen.
Der Gläubiger rekurrierte an die obere kantonale Aufsichtsbehörde, die das bezirksgerichtliche Erkenntnis mit Entscheid vom 31. März 1980 aufhob.
Als gesetzliche Vertreterin ihres Sohnes Y. erhebt U. V. gegen den zweitinstanzlichen Entscheid Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit den Rechtsbegehren:
"1. Es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben.
2. Es sei die Beschwerde gegen den Vollzug des Arrestbefehls Nr. 1/1980 des Betreibungsamtes... zu schützen und der Arrest von Amtes wegen aufzuheben und somit der Entscheid vom 26.2.80 des Bezirksgerichts-Präsidenten... als untere Aufsichtsbehörde in SchKG zu bestätigen."
Zur Begründung macht sie im wesentlichen geltend, der Arrest hätte nicht ohne ihre Genehmigung vollzogen werden dürfen.
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 323 Abs. 1 ZGB steht das, was das Kind durch eigene Arbeit erwirbt und was ihm von den Eltern aus seinem Vermögen zur Ausübung eines Berufes oder eines eigenen Gewerbes zur Verfügung gestellt wird, unter seiner Verwaltung und Nutzung (nach dem früheren Recht hing die Verfügungsbefugnis bezüglich des Arbeitserwerbes davon ab, ob das Kind mit den Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebte oder nicht; vgl. den früheren Art. 295 ZGB). Hinsichtlich der Auswirkungen dieser Stellung des Kindes auf das Betreibungsrecht hat das Bundesgericht schon unter der Herrschaft des früheren Rechts angenommen, das Kind sei im Rahmen der erwähnten Verfügungsbefugnis handlungsfähig und es stehe ihm dementsprechend die betreibungsrechtliche Beschwerdefähigkeit zu (vgl. BGE 40 III 152). In BGE 79 III 106 ff. setzte sich das Bundesgericht mit der Tragweite des Art. 47 Abs. 3 SchKG auseinander und stellte fest, das mit Zustimmung der Eltern ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft lebende Kind sei in bezug auf den eigenen Arbeitserwerb betreibungsfähig, was zur Folge habe, dass dem Kind selber die Schuldnerrechte zukämen (vgl. auch BGE 85 III 165 E. 3). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlass.
3. Eine andere Frage ist, ob und inwiefern die Eltern bzw. der Inhaber der elterlichen Gewalt in das Betreibungsverfahren einzubeziehen sind, mit andern Worten welches ihre Stellung in diesem Verfahren ist. In den erwähnten Urteilen ging das Bundesgericht davon aus, dass die freies Kindesvermögen im Sinne
BGE 106 III 8 S. 10
des heutigen Art. 323 ZGB betreffende Betreibung in erster Linie gegen die Eltern als gesetzliche Vertreter des Unmündigen anzuheben und durchzuführen sei, dass die Betreibungsurkunden jedoch auch dem Kind selbst - als "mitbetriebener Person" - zuzustellen seien (vgl. BGE 85 III 165 E. 3; 79 III 108 oben). An dieser Rechtsprechung kann insofern nicht festgehalten werden, als sie dem Gedanken, dem Kind auf einem beschränkten Gebiet die volle Handlungsfähigkeit einzuräumen, zuwenig Rechnung trägt. Dieser Zweck wird lediglich dann erreicht, wenn die Betreibungsurkunden nur dem Unmündigen allein zugestellt werden (vgl. HEGNAUER, N. 51 zu Art. 296 aZGB). Die Frage nach dem Betreibungsort, die sich damit im allgemeinen stellen wird, braucht hier nicht abschliessend erörtert zu werden, da sowohl der Schuldner als auch seine Mutter in der Politischen Gemeinde W. wohnen. Immerhin sei bemerkt, dass bei abweichendem Wohnort wohl die für den Bevormundeten geltende Bestimmung des Art. 47 Abs. 3 SchKG sinngemäss anzuwenden wäre (vgl. BGE 79 III 106 E. 3).Wird aber im Betreibungsverfahren betreffend freies Kindesvermögen im Sinne des Art. 323 ZGB die Verantwortung dem Kind allein überlassen, ist die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern bzw. des Inhabers der elterlichen Gewalt in diesem Umfang ausgeschlossen (vgl. HEGNAUER, N. 53 zu Art. 296 aZGB; zum analogen Fall des entmündigten Volljährigen vgl. KAUFMANN, N. 16, und EGGER, N. 17 zu Art. 412 ZGB).
4. Aus dem Gesagten erhellt, dass U. V. nicht befugt war, als gesetzliche Vertreterin von Y., d.h. ohne dessen Ermächtigung, Beschwerde zu führen. Den zur Verfügung stehenden Akten ist nichts zu entnehmen, was auf eine solche Ermächtigung schliessen liesse. Indessen erübrigt es sich, dieser Frage weiter nachzugehen und U. V. etwa Frist anzusetzen, um eine allfällige Bevollmächtigung durch ihren Sohn darzutun. Der Rekurs erweist sich ohnehin als unbegründet. Entgegen der darin vertretenen Auffassung verstiess die ohne Einwilligung der Inhaberin der elterlichen Gewalt vollzogene Arrestnahme nicht gegen Bundesrecht. Soweit das Vorliegen eines Arrestgrundes bestritten wird, richtet sich der Rekurs in unzulässiger Weise gegen den Arrestbefehl (vgl. Art. 279 Abs. 1 SchKG).
Referenzen
BGE: 85 III 165
Artikel: Art. 323 Abs. 1 ZGB, Art. 47 Abs. 3 SchKG, Art. 323 ZGB, Art. 295 ZGB mehr...