BGE 139 III 411 |
59. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. GmbH gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_103/2013 vom 11. September 2013 |
Regeste |
Art. 342 Abs. 2 OR; Art. 1 ArG; Anwendbarkeit des ArG auf im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer; Rezeptionsklausel. |
Sachverhalt |
A. Die X. GmbH (Arbeitgeberin, Beklagte, Beschwerdeführerin) mit Sitz in der Schweiz hat sich darauf spezialisiert, in Krisengebieten die Verpflegung von militärischen und anderen Organisationen sicherzustellen. Seit 2005 betreibt sie in einem abgesperrten und bewachten Logistikzentrum (Camp) an der Peripherie von Kabul in Afghanistan eine Bäckerei und beliefert vor Ort Truppen mit Brot- und Konditoreiwaren. A. (Arbeitnehmer, Kläger, Beschwerdegegner) ist Bäcker mit abgeschlossener Meisterprüfung und hat Wohnsitz in Deutschland. Am 1. April 2005 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag. Darin verpflichtete sich der Arbeitnehmer, in der Bäckerei der Arbeitgeberin in Kabul zu arbeiten. Gemäss Vertrag sollte die wöchentliche Arbeitszeit bei einer Sechstagewoche im Durchschnitt 54 Stunden nicht übersteigen. Allfällige Mehrstunden sollten mit dem Monatslohn abgegolten sein. Als Ausgleich hatte der Arbeitnehmer gemäss Vertrag jährlich 63 Ferientage. Die Parteien unterstellten den Vertrag schweizerischem Recht und vereinbarten Glarus als Gerichtsstand. |
B. Mit Klage vom 15. Januar 2009 beim Kantonsgericht Glarus beantragte der Arbeitnehmer, die Arbeitgeberin sei zur Zahlung von EUR 120'401.- nebst Zins zu verurteilen (EUR 118'178.- als Entschädigung für Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit, EUR 1'826.- für Krankenkassenkosten und EUR 397.- für die Kosten der Rückreise nach Beendigung der Arbeitstätigkeit). Der Arbeitnehmer stützte seine Ansprüche auf das Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (ArG; SR 822.11). Mit Entscheid vom 10. August 2010 wies das Kantonsgericht Glarus die Klage ab. Es verneinte die Anwendbarkeit des ArG und damit auch das Bestehen einer Anspruchsgrundlage. Im Sinne einer Eventualbegründung führte das Kantonsgericht aus, der Arbeitnehmer habe die behaupteten Arbeitszeiten ohnehin nicht beweisen können.
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Dagegen erhob der Arbeitnehmer Berufung beim Obergericht des Kantons Glarus. Er beschränkte seine Klage auf den Betrag von EUR 118'178.- als Entschädigung für Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit. Mit Beschluss vom 18. Januar 2013 hiess das Obergericht des Kantons Glarus die Berufung gut, hob das Urteil des Kantonsgerichts Glarus auf und wies die Klage zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an dieses zurück. Anders als das Kantonsgericht bejahte das Obergericht die Anwendbarkeit des ArG und warf der Vorinstanz eine unzulässige antizipierte Beweiswürdigung vor.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 21. Februar 2013 beantragt die Arbeitgeberin dem Bundesgericht sinngemäss, es seien der Entscheid des Obergerichts des Kantons Glarus aufzuheben und die Klage des Beschwerdegegners abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Beschluss auf und weist die Klage des Beschwerdegegners ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe die Anwendbarkeit des ArG zu Unrecht bejaht. Richtig besehen sei dieses nicht anwendbar, womit die gesetzliche Grundlage für eine Entschädigung von Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit fehle. |
2.3 Da die Arbeitgeberin ihren Sitz in der Schweiz hat und der Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Deutschland seine Arbeit in Kabul geleistet hat, liegt ein internationaler Sachverhalt vor. Die Vorinstanz hat das anwendbare Recht somit zutreffend nach dem IPRG ermittelt (Art. 1 Abs. 1 lit. b IPRG [SR 291]). Arbeitsverträge unterliegen nach Art. 121 Abs. 1 IPRG grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Die Parteien können den Arbeitsvertrag indessen dem Recht des Staates unterstellen, in dem der Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem die Arbeitgeberin ihre Niederlassung, ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 121 Abs. 3 IPRG). Die Rechtswahl der Parteien, mit welcher sie Schweizer Recht für anwendbar erklärt haben, ist somit zulässig (vgl. auch BGE 136 III 392 E. 2.2 S. 395). |
Das ArG bestimmt seinen Geltungsbereich in Art. 1 ff. ArG. Nach Art. 1 Abs. 3 ArG ist das Gesetz u.a. auf Arbeitnehmer anwendbar, welche ein im Ausland gelegener Betrieb in der Schweiz beschäftigt, soweit dies nach den Umständen möglich ist. Eine Anwendung auf im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer ist hingegen nicht vorgesehen. Auch in der Lehre ist unbestritten, dass das ArG nur auf in der Schweiz beschäftigte Arbeitnehmer direkt Anwendung findet (vgl. nur THOMAS GÄCHTER, Arbeitsschutz, in: Gesundheitsrecht, SBVR Bd. VIII, 2005, S. 316 Rz. 41; FRANK VISCHER, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 14 zu Art. 18 IPRG; ROLAND MÜLLER, Arbeitsgesetz, 6. Aufl. 2001, Art. 1 Abs. 3 ArG; VISCHER/HUBER/OSER, a.a.O., N. 778 und Fn. 100; ANDREAS BUCHER, Les nouvelles règles du droit international privé suisse dans le domaine du droit du travail, in: Mélanges Alexandre Berenstein, 1989, S. 160). Die Vorinstanz hat daher zu Recht eine direkte Anwendbarkeit des ArG verneint. Sie ist indessen von einer indirekten Anwendbarkeit über die sog. Rezeptionsklausel von Art. 342 Abs. 2 OR ausgegangen. Diese Bestimmung sei so auszulegen, dass sich die Vertragsparteien eines internationalen Arbeitsverhältnisses auf die im öffentlichen Recht getroffenen Regelungen berufen könnten, da öffentliches Recht gestützt auf Art. 342 Abs. 2 OR zum Bestandteil des Privatrechts werde (so auch GEISER, a.a.O., N. 30 zu Art. 1 ArG; MANFRED REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 15. Aufl. 2002, N. 643). |
Erwägung 2.5 |
2.5.2 Art. 342 Abs. 2 OR lautet wie folgt: "Wird durch Vorschriften des Bundes oder der Kantone über die Arbeit und die Berufsbildung dem Arbeitgeber oder dem Arbeitnehmer eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung auferlegt, so steht der andern Vertragspartei ein zivilrechtlicher Anspruch auf Erfüllung zu, wenn die Verpflichtung Inhalt des Einzelarbeitsvertrages sein könnte." Die Formulierung "Wird (...) eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung auferlegt, so steht (...) ein zivilrechtlicher Anspruch auf Erfüllung zu" suggeriert, dass das Bestehen einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung eine Voraussetzung für den zivilrechtlichen Anspruch ist (vgl. auch ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 1996, N. 14 zu Art. 342 OR). Noch klarer in diese Richtung deuten die französische und italienische Fassung: "Si des dispositions (...) imposent (...) une obligation de droit public (...), l'autre partie peut agir civilement en vue d'obtenir l'exécution de cette obligation"/"Se le prescrizioni (...) impongono (...) un obbligo di diritto pubblico, l'altra parte ha una azione di diritto civile per ottenere l'adempimento". Diese Formulierung deutet darauf hin, dass ein zivilrechtlicher Anspruch auf Erfüllung der anderen Vertragspartei nur so weit zusteht, als eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung (bereits) auferlegt wurde (vgl. auch BGE 132 III 257 E. 5.4.5 S. 261). Der Wortlaut von Art. 342 Abs. 2 OR spricht somit eher gegen die Auslegung der Vorinstanz. |
2.5.4 Die Auslegung der Vorinstanz erscheint auch unter systematischen Gesichtspunkten problematisch. Der Beschwerdegegner will sich über Art. 342 Abs. 2 OR auf Bestimmungen des ArG berufen, die grundsätzlich nicht anwendbar wären. Über das Zivilrecht würden so öffentlich-rechtliche Vorschriften durchgesetzt, obwohl diese nach ihrem eigenen ausdrücklich festgelegten Geltungsbereich nicht angewandt sein wollen. Damit würden die Bestimmungen des ArG zu dessen Geltungsbereich umgangen. Zudem leuchtet nicht ein, dass ein zivilrechtlicher Anspruch die direkte Anwendbarkeit des ArG zwar in betrieblicher und persönlicher, nicht aber in örtlicher Hinsicht bedingen sollte. Es würde sich daher die Frage stellen, weshalb nicht auch in der Schweiz beschäftigte Arbeitnehmer, die vom betrieblichen oder persönlichen Geltungsbereich des ArG ausgeschlossen sind (vgl. Art. 2 f. ArG), die Anwendung von Bestimmungen dieses Gesetzes über Art. 342 Abs. 2 OR verlangen könnten. Das Bundesgericht hat aber in einem solchen Fall bereits entschieden, dass die Bestimmungen des ArG nicht über Art. 342 Abs. 2 OR Anwendung finden könnten, da das Arbeitsverhältnis nicht dem Arbeitsgesetz unterstehe (BGE 132 III 257 E. 5.4 S. 260). Auch diese Überlegungen sprechen dagegen, dem Beschwerdegegner einen zivilrechtlichen Anspruch auf Entschädigung aufgrund von Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit einzuräumen, obwohl das ArG eigentlich nicht auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist. |
2.5.6 Aus dem Gesagten ergibt sich insgesamt, dass über Art. 342 Abs. 2 OR lediglich bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtungen rezipiert werden. Ist das ArG auf das betroffene Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, so entstehen auch keine zivilrechtlichen Ansprüche auf Erfüllung von in diesem Gesetz vorgesehenen Verpflichtungen. |
2.6 Damit fehlt eine Anspruchsgrundlage für die vom Beschwerdegegner eingeklagte Entschädigung für Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit. Es wurde weder geltend gemacht noch ist ersichtlich, dass sich eine solche Entschädigung auf eine zwingende Bestimmung eines ausländischen Rechts stützen liesse (Art. 19 Abs. 1 IPRG; vgl. VISCHER/HUBER/OSER, a.a.O., N. 778). Die Beschwerde erweist sich somit als begründet.
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