Urteilskopf
112 III 115
28. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 12. Mai 1986 i.S. X. & Co. (Rekurs)
Regeste
Arrestvollzug (Arrestort).
1. Das Betreibungsamt hat den Vollzug eines Arrestes abzulehnen, wenn Vermögenswerte mit Arrest belegt werden sollten, die nicht in seinem Amtskreis liegen; vollzieht es den Arrest dennoch, so ist er nichtig (Erw. 2).
2. Der Arrest an einem verpfändeten, als Wertpapier qualifizierten deutschen Schuldbrief kann nicht am Ort vollzogen werden, wo dessen Besitzerin (hier eine Aktiengesellschaft) lediglich ein Briefkastendomizil hat und keinerlei Geschäftstätigkeit ausübt, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass die Gesellschaft am erwähnten Ort ihren Sitz hat (Erw. 3a).
3. a) Der Arrest an verpfändeten inländischen Patent- und Gebrauchsmusterrechten, deren Inhaber im Ausland wohnt, ist am Sitz des Bundesamtes für geistiges Eigentum, d. h. in Bern, zu vollziehen.
b) Ausländische Immaterialgüterrechte können in der Schweiz nicht mit Arrest belegt werden (Erw. 3b).
Am 14. Februar 1986 und 6. März 1986 erwirkte die X. & Co. zwei Arrestbefehle des Bezirksgerichtspräsidenten von A. gegen den in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Y. Als Arrestgegenstände wurden in beiden Fällen bezeichnet:
"Grundschuldbrief...
eingetragene Patentrechte gemäss beiliegender Fotokopie (5.10.84), welche integrierender Bestandteil dieses Arrestbefehls bildet."
Auf den Arrestbefehlen wurde ausserdem vermerkt, dass sich die Arrestgegenstände im Besitz der Z. AG in A. befänden.
Das Betreibungsamt A. vollzog die Arrestbefehle am 25. Februar bzw. am 11. März 1986. Die beiden Arresturkunden wurden Y. mit eingeschriebener Post zugestellt.
Mit Eingaben vom 17. bzw. 27. März 1986 an die kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen erhob Y. sowohl gegen die Arrestbefehle als auch gegen deren Vollzug Beschwerde. Er bestritt einerseits die örtliche Zuständigkeit der Instanzen von A. und machte andererseits geltend, die Zustellung der Arresturkunden sei nichtig, weil sie nicht auf dem Rechtshilfeweg durchgeführt worden sei.
In zwei getrennten Entscheiden vom 10. April 1986 hiess die kantonale Aufsichtsbehörde die beiden Beschwerden gut; sie stellte fest, dass die beiden Arrestbefehle nichtig seien, und hob den jeweiligen Vollzug der Arreste auf.
Gegen diese beiden Entscheide hat die X. & Co. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts rekurriert.
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss
Art. 275 SchKG wird der Arrest nach den in den Artikeln 91-109 für die Pfändung geltenden Vorschriften vollzogen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass einzig das Betreibungsamt des Ortes, wo die Arrestgegenstände liegen, befugt ist, diese mit Beschlag zu belegen (vgl.
Art. 89 SchKG). Es steht dem Betreibungsamt zwar nicht zu, die Grundlagen eines Arrestbefehls nachzuprüfen. Indessen bedeutet dies nicht, dass es jeden ihm von der Arrestbehörde erteilten Arrestbefehl ohne weiteres zu vollziehen hätte. Das Betreibungsamt hat den Vollzug vielmehr abzulehnen, wenn dadurch gegen Vorschriften des Pfändungsrechts verstossen würde. Letzteres trifft unter anderem dann zu, wenn Vermögenswerte mit Arrest belegt werden sollten, die nicht im Amtskreis des mit dem Vollzug beauftragten Betreibungsamtes liegen (vgl.
BGE 109 III 126;
BGE 80 III 126 E. 3 mit Hinweisen). Wird dem Arrestbefehl in einem solchen Fall dennoch stattgegeben, kann der Arrestvollzug jederzeit von Amtes wegen aufgehoben werden (vgl.
BGE 90 II 162 E. a mit Hinweisen;
BGE 55 III 165 f.). Was die Rekurrentin vorbringt, ist nicht geeignet, diese Rechtsprechung in Frage zu stellen.
3. Die Arrestbefehle bezogen sich hier auf einen Grundschuldbrief ... sowie auf verschiedene in- und ausländische Patent- und Gebrauchsmusterrechte, die der Rekursgegner mit
BGE 112 III 115 S. 118
Verpfändungserklärung vom 5. Oktober 1984 zur Sicherung eines ihm gewährten Darlehens an die Z. AG in A. abgetreten hatte.
a) Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörde übt die Z. AG in A., wo sie lediglich ein Briefkastendomizil habe, keinerlei Geschäftstätigkeit aus. Bei dieser Sachlage steht fest, dass sich der - von der Vorinstanz unwidersprochen als Wertpapier qualifizierte - deutsche Schuldbrief nicht dort befindet, was von der Rekurrentin im übrigen ebenfalls nicht bestritten wird. Die vom Betreibungsamt A. vollzogenen Arreste erfassten demnach einen nicht in seinem Amtsbezirk gelegenen Vermögenswert. Wie die Vorinstanz unter Hinweis auf
BGE 90 II 162 E. a zutreffend ausgeführt hat, vermag der Umstand, dass sich der Sitz der Z. AG, die den Besitz der zu arrestierenden Vermögenswerte innehat, im Arrestkreis befindet, keine Arrestzuständigkeit zu begründen. Der gegenteiligen Auffassung der Rekurrentin kann nicht beigepflichtet werden. Deren Einwand, der Gläubiger könne beispielsweise bei einer Bank mit verschiedenen Filialen oft gar nicht wissen, wo genau sich die zu arrestierenden Vermögenswerte befänden, ist unbehelflich. Der vorliegende Sachverhalt lässt sich nicht etwa mit demjenigen vergleichen, der in
BGE 107 III 147 ff. zu beurteilen war. In jenem Fall war es darum gegangen, ob die gewöhnliche - d.h. nicht in einem Wertpapier verkörperte - Forderung, die dem im Ausland wohnenden Arrestschuldner gegenüber einer Bank zusteht, an deren Hauptsitz oder bei einer der Zweigniederlassungen zu arrestieren sei. Abgesehen davon, war entschieden worden, dass der Arrest dort zu vollziehen sei, wo der Geschäftsverkehr sich abgewickelt habe, auf dem der Anspruch beruhe. Es ist mit andern Worten nicht so, dass ohne weiteres am Hauptsitz der Bank ein Arrest gelegt werden könnte auf Guthaben, die dem Arrestschuldner unzweifelhaft aus Verbindungen mit einer ihrer Zweigniederlassungen zustehen.
b) Bei der Arrestierung eines Patentrechtes wird nicht etwa die Patenturkunde, die eine blosse Beweisurkunde darstellt, mit Beschlag belegt, sondern das Recht als solches (vgl.
BGE 41 III 133 E. 3; BLUM/PEDRAZZINI, Anmerkung 11 zu
Art. 33 PatG, Seiten 304 und 305). Arrestobjekt ist hier mithin ein unkörperliches Recht, wie es bei einer gewöhnlichen Forderung der Fall ist. Von einem "Ort, wo sich der Arrestgegenstand befindet" (vgl.
Art. 272 SchKG), kann bei einem Vermögenswert der erwähnten Art naturgemäss nur im Sinne einer Fiktion gesprochen
BGE 112 III 115 S. 119
werden (vgl.
BGE 107 III 149 f. E. 4a mit Hinweis). Bei der Arrestierung einer Forderung ist derjenige Ort massgebend, an dem sich der ihr zugrunde liegende Geschäftsverkehr abgewickelt hat (vgl.
BGE 107 III 149 f.). Dieses Anknüpfungskriterium taugt indessen nur für zweiseitige Rechtsverhältnisse und lässt sich demnach nicht auf das Patentrecht übertragen, bei dem es sich um ein absolutes, jedermann gegenüber wirkendes Recht handelt, das nicht auf die Erbringung von Leistungen gerichtet ist (vgl.
BGE 60 III 117; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. Auflage, I. Band, Seite 69).
Schon in einem Entscheid aus dem Jahre 1912 (BGE 38 I 704 f. E. 2) hat das Bundesgericht entschieden, dass der Arrest an einem in der Schweiz angemeldeten Patent, dessen Inhaber im Ausland wohnt, am Sitz des Eidgenössischen Patentamtes (heute Bundesamt für geistiges Eigentum), d.h. in Bern, zu vollziehen sei (so auch BGE 64 II 91 und BGE 62 III 59 f.). In der Tat ist allein das erwähnte Amt in der Lage, die im Zusammenhang mit dem Arrest erforderlichen Verfügungsbeschränkungen durch entsprechende Einträge im Patentregister wirksam anzuordnen (vgl. LANDERER, Fragen des Schutzes des guten Glaubens im Schweizerischen Patentrecht, Diss. Zürich 1955, Seite 64). Das Gesagte gilt sinngemäss auch für hinterlegte Gebrauchsmuster (vgl. TROLLER, a.a.O., Seiten 69 und 518 f.). Soweit sich die hier in Frage stehenden Arrestbefehle auf ausländische Patent- und Gebrauchsmusterrechte bezogen hatten, war eine Arrestierung im übrigen von vornherein ausgeschlossen (vgl. BGE 41 III 134; BLUM/PEDRAZZINI, Anmerkung 11 zu Art. 33 PatG, Seite 305 oben).
Dass die strittigen Immaterialgüterrechte vom Rekursgegner an die Z. AG, d.h. an eine in der Schweiz domizilierte Gesellschaft, verpfändet worden waren, vermag am Gesagten nichts zu ändern. Einziges Erfordernis der Verpfändung eines Immaterialgüterrechts ist der schriftliche Pfandvertrag; weder der Eintrag in das entsprechende Register noch die Übergabe der Patenturkunde sind Gültigkeitserfordernis (vgl.
Art. 33 Abs. 2bis und 3 PatG; OFTINGER/ BÄR, N. 102 zu
Art. 900 ZGB; TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 9. Auflage, Seite 707). Anders als beim Fahrnispfand verschafft die Verpfändung eines Immaterialgüterrechts dem Pfandgläubiger nicht eine mit dem Besitz vergleichbare Herrschaft über das Pfandobjekt, und die Publizitätswirkung wird erst mit dem Eintrag des Pfandrechts in das Register geschaffen (vgl. TUOR/SCHNYDER, a.a.O.;
BGE 60 III 117 f.). Daraus folgt, dass
BGE 112 III 115 S. 120
verpfändete Immaterialgüterrechte nicht etwa am Wohnort oder am Sitz des Pfandgläubigers zu arrestieren sind.