BGE 119 III 8
 
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Februar 1993 i.S. I. AG gegen Société S. und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde)
 
Regeste
Art. 4 BV (Willkür); nachträglicher Rechtsvorschlag (Art. 77 SchKG).
2. Nicht willkürlich ist die Auffassung, es dürfe von jedem im Geschäftsleben tätigen Menschen erwartet werden, dass er korrekt Rechtsvorschlag erhebt. Vor allem wer erstmals im Leben einen Zahlungsbefehl erhält, muss das Formular genau lesen, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen (E. 4).
 
Sachverhalt


BGE 119 III 8 (9):

A.- Der Direktor der I. AG hatte in der gegen diese gerichteten Betreibung Nr. 92/2509 des Betreibungsamtes B. den Zahlungsbefehl auf dem Postamt entgegengenommen.
Mit einem Gesuch um Bewilligung des nachträglichen Rechtsvorschlages machte die I. AG geltend, der Direktor habe gegenüber der Postbeamtin erklärt, er erhebe für die I. AG Rechtsvorschlag. Er sei der Meinung gewesen, die Postbeamtin fülle den Zahlungsbefehl entsprechend aus. Da indessen der Rechtsvorschlag auf dem an das Betreibungsamt zurückgesandten Gläubigerdoppel nicht vermerkt sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Rechtsvorschlag irrtümlicherweise nicht erfolgt sei.
Der Bezirksgerichtspräsident ging zugunsten der I. AG von einer unverschuldeten Verhinderung an der Erhebung des Rechtsvorschlags im Sinne von Art. 77 SchKG aus und bewilligte demzufolge den nachträglichen Rechtsvorschlag.
Demgegenüber hiess der Ausschuss des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft die Appellation der Société S. gut, indem er den erstinstanzlichen Beschluss aufhob. Das Obergericht erwog insbesondere, dass die I. AG ein allfälliges Fehlverhalten der Postbeamtin als Betreibungsgehilfin mit einer Beschwerde gemäss Art. 17 SchKG hätte rügen müssen. Es betrachtete aber auch die Unterlassung des Rechtsvorschlages durch die I. AG nicht als unverschuldet im Sinne von Art. 77 SchKG.
B.- Soweit auf die gegen das kantonale Urteil gerichtete staatsrechtliche Beschwerde einzutreten war, wurde sie vom Bundesgericht abgewiesen.
 
Aus den Erwägungen:
2. a) Die Beschwerdeführerin sieht das Willkürverbot des Art. 4 BV verletzt, weil das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft den nachträglichen Rechtsvorschlag unter anderem mit der Begründung abgewiesen hat, die I. AG hätte durch Beschwerde gegen das zuständige Betreibungsamt die nachträgliche Berücksichtigung eines Rechtsvorschlags, der effektiv bei der den

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Zahlungsbefehl zustellenden Postbeamtin erhoben worden sei, anstreben müssen. Damit habe das Obergericht den Beweisnotstand der I. AG verkannt; denn die Postbeamtin hätte, da die Tatsache des unterbliebenen Rechtsvorschlags erst mehr als einen Monat später festgestellt worden sei, den Vorgang gar nicht mehr mit hinreichender Klarheit schildern können. Somit sei der Beschwerdeführerin nichts anderes übriggeblieben, als auf eine Beschwerde im Sinne von Art. 17 SchKG zu verzichten und beim Richter gestützt auf Art. 77 SchKG ein Gesuch um nachträgliche Bewilligung des Rechtsvorschlags zu stellen.
b) Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft ist im angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, dass bei Zustellung des Zahlungsbefehls durch die Post der zustellende Postbote als Betreibungsgehilfe handelt (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. Auflage, Bern 1988, § 12 N. 9). Sodann ist im angefochtenen Urteil zu Recht auf BGE 85 III 167 verwiesen worden, wonach die Erklärung über die Erhebung des Rechtsvorschlags anlässlich der Zustellung des Zahlungsbefehls gegenüber dem Postboten abgegeben werden kann, welcher die Erklärung an das Betreibungsamt weiterzuleiten hat (Art. 153a V(1) zum PVG; es schadet entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nichts, dass das Obergericht in diesem Zusammenhang eine überholte, inhaltlich aber grundsätzlich gleichlautende Bestimmung dieser Verordnung angerufen hat).
Wenn das Obergericht gestützt hierauf zum Schluss gelangt ist, der Rechtsvorschlag wäre gültig erfolgt, wenn der Direktor der I. AG bei der Entgegennahme des Zahlungsbefehls der Postbeamtin gegenüber sofort Rechtsvorschlag erklärt hätte, und dass damit gar kein Anlass für die Bewilligung des nachträglichen Rechtsvorschlags bestanden hätte, so ist dies nichts anderes als folgerichtig. Die Tatsache, dass die Postbeamtin den Rechtsvorschlag nicht verurkundet hat, aber hätte mit der Beschwerde gemäss Art. 17 SchKG gerügt werden können. Dass die Beschwerde zum voraus aussichtslos gewesen wäre, erscheint zumindest nicht als derart sicher, dass die Verweisung des Obergerichts auf den Beschwerdeweg als geradezu unhaltbar zu betrachten wäre. Eine Verletzung von Art. 4 BV liegt deshalb in diesem Punkt nicht vor.
4. a) Die Beschwerdeführerin rügt auch, das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft habe willkürlich verneint, dass die I. AG unverschuldet verhindert war, innerhalb der gesetzlichen Frist Rechtsvorschlag zu erheben. Ihrer Ansicht nach hat das Obergericht

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Massstäbe gesetzt, die allenfalls gegenüber Juristen angängig seien. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass der Direktor der I. AG zum erstenmal in seinem Leben einen Zahlungsbefehl entgegengenommen habe, nachdem kurz zuvor der bis dahin zuständige Sachbearbeiter krankheitshalber aus dem Unternehmen ausgeschieden sei.
b) Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft hat mit eingehender Begründung die Schuldlosigkeit der Beschwerdeführerin bzw. des für sie handelnden Organs verneint und demzufolge die Bewilligung für den nachträglichen Rechtsvorschlag im Sinne von Art. 77 SchKG verweigert. Es hat ausgeführt, von jedem im Geschäftsleben tätigen Menschen, vor allem aber von einem Direktor dürfe erwartet werden, dass er korrekt Rechtsvorschlag erhebe. Nicht zuletzt im Hinblick auf die betriebene Forderung von rund Fr. 250'000.-- wäre es dem Direktor zuzumuten gewesen, den Zahlungsbefehl genau durchzusehen und insbesondere die auf dem Zahlungsbefehl abgedruckten Hinweise für die Erhebung des Rechtsvorschlags zu beachten. Zwar befinde sich die Rubrik "Rechtsvorschlag"; in unmittelbarer Nähe zur Rubrik "Zustellbescheinigung"; aber trotz dieser nahen Plazierung könne nicht gesagt werden, dass das Formular unübersichtlich sei.
Diese Ausführungen sind alles andere als unhaltbar. Sie stimmen insbesondere mit der Aktenlage überein. Vor allem wer erstmals im Leben einen Zahlungsbefehl erhält, muss das Formular genau lesen, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen. Die Schlussfolgerung des Obergerichts ist auch deshalb nicht willkürlich, weil die Praxis in der Anwendung des Art. 77 SchKG allgemein restriktiv ist (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, § 17 Rz. 48).