Urteilskopf
80 IV 40
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Februar 1954 i. S. Getzmann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden.
Regeste
Art. 397 StGB.
Wann ist eine Tatsache dem Gerichte schon zur Zeit des früheren Verfahrens bekannt gewesen?
A.- Am 10. Oktober 1951 verurteilte das Kantonsgericht von Unterwalden nid dem Wald Kurt Getzmann wegen Urkundenfälschung, Betruges, Veruntreuung, Entwendung und Irreführung der Rechtspflege. Die Urkundenfälschung erblickte es darin, dass Getzmann, der vom Mai bis Dezember 1950 im Dienste des Fritz Niederberger, Inhaber einer Autoreparaturwerkstatt, gestanden hatte, zuerst als Stellvertreter des Bedienungsmannes und ab August 1950 als Bedienungsmann mit der Schreibmaschine sechzehn Nachnahmebelege gefälscht habe, um bei der täglichen Abrechnung mit dem Betriebsbüro nichtgehabte Ausgaben vorzutäuschen und dadurch von den eingenommenen Geldern insgesamt Fr. 785.45 weniger abliefern zu müssen.
Auf Appellation des Verurteilten sprach das kantonale Obergericht diesen am 23. November 1951 von der Anschuldigung der Irreführung der Rechtspflege frei. Im übrigen bestätigte es das angefochtene Urteil.
B.- Am 14. Februar 1953 ersuchte Getzmann um Wiederaufnahme des Verfahrens. Er machte geltend, im Betriebe Niederbergers habe Unordnung geherrscht und insbesondere hätten zu der Kasse, in welche die Einnahmen aus der Bedienung von Kunden flossen und aus welcher die Nachnahmen eingelöst zu werden pflegten, auch andere Angestellte Zutritt gehabt; daher könnten die Nachnahmebelege auch von einem andern gefälscht und in die Kasse gelegt worden sein.
C.- Das Obergericht wies das Gesuch am 2. Juni 1953 ab, weil die Tatsache, dass Unordnung namentlich bei der fraglichen Service-Kasse herrschte, dem Gerichte schon seinerzeit bekannt gewesen sei.
D.- Getzmann führt gegen den Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde, mit dem Antrag, er sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung, eventuell zur Ergänzung der Akten, an das Obergericht zurückzuweisen.
Er macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 397 StGB, weil von einer Tatsache nur dann gesagt werden könne, sie sei dem Gerichte schon zur Zeit des früheren Verfahrens bekannt gewesen, wenn darüber Beweis geführt worden sei und sich dabei etwas Positives ergeben, d.h. die Tatsache sich entweder als richtig oder aber als sicher unrichtig erwiesen habe. Die erwähnte Bestimmung setze nicht voraus, dass das Gericht zur Zeit des früheren Verfahrens bezüglich der betreffenden Tatsache "ahnungslos" gewesen sei. Das Obergericht stütze sich somit zu Unrecht darauf, dass der Beschwerdeführer schon in der Untersuchung geltend gemacht habe, es habe eine grosse Unordnung im Betriebe geherrscht und es habe jedermann zur Kasse Zutritt gehabt, und dass die entsprechenden Erhebungen des Gerichts ergebnislos verlaufen seien.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
In den von den kantonalen Behörden beurteilten Bundesstrafsachen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten von Bundesrechts wegen zu
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gestatten "wegen erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die dem Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren" (Art. 397 StGB).Eine Tatsache ist nicht schon dann zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt gewesen, wenn damals darüber nicht Beweis geführt wurde, sondern nur dann, wenn sie dem Gericht überhaupt nicht zur Beurteilung vorlag, sei es auch bloss in Form einer irgendwie namhaft gemachten Hypothese. Mit der Behauptung von Tatsachen, von denen das Gericht in diesem Sinne Kenntnis hatte, die es aber aus einem anderen Grunde als mangels Beweises dem Urteil nicht zugrunde legte, nämlich weil es sie für rechtlich unerheblich hielt und ihnen auch nicht den Wert von Indizien zum Schluss auf rechtlich erhebliche andere Tatsachen beimass, kann ein Wiederaufnahmegesuch nicht begründet werden; das liefe darauf hinaus, die rechtliche Erheblichkeit einer behaupteten Tatsache oder ihren Wert als Beweisindiz erneut zur Beurteilung zu stellen, obschon darüber bereits geurteilt wurde. Dabei ist unerheblich, ob das Gericht der Tatsache im früheren Verfahren die Erheblichkeit oder den Wert als Beweisindiz ausdrücklich oder bloss stillschweigend aberkannte, stillschweigend namentlich etwa dadurch, dass es aus dem übrigen Beweisergebnis auf eine Tatsache schloss (z.B. Täterschaft des Angeklagten), die sich mit der behaupteten oder sonstwie als Hypothese bekannten anderen Tatsache (z.B. Täterschaft eines Dritten) nicht verträgt. Aber auch mit Tatsachen, die das Gericht im früheren Verfahren bloss mangels Beweises nicht berücksichtigte, kann nicht mit der Begründung, sie seien dem Gerichte damals nicht bekannt gewesen, Wiederaufnahme verlangt werden. Kann der Gesuchsteller zu ihrer Erhärtung nur die früheren Beweismittel anrufen, so liefe das Wiederaufnahmeverfahren bloss darauf hinaus, das frühere Beweismaterial nochmals zu überprüfen. Stehen ihm dagegen neue Beweismittel zur Verfügung, so ist die Wiederaufnahme ihretwegen zulässig, nicht weil die behauptete Tatsache neu wäre.