BGE 147 III 469 |
47. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_39/2021 vom 9. August 2021 |
Regeste |
Art. 622 OR; Anspruch auf wertpapiermässige Verbriefung von Namenaktien. |
Sachverhalt |
B. Mit Klage vom 28. Mai 2018 leitete die Klägerin ein Verfahren beim Handelsgericht des Kantons Zürich ein. Sie beantragte in ihrem Hauptbegehren, den Organen der Beklagten sei unter Strafandrohung nach Art. 292 StGB zu befehlen, der Klägerin wahlweise (a) 70 Namenaktien der Beklagten über je Fr. 1'000.- nominal im Sinne eines Wertpapiers oder (b) ein Zertifikat über das Eigentum an 70 Namenaktien der Beklagten über je Fr. 1'000.- nominal im Sinne eines Wertpapiers auszuhändigen. Sie machte geltend, sie begehre die Aushändigung ihrer Aktien als Wertpapiere. Dadurch werde die Verkehrsfähigkeit ihrer Beteiligung sichergestellt und deren Veräusserung ermöglicht.
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Mit Urteil vom 2. Dezember 2020 kam das Handelsgericht zum Schluss, dass grundsätzlich ein gesetzlicher Anspruch auf Aushändigung der Aktien in wertpapiermässiger Form bestehe, ausser der Anspruch werde in den Statuten der Gesellschaft ausdrücklich ausgeschlossen. Da in den Statuten der beklagten Gesellschaft dieser Anspruch der Aktionäre nicht abbedungen werde, habe die Klägerin einen Anspruch auf wertpapiermässige Verbriefung ihrer Mitgliedschaft. Entsprechend hiess das Handelsgericht die Klage gut und verpflichtete die Organe der Beklagten unter Androhung der Bestrafung nach Art. 292 StGB im Widerhandlungsfall, der Klägerin wahlweise 70 Namenaktien der Beklagten im Sinne eines Wertpapiers oder ein Zertifikat über das Eigentum an 70 Namenaktien der Beklagten im Sinne eines Wertpapiers auszuhändigen. |
C. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Sie beantragte, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und die Klage sei vollumfänglich abzuweisen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
4.2.1 Die eine Lehrmeinung bejaht einen gesetzlichen Anspruch des Aktionärs auf wertpapiermässige Verbriefung, der aber nach der überwiegenden Meinung statutarisch wegbedungen werden kann (HANS CASPAR VON DER CRONE, Aktienrecht, 2. Aufl. 2020, Rz. 294; PETER JUNG, in: Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 2016, N. 73 und N. 87 zu Art. 622 OR; CARL BAUDENBACHER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 5. Aufl. 2016, N. 4 zu Art. 622 OR; MARTIN WALDBURGER, in: Personengesellschaften und Aktiengesellschaft, Roberto/Trüeb [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 8 f. zu Art. 622 OR; CHRISTOPH VON GREYERZ, Die Aktiengesellschaft, in: SPR, Bd. VIII/2, 1982, S. 144; WOLFHART F. BÜRGI, Zürcher Kommentar, 1957, N. 22 zu den Vorbemerkungen zu Art. 683-687 OR; ALFRED SIEGWART, Zürcher Kommentar, 1945, N. 44 zu Art. 622 OR), wobei über die Art und Weise der Wegbedingung verschiedene Auffassungen bestehen (vgl. PHILIP SPOERLÉ, Die Inhaberaktie, 2015, Rz. 119 ff. mit weiteren Hinweisen). |
Ein Teil der älteren Lehre geht demgegenüber davon aus, dass dieser Anspruch des Aktionärs in den Statuten nicht abbedungen werden kann (FRITZ VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. 1970, S. 21 und 176). Auch in der neueren Lehre wird dies für Inhaberaktien vertreten und erklärt, dass die Gesellschaft verpflichtet sei, Inhaberpapiere auszugeben (CARLO LOMBARDINI, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2. Aufl. 2017, N. 21 f. zu Art. 622 OR; PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 4 Rz. 123 f.).
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Erwägung 4.3 |
Dieses Konzept der grundsätzlichen Verurkundung in einem Wertpapier korreliert auch mit der für die Aktiengesellschaft charakteristischen Unpersönlichkeit und leichten Übertragbarkeit der Mitgliedschaft (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., § 43 Rz. 18). Ebenso spricht die für die Aktiengesellschaft typische Verkehrsfähigkeit der Aktionärsstellung für die Verbriefung in einem Wertpapier. Solange nämlich die aktienrechtliche Mitgliedschaft nicht in einem Wertpapier verbrieft ist, ist sie durch Zession zu übertragen, bei der grundsätzlich kein Verkehrsschutz mit Bezug auf den Erwerb besteht (vON DER CRONE, a.a.O., Rz. 282).
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Wie der gesetzliche Anspruch auf Ausgabe der Aktien als Wertpapier in den Statuten im Einzelnen abzubedingen ist, muss hier nicht entschieden werden, da eine solche statutarische Regelung in casu vollständig fehlt, wie nachher noch gezeigt wird (nicht publ. E. 5).
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Wie die Beschwerdeführerin aber zu Recht erklärt, wurde im kommenden Aktienrecht die Bestimmung von Art. 622 Abs. 5 OR angepasst. Im geltenden Recht bestimmt Art. 622 Abs. 5 Satz 1 OR, dass die Aktientitel durch mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrates unterschrieben sein müssen. Im revidierten Aktienrecht wird demgegenüber neu Folgendes bestimmt: "Werden Aktientitel ausgegeben, so müssen sie von mindestens einem Mitglied des Verwaltungsrats unterschrieben sein". Im Gegensatz zum geltenden Recht ist die Ausgabe von Aktientiteln in einem Konditionalsatz enthalten, womit nach der Botschaft des Bundesrats klargestellt werden soll, dass Aktiengesellschaften nicht verpflichtet sind, Aktientitel auszugeben. Der Aktionär könne hingegen weiterhin die Erstellung einer Beweisurkunde verlangen (Botschaft vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts [Aktienrecht], BBl 2017 399 ff., 484; ohne weitere Diskussion in den Räten: AB NR 2018 S. 1112 f., AB SR 2019 S. 492 ff.). |
Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, wird damit die hier strittige Frage nicht beantwortet. In revArt. 622 Abs. 5 OR wird nur bestätigt, was ohnehin im geltenden Recht bereits prinzipiell gilt, nämlich, dass kein zwingender Anspruch des Aktionärs auf eine wertpapiermässige Verbriefung besteht (dazu oben E. 4.2.3). Ob der Aktionär einen gesetzlichen Anspruch hat, der statutarisch wegbedungen werden kann, oder ob dieser Anspruch erst durch eine statutarische Regelung entsteht, regelt auch das revidierte Aktienrecht nicht. Mit der Neuformulierung von Art. 622 Abs. 5 OR wurde an der bisherigen Konzeption somit nichts geändert.
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