Urteilskopf
138 III 781
116. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Bank Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_295/2012 vom 21. November 2012
Regeste
Art. 8 ZGB; Art. 437 i.V.m. 436 Abs. 1 OR; Kommissionsvertrag; Vermutung des Selbsteintritts.
Bezeichnet sich ein zur Beschaffung von Wertschriften beauftragter Kommissionär in der Abrechnung als Selbstkontrahent, ohne eine andere Person als Verkäuferin zu nennen, so wird vermutet, er habe aus Eigenbeständen geliefert (E. 3.3-3.5). Die Beweislast der Widerlegung trägt der Kommissionär (E. 3.5.3).
Aus den Erwägungen:
3. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich und in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften, insbesondere Art. 8 ZGB, insofern unrichtig festgestellt, als sie davon ausging, die Beschwerdegegnerin habe die dem Beschwerdeführer verkauften Aktien über die Börse beschafft.
3.1 Die erste Instanz hat dem Kläger (Beschwerdeführer) den Beweis dafür auferlegt, dass er 4'500 Namenaktien der W. AG aus
BGE 138 III 781 S. 782
Eigenbeständen der damaligen Y. erworben habe. Als einziges Beweismittel hat der Kläger eine von der Y. erstellte Wertschriftenabrechnung vom 28. Juni 1996 eingereicht. In dieser erklärte die Y., sie habe die Aktien dem Beschwerdeführer "aufgrund der Statuten und Usanzen der Zürcher Effektenbörse als Selbstkontrahent" verkauft. Beide kantonalen Instanzen hielten diese Urkunde nicht für geeignet, die Herkunft der Aktien zu beweisen. Die Vorinstanz erwog, die Wertschriftenabrechnung besage lediglich, dass die Y. den Auftrag aufgrund der Statuten und Usanzen der Zürcher Effektenbörse als "Selbstkontrahent" ausgeführt habe. Das genüge angesichts der Bestreitungen der Beklagten nicht für den Nachweis, dass die Y. die an den Kläger verkauften Aktien der W. AG aus den Eigenbeständen bezogen habe. Bezüglich dieser Frage ging die Vorinstanz mithin zulasten des Klägers von Beweislosigkeit aus.
3.2 Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, die Beschwerdegegnerin trage die Beweislast für ihre Behauptung, wonach die an den Kläger verkauften Aktien über die Börse gekauft worden seien, weil sie aus diesem Umstand für sich Rechte im Sinne von Art. 8 ZGB ableiten wolle.
3.3 Nach Art. 8 ZGB hat, wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Beim Kommissionsvertrag wird die Beweislastgrundregel des Art. 8 ZGB durch eine gesetzliche Vermutung ergänzt: Bei Kommissionen zum Einkauf von Wertpapieren, die einen Börsenpreis haben, ist die Kommissionärin, wenn der Kommittent nicht etwas anderes bestimmt hat, befugt, die Wertpapiere, die sie einkaufen soll, als Verkäuferin selbst zu liefern (Art. 436 Abs. 1 OR). Meldet die Kommissionärin in den Fällen, wo der Eintritt als Eigenhändlerin zugestanden ist, die Ausführung des Auftrages, ohne eine andere Person als Verkäuferin namhaft zu machen, so ist anzunehmen, dass sie selbst die Verpflichtung einer Verkäuferin auf sich genommen habe (Art. 437 OR).
3.4 Die Vorinstanz erwog, es sei in Wertschriftenabrechnungen häufig auch dann von einem Selbsteintritt, von "Selbstkontrahent" die Rede, wenn der Auftrag über die Börse abgewickelt wurde. Die Behauptung der Beklagten, dass von einem unechten Selbsteintritt auszugehen sei und die fraglichen Aktien an der Börse erworben wurden, sei daher mit der vom Kläger eingereichten Wertschriftenabrechnung nicht widerlegt.
BGE 138 III 781 S. 783
3.5 Der Beschwerdeführer rügt, es könne nicht Sache des Klägers sein, die Entlastungsbehauptung der Beklagten, wonach von einem unechten Selbsteintritt auszugehen sei, zu widerlegen.
3.5.1 Der Gesetzeswortlaut von Art. 437 OR unterscheidet nicht zwischen einem echten und einem unechten Selbsteintritt, sondern knüpft schlicht an den Inhalt der Ausführungsmeldung des Kommissionärs an. Teilt dieser die Ausführung des Auftrages mit, ohne eine andere Person als Verkäufer zu nennen, so ist der Eintritt als Eigenhändler i.S. von Art. 436 Abs. 1 OR anzunehmen bzw. - ausweislich des Randtitels zu Art. 437 OR - zu vermuten. Dies gilt in den Fällen, wo der Eintritt als Eigenhändler zugestanden ist, was gemäss Art. 436 Abs. 1 OR u.a. zutrifft, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Auftrag den Einkauf von Wertpapieren betrifft, die einen Börsenpreis haben, und der Kommittent nicht etwas anderes bestimmt hat. Diesfalls ist der Kommissionär befugt, statt die Wertpapiere bei einem Dritten einzukaufen, diese selbst als Verkäufer zu liefern.
3.5.2 In der Lehre ist die Ansicht anzutreffen, dass zu unterscheiden sei, ob der Kommissionär dem Kommittenten die Ausführung des Geschäfts ohne Bezeichnung der Gegenpartei meldet, bevor er überhaupt ein Drittgeschäft abgeschlossen (VON PLANTA/LENZ, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 2a zu Art. 437 OR sowie VON PLANTA/FLEGBO-BERNEY, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2. Aufl. 2012, N. 2a zu Art. 437 OR) oder aber nachdem er mit einem Dritten das Erwerbsgeschäft abgeschlossen hat (VON PLANTA/LENZ, a.a.O., N. 2b zu Art. 437 OR sowie VON PLANTA/FLEGBO-BERNEY, a.a.O., N. 2b zu Art. 437 OR). Im zweiten Fall soll Art. 437 OR nicht zur Anwendung kommen, weil mit dem Abschluss des Drittgeschäfts das Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs untergegangen sei. Wäre dem nicht so, könnte der Kommissionär je nach Marktpreisentwicklung den Selbsteintritt erklären bzw. darauf verzichten und so die guten Geschäfte für sich behalten, die schlechten jedoch an den Kommittenten weitergeben (HOFSTETTER, Der Auftrag [...], in: Obligationenrecht, SPR Bd. VII/6, 2. Aufl. 2000, S. 211 f. Ziff. 2d).
3.5.3 Der Gesetzeswortlaut bietet für eine solche Unterscheidung keine Stütze. In jedem Falle aber hätte diese den Zweck, den Kommittenten vor der Auswirkung des latenten Interessenkonflikts des Eigenhändlers zu schützen. Auf den vorliegenden Fall übertragen, würde sie das Gegenteil bewirken: Dem Kommittenten würde in der Frage, ob überhaupt ein Selbsteintritt vorliege, das Beweisrisiko zugeschoben.
BGE 138 III 781 S. 784
Die Frage kann indessen offenbleiben, weil im vorliegenden Fall nicht die Preisgestaltung strittig ist, sondern die Herkunft der von der Beschwerdegegnerin gelieferten Aktien. Indem sich die Beschwerdegegnerin in ihrer Wertschriftenabrechnung bezüglich der Ausführung des Auftrages als Selbstkontrahentin bezeichnete, ohne eine andere Person als Verkäuferin zu nennen, löste sie die Vermutung aus, sie habe als Kommissionärin im Sinne von Art. 437 i.V.m. 436 Abs. 1 OR von der Befugnis Gebrauch gemacht, auf den Einkauf der Aktien, die sie einkaufen sollte, bei einem Dritten zu verzichten, weil sie entsprechende Wertpapiere bereits in ihrem Eigentum hatte (GAUTSCHI, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1962, N. 1b zu Art. 437 OR). Die Vermutung ist widerlegbar (GAUTSCHI, a.a.O.; TERCIER/FAVRE/PEDRAZZINI, Les contrats spéciaux, 4. Aufl. 2009, N. 5878); die Beweislast der Widerlegung durch Nachweis eines Börsenkaufs trägt aber die Beschwerdegegnerin als Kommissionärin (HANS PETER WALTER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 412, 418 zu Art. 8 ZGB). Indem die Vorinstanz die Beweislast bezüglich der Beschaffungsweise der Aktien dem Beschwerdeführer auferlegte, verletzte sie Art. 436 Abs. 1 und 437 OR i.V.m. Art. 8 ZGB.