BGE 134 III 586 |
92. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und Z. gegen R. und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_174/2008 vom 4. September 2008 |
Regeste |
Art. 11 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 BGBB; Anspruch auf Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes zur Selbstbewirtschaftung; Eignung zur Selbstbewirtschaftung. |
Verlangt ein Erbe die Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes, kann seine Nachkommenschaft ein Kriterium für die Beurteilung seiner Eignung zur Selbstbewirtschaftung darstellen (E. 3.1.4). |
Sachverhalt |
Die Parteien bilden als Nachkommen ihrer verstorbenen Eltern eine Erbengemeinschaft. Sie streiten sich seit Jahren über die Erbteilung. Prozessgegenstand ist die Zuweisung der landwirtschaftlichen Gewerbe "A." und "B.". In ihrem Testament vom 10. Juli 1996 wies die Mutter die Liegenschaft "B." ihrem Sohn X. zum Ertragswert zu. |
Mit Eingabe vom 20. September 2001 beantragte X. vor der Kommission für bäuerliches Erbrecht des Amtes Hochdorf die Zuweisung der beiden landwirtschaftlichen Gewerbe an ihn. Sein Bruder R. widersetzte sich diesem Begehren und beantragte seinerseits die Zuweisung. Die Kommission betrachtete die Gewerbe "A." und "B." zusammen als einen rentablen Betrieb und wies sie beide mit Entscheid vom 18. Februar 2003 R. zum Ertragswert von Fr. 475'800.- zu.
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Diesen Kommissionsentscheid fochten X. und Z. mit Klage vom 2. April 2003 beim Amtsgericht Hochdorf an. Mit Urteil vom 28. August 2006 wies das Amtsgericht die beiden Liegenschaften R. zum Ertragswert von Fr. 475'800.- zu. Weiter befand es das Testament der Mutter unter dem Gesichtspunkt von Art. 519 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB i.V.m. Art. 19 BGBB für ungültig, da X. die Anforderungen an die Selbstbewirtschaftung nicht erfülle.
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X. und Z. appellierten gegen dieses Urteil mit Eingabe vom 27. September 2006. Mit Urteil vom 7. Februar 2008 bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern den Entscheid des Amtsgerichtes Hochdorf vom 28. August 2006.
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Gegen den obergerichtlichen Entscheid führen X. (Beschwerdeführer 1) und Z. (Beschwerdeführerin 2) mit Eingabe vom 13. März 2008 Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Zuweisung der landwirtschaftlichen Gewerbe "A." und "B." zum Ertragswert von Fr. 475'800.- an den Beschwerdeführer 1. Eventualiter beantragen sie die Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung und zur Vornahme weiterer Sachverhaltsabklärungen an die Vorinstanz.
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R. (Beschwerdegegner 1), S. (Beschwerdegegner 2) und T. (Beschwerdegegnerin 3) sind in der Sache nicht zur Vernehmlassung eingeladen worden.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
3. Gemäss Art. 11 Abs. 1 BGBB kann ein Erbe in der Erbteilung die Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes verlangen, wenn er dieses selbst bewirtschaften will und dafür geeignet erscheint. Für die Selbstbewirtschaftung geeignet ist, wer die Fähigkeiten besitzt, die nach landesüblicher Vorstellung notwendig sind, um den landwirtschaftlichen Boden selber zu bearbeiten und ein landwirtschaftliches Gewerbe persönlich zu leiten (Art. 9 Abs. 2 BGBB). |
Erwägung 3.1 |
In BGE 107 II 30 war zu entscheiden, an welche der beiden zweiundsechzig- und sechsundsechzigjährigen Töchter unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse ein landwirtschaftliches Gewerbe zugewiesen werden sollte. Das Bundesgericht wies das Gewerbe der sechsundsechzigjährigen Berufungsklägerin zu, da deren Sohn, ein Bauer, neben eigenem Land seit zehn Jahren den grössten Teil des in Frage stehenden Gewerbes als Pächter bewirtschaftete. Dabei hielt das Bundesgericht fest, dass die Nachkommenschaft ein wesentliches Kriterium für den Entscheid der Zuweisung darstelle, da die Erhaltung lebensfähiger landwirtschaftlicher Betriebe über Generationen hinweg einer der wesentlichen Zweckgedanken des bäuerlichen Erbrechts sei.
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In BGE 111 II 326 wurde ein landwirtschaftliches Gewerbe einem fünfundsiebzigjährigen Bewerber zugewiesen, obwohl dieser in absehbarer Zukunft nur noch leichtere Verrichtungen ausüben konnte und die Hauptlast der Arbeit sein damals sechsundvierzigjähriger Sohn zu tragen hatte, welcher beabsichtigte, das Gewerbe bis in eine ferne Zukunft weiterzubetreiben. Das Bundesgericht führte aus, dass diese Konstellation genüge, um die gemäss Art. 620 Abs. 1 aZGB für die Übernahme des Gewerbes verlangte Eignung des fünfundsiebzigjährigen Bewerbers zu bejahen.
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Aus der Gegenüberstellung der altrechtlichen Art. 620 ff. aZGB und der aktuellen Regelungen des BGBB wird ersichtlich, dass das BGBB mit Bezug auf die Voraussetzungen der Selbstbewirtschaftung bzw. die Kriterien der Eignung dazu keinen neuen Weg beschritten hat. Nach Art. 620 Abs. 1 aZGB hatte der Erbe zur Übernahme eines landwirtschaftlichen Gewerbes geeignet zu erscheinen; nach Art. 621 Abs. 1 aZGB entschieden bei mehreren Bewerbern der Ortsgebrauch und, wo ein solcher nicht bestand, die persönlichen Verhältnisse der Erben; nach Abs. 2 der genannten Bestimmung hatten Erben, die das Gewerbe selber betreiben wollten, in erster Linie Anspruch auf Zuweisung. Auch aus der Entstehungsgeschichte des BGBB geht hervor, dass für die Zuweisung zur Selbstbewirtschaftung unveränderte Voraussetzungen und Kriterien gelten sollen. In der Botschaft des Bundesrates vom 19. Oktober 1988 zum BGBB wird festgehalten, dass für die Umschreibung der Selbstbewirtschaftung wie auch der Eignung dazu von der bisherigen Praxis des Bundesgerichts auszugehen ist; unter anderem wird auf BGE 107 II 30 verwiesen (BBl 1988 III 988). Ebenso wird in der Literatur auf diese Praxis abgestellt. So führen verschiedene Autoren die unter altem Recht ergangenen Entscheide BGE 107 II 30 und BGE 111 II 326 im Zusammenhang mit der Darstellung des BGBB an (vgl. PETER TUOR/BERNHARD SCHNYDER, in: Tuor/Schnyder/Schmid/Rumo-Jungo, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 12. Aufl., Zürich 2002, S. 692 und 700; BRUNO BEELER, Bäuerliches Erbrecht gemäss dem Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht [BGBB] vom 4. Oktober 1991, Zürich 1998, S. 109). BENNO STUDER hält explizit fest, dass die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Beurteilung der Eignung zur Selbstbewirtschaftung auch unter dem neuen Recht herangezogen werden können, da der alt- und der neurechtliche Begriff der Eignung zur Selbstbewirtschaftung identisch seien (BENNO STUDER, Das bäuerliche Bodenrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht vom 4. Oktober 1991, Brugg 1995, N. 21 zu Art. 11 BGBB). Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann die Rechtsprechung zu Art. 620 ff. aZGB unter dem BGBB unverändert berücksichtigt werden (vgl. dazu auch Urteil 5A.17/2006 vom 21. Dezember 2006, E. 2.4.1). |
Die beiden Entscheide BGE 107 II 30 und BGE 111 II 326 wurden von BERNHARD SCHNYDER kommentiert (Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1981, bzw. 1985, in: ZBJV 119/1983 S. 90 f. und ZBJV 123/1987 S. 124 f.). Seiner Ansicht nach sind die Entscheide zu begrüssen, sie würden jedoch auch zeigen, wie sehr die ratio legis eines Gesetzes zum Ergebnis führen könne, dass Ausnahmebestimmungen nicht restriktiv interpretiert werden müssen. |
EDUARD HOFER hält fest, dass unter Berücksichtigung des Zwecks des Selbstbewirtschaftungsprinzips und der Wahrung der Kontinuität des Gewerbes Tätigkeiten anderer Familienmitglieder bei der Beurteilung der Eignung berücksichtigt werden sollen (EDUARD HOFER, Das bäuerliche Bodenrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht vom 4. Oktober 1991, Brugg 1995, N. 36 zu Art. 9 BGBB). Diese Meinung stützt auch BRUNO BEELER. Er führt zur Eignung zur Selbstbewirtschaftung aus, dass eine ungenügende Ausbildung des Ansprechers durch die entsprechende Ausbildung eines Familiengenossen kompensiert werden könne. Weiter könne ein eigenes Manko des Bewerbers, wie fortgeschrittenes Alter oder fragliche körperliche Fähigkeiten, durch die Unterstützung jüngerer Familienmitglieder behoben werden (BRUNO BEELER, a.a.O., S. 109).
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Anzumerken ist, dass auch in der Botschaft des Bundesrates zum BGBB festgehalten wird, dass die Fähigkeiten anderer Familienmitglieder, bspw. der Kinder, bei der Beurteilung der Eignung beizuziehen sind. Eine Umschreibung, welche nur die Fähigkeiten des Ehegatten berücksichtigt, sei zu eng (BBl 1988 III 988).
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