BGE 136 III 518 |
75. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_229/2010 vom 7. Oktober 2010 |
Regeste |
Art. 418r, 418a und 418c OR. Agenturvertrag. Fristlose Auflösung. Weisungsgebundenheit und Treuepflicht des Agenten. |
Aus den Erwägungen: |
3. Die Vorinstanz qualifizierte das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien als Agenturvertrag im Sinne von Art. 418a ff. OR. Diese Qualifikation blieb hier unbestritten, so dass die strittigen Fragen auch im vorliegenden Verfahren ohne Prüfung der Rechtsnatur des Vertrages (vgl. BGE 129 III 664 E. 3.1; BGE 84 II 493 E. 2 S. 496) nach Agenturvertragsrecht zu beurteilen sind (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). |
(...)
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4.4 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung äusserte sich zur Frage der Weisungsgebundenheit des Agenten bisher nur im Rahmen der Abgrenzung des Agenturvertrages gegenüber dem Arbeitsvertrag, insbesondere in seiner Form als Handelsreisendenvertrag (vgl. BGE 129 III 664 E. 3.2 S. 667). Insoweit hielt das Bundesgericht fest, dass zwischen den Vertragsparteien des Agenturvertrags, im Gegensatz zu denen des Arbeitsverhältnisses, kein Subordinationsverhältnis besteht und dass der Arbeitnehmer im Gegensatz zum Agenten an Instruktionen und Weisungen des Vertragspartners gebunden ist (BGE 129 III 664 E. 3.2 S. 668; BGE 99 II 314). In einem neueren Entscheid führte das Bundesgericht sodann präzisierend aus, es sei zwar für das Bestehen eines Subordinationsverhältnisses entscheidend, dass der Arbeitnehmer in eine fremde, hierarchische Arbeitsorganisation eingegliedert werde und damit von bestimmten Vorgesetzten Weisungen erhalte. Die Schwierigkeit liege allerdings darin, dass auch bei anderen Verträgen auf Arbeitsleistung, zum Beispiel beim Auftrag, ein Weisungsrecht bestehe. Es komme deshalb auf das Mass der Weisungsgebundenheit an. Im konkreten Fall schloss das Bundesgericht angesichts einer schwach ausgeprägten Weisungsgebundenheit, des hohen Masses an Selbständigkeit des Beauftragten in der Ausführung seiner Arbeit im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberatung sowie in Berücksichtigung aller weiteren massgeblichen Umstände (insbesondere keine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation in zeitlicher und örtlicher Hinsicht, weitgehend fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit) auf das Vorliegen eines Auftrags bzw. Agenturvertrags, wenn auch der Beauftragte regelmässige Besprechungen mit der Geschäftsführung der Auftraggeberin an deren Sitz hatte und verpflichtet war, sämtliche Arbeitsunterlagen der Beklagten zur Verfügung zu halten, damit diese ein einheitliches Auftreten kontrollieren konnte; ferner bestanden klare Weisungen bezüglich des Datenschutzes und der Vorkehren gegen Geldwäscherei, wobei sich dies zwingend aus der Art der Geschäfte und den dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen ergab (Urteil 4C.276/2006 vom 25. Januar 2007 E. 4.3 und 5). |
In der Literatur besteht soweit ersichtlich Einigkeit darüber, dass der Agent zwar in einem gewissen Mass weisungsgebunden ist und die übernommenen Geschäfte vertragsgemäss und weisungsgemäss zu besorgen hat (GEORG GAUTSCHI, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1964, N. 6a zu Art. 418c OR; DOMINIQUE DREYER, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 9 f. zu Art. 418c OR; vgl. auch ANDRÉ THOUVENIN, Das Agenturvertragsrecht in der Schweiz, in: Internationales Handelsrecht 5/2007 S. 193; ERNST SONTAG, Kommentar zum Bundesgesetz über den Agenturvertrag, 1949, N. 1 zu Art. 418a OR; GUIDO MEISTER, Bundesgesetz über den Agenturvertrag, 1949, S. 23). Dabei sind auch einseitige Ausführungsanweisungen des Auftraggebers möglich, namentlich was die Einhaltung der Vertrags- und Zahlungsbedingungen für die vermittelten Geschäfte angeht. Dem Weisungsrecht im Agenturvertrag sind indessen relativ enge Grenzen gezogen, ist doch der Agent selbständiger Gewerbetreibender und kommt er für die Kosten seines Geschäftsbetriebes selber auf. Oneröse Weisungen, insbesondere solche, die dem Agenten die Erreichung des Auftragserfolgs erschweren, sind unzulässig (GAUTSCHI, a.a.O., N. 6a und c zu Art. 418c OR; SUZANNE WETTENSCHWILER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 3 zu Art. 418c OR; DREYER, a.a.O., N. 9 f. zu Art. 418c OR). Organisatorisch ist der Agent weisungsungebunden, verfügt über seine Arbeitszeit frei, beschäftigt eigenes Hilfspersonal oder beauftragt in den Schranken von Art. 399 Abs. 2 OR Unteragenten. Diese Freiheit findet ihre Grenzen in der Pflicht zur sorgfältigen Geschäftserledigung sowie in Parteivereinbarungen (WETTENSCHWILER, a.a.O., N. 3 zu Art. 418a OR; THEODOR BÜHLER, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2000, N. 17 und 32 zu Art. 418a OR; GAUTSCHI, a.a.O., N. 6 zu Art. 418c OR; MEISTER, a.a.O., S. 23).
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Von der Weisungsgebundenheit ist die Treuepflicht zu unterscheiden, die namentlich in Art. 418c OR umschrieben und begrenzt wird. Danach hat der Agent die Interessen des Auftraggebers (mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes) zu wahren (Art. 418c Abs. 1 OR). Sofern nichts anderes schriftlich vereinbart ist, darf er auch für andere Auftraggeber tätig sein (Art. 418c Abs. 2 OR). Die gesetzliche Treuepflicht kann dem Agenten aber insbesondere verbieten, für einen Konkurrenten des Auftraggebers tätig zu werden oder den Auftraggeber selber zu konkurrenzieren. Ferner ist ihm verboten, eine Doppelvermittlung zu betreiben (Provisionsbezug sowohl vom Auftraggeber als auch vom Kunden). Sodann gebietet ihm die Treuepflicht, Interessenkollisionen zu vermeiden oder bei solchen sein Interesse vor dem des Auftraggebers zurücktreten zu lassen (WETTENSCHWILER, a.a.O., N. 4 f. zu Art. 418c OR; DREYER, a.a.O., N. 14 f. zu Art. 418 OR; GAUTSCHI, a.a.O., N. 3c zu Art. 418c OR und N. 4c zu Art. 418d OR; BÜHLER, a.a.O., N. 5 zu Art. 418c OR; PIERRE ENGEL, Contrats de droit suisse, 2. Aufl. 2000, S. 543 Ziff. 3 und S. 545 Ziff. 10; TERCIER/FAVRE/CONUS, Les contrats spéciaux, 4. Aufl. 2009, Rz. 5745 ff.; SONTAG, a.a.O., N. 11 zu Art. 418a OR, N. 1 zu Art. 418c OR und Kommentierung zu Abs. 2 von Art. 418c OR). Aus der Treuepflicht des Agenten lässt sich dagegen nicht auf eine weitere Weisungsgebundenheit schliessen, als sie vorstehend umschrieben wurde. |
Es bleibt somit auch bei Berücksichtigung der Treuepflicht des Agenten dabei, dass den Weisungsbefugnissen des Auftraggebers im Rahmen des Agenturvertrags enge Grenzen gezogen sind. Insbesondere ist es ohne gegenteilige Parteivereinbarung Sache des Agenten, auf welche Weise er für den Auftraggeber Geschäfte vermittelt, und muss er sich die zu verfolgende Strategie nicht vom Auftraggeber vorschreiben lassen. Ebenso wenig kann vom Agenten verlangt werden, gegen seinen Willen mit einer neu geschaffenen Verkaufsorganisation des Auftraggebers zusammenzuarbeiten, wie dies der Beschwerdeführerin nach ihren Vorbringen im vorinstanzlichen Verfahren vorschwebt, wenn dies im Vertrag nicht vorgesehen ist. Darin läge ein nicht unerheblicher Eingriff in seine Freiheit zur organisatorischen und zeitlichen Gestaltung seiner Tätigkeit oder gar eine mehr oder weniger starke Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Dies ist dem Agenturvertrag fremd und braucht sich der Agent nicht gefallen zu lassen. Da der Beschwerdegegner nach den vorinstanzlichen Feststellungen keine vertragliche Verpflichtung eingegangen war, sich an einer neuen Vermarktungsstrategie der Beschwerdeführerin für das B.-Produkt zu beteiligen und mit deren hierfür geschaffenen Verkaufsorganisation zusammenzuarbeiten oder sich in eine solche einbetten zu lassen, kann ihm keine Vertragsverletzung vorgeworfen werden, wenn er eine entsprechende Zusammenarbeit verweigerte. Dies erkannte die Vorinstanz zu Recht. Der Beschwerdeführerin wäre es bei Vertragsabschluss freigestanden, auf einer zweiseitigen Regelung zu bestehen, die eine Einbindung des Beschwerdegegners in eine neu zu schaffende Verkaufsorganisation vorgesehen hätte. Nachdem sie dies nicht tat, kann sie sich nicht darauf berufen, ihr wäre die Weiterführung des Agenturverhältnisses bis zum vertraglichen Beendigungstermin nicht zumutbar gewesen, weil die Weigerung des Agenten, mit der neu geschaffenen Verkaufsorganisation zusammenzuarbeiten, für sie fatal gewesen wäre und im Ergebnis dazu geführt hätte, dass der Agent geradezu das Recht gehabt hätte, organisatorische Massnahmen der Auftraggeberin zu genehmigen, mithin dieser Weisungen zu erteilen. Ohnehin können die entsprechenden Vorbringen grösstenteils nicht gehört werden, weil sie sich weitgehend auf Sachverhaltselemente stützen, hinsichtlich derer die Vorinstanz keine Feststellungen traf, ohne dass die Beschwerdeführerin dazu taugliche Sachverhaltsrügen erheben würde (nicht publ. E. 1.3). |
Nach dem Ausgeführten ist der Vorinstanz von vornherein keine Rechtsverletzung vorzuwerfen, wenn sie keine weitergehenden Sachverhaltsfeststellungen dazu traf, worin die vom neuen Verkaufsleiter gewünschte kooperative Zusammenarbeit mit dem Beschwerdegegner im Einzelnen bestanden hätte. Ohnehin erhebt die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den dazu vorgebrachten, über den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt hinausgehenden Tatsachenbehauptungen keine rechtsgenüglich substanziierten Sachverhaltsrügen, die zur Ergänzung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts durch das Bundesgericht oder zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Sachverhaltsergänzung führen könnten (nicht publ. E. 1.3).
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