137 III 97
Urteilskopf
137 III 97
16. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Z. gegen Departement Inneres und Kultur des Kantons Appenzell Ausserrhoden (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_477/2010 vom 27. Januar 2011
Regeste
Art. 30 Abs. 1 und Art. 267 Abs. 1 ZGB ; Namensänderung bei einem adoptierten Erwachsenen.
Der Wunsch einer 56-jährigen Person, nach der Adoption den bisherigen Familiennamen weiterzuführen, bringt die enge Verbindung zwischen dem Namen und der Persönlichkeit zum Ausdruck und genügt als wichtiger Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB, um die Namensänderung zu bewilligen (Änderung der Rechtsprechung; E. 3).
A. Am 21. Juni 2008 stellte A.Z. (geb. 1927) das Gesuch um Adoption von E.H. (geb. 1953). Gleichzeitig ersuchte E.H. um
BGE 137 III 97 S. 98
Bewilligung, nach der Adoption ihren bisherigen Familiennamen weiterführen zu dürfen. Mit Beschluss des Regierungsrates des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 20. Januar 2009 wurde die Erwachsenenadoption gemäss Art. 266 ZGB ausgesprochen und erhielt E.H. den Familiennamen Z. Das Gesuch von E.Z. um Änderung ihres Namens gemäss Art. 30 Abs. 1 ZGB in "H." wurde mit Verfügung des Departementes für Inneres und Kultur des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 6. Februar 2009 abgewiesen.
B. E.Z. gelangte betreffend die Verweigerung der Namensänderung an den Regierungsrat Appenzell Ausserrhoden, welcher die Beschwerde am 7. Juli 2009 abwies. Hiergegen erhob E.Z. Beschwerde an das Verwaltungsgericht Appenzell Ausserrhoden, welche mit Urteil vom 24. Februar 2010 abgewiesen wurde.
C. Mit Eingabe vom 28. Juni 2010 führt E.Z. Beschwerde in Zivilsachen. Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts Appenzell Ausserrhoden vom 24. Februar 2010 aufzuheben und die Änderung ihres Namens von "Z." in "H." zu bewilligen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
3. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt das Gesuch der (mittlerweile) 57-jährigen Beschwerdeführerin, welche den durch die Adoption erworbenen Namen "Z." in ihren früheren Namen "H." ändern will, welchen sie zeitlebens getragen hat. Sie macht geltend, die Verweigerung der Bewilligung zur Führung ihres früheren Namens verletze die massgebenden Bestimmungen des ZGB sowie ihre u.a. durch die EMRK geschützte Persönlichkeit, zumal aus der Beibehaltung ihres früheren Namens trotz Adoption die Rechtssicherheit bzw. das öffentliche Interesse nicht beeinträchtigt werde.
3.1 Die Beschwerdeführerin wurde von A.Z. im Alter von 56 Jahren nach Art. 266 ZGB adoptiert. Nach Art. 267 Abs. 1 ZGB erhält das Adoptivkind die Rechtsstellung eines Kindes der Adoptiveltern bzw. des Einzeladoptierenden. Die Adoption hatte demnach von Gesetzes wegen zur Folge, dass die Beschwerdeführerin den Namen ihrer Adoptivmutter erwarb (Art. 270 Abs. 2 ZGB). Der gesetzliche Namenswechsel kann nur durch eine Namensänderung nach Art. 30 Abs. 1 ZGB rückgängig gemacht werden. Nach dieser Bestimmung
BGE 137 III 97 S. 99
kann die Regierung des Wohnsitzkantons einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn wichtige Gründe vorliegen. Ob im einzelnen Fall ein Grund für eine Namensänderung vorliegt, ist eine Ermessensfrage, die von der zuständigen Behörde nach Recht und Billigkeit zu beantworten ist (Art. 4 ZGB; BGE 136 III 161 E. 3.1 S. 162).
3.2 Die Namensänderung bei einem adoptierten Erwachsenen hat nach der Rechtsprechung den Zweck, ernstliche Nachteile zu beseitigen, die mit dem durch die Adoption erworbenen Namen verbunden sind, wobei vor allem moralische, geistige und seelische, aber auch wirtschaftliche oder administrative Interessen im Spiel stehen können (BGE 108 II 1 E. 5a S. 4; allgemein betreffend Art. 30 Abs. 1 ZGB: BGE 136 III 161 E. 3.1.1 S. 163). Dies ist nach der Rechtsprechung z.B. der Fall, wenn der bisherige Name für seinen Träger eine religiöse Bedeutung hat (BGE 108 II 1 E. 5b S. 5: Beibehaltung des Namens "Lévy" bei Adoption durch eine nichtjüdische Person), nicht aber im Falle blosser Unannehmlichkeiten, welche durch die Erwachsenenadoption entstehen (BGE 105 II 65 E. 3 S. 67 ).
3.3 Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die zeitlebens bzw. 57 Jahre dauernde Namensführung und die Beeinträchtigung, welche durch den Namenswechsel in der sozialen und psychischen Sphäre ihrer Persönlichkeit verursacht werde.
3.3.1 Der Name gehört zur Persönlichkeit (BGE 126 III 1 E. 3c S. 2), und der Namenswechsel durch eine Statusänderung berührt das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen um so mehr, je länger dieser den bisherigen Namen getragen hat (vgl. HEGNAUER, Berner Kommentar, 1997, N. 43 zu Art. 270 ZGB). Die Beschwerdeführerin hält an sich richtig (unter Hinweis auf einen kantonalen Entscheid aus dem Jahre 2007; vgl. FamPra.ch 2008 S. 364 ff.) fest, dass mit Blick auf die Dauer der Namensführung auch eine 33-jährige Person sich nach einer Erwachsenenadoption wünschen könnte, den bisherigen Namen weiterführen zu wollen. In der Tat kann eine Abgrenzung nach der Anzahl Jahre der Namensführung sachlich nicht begründet werden. Das Argument der Dauer für den Wunsch, den bisherigen Namen weiterzuführen, läuft vielmehr auf die allgemeine Forderung hinaus, den durch die Erwachsenenadoption erworbenen Namen ablehnen zu dürfen.
3.3.2 Zu dieser Frage hat das Bundesgericht in BGE 105 II 65 ff. Stellung bezogen. Der Gesetzgeber habe mit der Revision des
BGE 137 III 97 S. 100
Adoptionsrechts das Adoptivverhältnis dem ehelichen Kindesverhältnis gleichstellen wollen. Mit diesem Zweck sei es nicht vereinbar, wenn das Adoptivkind seinen bisherigen Namen beibehielte. Dabei sei dem Gesetzgeber die Problematik der Adoption Erwachsener durchaus bewusst gewesen. Dennoch sei bezüglich der Übernahme des Namens der Adoptiveltern keine Wahlfreiheit oder sonstwie Erleichterung vorgesehen worden. Die Rechtsprechung schloss daraus, dass eine Person, welche sich adoptieren lassen will, auch die gesetzlichen Folgen der Adoption auf sich nehmen müsse (BGE 105 II 65 E. 3 S. 67; bestätigt in BGE 108 II 1 E. 3 S. 3).
3.3.3 Die geltende Rechtslage wird in der Lehre als unbefriedigend bezeichnet (HEGNAUER, a.a.O., N. 45 zu Art. 270 ZGB, mit Hinweis de lege ferenda). In ihren Vorbringen übernimmt die Beschwerdeführerin die Kritik, dass ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Namenseinheit von Eltern und mündigen Kindern fehle (vgl. HEGNAUER, a.a.O., N. 65 zu Art. 270 ZGB). Die Beschwerdeführerin stützt sich einzig auf das Argument der Zeitspanne der Namensführung und den persönlichen Wunsch, den bisherigen Familiennamen nach der Adoption führen zu wollen. Sie beruft sich nicht auf weitere insbesondere moralische, geistige oder seelische Interessen, welche von der Vorinstanz übergangen worden seien. Anhaltspunkte, welche den Schluss zulassen würden, dass die Beschwerdeführerin durch den Namenswechsel besonders belastet wäre, gehen aus dem angefochtenen Urteil nicht hervor. Sie ist nach dem angefochtenen Urteil nicht etwa Künstlerin, Politikerin, Schriftstellerin, Inhaberin eines unter ihrem Namen geführten Geschäfts oder dergleichen. Nach der erwähnten Rechtsprechung gilt sie daher - anders als diese Personen - nicht in besonderem Masse an der Beibehaltung des Namens, unter dem sie bekannt ist, interessiert (BGE 105 II 65 E. 4 S. 69).
3.4 Zu prüfen ist, ob an der dargelegten und vom Verwaltungsgericht als massgeblich erachteten Praxis zu Art. 30 Abs. 1 ZGB festgehalten werden kann.
3.4.1 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil Nr. 664/06 Losonci Rose und Rose gegen Schweiz vom 9. November 2010, nach welchem die gesetzliche Verpflichtung der Ehegatten zu einem gemeinsamen Familiennamen diskriminierend ist, mit Bezug auf Art. 8 EMRK die Bedeutung des eigenen Namens als zentrales Element der Individualisierung und Identität der Person betont (§ 51; Urteil Nr. 44378/05 Daróczy gegen Ungarn vom 1. Juli
BGE 137 III 97 S. 101
2008 § 32). Ob der angefochtene Entscheid (wie die Beschwerdeführerin meint) gegen Art. 8 EMRK verstösst, braucht - wie sich aus dem Folgenden ergibt - nicht näher erörtert zu werden.
3.4.2 Die beiden angerufenen Bundesgerichtsentscheide sind in den Jahren 1979 und 1982 ergangen und stützen sich auf die Revision des Adoptionsrechts durch das Bundesgesetz vom 30. Juni 1972 (AS 1972 II 2819). Das Bundesgericht hat dabei der Entstehungsgeschichte entscheidendes Gewicht zukommen lassen (vgl. E. 3.3.2), weil es sich damals um nicht vor langer Zeit erlassene Vorschriften handelte. Seither hat die Funktion des Familiennamens zur Kennzeichnung der Familienzugehörigkeit (BGE 126 III 1 E. 3a S. 3; BGE 119 II 307 E. 2 S. 308) an Bedeutung eingebüsst. Durch die spätere Revision von Bestimmungen des ZGB sind die gesetzlichen Wirkungen von Statusänderungen auf den Namen von Erwachsenen begrenzt worden, indem der individuellen Namenswahl mehr Gewicht eingeräumt wird (vgl. Art. 30 Abs. 2 ZGB: Wahl des Familiennamens der Ehefrau als Familiennamen; Art. 119 Abs. 1 ZGB: Wiederannahme des früheren Namens durch den geschiedenen Ehegatten; Art. 160 Abs. 2 ZGB: Voranstellung des bisherigen Namens eines der Brautleute vor den ehelichen Familiennamen). Diese Wandlung der gesetzlichen Namensregeln sind heute bei der Beurteilung der wichtigen Gründe nach Art. 30 Abs. 1 ZGB zu berücksichtigen. Im Weiteren hat das Bundesgericht in der neueren Rechtsprechung zur kindesrechtlichen Namensänderung den Grundsatz der Namenseinheit relativiert. So stellt der allgemeine Hinweis des Kindes, es diene seinem Wohl, in Namenseinheit mit Mutter und Stiefvater zu leben, mit Blick auf die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse keinen wichtigen Grund für die Änderung des Familiennamens dar (BGE 121 III 401 E. 2b/bb S. 403; BGE 121 III 145 E. 2c S. 148).
3.4.3 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang (bzw. gleichzeitig) mit der Erwachsenenadoption die Beibehaltung des Familiennamens verlangt. Im Licht der dargelegten Entwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung kann an der bisherigen Praxis (BGE 105 II 65 ff.) nicht länger festgehalten werden, soweit damit weitere Gründe zur Ablehnung des mit der Adoption erworbenen Namens verlangt werden. Es ist kein hinreichendes öffentliches Interesse ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin den Namen der Adoptivmutter erhält; sie weist zu Recht auf die lange Zeitspanne der bisherigen Namensführung hin. Allein
BGE 137 III 97 S. 102
der Wunsch, den bisherigen Familiennamen nach der Adoption weiterführen zu wollen, bringt die enge Verbindung zwischen dem Namen und der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin zum Ausdruck. Dies genügt als wichtiger Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB, um die Namensänderung zu bewilligen.