Urteilskopf
130 III 665
87. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Bank Z. (Beschwerde)
7B.99/2004 vom 22. September 2004
Regeste
Pfändung in der Arrestbetreibung; Rückgang des Saldos auf einem bei einem Drittschuldner (Bank) arrestierten und nun zu pfändenden Konto (Art. 99 SchKG).
Kontokorrentguthaben des Arrestschuldners sind auch bei einem nachträglichen Rückgang in der arrestierten Höhe zu pfänden (E. 3.1), deponierte Wertschriften und Münzen dagegen nur in dem Umfang, in dem sie im Zeitpunkt der Pfändung effektiv noch vorhanden sind (E. 3.2).
Aus den Erwägungen:
1.1 Am 16. Dezember 1993 erliess der Kreispräsident von Chur auf Begehren der Bank Z. für eine Forderungssumme von 4,916 Mio. Franken einen Arrestbefehl gegen die Y. Ltd. (Arrest Nr. x). Als Arrestgegenstände wurden bezeichnet:
BGE 130 III 665 S. 666
"Sämtliche bei der Bank X., gelegenen Vermögenswerte der Gesuchsgegnerin, wie Barschaft in in- und ausländischer Währung, Kundenguthaben, Edelmetalle, Wertschriften, Herausgabeansprüche aus Depotverträgen, Safe- und Schrankfachinhalte und sonstige Vermögenswerte, inklusive zukünftige Erträgnisse aus solchen Vermögenswerten, lautend auf ihren Namen, auf denjenigen von Dr. N., auf V. Limited, auf U. G.m.b.H., auf T.Stiftung, einen Decknamen oder unter Treuhandverhältnissen, von denen die Bank weiss oder wissen muss, dass sie der Gesuchsgegnerin zustehen, als Sicherung für die Forderung der Gesuchstellerin von OeS 40'000'000, nebst Zins zu 10 % seit dem 10.12.1993."
Das Betreibungsamt Chur vollzog den Arrest am 17. Dezember 1993, was es der Bank X. noch am gleichen Tag im Sinne von Art. 99 SchKG (Formular Nr. 9) anzeigte.
In der zur Prosequierung eingeleiteten Betreibung Nr. y des Betreibungsamtes Chur schlug die Y. Ltd. am 13. Januar 1994 Recht vor.
Mit Schreiben vom 21. Juni 1994 teilte die Bank X. dem Kreispräsidenten von Chur mit, dass Vermögenswerte im Gesamtbetrag von Fr. 137'307.- gesperrt worden seien.
1.2 Durch Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden (Zivilkammer) vom 14. Januar 2003 wurde die Y. Ltd. verpflichtet, der Bank Z. Fr. 305'392.60 nebst Zins zu 10 % seit 10. Dezember 1993 zu zahlen. Gleichzeitig wurde in der Betreibung Nr. y für diese Schuld definitive Rechtsöffnung erteilt. Am 11. Dezember 2003 erkannte die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts, dass auf die von der Y. Ltd. eingereichte Berufung nicht eingetreten werde.
Am 23. Dezember 2003 stellte die Bank Z. das Fortsetzungsbegehren, worauf das Betreibungsamt die Bank S. (vormals Bank X.) am 12. Januar 2004 aufforderte, die bei ihr vorhandenen Vermögenswerte (Aktienzertifikate, Depots, Konti usw.) aufzulisten. Die Bank S. erklärte mit Schreiben vom 20. Februar 2004, dass wegen einer "Panne" die Kontoguthaben sich verringert hätten und dem Depot Wertschriften und Münzen hätten entnommen werden können. Im Depot befänden sich nur noch die 710 Anteile O. (ohne Handelswert) und die Konti wiesen noch Vermögenswerte von Fr. 1'477.90, USD 458.11 und EUR 109.14 auf.
Das Betreibungsamt vollzog am 16. März 2004 die Pfändung, wobei die von der Bank S. im Schreiben vom 20. Februar 2004 deklarierten Vermögenswerte mit Beschlag belegt wurden.
BGE 130 III 665 S. 667
1.3 Mit Eingabe vom 2. April 2004 erhob die Bank Z. beim Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde und verlangte, das Betreibungsamt anzuweisen, unter Berücksichtigung aller arrestierten Vermögenswerte und Forderungen gegenüber der Bank S. nach aktuellem Wert eine neue Pfändungsurkunde auszustellen.
Der Kantonsgerichtsausschuss wies die Beschwerde am 10. Mai 2004 ab.
Die Bank Z. nahm diesen Entscheid am 14. Mai 2004 in Empfang.
1.4 Mit einer vom 24. Mai 2004 datierten und noch am gleichen Tag zur Post gebrachten Eingabe führt die Bank Z. (rechtzeitig) Beschwerde an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts und erneuert das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren.
(...)
3. Der Auffassung des Kantonsgerichtsausschusses, es seien nur diejenigen Vermögenswerte zu pfänden, die auf den verschiedenen Konten der Arrestschuldnerin bei der Bank S. zur Zeit tatsächlich noch vermerkt seien, hält die Beschwerdeführerin entgegen, die Arrestgegenstände seien nach wie vor in ihrer Gesamtheit vorhanden, da es sich um Forderungen und andere Ansprüche handle, die unter Art. 99 SchKG fielen. Nach dieser Bestimmung, die gemäss Art. 275 SchKG ausdrücklich auch für den Arrest gilt, wird bei der Pfändung (bzw. bei der Arrestierung) von Forderungen oder Ansprüchen, für die nicht eine an den Inhaber oder an Order lautende Urkunde besteht, dem Schuldner des Betriebenen angezeigt, dass er rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten könne.
3.1 Eine Anzeige dieser Art hat die Bank S. bzw. ihre Rechtsvorgängerin im Anschluss an den Arrestvollzug unbestrittenermassen zugestellt erhalten. Geldzahlungen, die zu Lasten der vom Arrest betroffenen Konten an die Arrestschuldnerin gegangen sind, hatten auf Grund der dargelegten Umstände somit keine befreiende Wirkung und führten auch nicht zu einem entsprechenden Untergang der arrestierten Forderungen. Vielmehr kann die Bank durch das Betreibungsamt (vgl. Art. 100 SchKG) oder durch denjenigen, der im Verwertungsverfahren die Forderung erwirbt (vgl. Art. 131 SchKG) nochmals belangt werden (JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Zürich 1911, N. 7 zu Art. 99 SchKG).
BGE 130 III 665 S. 668
Die Kontokorrentguthaben der Arrestschuldnerin gegenüber der Bank S. sind nach dem Gesagten in der arrestierten Höhe in die Pfändungsurkunde aufzunehmen. Gleichzeitig wird in der Rubrik "Bemerkungen" in geeigneter Form auf die Erklärungen der Bank zum gegenwärtigen Stand der Konten hinzuweisen sein.
3.2 Die Beschwerdeführerin verlangt, dass auch die bei der Bank S. bzw. der Bank X. deponierten Wertschriften und Goldmünzen im arrestierten Umfang zu pfänden seien. Arrestgegenstand sei hier der Anspruch der Arrestschuldnerin auf Herausgabe der genannten Objekte gewesen, für den keine an den Inhaber oder an Order lautende Urkunde bestehe und der deshalb ebenfalls unter Art. 99 SchKG falle. Was in diesem Zusammenhang zur Verwahrung von deponierten Wertpapieren und Edelmetallen in tatsächlicher Hinsicht geltend gemacht wird, findet in den vorinstanzlichen Feststellungen keine Stütze. Die Ausführungen haben als im Sinne von Art. 79 Abs. 1 zweiter Satz OG neu zu gelten und sind deshalb unbeachtlich, zumal Gelegenheit und auch Anlass bestanden hätte, sie schon im kantonalen Verfahren vorzutragen. Sie sind im Übrigen insofern unbehelflich, als für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens ohne Belang ist, ob der Arrest sich auf die deponierten Vermögenswerte selbst oder auf den Herausgabeanspruch bezogen hatte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt für einen Herausgabeanspruch Art. 99 SchKG nämlich nicht.
3.2.1 Die in dieser Bestimmung (stillschweigend) enthaltene, im Formular Nr. 9 ausdrücklich festgehaltene Androhung, im Falle einer Zahlung an den Schuldner statt an das Betreibungsamt für die arrestierte oder gepfändete Forderung unter Umständen nochmals belangt zu werden, kann nur bei Leistungen zum Tragen kommen, die auf Grund ihrer Natur überhaupt ein zweites Mal erbracht werden können. Einem Herausgabeanspruch liegt die Hinterlegung einer individualisierten beweglichen Sache oder auch von vertretbaren Gütern zu Grunde (Art. 472 Abs. 1 und 481 Abs. 3 OR). Mit der Rückgabe der hinterlegten Objekte (in der hinterlegten Menge) an den Hinterleger erlischt der Herausgabeanspruch, da es dem Aufbewahrer (ohne Verletzung des Vertrags mit einem allfälligen anderen Hinterleger) nicht möglich ist, seine Rückgabeleistung ein zweites Mal zu erbringen. Unter Art. 99 SchKG fallen denn auch einzig Ansprüche, die auf Geldzahlungen gerichtet sind, so etwa Renten, Lohnforderungen oder Ansprüche aus einer Lebensversicherung (vgl. JAEGER, a.a.O., N. 3 zu Art. 99 SchKG).
BGE 130 III 665 S. 669
3.2.2 Für den vorliegenden Fall bedeutet das Gesagte, dass eine Pfändung der hinterlegten Wertschriften und Münzen nur in dem auf den Konten der Arrestschuldnerin bei der Bank S. tatsächlich noch vorhandenen Umfang in Frage kommt. In diesem Punkt ist der angefochtene Entscheid daher nicht zu beanstanden und die Beschwerde abzuweisen.