124 III 249
Urteilskopf
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46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Mai 1998 i.S. X. gegen Y. GmbH (Berufung)
Regeste
"Arbeit auf Abruf" ( Art. 319 und 320 Abs. 2 OR ; Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe).
Zulässigkeit von Formen kapazitätsorientierter Arbeitsleistung (E. 2).
Entschädigung von Bereitschaftsdienst, der ausserhalb des Betriebs geleistet wird (E. 3).
X. (Kläger) arbeitete vom 15. Januar bis zum 9., eventuell 17. Oktober 1996 als Handlanger beim Eisenlegerbetrieb Y. GmbH (Beklagte). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte er geltend, die Arbeitgeberin habe ihn weniger Stunden arbeiten lassen,
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als ihm der Gesamtarbeitsvertrag garantiere. Er verlangte, die Differenz sei mit dem normalen Stundenansatz zu vergüten, und klagte bei der Gewerbekammer des Seebezirks auf Zahlung von Fr. 17'987.65. Die Gewerbekammer hiess die Klage am 11. Februar 1997 im Betrag von Fr. 1'834.70 gut. Der Kläger rekurrierte sodann ans Freiburger Kantonsgericht, das ihm am 6. November 1997 Fr. 1'914.-- zusprach.Das Bundesgericht schützt die eidgenössische Berufung, welche der Kläger gegen dieses Urteil erhoben hat.
Aus den Erwägungen:
2. Die Vorinstanz nahm an, der Kläger habe bei Vertragsschluss gewusst, dass er nicht voll angestellt werde bzw. einen Teilzeitarbeitsvertrag eingehe. Insbesondere verwarf sie dessen Standpunkt, der Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe (LMV) stehe solchen Arbeitsverhältnissen entgegen und garantiere eine zeitliche Mindestbeschäftigung.
a) Der Kläger wendet sich zunächst gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses. Seiner Ansicht nach handelte es sich nicht um Teilzeitarbeit, sondern um "Arbeit auf Abruf". Diese Beschäftigungsform sei nichtig, weil das Gesetz verlange, dass die zu leistende Arbeitszeit bestimmt oder zumindest bestimmbar sei. Dieser Betrachtungsweise kann so nicht gefolgt werden. Das Gesetz steht einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten nicht von vornherein entgegen (vgl. REHBINDER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 9 zu Art. 321). Es ist nicht einzusehen, weshalb Beschäftigungsformen an sich gesetzeswidrig sein sollen, bei welchen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer je nach Arbeitsanfall beansprucht. Das gilt sowohl für Typen, bei denen jeder Einsatz ein gegenseitiges Einverständnis voraussetzt (sog. uneigentliche Teilzeitarbeit; vgl. STAEHELIN/VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 71 und 72 zu Art. 319 OR), als auch für solche, die dem Arbeitgeber erlauben, den Arbeitnehmer einseitig abzurufen (sog. kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit; vgl. REHBINDER, a.a.O., N. 9 zu Art. 321 OR).
b) Indessen fragt sich, ob der Landesmantelvertrag diese Formen kapazitätsorientierter Beschäftigung für die Baubranche untersagt. Ein ausdrückliches Verbot kann ihm nicht entnommen werden. Auch die Bestimmungen über die jährlichen und wöchentlichen Arbeitszeiten ( Art. 23-33 LMV ), obgleich diese auf Vollzeitarbeitsverhältnisse zugeschnitten sind, liefern keinen Anhaltspunkt dafür, dass der
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Landesmantelvertrag der "Arbeit auf Abruf" von vornherein entgegensteht.
3. Ist diese Beschäftigungsform in der Baubranche grundsätzlich zulässig, bleibt zu prüfen, ob die Zeit, in welcher der Arbeitnehmer sich für allfällige Arbeitseinsätze bereit halten muss, zu entschädigen ist.
a) Davon ist zweifellos auszugehen, wenn der Arbeitnehmer im Betrieb auf Arbeit wartet. Dieser Bereitschaftsdienst zählt als normale Arbeitszeit und ist mangels abweichender Vereinbarung entsprechend zu entlöhnen (REHBINDER, a.a.O., N. 7 zu Art. 321 OR; STAEHELIN/VISCHER, a.a.O., N. 11 zu Art. 319 OR). Der Arbeitnehmer kann über diese Zeit nicht anderweitig verfügen, insbesondere lässt sie sich nicht für eigene Bedürfnisse nutzen. Anders verhält es sich bei der sogenannten Rufbereitschaft, bei welcher der Arbeitnehmer ausserhalb des Betriebs auf einen Einsatz wartet. Zwar ist er auch hier in der Gestaltung seiner Bereitschaftszeit eingeschränkt, doch nicht im selben Masse, wie wenn er sie im Betrieb zubringen müsste. Ob der Arbeitgeber dafür eine Entschädigung schuldet, wird von der Lehre unterschiedlich beurteilt. STAEHELIN/VISCHER (a.a.O., N. 12 zu Art. 319 OR) und BRÜHWILER (Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, N. 4a zu Art. 319 OR) halten die Rufbereitschaft mangels anderer Abrede nicht für entschädigungspflichtig. REHBINDER (a.a.O., N. 7 zu Art. 321 OR) rechnet sie nur insoweit zur Arbeitszeit, als tatsächlich Arbeit geleistet wird. Im Zweifel spricht er sich aber für ein zusätzliches Entgelt aus.
b) Entscheidend ist, ob ausserhalb des Betriebs geleisteter Bereitschaftsdienst als entgeltliche Arbeit zu betrachten ist. Unter Arbeit ist jede auf die Befriedigung eines Bedürfnisses gerichtete planmässige Verrichtung eines Menschen zu verstehen (REHBINDER, a.a.O., N. 1 zu Art. 319; STAEHELIN, a.a.O., N. 5 zu Art. 319 OR). Dabei muss es sich nicht unbedingt um ein Tätigsein handeln. Auch die blosse Arbeitsbereitschaft dient der Bedürfnisbefriedigung des Arbeitgebers, dies selbst dann, wenn die Präsenzzeit ausserhalb des Betriebs geleistet wird. Ebenso zu bejahen ist, dass ein solcher Bereitschaftsdienst nur gegen Lohn zu erwarten ist (Art. 320 Abs. 2 OR), denn der Arbeitnehmer leistet ihn nicht uneigennützig, sondern im Hinblick auf die (entgeltliche) Hauptleistung.
Allerdings hat der Arbeitgeber an diesem Dienst regelmässig ein geringeres betriebswirtschaftliches Interesse als an der Tätigkeit, für welche er den Arbeitnehmer eigentlich eingestellt hat. Dazu kommt, dass ausserhalb des Betriebs geleistete Bereitschaftszeit für arbeitsfremde
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Verrichtungen genutzt werden kann, soweit dies nicht die vereinbarte Einsatzbereitschaft mindert oder ausschliesst. Folglich muss die Rufbereitschaft - abweichende Vereinbarung vorbehalten - nicht gleich wie die Haupttätigkeit entlöhnt werden. Geht weder aus dem Einzel- noch aus einem Kollektivarbeitsvertrag hervor, wie hoch die Entschädigung sein soll, schuldet der Arbeitgeber, was üblich ist (Art. 322 Abs. 1 OR). Lässt sich dies nicht feststellen, ist nach Billigkeit zu entscheiden (STAEHELIN/VISCHER, a.a.O., N. 33 zu Art. 322 OR).c) Die Entschädigung für den Bereitschaftsdienst kann einzel- oder gesamtarbeitsvertraglich auch in den Lohn für die Hauptleistung eingeschlossen werden. Bei Einzelarbeitsverträgen fragt sich, ob nicht analog zur Ferienentschädigung (vgl. BGE 118 II 136 E. 3b S. 137) zu verlangen wäre, den Teil des Arbeitslohns, der den Bereitschaftsdienst abgelten soll, klar aufzuführen. Die Frage kann indessen offen bleiben, weil hier einzig zu prüfen ist, ob der Landesmantelvertrag eine solche Regelung enthält. Dieser spricht sich nur über die Entlöhnung der tatsächlich im Betrieb geleisteten Arbeit aus. Anhaltspunkte dafür, dass die entsprechenden Mindestlöhne die Entschädigung für den Bereitschaftsdienst miteinschliessen sollen, gibt es nicht.
Bezieht sich der im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehene Mindestlohn ausschliesslich auf die tatsächlich im Betrieb geleistete Arbeit, steht diese Garantie einzelarbeitsvertraglichen Vereinbarungen entgegen, welche den ausserbetrieblichen Bereitschaftsdienst als damit abgegolten erklären. Der Mindestlohn entfiele so nicht mehr nur auf die tatsächlich im Betrieb geleistete Arbeit, sondern würde zugleich den ebenfalls entschädigungspflichtigen Bereitschaftsdienst miteinschliessen. Die innerbetriebliche Arbeit würde mithin zu tief entlöhnt.
d) Die Vorinstanz ging somit fehl, als sie einen Anspruch des Klägers auf separate Vergütung der behaupteten Rufbereitschaft von vornherein verneinte. Sie wird zu prüfen haben, ob bzw. in welchem Umfang der Kläger tatsächlich entschädigungspflichtigen Bereitschaftsdienst geleistet hat. Gegebenenfalls wird sie auch über die Höhe der Entschädigung befinden müssen. Damit wird die Rüge des Klägers gegenstandslos, die Vorinstanz habe Art. 8 ZGB verletzt, weil sie zwei ehemalige Arbeitskollegen zu diesen Fragen nicht einvernommen habe.
Referenzen
BGE: 118 II 136
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