34. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S.
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A.-Foundation gegen Bank B. AG (Beschwerde in Zivilsachen) 4A_449/2020 vom 23. März 2021
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Regeste
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Art. 59 Abs. 2 lit. e und Art. 86 ZPO; Rechtskraft; Teilklage.
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Sachverhalt
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BGE 147 III 345 (346):
A. Am 30. September 2019 erhob die A.-Foundation (Beschwerdeführerin) beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage gegen die Bank B. AG (Beschwerdegegnerin), mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verurteilen, ihr einen Betrag von Fr. 100'000.- nebst Zins zu bezahlen. Die Bank B. AG ersuchte in prozessualer Hinsicht (unter anderem) darum, das Verfahren sei auf die Frage der abgeurteilten Sache zu beschränken. Nachdem das Handelsgericht dieses Gesuch abgewiesen hatte, stellte sie den Antrag, auf die Klage sei zufolge abgeurteilter Sache nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Sie machte geltend, das Bezirksgericht Zürich habe mit Urteil vom 29. März 2016 bereits rechtskräftig über die identische Klage entschieden. Damals habe die C. GmbH (angebliche Vermögensverwalterin der A.-Foundation) mit Teilklage vom 29. Januar 2014 den von der A.-Foundation behaupteten Anspruch gegen sie (die Bank B. AG) geltend gemacht. Das Bezirksgericht habe die Klage infolge fehlender Aktivlegitimation der C. GmbH, mangels direkter Schädigung derselben und infolge Verjährung allfälliger vertraglicher oder ausservertraglicher Ansprüche vollumfänglich abgewiesen. Die vorliegend behauptete Forderung sei mit der bereits beurteilten identisch. Nachdem das Handelsgericht der A.-Foundation Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hatte, trat es mit Beschluss vom 27. Juli 2020 gestützt auf Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO auf die Klage nicht ein, da eine abgeurteilte Sache vorliege.
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B. Die A.-Foundation hat "Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde" an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt, der Beschluss des Handelsgerichts sei aufzuheben und auf ihre Klage vom 30. September 2019 sei einzutreten. Eventualiter sei die Sache zu neuer Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Handelsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet, die Bank B. AG Antrag gestellt, auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde sei nicht einzutreten, die Beschwerde in Zivilsachen sei abzuweisen und der angefochtene Beschluss des Handelsgerichts sei zu bestätigen.
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Die A.-Foundation hat eine Replik, die Bank B. AG eine Duplik eingereicht.
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BGE 147 III 345 (347):
Mit Präsidialverfügung vom 13. Oktober 2020 wurde das Gesuch der A.-Foundation um Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.
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Aus den Erwägungen:
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Die Beschwerdeführerin macht ihrerseits zwar geltend, die Gesamtforderung von Fr. 5'000'000.- zerlege sich "in 10 Teilforderungen", nicht jedoch, sie habe mit ihren beiden Klagen jeweils nur eine dieser Teilforderungen eingeklagt, geschweige denn zeigt sie auf, dass sie zu einer dahingehenden Sachverhaltsergänzung berechtigt ist (nicht publ. E. 2.2).
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Was die Folgen einer Teilklage betrifft, hat das Bundesgericht wiederholt festgehalten, dass das Urteil nur für den beurteilten Teilbetrag, nicht jedoch bezüglich der Gesamtforderung Rechtskraftwirkung entfaltet ( BGE 125 III 8 E. 3b; aus der seither ergangenen Rechtsprechung Urteile 4A_536/2018 vom 16. März 2020 E. 3.1.1; 4A_270/2018 vom 2. November 2018 E. 1.2; 4A_13/2017 vom 26. Januar 2017 E. 2.3; 4A_101/2016 vom 6. Oktober 2016 E. 3.2; 4A_352/2014 vom 9. Februar 2015 E. 3.1; 4A_401/2011 vom 18. Januar 2012 E. 4; 2C_110/2008 vom 3. April 2009 E. 8.3; 4A_209/2007 vom 5. September 2007 E. 2.2.2; 4C.233/2000 vom 15. November 2000 E. 3a). Dieser Grundsatz ist als solcher auch in der Lehre anerkannt (statt vieler HOHL, Procédure Civile, Bd. I, 2. Aufl. 2016, S. 96 BGE 147 III 345 (348):
Rz. 513; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2019, S. 225 Rz. 39). Er erklärt sich dadurch, dass die Dispositionsmaxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) die Zuständigkeit des Gerichts auf den eingeklagten Betrag begrenzt. Darüber hinaus kann das Urteilsdispositiv keine Wirkung entfalten. Die Urteilsgründe - seien sie tatsächlicher oder rechtlicher Natur - sind für ein späteres Verfahren über die Restforderung nicht verbindlich, auch wenn sich in diesem dieselben Fragen stellen (vgl. zit. Urteil 4A_536/2018 E. 3.1.1 mit Hinweisen).
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6.3 Der angefochtene Beschluss weist darauf hin, dass ein gewichtiger Teil der Lehre für den Fall der Abweisung der Teilklage eine weitergehende Rechtskraftwirkung befürwortet, sofern die eingeklagte Teilforderung bloss betragsmässig beschränkt bzw. individualisiert wurde. Diese Auffassung beruht auf der Überlegung, dass die klagende Partei mit einer derartigen Teilklage (etwa auf Zahlung eines Teils der behaupteten Kaufpreisforderung) geltend mache, es sei mindestens der eingeklagte Teilbetrag geschuldet (sogenannter Sockelbetrag). Mit der darauffolgenden Teilklage mache sie dagegen einen den Sockelbetrag übersteigenden sogenannten Restbetrag geltend, wofür sie behaupten müsse, die Gesamtforderung sei grösser als der Sockelbetrag. Bereits aufgrund des Dispositivs des ersten Entscheids, der die Teilklage (gesamt oder teilweise) abweist, stehe aber fest, dass dies nicht der Fall sei und daher der geforderte Restbetrag nicht geschuldet sei (grundlegend: OBERHAMMER, Wieder einmal: Rechtskraft bei Teilklagen, in: Festschrift für Helmut Kollhosser, 2004, Bd. II, S. 501-521; für das schweizerische Recht ausführlich BERTI, Zur Teilklage nach Art. 86 ZPO der Schweizerischen Zivilprozessordnung [zugleich ein Beitrag zur Lehre der materiellenRechtskraft], in: Haftpflichtprozess 2010, S. 46-50; DROESE, Res iudicata ius facit, 2015, S. 337-349; OBERHAMMER, in: ZPO, Oberhammer/ Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014,N. 10 zu Art. 86 ZPO; diesen folgend etwa BOHNET, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 15 zu Art. 86 ZPO; HEINZMANN, in: CPC, 2021, N. 6 zu Art. 86 ZPO; zum Meinungsstand in der Literatur ausführlich CURCHOD/GONCZY, L'action partielle, AJP 2019 S. 815 f.; aus der kantonalen Rechtsprechung etwa Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich NP180007 vom 19. Juli 2018 E. III/4.3 f. mit weiteren Hinweisen).
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BGE 147 III 345 (349):
6.4.1 Die Rechtskraftwirkung tritt nur soweit ein, als über den geltend gemachten Anspruch entschieden worden ist. Inwieweit dies der Fall ist, ergibt die Auslegung des Urteils, zu der dessen ganzer Inhalt heranzuziehen ist. Zwar beschränkt sich die Rechtskraftwirkung auf das Urteilsdispositiv; doch erschliesst sich dessen Tragweite vielfach erst aus den Urteilserwägungen, namentlich im hier interessierenden Falle einer Klageabweisung ( BGE 141 III 229 E. 3.2.6; BGE 121 III 474 E. 4a mit weiteren Hinweisen).
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BGE 147 III 345 (350):
Demgegenüber haben die Entscheide, in denen der Grundsatz der beschränkten Rechtskraft eines Urteils über eine Teilklage statuiert wird (E. 6.2), überwiegend den Fall der Gutheissung der Teilklage zum Gegenstand, für den die Nichtbindung aber weitgehend unbestritten ist (siehe CURCHOD/GONCZY, a.a.O., S. 815 mit Hinweisen). Das gilt insbesondere für das zit. Urteil 4A_352/2014, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft. Daher musste sich das Bundesgericht darin auch nicht zur Frage äussern, welche Wirkung die Ab weisung einer Teilklage hat (siehe dazu Urteilsbesprechung DROESE, SZZP 2015 S. 307 f.).
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In einem jüngeren Entscheid hat das Bundesgericht dagegen erwogen, selbst wenn die Teilklage abgewiesen werden sollte, hindere dies den Beschwerdegegner (als klagende Partei) nicht daran, in einer neuen Klage die anderen Schadensposten geltend zu machen ("même si la présente action partielle venait à être rejetée, rien n'empêcherait l'intimé d'introduire une nouvelle demande pour y faire valoir les autres postes du dommage"; zit. Urteil 4A_13/2017 E. 2.3). Bereits die zitierte Formulierung macht indessen deutlich, dass die damals zu beurteilende Teilklage nicht betragsmässig auf einen Teil der Gesamtforderung, sondern vielmehr auf einzelne Schadensposten begrenzt war. Unter diesen Umständen muss das Gericht aber - im Gegensatz zum hier interessierenden Fall einer einzig betragsmässig beschränkten Klage - auch für eine Abweisung nicht den Gesamtschaden, sondern lediglich die eingeklagten Schadensposten prüfen. Es findet daher in einem solchen Fall ohne Weiteres der Grundsatz Anwendung, dass das erste Urteil das zweite Verfahren über die weiteren Schadensposten nicht präjudiziert, eben gerade weil im ersten Urteil nicht entschieden wurde, dass der klagenden Partei überhaupt (und auch im Grundsatz) keine Forderung zusteht (anders als bei Abweisung eines einzig betragsmässig eingeschränkten Klagebegehrens). Entsprechendes gilt auch für das Urteil C.214/1987 vom 21. Juni 1988, in dem die abgewiesene Teilklage eine zeitlich abgegrenzte (arbeitsrechtliche) Forderung zum Gegenstand hatte (E. 1d, nicht publ. in: BGE 114 II 279 ).
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BGE 147 III 345 (351):
Das Handelsgericht ist von der zutreffenden Rechtsauffassung ausgegangen und hat durch seinen Nichteintretensentscheid weder gegen Art. 59 Abs. 2 lit. e noch gegen Art. 86 ZPO verstossen. Auch die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang erhobenen Verfassungsrügen erweisen sich als unbegründet, soweit sie überhaupt den dafür bestehenden Anforderungen genügen (nicht publ. E. 2.1 und 2.3).
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