Urteilskopf
133 III 386
46. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Staat Belgien, Société Fédérale de Participations et d'Investissement SA und SA Zephyr-Fin gegen SAirLines in Nachlassliquidation sowie Obergericht des Kantons Zürich (SchKG-Beschwerde)
7B.226/2006 vom 23. April 2007
Regeste
Kollokation der Gläubiger beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Art. 321 i.V.m.
Art. 244-251 SchKG); Vormerkung streitiger Forderungen im Kollokationsplan (
Art. 63 KOV); Lugano-Übereinkommen (LugÜ).
Für einen in der Schweiz durchgeführten Nachlassvertrag entscheiden die Liquidatoren über die Anerkennung der Forderungen (Art. 245 SchKG); die Vormerkung streitiger Forderungen im Kollokationsplan (Art. 63 KOV) bei einem Prozess in Belgien fällt ausser Betracht. Frage offengelassen, ob die Kollokationsklage gemäss Art. 250 SchKG vom Anwendungsbereich des LugÜ erfasst ist (E. 4).
Am 5. Oktober 2001 ging die SAirLines in die (provisorische) Nachlassstundung, und am 20. Juni 2003 bestätigte das Bezirksgericht Zürich den von der SAirLines mit ihren Gläubigern geschlossenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Die Nachlassliquidatoren Karl Wüthrich und Roger Giroud wiesen mit Verfügungen vom 18. Juli 2006 die Forderungen des Staates Belgien, Société Fédérale de Participations S.A., der Société Fédérale d'Investissement S.A. und S.A. Zephyr-Fin ab und liessen diese in dem am 19. Juli 2006 aufgelegten Kollokationsplan nicht zu. Hiergegen erhoben die vier Gläubiger Beschwerde und verlangten, dass die Verfügungen aufzuheben und ihre in der Nachlassliquidation der SAirLines angemeldeten Forderungen von insgesamt fast 3,9 Mia. Schweizer Franken im Kollokationsplan pro memoria mit Fr. 1.- bis zur rechtskräftigen Erledigung der von ihnen in Belgien anhängig gemachten Klage vorzumerken seien.
Mit Beschluss vom 9. August 2006 wies das Bezirksgericht Zürich als untere Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde. Das Obergericht des Kantons Zürich, als obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen wies die von den Gläubigern erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 16. November 2006 ebenfalls ab.
Die Gläubiger haben den Beschluss der oberen Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 18. Dezember 2006 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragen, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben. In der Sache verlangen sie (wie im kantonalen Verfahren), die Verfügungen der Nachlassliquidatoren seien aufzuheben und ihre angemeldeten Forderungen seien im Kollokationsplan pro memoria mit Fr. 1.- bis zur rechtskräftigen Erledigung der von ihnen in Belgien anhängig gemachten Klage vorzumerken.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
BGE 133 III 386 S. 388
Aus den Erwägungen:
4.1 Beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung haben die Liquidatoren zur Feststellung der am Liquidationsergebnis teilnehmenden Gläubiger und ihrer Rangstellung einen Kollokationsplan zu erstellen (
Art. 321 Abs. 1 SchKG). Hierfür gelten nicht allein die gesetzlichen Vorschriften des Konkursverfahrens (
Art. 321 Abs. 2 SchKG mit Verweisung auf Art. 244 bis 251 SchKG), sondern sinngemäss auch die einschlägigen Vorschriften der Verordnung des Bundesgerichts vom 13. Juli 1911 über die Geschäftsführung der Konkursämter (KOV; SR 281.32; vgl.
BGE 115 III 144 E. 2 S. 145;
BGE 130 III 769 E. 3.1 S. 772).
Gemäss
Art. 63 KOV sind streitige Forderungen, welche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits Gegenstand eines Prozesses bilden, im Kollokationsplan zunächst ohne Verfügung der Konkursverwaltung lediglich pro memoria vorzumerken (Abs. 1). Wird der Prozess weder von der Masse noch von einzelnen Gläubigern nach
Art. 260 SchKG fortgeführt, so gilt die Forderung als anerkannt, und die Gläubiger haben kein Recht mehr, ihre Kollokation nach
Art. 250 SchKG anzufechten (Abs. 2). Wird der Prozess dagegen fortgeführt, so wird er zum Kollokationsprozess gemäss
Art. 250 SchKG bzw. das Urteil des Richters zum Kollokationsurteil (
BGE 132 III 89 E. 1.4 S. 94;
BGE 130 III 769 E. 3.2 S. 772; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 11 zu
Art. 250 SchKG) und erfolgt je nach Ausgang des Prozesses die Streichung der Forderung oder ihre definitive Kollokation, welche von den Gläubigern ebenfalls nicht mehr angefochten werden kann (Abs. 3).
4.2 Die Beschwerdeführer haben nach eigenem Vorbringen im Juli 2001 gegen die SAirLines über die streitigen Forderungen in Belgien Klage erhoben, noch bevor diese in die Nachlassstundung ging (5. Oktober 2001) bzw. der Nachlassvertrag bestätigt wurde (20. Juni 2003). Die obere Aufsichtsbehörde hat erwogen, dass es keinen Grund gebe, die in Belgien im Prozess liegenden Forderungen im Kollokationsplan lediglich pro memoria vorzumerken. Sie hat sich dabei auf
BGE 130 III 769 (E. 3.2.3 S. 773) gestützt. Das Bundesgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass die in
Art. 63 KOV getroffene Einschränkung der Regeln betreffend die Kollokation, wonach über Konkursforderungen, welche Gegenstand eines Prozesses
BGE 133 III 386 S. 389
bilden, keine Kollokationsverfügung und kein Kollokationsverfahren durchzuführen ist, gemäss dem Territorialitätsprinzip auf das Gebiet der Schweiz beschränkt ist. Die Beschwerdeführer behaupten zu Recht nicht, dass der belgische Richter durch einen Staatsvertrag verpflichtet sei, den schweizerischen Konkurs zu beachten und den Prozess gemäss
Art. 207 SchKG, auf welchen sich
Art. 63 KOV stützt, zu sistieren. Das Abkommen vom 29. April 1959 zwischen der Schweiz und Belgien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen (SR 0.276.191.721) ist auf Konkurs- und Nachlassvertragssachen nicht anwendbar (Art. 1 Abs. 2 des Abkommens). Der Hinweis der Beschwerdeführer auf
Art. 166 ff. IPRG geht ins Leere, da diese Bestimmungen die Anerkennung eines ausländischen Konkursdekretes in der Schweiz betreffen. Insoweit ist keine gesetzliche Grundlage ersichtlich, um die hoheitliche Kompetenz der Liquidatoren (Art. 245 i.V.m.
Art. 321 Abs. 2 SchKG) zur Anerkennung bzw. Abweisung der angemeldeten Forderungen in Frage zu stellen.
4.3 Die Beschwerdeführer erheben im Wesentlichen den Einwand, gestützt auf die dem SchKG vorgehenden Regeln (
Art. 30a SchKG) über die gerichtliche Zuständigkeit gemäss LugÜ seien die in Belgien im Prozess liegenden Forderungen lediglich pro memoria im Kollokationsplan vorzumerken. Sie machen sinngemäss geltend, das LugÜ verpflichte die Schweiz, für die Kollokation (Kollokationsverfügung und -klage) vom Territorialitätsprinzip abzuweichen.
4.3.1 Nach
Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 LugÜ sind "Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren" vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen. Nach der Rechtsprechung gilt gemäss EuGH der Ausschluss allgemein nur für solche Klagen, welche im Rahmen einer Konkursliquidation stattfinden, direkt aus dem Konkursverfahren hervorgehen und sich eng in eine Liquidation von Vermögenswerten oder einen gerichtlichen Vergleich einfügen. Das Bundesgericht hielt mit Hinweis auf die Lehre allgemein fest, dass Verfahren, die ihren Ursprung nicht im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht haben bzw. keine direkte Folge davon sind, und stattdessen aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne den Konkurs erhoben worden wären, nicht unter den Ausschluss fallen (
BGE 131 III 227 E. 3.2 S. 231).
4.3.2 Nach überwiegender Lehre fällt die Kollokationsklage gemäss
Art. 250 SchKG nicht in den Anwendungsbereich des LugÜ (STOFFEL,
BGE 133 III 386 S. 390
Ausschliessliche Gerichtsstände des Lugano-Übereinkommens und SchKG-Verfahren, insbesondere Rechtsöffnung, Widerspruchsklage und Arrest, in: Festschrift für Oscar Vogel, Freiburg 1991, S. 370; WALTER, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 4. Aufl., Bern 2007, S. 177, 249 Fn. 240; BRUNNER/REUTTER, Kollokations- und Widerspruchsklagen nach SchKG, 2. Aufl., Bern 2002, S. 50; MEIER, Internationales Zivilprozessrecht und Zwangsvollstreckungsrecht, 2. Aufl., Zürich 2005, S. 180; BRACONI, La collocation des créances en droit international suisse de la faillite, Diss. Zürich 2005, S. 149; a.M. DONZALLAZ, La Convention de Lugano, Bd. I, Bern 1996, Ziff. 965).
Zum Teil wird in der Lehre Art. 16 Ziff. 5 LugÜ als Ausnahme von Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 LugÜ aufgefasst und geschlossen, die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte für die konkursrechtliche Kollokationsklage ergebe sich jedenfalls aus Art. 16 Ziff. 5 LugÜ (SPÜHLER/INFANGER, Anwendung des LugÜ, insbesondere von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ auf SchKG-Klagen, in: Spühler [Hrsg.], Aktuelle Probleme des nationalen und internationalen Zivilprozessrechts, Zürich 2000, S. 126; im Ergebnis gleich DONZALLAZ, a.a.O., Bd. III, Bern 1998, Ziff. 6393). Auf Art. 16 Ziff. 5 LugÜ, welche der Ausübung staatlicher Hoheitsrechte Rechnung trägt und die zwingende Zuständigkeit von Verfahren auf Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen vorsieht (STOFFEL, a.a.O., S. 365 f.), berufen sich stellenweise auch die Beschwerdeführer.
4.3.3 Zweck des Kollokationsverfahrens im Konkurs (Art. 244 bis 251 SchKG) ist die Feststellung der Passivmasse, d.h. der Forderungen, die am Konkursergebnis nach Bestand, Höhe, Rang und allfälligen Vorzugsrechten am Vermögen des Schuldners teilzunehmen haben. Der Kollokationsprozess dient ausschliesslich der Bereinigung des Kollokationsplanes und hat so wenig wie dieser irgendwelche Rechtskraftwirkung über das Konkursverfahren hinaus. Das Schuldverhältnis als solches - zwischen Schuldner und Gläubiger - wird dadurch nicht rechtskräftig festgelegt. Im Kollokationsprozess kann der Bestand einer Forderung wohl Gegenstand gerichtlicher Prüfung, nicht aber Gegenstand rechtskräftiger Beurteilung sein. Vielmehr ist Gegenstand des Kollokationsurteils nur die Feststellung, inwieweit die streitigen Gläubigeransprüche bei der Liquidationsmasse zu berücksichtigen sind. Diese in
BGE 65 III 28 (E. 1 S. 30) festgelegten Grundsätze entsprechen konstanter Rechtsprechung (zuletzt
BGE 119 III 84 E. 2b S. 85; Urteil 5C.193/2005 vom
BGE 133 III 386 S. 391
31. Januar 2006, E. 1 nicht publ. in
BGE 132 III 437) und werden von der Lehre bestätigt, welche die Kollokationsklage (
Art. 250 SchKG) daher als konkursrechtliche Klage mit Reflexwirkung auf das materielle Recht bezeichnet (GILLIÉRON, a.a.O., N. 44 zu
Art. 250 SchKG; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., Bern 2003, § 46 Rz. 62; BRACONI, a.a.O., S. 119, mit weiteren Hinweisen). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist die Kollokationsklage nicht mit der Arrestprosequierungsklage (
Art. 279 SchKG) vergleichbar, welche - als eine rein materiellrechtliche Streitigkeit - zu einem Urteil mit voller materieller Rechtskraft führt (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 4 Rzn. 48 und 49).
Wohl kann - wie die Beschwerdeführer zu Recht festhalten - ein strittiges Rechtsverhältnis, wie es in einem positiven Kollokationsprozess (
Art. 250 Abs. 1 SchKG) als materielle Vorfrage zu beurteilen ist, Gegenstand eines vor Konkurseröffnung und insoweit unabhängig vom Konkurs erhobenen Prozesses sein. Der enge Zusammenhang mit dem Konkursverfahren ist aber dennoch gegeben (BRUNNER/REUTTER, a.a.O.), weil der betreffende Prozess zu einem Kollokationsurteil führt (E. 4.1), dessen Wirkungen nicht über das Konkursverfahren hinausgehen. Die schweizerische Kollokationsklage unterscheidet sich insoweit nicht von der schweizerischen Anfechtungsklage, welche als konkursrechtliche Klage mit Reflexwirkung auf das materielle Recht vom LugÜ ausgenommen ist (
BGE 131 III 227 E. 3.3 S. 232). Auch die Kollokationsklage ist ein Rechtsbehelf, der eng mit der Struktur des Konkursrechts und seinen Besonderheiten verbunden ist (GILLIÉRON, a.a.O., N. 47 zu
Art. 247 SchKG) und einen integrierenden Bestandteil der Konkursliquidation bildet.
Ob der enge Zusammenhang mit dem Konkursverfahren dazu führt, dass die Kollokationsklage schweizerischen Rechts im Lichte der Rechtsprechung zu den konkursrechtlichen Verfahren gemäss
Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 LugÜ (Ausschluss) zu zählen ist, oder die Kollokationsklage unter den zwingenden Gerichtsstand gemäss
Art. 16 Ziff. 5 LugÜ fällt, musste im vorliegenden Verfahren, d.h. von den Aufsichtsbehörden nicht weiter erörtert werden. Entscheidend ist, dass sich in jedem Fall aus der verfahrensrechtlichen Natur der Auseinandersetzung ergibt, dass das Territorialitätsprinzip gilt und die Schweiz für das Kollokationsverfahren (Art. 244 bis 251 SchKG) im hierzulande durchgeführten Nachlassvertrag international zuständig ist (vgl. SPÜHLER/GEHRI/PFISTER, Schuldbetreibungs- und
BGE 133 III 386 S. 392
Konkursrecht I, 3. Aufl., Zürich 2004, S. 41). Das LugÜ bietet jedenfalls keine staatsvertragliche Grundlage, um die hoheitliche Kompetenz der schweizerischen Konkursverwaltung zu beschneiden (
Art. 245 SchKG) und ihre Kollokationsverfügung der Anfechtung vor dem schweizerischen Kollokationsrichter zu entziehen. Der Einwand der Beschwerdeführer, die Liquidatoren müssten "vorfrageweise berücksichtigen", dass der schweizerische Kollokationsrichter sich wegen einer Vereinbarung über die Zuständigkeit belgischer Gerichte, wo bereits eine Klage hängig sei, unzuständig erklären müsse, geht daher fehl. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die obere Aufsichtsbehörde zum Ergebnis gelangt ist, dass die Liquidatoren die Kollokationsverfügungen zu treffen und diese weder auszusetzen noch die Forderungen pro memoria vorzumerken haben.
4.4 Nach dem Dargelegten ergibt sich, dass
Art. 63 KOV bei Prozessen in einem Vertragsstaat des LugÜ ebenso wenig wie in anderen Staaten anwendbar ist; über die Kollokation entscheiden einzig die Konkursverwaltung bzw. der Kollokationsrichter in der Schweiz. Damit fällt ausser Betracht, diese Bestimmung im Rahmen der Durchführung des Liquidationsvergleichs analog anzuwenden (
Art. 321 Abs. 2 SchKG). Die Rüge, die obere Aufsichtsbehörde habe einen dem SchKG vorgehenden Staatsvertrag verletzt, ist unbegründet.