121 III 393
Urteilskopf
121 III 393
78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. November 1995 i.S. E. A. gegen H. A. (Berufung)
Regeste
Art. 151 Abs. 1, Art. 158 Ziff. 5 und Art. 182 Abs. 1 ZGB ; Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung.
Auch ein vor der Heirat abgeschlossener Ehevertrag kann hinsichtlich der Regelung von Nebenfolgen für den Fall der Scheidung der Genehmigungspflicht unterliegen (E. 5b). Der von den Parteien getroffenen Regelung ist die richterliche Genehmigung zu versagen, wenn die Vereinbarung unklar ist und die der Ehefrau zuerkannten Leistungen unbillig sind (E. 5c).
Aus den Erwägungen:
5. a) Vor ihrer Verheiratung hatten die Parteien einen Ehevertrag unter Brautleuten geschlossen. In diesem war der Güterstand der Gütertrennung stipuliert und ausserdem vereinbart worden, dass der Ehemann im Falle einer
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Scheidung der Ehefrau aus seinem Vermögen eine "Ehesteuer" von Fr. 5'000.-- pro Ehejahr, höchstens jedoch Fr. 50'000.--, auszurichten habe, es sei denn, die Scheidung erfolge aus grobem Verschulden der Frau.Sinn und Tragweite der Vereinbarung verstehen die Parteien unterschiedlich; auch das Obergericht empfand sie als unklar. Während die Klägerin die "Ehesteuer" ausschliesslich als Abgeltung für die nur dem Ehemann dienliche Wahl des Güterstandes betrachtet und darin keinen Verzicht auf Leistungen aus Art. 151 und 152 ZGB erblickt, erachtet der Beklagte die Ansprüche bei Scheidung der Ehe als abschliessend geregelt.
b) Ausgehend von der in Art. 158 Ziff. 5 ZGB vorgesehenen Genehmigungsbedürftigkeit von Vereinbarungen über die Nebenfolgen der Scheidung und von solchen über die vorsorglichen Massnahmen während der Prozessdauer (BÜHLER/SPÜHLER, N. 426 ff. zu Art. 145 ZGB) hält es das Obergericht für sachgerecht und durch die Lehrmeinung von HAUSHEER/REUSSER/GEISER (N. 17 zu Art. 182 ZGB) bestätigt, dass auch ein vor der Eheschliessung im Rahmen eines Ehevertrages erklärter Vorausverzicht auf Unterhaltsansprüche der richterlichen Genehmigung unterliegen müsse. Dafür sprächen die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende starke emotionale Bindung der Brautleute mit dem Wunsch, die Ehe einzugehen, und die darin begründete Gefahr, dass eine Partei ihren Interessen objektiv widersprechende Zugeständnisse mache. Ein richterlicher Eingriff durch Nichtgenehmigung des Ehevertrages sei im vorliegenden Fall einerseits bereits wegen dessen Unklarheit und anderseits wegen sachlicher Unangemessenheit angezeigt.
Die Auffassung des Obergerichts, wonach auch vorprozessuale Vereinbarungen über die Nebenfolgen der Genehmigungspflicht unterliegen können, wird auch von HINDERLING/STECK (Das Schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Aufl. 1995, S. 516 Fn. 6a und S. 518 Fn. 11) und HEGNAUER/BREITSCHMID (Grundriss des Eherechts, 3. Aufl. 1993, § 23 Rz. 23.05, S. 217) geteilt. Gegen den von der Vorinstanz angestellten Vergleich der Überprüfungsbedürftigkeit ehevertraglicher Regelungen mit derjenigen von Vereinbarungen im Scheidungsprozess wendet der Beklagte ein, die Interessenlage sei in den beiden Fällen eine durchaus unterschiedliche; während der Druck des Scheidungsprozesses die Bereitschaft zu einem Verzicht oder einem Zugeständnis zu fördern vermöge, liege beim vorehelichen Ehevertrag eine normale Verhandlungssituation vor, bei welcher überdies die mögliche Unterlegenheit einer Partei durch den Beurkundungszwang gemindert werde.
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Dass dem so ist, kann indessen füglich bezweifelt werden. In der Regel wird es sich eher umgekehrt verhalten. Mag vor der Heirat um der angestrebten Ehe willen noch die Bereitschaft zur Nachgiebigkeit bestanden haben und der Gedanke an eine Scheidung zurückgestellt worden sein, so gewinnt, je näher diese bevorsteht, die Sorge der Partner um ihre eigene Zukunft zunehmend an Bedeutung. Dazu kommt, dass die auf den Zeitpunkt der Scheidung abzuschätzenden beidseitigen Bedürfnisse und Ressourcen vor der Ehe oft überhaupt nicht, während des Prozesses aber sehr wohl überblickt und abgeschätzt werden können. Die Tragweite eines Verzichts oder eines Zugeständnisses ist im voraus viel schwerer erkennbar als nach längerer Dauer der Ehe oder selbst bei kurzer Ehedauer nach Abschluss des Beweisverfahrens. Aus allen diesen Gründen ist dem Obergericht beizupflichten, dass Vereinbarungen über die Nebenfolgen der Scheidung auch dann der richterlichen Genehmigung bedürfen, wenn sie schon vor der Ehe getroffen worden sind.
Der Beklagte glaubt weiter, die in der Form des Ehevertrages geschlossene Vereinbarung von der Genehmigungspflicht ausschliessen zu dürfen, weil der Ehevertrag eigenen, abschliessend geregelten Formvorschriften unterworfen sei und die Parteien im Rahmen der gesetzlichen Schranken (Art. 182 ZGB) Vertragsfreiheit genössen. Dem kann nicht gefolgt werden. Vereinbarungen, welche die Nebenfolgen der Ehescheidung beschlagen und daher von der Sache her der Genehmigung durch den Scheidungsrichter bedürfen, können dieser nicht durch Integration in den Ehevertrag entzogen werden.
c) Ob eine Vertragsbestimmung der Auslegung bedürfe - und damit auch, ob der Vertragstext klar sei - bildet Rechtsfrage (BGE 105 II 16 E. 2 S. 18). Bei Vereinbarungen über die rein vermögensrechtlichen Folgen der Scheidung für die Ehegatten hat der Richter trotz eines Antrages auf Nichtgenehmigung grundsätzlich den Parteiwillen zu respektieren und darf deshalb die Genehmigung nur aus wichtigen Gründen verweigern. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn die von den Parteien getroffene Lösung unklar oder unvollständig ist, eine Partei durch die im Prozess entstandene Lage ausgenützt wurde oder wenn die Lösung in einer durch Billigkeitserwägungen nicht zu rechtfertigenden Weise von der gesetzlichen Regelung abweicht. Als wichtigen Grund erachtet die Rechtsprechung sodann die wesentliche Veränderung der Verhältnisse seit dem Abschluss der Konvention (BGE 99 II 359 E. 3c S. 362, mit Hinweisen). Diese Grundsätze sind auch hinsichtlich
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eines von den Parteien geschlossenen Ehevertrages, in dem bereits Nebenfolgen für den Fall der Scheidung geregelt wurden, zu beachten.Der hier streitigen Regelung, vom Beklagten als Verzicht der Ehefrau auf Ansprüche nach Art. 151 ZGB verstanden, ist die richterliche Genehmigung aus einem doppelten Grunde zu versagen. Die Bestimmung ist unklar, weil darin nicht gesagt wird, ob die der Klägerin zugesicherte "Ehesteuer" nach Art. 151 oder Art. 152 ZGB geschuldet sein soll (BÜHLER/SPÜHLER, N. 191 zu Art. 158 ZGB; HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 518 Fn. 11a; HEGNAUER/BREITSCHMID, a.a.O., § 12 Rz. 12.33). Sodann erscheinen die der Ehefrau zuerkannten Leistungen, gemessen an den ihr von Gesetzes wegen zustehenden Ansprüchen, als schlechterdings unbillige Abfindung. Aus den nachstehenden Erwägungen ist ersichtlich, dass das Obergericht ihr mit Recht erheblich mehr zugesprochen hat.