Urteilskopf
135 III 578
84. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Zürich (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_23/2009 vom 20. Mai 2009
Regeste
Kostenfestsetzung im Aufsichtsverfahren über den Willensvollstrecker.
Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Bei der Festsetzung der Kosten geniesst der Kanton grosses Ermessen. Es erweist sich aber als willkürlich, den Streitwert der Willensvollstreckerbeschwerde mit dem Nachlasswert gleichzusetzen (E. 6).
A. Mit letztwilliger Verfügung vom 12. Mai 1999 bestimmte A. die A.-Stiftung zu seiner Erbin. Seine Ehefrau (X.) und seine Tochter setzte er auf den Pflichtteil. In seinem Testament ernannte er Y. als Willensvollstrecker. Am 19. Mai 2003 verstarb A.
B. Mit Beschwerde vom 8. Februar 2007 verlangte X. im Wesentlichen die Absetzung von Y. als Willensvollstrecker und die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung.
Mit Verfügung vom 11. Juli 2008 wies das Bezirksgericht L. die Beschwerde ab und verpflichtete X. zu einer Gerichtsgebühr von Fr. 584'888.- und einer Entschädigung von Fr. 379'163.- zzgl. MWSt an den Willensvollstrecker; es ging dabei von einem Streitwert von 89,83 Mio. Fr. aus.
In teilweiser Gutheissung der Kostenbeschwerde gegen die Gerichtskosten und des Rekurses gegen die Parteientschädigung setzte das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 8. Dezember 2008 die erstinstanzliche Gerichtsgebühr auf Fr. 450'000.- und die Parteientschädigung auf Fr. 320'000.- zzgl. MWSt fest; es ging dabei von einem Streitwert von 118 Mio. Fr. aus (mutmasslicher Nachlasswert).
C. Gegen den Beschluss des Obergerichts hat X. (Beschwerdeführerin) am 7. Januar 2009 Beschwerde in Zivilsachen eingereicht mit den Begehren um Festsetzung der erstinstanzlichen Gerichtsgebühr auf Fr. 23'062.50 oder auf einen Betrag nach Ermessen des Bundesgerichtes, eventuell um Rückweisung der Sache an das Obergericht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den Beschluss des Obergerichts auf.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
6. In der Sache selbst behauptet die Beschwerdeführerin eine willkürliche Handhabung der massgeblichen kantonalen Grundlagen für die Festsetzung der Gerichtsgebühr sowie im Speziellen eine Verletzung des Äquivalenzprinzips.
6.1 Mit Beschwerde in Zivilsachen kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht und kantonaler
BGE 135 III 578 S. 580
verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden (
Art. 95 BGG). Kantonales Recht ist - unter Vorbehalt von
Art. 95 lit. c und d BGG - vom Bundesgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen. Das Obergericht hat sich bei der Festsetzung der Gerichtskosten auf die kantonale Verfahrensordnung sowie auf das verfassungsrechtliche Äquivalenzprinzip abgestützt. Dieses konkretisiert das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Willkürverbot für den Bereich der Kausalabgaben (
BGE 130 III 225 E. 2.3 S. 228). Die Frage der Verhältnismässigkeit kann ausserhalb des Schutzbereichs spezieller Grundrechte nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots geprüft werden (
BGE 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158). Es kann somit geltend gemacht werden, die konkrete Anwendung des kantonalen Rechts habe das Willkürverbot gemäss
Art. 9 BV oder andere verfassungsmässige Rechte verletzt (
BGE 133 III 462 E. 2.3 S. 466).
6.2 Gemäss § 64 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976 (ZPO/ZH; LS 271) bemessen sich die in der Regel der unterliegenden Partei aufzuerlegenden Gerichtskosten nach den Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. September 1978 (GVG/ZH; LS 211.1). In
§ 202 Abs. 1 GVG/ZH wird die Verordnungskompetenz für die Gebühren- und Entschädigungsansätze an das Obergericht delegiert, welches am 4. April 2007 die vorliegend massgebende Verordnung über die Gerichtsgebühren (LS 211.11; im Folgenden: GebV/ZH) erlassen hat.
Bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten beträgt die Gerichtsgebühr aufgrund des tatsächlichen Streitinteresses, des Zeitaufwandes und der Schwierigkeit des Falles zwischen Fr. 300.- und 13'000.- (§ 4 Abs. 3 GebV/ZH). Für vermögensrechtliche Streitigkeiten sieht § 4 Abs. 1 GebV/ZH einen streitwertabhängigen Tarif vor. Sie kann um bis zu einem Drittel, in Ausnahmefällen auch um mehr, erhöht oder insbesondere bei periodisch wiederkehrenden Leistungen ermässigt werden (§ 4 Abs. 2 GebV/ZH). Im summarischen Verfahren beträgt die Gebühr zwei Drittel bis drei Viertel des so berechneten Betrages (§ 7 GebV/ZH).
Gemäss
§ 17 ZPO/ZH richtet sich der Streitwert nach dem Rechtsbegehren des Klägers zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit. Geht die Klage nicht auf Geldzahlung, ist der Wert massgebend, welchen die Parteien dem Streitgegenstand übereinstimmend
BGE 135 III 578 S. 581
beilegen (
§ 22 Abs. 1 ZPO/ZH). Sind die Parteien nicht einig, bestimmt das Gericht den Streitwert nach freiem Ermessen; in der Regel ist der höhere Betrag massgebend (
§ 22 Abs. 2 ZPO/ZH).
6.3 Das Obergericht ist von einer vermögensrechtlichen Streitigkeit ausgegangen, was die Beschwerdeführerin für willkürlich hält. Sie macht geltend, es sei ihr mit der Willensvollstreckerbeschwerde bloss um Transparenz bezüglich der finanziellen Situation bzw. um die Speisung der A.-Stiftung durch saubere Mittel gegangen, ferner auch um die Erledigung des Steuerstrafverfahrens, um den Schutz des Rufes des Erblassers und um die Vermeidung einer "black box". All dies seien nicht vermögenswerte, sondern ideelle Ziele.
Vorab liesse sich fragen, ob die Willkürrüge nicht bereits daran scheitert, dass erbrechtliche Angelegenheiten naturgemäss nicht ideeller, sondern vermögensrechtlicher Art sind. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht in seiner publizierten Rechtsprechung sowohl den Ausschluss aus einer Stockwerkeigentümergemeinschaft (
BGE 113 II 15 E. 1 S. 17) und die Anfechtung von Beschlüssen der Stockwerkeigentümergemeinschaft schlechthin (
BGE 108 II 77 E. 1b S. 79 f.) als auch die Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen einer Aktiengesellschaft (
BGE 107 II 179 E. 1 S. 181) und das Gesuch um Einsetzung eines Sonderprüfers (
BGE 120 II 393 E. 2 S. 395;
BGE 129 III 301 E. 1.2.2 S. 304) als vermögensrechtlich ansieht. Was den Willensvollstrecker im Speziellen anbelangt, hat das Bundesgericht im Urteil 5A_646/2008 vom 22. Dezember 2008 E. 2.3 ausdrücklich entschieden, dass die Annahme, ein Streit um dessen Absetzung sei vermögensrechtlicher Natur, nicht als willkürlich angesehen werden kann. Von einer vermögensrechtlichen Streitigkeit geht auch die Lehre aus (vgl. POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire [...], Bd. II, 1990, S. 16 und 233).
Im vorliegenden Fall stehen direkte finanzielle Interessen sogar besonders stark im Vordergrund. Anlass und Zweck der Willensvollstreckerbeschwerde war, dass die Beschwerdeführerin zusätzliche Vermögenswerte von ca. 90 Mio. Fr. in die Nachlassmasse holen will und der Willensvollstrecker nach ihrer Auffassung diese Pläne zu durchkreuzen versucht. Sie verfolgt somit keine ideellen, sondern vermögensrechtliche Interessen. Die Willensvollstreckerbeschwerde durfte mithin willkürfrei als vermögensrechtliche Streitigkeit qualifiziert und ihr ein Streitwert beigemessen werden.
BGE 135 III 578 S. 582
6.4 Was dessen Höhe anbelangt, hat das Obergericht erwogen, weder könnten die vom Willensvollstrecker erbrachten bzw. zu erbringenden Leistungen massgeblich sein, stehe doch weit mehr als nur dessen Honorar auf dem Spiel, noch der Erbteil der Beschwerdeführerin, ansonsten sich der Streitwert laufend ändern würde, je nachdem, welcher Erbe die Beschwerde einreiche. Umso weniger könne dies im vorliegenden Fall relevant sein, wo die Beschwerdeführerin im Hauptpunkt die Absetzung des Willensvollstreckers verlangt habe, was die Abwicklung des gesamten Nachlasses betreffe und sich auf sämtliche Erben gleichermassen auswirke. Eine Amtsführung, der nur durch die Absetzung des Willensvollstreckers begegnet werden könne, gefährde regelmässig den Nachlass als Ganzes, und deshalb bilde in solchen Fällen der (sich gemäss Verfügung der Finanzdirektion des Kantons Zürich vom 11. März 2008 auf Fr. 118'564'675.- belaufende) Nachlasswert die wirtschaftliche Tragweite der Willensvollstreckerbeschwerde am besten ab.
6.5 Die Beschwerdeführerin erachtet es als willkürlich, dass das Obergericht für die Streitwertberechnung den Nachlasswert als Grundlage genommen hat.
In der Tat ist im vorliegenden Fall nicht der Nachlass, sondern die Absetzung des Willensvollstreckers Streitgegenstand. Entsprechend ist der Nachlasswert als solcher ein sachfremdes Kriterium im Zusammenhang mit der Beurteilung (einzig und spezifisch) der Absetzungsfrage. Dass es unhaltbar und damit willkürlich ist, den Nachlasswert als Streitwert im Absetzungsverfahren anzunehmen, zeigt sich insbesondere auch darin, dass es im Zuge der Erbschaftsabwicklung ohne weiteres zu stets neuen Beschwerden, ja auch zu mehreren Absetzungsbegehren kommen kann, während im ganzen Bereich des Zivilrechts in der Sache selbst typischerweise ein einziges materielles Urteil gefällt wird.
Im vorliegenden Fall darf aber im Zusammenhang mit der Absetzung selbstverständlich die hinter dieser Frage stehende grosse (finanzielle) Tragweite berücksichtigt werden: Wie erwähnt geht es der Beschwerdeführerin letztlich darum, mit der personellen Ersetzung des Willensvollstreckers umfangreiche Vermögenswerte in die Nachlassmasse zu holen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe von der Gutheissung der Beschwerde keinen oder nur einen geringen finanziellen Nutzen erwartet, ist deshalb falsch.
BGE 135 III 578 S. 583
Unzutreffend ist auch die Behauptung, es sei ihr gar nicht um eine Absetzung des Willensvollstreckers gegangen, sie habe die Ersetzung durch einen Erbschaftsverwalter nur als "ultima ratio" angesehen: Die Beschwerdeführerin hat erstinstanzlich als Hauptbegehren die Absetzung des Willensvollstreckers und Ersetzung durch einen Erbschaftsverwalter, eventualiter eine Einstellung des Willensvollstreckers im Amt und subeventualiter die nach Ermessen des Einzelrichters zum Schutz des Nachlasses und der Interessen der Erben erforderlichen Weisungen verlangt. Diese Rechtsbegehren, welche die Beschwerdeführerin selbst gestellt hat, muss sie sich entgegenhalten lassen. Gleichwohl bleibt es dabei, dass eine Gerichtsgebühr von Fr. 450'000.- für das Absetzungsverfahren eines Willensvollstreckers unhaltbar ist und damit
Art. 9 BV verletzt.
Die Kostenfestsetzung ergeht vorliegend gestützt auf kantonales Recht und der Kanton geniesst bei der Bemessung der Gerichtsgebühr einen weiten Spielraum, der einzig durch das Willkürverbot bzw. die aus ihm abgeleiteten Prinzipien begrenzt ist. Es würde daher nicht angehen, dem Obergericht über die vorstehend genannten Anhaltspunkte hinaus konkrete Vorgaben für die Neufestsetzung der Gerichtsgebühr zu machen. Es sei einzig erwähnt, dass es im Rahmen des weiten kantonalen Ermessens und aufgrund des aufsichtsrechtlichen Charakters des kantonalen Verfahrens durchaus auch zulässig wäre, sich statt an der Verordnung des Obergerichts über die Gerichtsgebühren an der Verordnung vom 26. Juni 1997 über Gebühren (...) des Verwaltungsgerichts (LS 175.252) zu orientieren; nach deren § 3 kann die Gerichtsgebühr bei Streitwerten über Fr. 1'000'000.- bis Fr. 50'000.- betragen, und dieser Betrag kann gemäss § 5 bei besonders aufwändigen Verfahren bis auf den doppelten Betrag erhöht werden.
6.6 Angesichts der vorstehenden Erwägungen, die zu einer Aufhebung des angefochtenen Entscheides führen, werden die Fragen rund um die Äquivalenz im engeren Sinn gegenstandslos, muss doch vielmehr die neu festgesetzte Gerichtsgebühr vor dem Äquivalenzprinzip standhalten. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, der erstinstanzliche Richter habe unnötigen Aufwand betrieben, sei immerhin bemerkt, dass sie erwarten durfte, dass sich der erstinstanzliche Richter ernsthaft mit ihrer knapp 200-seitigen Beschwerde und ihren verschiedenen weiteren Eingaben
BGE 135 III 578 S. 584
(namentlich 30-seitige Eingabe vom 14. Juni 2007 und über 100-seitige Eingabe vom 23. Juni 2008) sowie mit der über 200-seitigen Beschwerdeantwort und den weiteren Stellungnahmen beschäftigen würde. Sodann hat sie die umfangreichen Beilagen offensichtlich mit dem Zweck eingereicht, dass sie zur Kenntnis genommen würden; wenn der erstinstanzliche Richter genau dies getan hat, kann die Beschwerdeführerin nicht ernsthaft behaupten, dieser habe zu viel Aufwand betrieben und der 125-seitige Entscheid sei unnötig bzw. unangemessen gewesen.