BGE 140 III 644 |
93. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Gemeinde Niederrohrdorf gegen Obergericht des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als obere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_385/2014 vom 24. Oktober 2014 |
Regeste |
Art. 14 Abs. 1 SchKG, Art. 76 Abs. 1 lit. b, Art. 89 Abs. 1 und 2 lit. c BGG; administrative Aufsicht über die Betreibungsämter. |
Sachverhalt |
A.a In den Jahren 2009/2010 traten mit der bei der überwiegenden Anzahl der aargauischen Betreibungsämter installierten Software Probleme auf (keine Updates, Reaktionszeit bei Problemen bis zu 14 Tagen, Totalausfall bei zwei Ämtern). Das Obergericht des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als obere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde, kam zum Schluss, dass für die aargauischen Betreibungsämter eine neue Software gesucht werden müsse; das bestehende Programm "x" der A. AG habe trotz Stabilisierungsmassnahmen im Urteil von Fachleuten das "End of life" erreicht.
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A.b An der Sitzung vom 9. Januar 2012 besprachen sich die Vertreter der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde, des Betreibungsinspektorates, der Justizverwaltung, des Betreibungsbeamtenverbandes und der Gemeindeverbände (Gemeindeammännerverband, Verband der Finanzfachleute; der Gemeindeschreiberverband signalisierte Desinteresse). Sämtliche Beteiligten kamen zum Schluss, das Projekt einer neuen Betreibungssoftware in Angriff zu nehmen. Die beteiligten Gemeindevertretungen wünschten keine Mitwirkung in der Projektgruppe, sondern begnügten sich mit der Orientierung über die Projektschritte. |
A.c Mit Beschluss vom 14. Mai 2012 hiess die obere kantonale Aufsichtsbehörde den einstimmigen Antrag des Steuerungsausschusses gut, künftig eine einheitliche Software für die aargauischen Betreibungsämter vorzusehen. Am 21. Dezember 2012 wurde der Beschaffungsauftrag öffentlich ausgeschrieben. Nach dem Evaluationsverfahren erteilte die obere kantonale Aufsichtsbehörde mit Beschluss vom 15. Mai 2013 den Zuschlag an die B. AG. Der Zuschlag blieb (beim Verwaltungsgericht Aargau) unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.
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A.d Mit Voranzeige vom 27. Februar 2014 wurde die Installation und Einführung der neuen Software beim Betreibungsamt Niederrohrdorf auf den 2. Juli 2014 und die Schulung der Mitarbeiter des Betreibungsamtes auf den 24. und 26. Juni 2014 angesetzt.
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B. Am 13. März 2014 (Postaufgabe) gelangte die Gemeinde Niederrohrdorf an die obere kantonale Aufsichtsbehörde und teilte mit, dass sie den Software-Wechsel nicht akzeptiere, da dieser mit unverhältnismässigen Mehrkosten verbunden sei; das bisherige Produkt der A. AG erfülle sämtliche Anforderungen. Die Gemeinde stellte im Wesentlichen den Antrag, auf die zwingende Einführung der neuen Software zu verzichten bzw. den Einsatz der bisherigen Software zu erlauben.
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Mit Beschluss vom 20. März 2014 wies die obere kantonale Aufsichtsbehörde das Gesuch der Gemeinde Niederrohrdorf ab, soweit darauf eingetreten wurde. Weiter wurde das Betreibungsamt Niederrohrdorf angewiesen, die Installation und Einführung der neuen Software "zu dulden"; die Mitarbeiter des Betreibungsamtes wurden angewiesen, an der Schulung teilzunehmen.
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C. Mit Eingabe vom 6. Mai 2014 (Postaufgabe) hat die Gemeinde Niederrohrdorf Beschwerde in Zivilsachen und Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die beschwerdeführende Gemeinde beantragt, den Beschluss des Obergerichts des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als obere betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde, vom 20. März 2014 aufzuheben. In der Sache sei ihr zu gestatten, in ihrem Betreibungsamt nicht die neue Software ("y" der B. AG), sondern weiterhin die bisherige Software (der A. AG) einzusetzen. Eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für den Fall des Nichteintretens auf die Beschwerde sei die Nichtigkeit des Beschlusses der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde festzustellen. (...) |
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
2.2 Die im angefochtenen Beschluss enthaltene Anordnung der kantonalen Aufsichtsbehörde gegenüber den Betreibungsämtern, ein bestimmtes EDV-Programm zu benützen, ist administrativer Natur. Die kantonale Aufsichtsbehörde übt gemäss Art. 14 Abs. 1 SchKG (neben der rechtlichen Aufsicht gemäss Art. 13 Abs. 1 SchKG) die administrative Aufsicht über die Zwangsvollstreckungsorgane aus. In diesem Rahmen hat sie neben den personellen und räumlichen Mitteln u.a. auch die geeigneten Informatikmittel zu prüfen (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite et la faillite, Bd. I, 1999, N. 6 zu Art. 14 SchKG; MARTIN, La surveillance en matière de poursuites et faillites [...], SJ 2008 II S. 138, 193 f.). Bei allfälligen Mängeln hat die kantonale Aufsichtsbehörde Massnahmen anzuordnen, denn die Organisation der Betreibungs- und Konkursämter ist Sache der Kantone (Art. 2 und Art. 3 SchKG; BGE 119 III 1 E. 3 S. 3; GILLIÉRON, a.a.O., N. 7, 8 zu Art. 14 SchKG). Es liegt in der alleinigen Kompetenz der Kantone, darüber zu entscheiden, ob sie z.B. einem Betreibungsamt die Zusammenarbeit mit einem bestimmten EDV-Anbieter erlauben wollen oder nicht (BGE 122 III 34 E. 2 S. 35). Sodann sieht das aargauische Recht in § 17 Abs. 1 EG SchKG/AG (SAR 231.200) vor, dass "für die administrative Aufsicht [...] ausschliesslich die obere Aufsichtsbehörde zuständig ist". |
3.1 Gemäss Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG ist zur Beschwerde in Zivilsachen berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Nach der Rechtsprechung ist ein Betreibungsamt in begrenztem Umfang zur betreibungsrechtlichen Beschwerde berechtigt, u.a. zur Geltendmachung fiskalischer Interessen des durch ihn vertretenen Kantons (BGE 119 III 4 E. 1 S. 5; vgl. LORANDI, Betreibungsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeit, 2000, N. 55 zu Art. 18 SchKG). Diese Praxis gilt auch für die Beschwerdelegitimation gemäss Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG (BGE 134 III 136 E. 1.3 S. 138; vgl. LEVANTE, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 45 zu Art. 19 SchKG). Aus dieser Praxis kann die Gemeinde als Beschwerdeführerin nichts für sich ableiten: Zum einen führt sie nicht für das Betreibungsamt Beschwerde, zum anderen beruft sie sich nicht auf die finanziellen Interessen des Kantons, sondern der Gemeinde. |
3.3.1 Gestützt auf die letzterwähnte Bestimmung des BGG kann eine Gemeinde die Verletzung von verfassungsmässigen Garantien rügen; dabei ist insbesondere die Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV) gemeint (BGE 140 I 90 E. 1.1 S. 92). Damit die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offensteht, muss die Gemeindeautonomie jedoch Gegenstand eines zulässigen Beschwerdegrundes sein, was voraussetzt, dass die beschwerdeführende Gemeinde diese in einer ausreichend begründeten Weise anruft (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 I 90 E. 1.1 S. 92). |
3.3.3 Die beschwerdeführende Gemeinde beruft sich auf die Gemeindeautonomie. Aus der Beschwerdeschrift geht jedoch nicht hervor, inwiefern die Garantie verletzt sein soll. Die beschwerdeführende Gemeinde begnügt sich im Wesentlichen mit der Behauptung, dass die obere Aufsichtsbehörde ihre Aufsichtsbefugnisse überschreite, da jede Gemeinde selber entscheiden dürfe, welche Software sie in ihrem Betreibungsamt einsetzen wolle, solange diese die bundesrechtlichen Anforderungen erfülle. Sie setzt indessen nicht auseinander, was auch nicht aus den kantonalen und bundesrechtlichen Bestimmungen zur administrativen Aufsicht hervorgeht (vgl. Art. 14 Abs. 1 SchKG i.V.m. § 17 EG SchKG/AG; vgl. E. 2.2), inwiefern die Gemeinde über irgendeine Entscheidungsfreiheit bezüglich der bestrittenen Aufgabe (Aufsicht und Weisung betreffend Einsatz von EDV-Mitteln) verfügt, was indessen das Wesen der Gemeindeautonomie ausmacht (BGE 140 I 90 E. 1.1 S. 92). Inwiefern die Vorinstanz mit Art. 14 Abs. 1 SchKG i.V.m. § 17 EG SchKG/AG zu Unrecht eine abschliessende Regelung angenommen habe, weil diese zwingend und vollständig sei, also eine für den ganzen Kanton einheitliche Ordnung schaffen wolle (vgl. PFISTERER, Neuere Entwicklung der Gemeindeautonomie im Kanton Aargau, ZBJV 1989 S. 10 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung), und damit den Autonomieschutz verkannt habe, wird nicht dargelegt. Die Beschwerde genügt hinsichtlich der gerügten Verletzung der Gemeindeautonomie den Begründungsanforderungen nicht. |
3.4 Nach dem Dargelegten kann auf die Beschwerde mangels hinreichender Beschwerdelegitimation (Art. 76 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 89 Abs. 1 und 2 BGG) sowie ungenügender Beschwerdebegründung (Art. 106 Abs. 2 BGG) insgesamt nicht eingetreten werden. Es bleibt anzufügen, dass die "subsidiär" erhobene Verfassungsbeschwerde weder betreffend Beschwerderecht (Art. 115 BGG) noch Beschwerdegründe (Art. 116 BGG) weiterhelfen kann.
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