BGE 137 III 444 |
66. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_235/2011 vom 8. August 2011 |
Regeste |
Art. 781 ZGB; Inhalt und Umfang eines Kiesausbeutungsrechts. |
Sachverhalt |
Die X. AG (Beschwerdeführerin) und die Y. AG (Beschwerdegegnerin) verfügen je über Dienstbarkeiten für den Kiesabbau zulasten des Grundstücks Nr. 324. Die Beschwerdegegnerin baut auf einem Teil des Grundstücks Sand, Kies und weitere Materialien ab und richtet den ursprünglichen Zustand fortlaufend wieder her, indem sie die abgebauten Flächen mit Aushub verfüllt, mit Humus bedeckt und zuletzt begrünt. Zu ihren Gunsten besteht seit 1979 eine mit dem Stichwort "Kiesausbeutungsrecht" im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit. Die zu Gunsten der Beschwerdeführerin Ende 2005 begründeten und 2006 im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeiten umfassen das "Abbaurecht für Sand, Kies, Aushub und übrige Materialien" mit dazugehörigem "Fahrwegrecht" und "Leitungsrecht" sowie das "Deponierecht (ausschliesslich) für Aushubmaterial der Klasse 1" mit dazugehörigem "Fahrwegrecht" und "Leitungsrecht". Die Beschwerdeführerin erhob Klage mit den Begehren, der Beschwerdegegnerin zu verbieten, auf dem Grundstück Nr. 324 Aushubmaterial jedweder Art zu deponieren und das Grundstück Nr. 324 mit Aushubmaterial zu befahren, und eventualiter festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin auf dem Grundstück Nr. 324 über keine Dienstbarkeit im Sinne eines Deponierechts sowie eines Fahrwegrechts für den Zu- und Abtransport von Aushubmaterial verfügt. Die kantonalen Gerichte wiesen die Klage ab. Die Beschwerdeführerin erneuert vor Bundesgericht ihre Klagebegehren. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. |
(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
2.1 Die im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit zu Gunsten der Beschwerdegegnerin ist eine Personaldienstbarkeit (Art. 781 Abs. 1 ZGB) und gehört zu den sog. Ausbeutungsrechten, d.h. zu den Rechten auf Gewinnung von Bodenbestandteilen wie Lehm, Torf, Schiefer, Sand, Steine u.ä. (vgl. LEEMANN, Berner Kommentar, 1925, N. 36 zu Art. 781 ZGB; LIVER, Zürcher Kommentar, 1980, N. 174 zu Art. 730 ZGB). |
2.3.1 Zum Gegenstand des Dienstbarkeitsvertrags hat das Obergericht festgestellt, dass der Beschwerdegegnerin darin auf unbestimmte Zeit das dingliche Recht eingeräumt werde, auf einem Teil der Liegenschaft unbeschränkt Kies, Sand und alle übrigen Materialien und Elemente auszubeuten (Ziff. 1), und dass das von der Kiesausbeutung in Anspruch genommene Terrain durch die Beschwerdegegnerin fortlaufend wieder einzufüllen, zu humusieren und zu begrünen sei (Ziff. 4 des Dienstbarkeitsvertrags vom 4. Mai 1979). |
2.3.5 Sei im Kiesausbeutungsrecht zu Gunsten der Beschwerdegegnerin somit die Wiederauffüllung und Humusierung des abgebauten Gebietes enthalten, hat das Obergericht geschlossen, müsse es der Beschwerdegegnerin möglich sein, auf dem belasteten Grundstück das Aushubmaterial zur Auffüllung zu deponieren und das belastete Grundstück zu diesem Zweck zu befahren. |
3.3 Der Grundbucheintrag "Kiesausbeutungsrecht" legt die damit verbundenen Rechte und Pflichten im Einzelnen nicht derart eindeutig fest, dass, wie die Beschwerdeführerin meint, kein Raum bleibt, um für die Ermittlung des Inhaltes der Dienstbarkeit auf ihren Erwerbsgrund zurückzugreifen (vgl. BGE 123 III 461 E. 2b S. 464; BGE 128 III 169 E. 3a S. 172). Die Auslegung des Grundbucheintrags ergibt, dass die Dienstbarkeit nicht auf den eigentlichen Abbau von Kies und anderen Materialien beschränkt sein muss und weitergehend zur allgemeinen wirtschaftlichen Nutzung des Kiesvorkommens bzw. der Kiesabbaustätte auf dem belasteten Grundstück berechtigen kann. In diesem Rahmen ist der Inhalt der Dienstbarkeit zunächst anhand ihres Erwerbsgrundes zu bestimmen (E. 2.2 hiervor). |
4.1.2 Für das Bundesgericht ist unangefochten und verbindlich festgestellt, dass die Wiederauffüllung der ausgehobenen Kiesgrube und die Renaturierung bzw. Rekultivierung der Abbauflächen eine Bedingung der erteilten Bewilligung zum Kiesabbau ist. Die Bewilligungen, auf die das Obergericht verwiesen hat, belegen diesen Sachverhalt. Danach kann die Bewilligung jederzeit widerrufen werden, wenn die Bedingungen, Auflagen und Vorschriften nicht eingehalten werden. Zu diesen Bedingungen und Auflagen gehört, dass die Wiederinstandstellung und Begrünung der abgebauten Fläche schrittweise mit dem Abbau zu erfolgen hat (Ziff. 3.3 und 4.8 der Bewilligung zur Entnahme von Kies vom 20. Januar 1982 und Ziff. 4.3 und 5.5 der Bewilligung für die Erweiterung der Kiesgrube vom 11. Januar 1994). Entsprechende Verpflichtungen zur Wiederherrichtung nicht mehr genutzter Abbaustellen werden regelmässig mit der Bewilligung zum Kiesabbau auferlegt (vgl. etwa BEAT EDELMANN, Rechtliche Probleme des Kiesabbaus im Kanton Aargau, 1990, S. 90 und 104 ff.; JACQUES MATILE, Un cas pratique: les gravières, in: L'aménagement du territoire en droit fédéral et cantonal, 1990, S. 219 ff., 241 f.; LAURENT SCHULER, L'exploitation des gisements naturels en droit vaudois, RDAF 2007 I S. 185, 195 f.). |
4.2.1 Das Obergericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass bei der Auslegung des Dienstbarkeitsvertrags die öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen sind. Denn die Dienstbarkeit ist hier unstreitig im Hinblick auf die öffentlich-rechtliche Kiesabbaubewilligung eingeräumt und vor deren Hintergrund insbesondere durch die Zusatzvereinbarungen näher umschrieben worden. Öffentlich-rechtliche Bestimmungen, auf die im Dienstbarkeitsvertrag verwiesen wird, können insoweit den Inhalt der privatrechtlichen Dienstbarkeit bestimmen, wenn die Auslegung des Erwerbsgrundes, insbesondere unter Berücksichtigung des Zwecks der Dienstbarkeit ergibt, dass die Parteien diese inhaltliche Bestimmung so gewollt haben (ausführlich: BEAT ESCHMANN, Auslegung und Ergänzung von Dienstbarkeiten, 2005, S. 79 f., mit Hinweisen). |
4.2.4 Ernsthafte Gründe dafür, vom klaren Wortlaut des Vereinbarungstextes abzuweichen, sind weder ersichtlich noch dargetan (vgl. BGE 136 III 186 E. 3.2.1 S. 188). Die Beschwerdeführerin gibt die Ziff. 7 der Zusatzvereinbarung in ihrer Darstellung der dienstbarkeitsrechtlichen Ausgangslage überhaupt nicht und in der Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil nur verstümmelt wieder, während die Beschwerdegegnerin die Wichtigkeit der Vertragsklausel mehrfach hervorhebt. |
4.2.5 Zur Hauptsache wendet die Beschwerdeführerin ein, es handle sich bei der Wiederherstellung des früheren Zustandes nach erfolgtem Kiesabbau um eine schuldrechtliche Verpflichtung der Beschwerdegegnerin gegenüber dem Grundeigentümer. Eine bloss schuldrechtliche Verpflichtung aber habe keine dingliche Wirkung, so dass der frühere Zustand nach erfolgtem Kiesabbau auch von einer anderen Firma, beispielsweise von ihr selber gestützt auf ihr Deponierecht, wiederhergestellt werden könne, wenn der Grundeigentümer dies wolle. Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass schuldrechtliche Pflichten - von den gesetzlichen Sonderfällen in Art. 730 Abs. 2 und Art. 741 ZGB abgesehen - persönlicher Natur sind und nur die Vertragsparteien binden (vgl. Urteil 5A_229/2010 vom 7. Juli 2010 E. 4.1.2, in: ZBGR 92/2011 S. 209 f.). Es erscheint auch nicht als ausgeschlossen, wie das die Beschwerdeführerin betont, dass der Grundeigentümer selber an der Wiederherstellung des früheren Zustandes ein Interesse hat, beispielsweise um das Grundstück später landwirtschaftlich wieder nutzen zu können, und dass die Beschwerdegegnerin insoweit auch ihm gegenüber verpflichtet sein mag, die abgebauten Flächen mit Aushubmaterial aufzufüllen, mit Humus zu bedecken und zu begrünen. Entscheidend ist indessen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Verpflichtung zu dieser Wiederherstellung des früheren Zustandes nur erfüllen kann, wenn sie berechtigt ist, zu diesem Zweck das Grundstück zu betreten und darauf Aushubmaterial zu deponieren und alle weiteren Arbeiten auszuführen. Diese Rechte hat der Grundeigentümer der Beschwerdegegnerin im Dienstbarkeitsvertrag mit seinen Zusatzvereinbarungen eingeräumt (E. 4.2.2 hiervor). Da neben dem Dienstbarkeitsvertrag insbesondere auch die Zusatzvereinbarung von 1988 dem Grundbuchamt eingereicht und zu den Belegen genommen worden ist, kommt den darin der Beschwerdegegnerin eingeräumten Rechten dingliche Wirkung zu (vgl. Urteil 5C.269/2001 vom 6. März 2002 E. 4b, nicht publ. in: BGE 128 III 169, BGE 128 III 265 E. 3a Abs. 3 S. 267; allgemein: STEINAUER, a.a.O., N. 2536 S. 102 f., mit Hinweisen). . |
4.3 Aus den dargelegten Gründen ist der Haupteinwand der Beschwerdeführerin unbegründet. Zur wirtschaftlichen Nutzung des Kiesvorkommens bzw. der Kiesabbaustätte auf dem belasteten Grundstück und damit zur Ausübung des im Grundbuch eingetragenen Kiesausbeutungsrechts gehören einerseits der Abbau von Sand, Kies und weiteren Materialien und andererseits die fortlaufende Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verbunden mit der Renaturierung bzw. Rekultivierung. Die Beschwerdegegnerin ist aufgrund ihrer Dienstbarkeit deshalb insbesondere auch berechtigt, auf dem belasteten Grundstück Aushubmaterial zu deponieren und das belastete Grundstück mit Aushubmaterial zu befahren. Da die Dienstbarkeit der Beschwerdegegnerin zeitlich vor den allenfalls gleichgerichteten Dienstbarkeiten der Beschwerdeführerin im Grundbuch eingetragen wurde, gehen die Rechte der Beschwerdegegnerin nach dem Grundsatz der Alterspriorität den Rechten der Beschwerdeführerin vor (vgl. Art. 972 ZGB; BGE 57 II 258 E. 2 S. 262; 131 III 345 E. 2.3.1 S. 352).
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