BGE 137 III 617 |
94. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_663/2011 vom 8. Dezember 2011 |
Regeste |
Art. 311 ZPO; Berufungsanträge. |
Sachverhalt |
Auf ein Eheschutzgesuch der Ehefrau vom 2. März 2011 hin regelte das Richteramt Olten-Gösgen mit Urteil vom 8. Juli 2011 das Getrenntleben der Ehegatten. Insbesondere verpflichtete es X. zu monatlichen Unterhaltszahlungen an Z. von Fr. 4'840.- (Januar 2011- Mai 2011), Fr. 730.- (Juni 2011) und Fr. 1'510.- (ab Juli 2011). Sodann legte es die von X. monatlich zu leistenden Unterhaltsbeiträge für die drei Kinder auf je Fr. 1'750.- (Januar 2011-Mai 2011), je Fr. 610.- (Juni 2011) sowie nur noch für zwei Kinder auf je Fr. 900.- (ab Juli 2011) fest. |
B. Dagegen erhob X. am 22. Juli 2011 Berufung an das Obergericht des Kantons Solothurn. Sein Rechtsbegehren in der von seiner Rechtsanwältin verfassten Berufung lautete wie folgt: "Die vom Berufungskläger zu bezahlenden Unterhaltsbeiträge seien unter Einbezug der Erwägungen in nachfolgender Begründung festzulegen. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge."
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Mit Urteil vom 7. September 2011 trat das Obergericht wegen ungenügender Anträge (fehlende Bezifferung) nicht auf die Berufung ein.
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C. Dem Bundesgericht beantragt X. (nachfolgend Beschwerdeführer) in seiner Beschwerde in Zivilsachen, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Angelegenheit zur materiellen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 4 |
Erwägung 4.2 |
Zwar nennt Art. 311 ZPO einzig die Begründung, die aber gerade auch der Erläuterung der Begehren dient und diese damit voraussetzt. Aus einer Rechtsmittelschrift muss hervorgehen, dass und weshalb der Rechtsuchende einen Entscheid anficht und inwieweit dieser geändert oder aufgehoben werden soll (BGE 134 II 244 E. 2.4.2 S. 248). Aus der Entstehungsgeschichte der ZPO ergibt sich dennauch, dass der Entwurf des Bundesrates - der noch von einem zweistufigen Verfahren (Berufungserklärung und Berufungsbegründung)ausging - in der Berufungsbegründung ausdrücklich Rechtsbegehren vorsah (Art. 308 Abs. 1 E-ZPO, BBl 2006 7487; vgl. auch die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7372 f. Ziff. 5.23.1 [nachfolgend: Botschaft ZPO]). |
In der Berufungseingabe sind damit Rechtsbegehren zu stellen.
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Dasselbe ergibt sich im Übrigen aus Art. 315 Abs. 1 ZPO, wonach die Berufung die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Entscheids im Umfang der Anträge hemmt. Sodann bestätigt die Berufungsinstanz den angefochtenen Entscheid oder entscheidet neu; eine Rückweisung an die erste Instanz hat die Ausnahme zu bleiben (Art. 318 Abs. 1 ZPO; Botschaft ZPO, a.a.O., 7376 Ziff. 5.23.1). Schliesslich ermöglichen erst klare und im Falle von Geldforderungen bezifferte Anträge der Gegenpartei, sich in der Berufungsantwort zu verteidigen (Art. 312 ZPO) und darüber zu entscheiden, ob sie - soweit dies möglich ist - Anschlussberufung erheben will (Art. 313 f. ZPO).
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4.4 Das Erfordernis von bestimmten und gegebenenfalls bezifferten Berufungsanträgen steht schliesslich auch im Einklang mit den Vorgaben der Bundesrechtspflege und deren Zweck (vgl. dazu CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 19 zu Art. 112 BGG): Gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. a BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, unter anderem die Begehren enthalten, soweit sich diese nicht aus den Akten ergeben. |
Erwägung 4.5 |
Während somit die formellen Voraussetzungen der Berufungsschrift die (gültige) Einleitung des Berufungsverfahrens betreffen, geht es bei der Offizialmaxime darum, dass das Gericht in der Folge nicht an die Parteianträge gebunden ist (vgl. auch BGE 96 II 69 E. 2 S. 73 f.) und von diesen abweichen kann, zumal das Verschlechterungsverbot unter der Offizialmaxime nicht zum Tragen kommt (BGE 129 III 417 E. 2.1.1 S. 419 f.).
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Soweit beispielsweise unter der Herrschaft des Bundesrechtspflegegesetzes von 1943 (OG) im bundesgerichtlichen Verfahren in Kinderbelangen neue Begehren zulässig waren und das Bundesgericht nicht an die gestellten Anträge gebunden war (BGE 126 lll 298 E. 2a/ bb S. 302 f.; BGE 119 II 201 E. 1 S. 203), änderte dies nichts am Erfordernis von bezifferten Begehren (BGE 75 II 333 S. 334 ff.; Urteile 5C.278/2000 vom 4. April 2001 E. 1b; 5C.36/1992 vom 25. November 1992 E. 3, nicht publ. in: BGE 118 II 493). |
Erwägung 5 |
Die Untersuchungsmaxime betrifft nur die Art der Sammlung des Prozessstoffs, nicht aber die Frage der Einleitung und Beendigung des Verfahrens. Sie beschlägt auch nicht die Frage, wie das Rechtsbegehren formuliert sein muss, damit der Rechtsstreit überhaupt an die Hand genommen werden kann. Aus der Untersuchungsmaxime ergibt sich auch keine Pflicht des Gerichts, die Parteien in prozessualen Fragen zu beraten (Urteil 4C.340/2004 vom 2. Dezember 2004 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 131 III 243).
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Erwägung 6 |
Daraus folgt, dass auf eine Berufung mit formell mangelhaften Rechtsbegehren ausnahmsweise einzutreten ist, wenn sich aus der Begründung, allenfalls in Verbindung mit dem angefochtenen Entscheid, ergibt, was der Berufungskläger in der Sache verlangt oder - im Falle zu beziffernder Rechtsbegehren - welcher Geldbetrag zuzusprechen ist. Rechtsbegehren sind im Lichte der Begründung auszulegen (BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317; BGE 135 I 119 E. 4 S. 122; BGE 134 III 235 E. 2 S. 236 f.; BGE 106 II 175 S. 176). |
Ob darin eine formelle Rechtsverweigerung zu erblicken ist, kann offenbleiben, da sich aus der Berufungsschrift des Beschwerdeführers nicht einmal sinngemäss ergibt, auf welchen Betrag er den Ehegatten- und Kinderunterhalt für die verschiedenen Zeiträume insgesamt reduziert haben möchte.
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