BGE 81 IV 1
 
1. Urteil des Kassationshofes vom 21. Januar 1955 i.S. Wenger gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
 
Regeste
1. Art. 13 StGB. Der Richter darf den Sachverhalt, den er als Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit würdigt, auch ohne psychiatrisches Gutachten oder in Abweichung von einem solchen feststellen (Erw. 1).
 
Sachverhalt


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A.- Robert Wenger, geb. 1927, Sohn wiederholt vorbestrafter und liederlicher Eltern, zeigte sich schon vom dritten Altersjahr an in der Obhut von Pflegeeltern und später im Erziehungsheim Oberbipp und in der Anstalt Bächtelen als unverbesserlicher Lügner, Dieb und Vagabund. Einmal beging er auch Unzucht mit Kindern. Im Jahre 1943 wurde er in die Erziehungsanstalt Tessenberg versetzt. Wegen seines Charakters, mangelnder Begabung und Faulheit konnte ihm kein Beruf gelehrt werden. Im Jahre 1944 riss er aus, beging mehrere Einbruchsdiebstähle und versuchte, Fahrräder zu entwenden. Auf den Tessenberg zurückversetzt, simulierte er eine Geisteskrankheit. Er wurde daher in der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen begutachtet, wobei der Sachverständige am 27. Dezember

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1945 schloss, Wenger sei nicht geisteskrank, wohl aber ein haltloser, geltungssüchtiger und moralisch defekter und hochgradig gemeingefährlicher Psychopath, der für lange Zeit verwahrt werden sollte. Der Regierungsrat des Kantons Bern entsprach dem Antrag. Wenger weilte vom Februar 1946 bis Februar 1949 in der Abteilung für Jugendliche der Anstalt Witzwil. Bedingt entlassen, wurde er hierauf für eine Übergangszeit im Gutshof Enggistein untergebracht und hätte er bei Wohlverhalten anfangs April 1949 eine Stelle antreten können. Am Abend des 5. März 1949 verliess er den Hof. Er kehrte spät in der Nacht betrunken zurück und machte sich am folgenden Tage davon. Er versetzte Kleidungsstücke und andere Sachen und lockte zwei Pfarrern mit unwahren Angaben Geld ab Am 10. März 1949 wurde er mittellos in Chiasso festgenommen, als er im Begriffe war, nach Italien zu ziehen-Inzwischen war auch bekannt geworden, dass er seit seiner Entlassung aus der Anstalt Witzwil eine Handharmonika im Werte von Fr. 1100.-- gekauft hatte, obschon er kein Geld besass.
Am 26. April 1949 beschloss der Regierungsrat des Kantons Bern, Wenger wegen Liederlichkeit, Haltlosigkeit und geistiger Minderwertigkeit in die Arbeitsanstalt Lindenhof einzuweisen. Nach Ablauf eines Jahres wurde Wenger mit der Weisung, vorerst während mindestens zwei Monaten im Gutshof Enggistein zu arbeiten, bedingt entlassen und unter Schutzaufsicht gestellt. Vier Tage nach seinem Eintritt in den Hof versuchte er am 10. April 1950 in Worb, eine Handharmonika im Werte von Fr. 800.-- zu erschwindeln. Er begann nachts zu streunen, knüpfte mit einem schlecht beleumdeten, geistig und körperlich zurückgebliebenen Mädchen ein intimes Verhältnis an und schwindelte ihm Fr. 140.-- ab. Schliesslich lief er von Enggistein fort und trat in der Nacht vom 5./6. Mai freiwillig in die Heil- und Pflegeanstalt Münsingen ein, eine Geisteskrankheit vortäuschend. Die Anstaltsdirektion bestätigte das Gutachten vom 27. Dezember 1945. In der

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Folge wurde Wenger nochmals in Enggistein aufgenommen. Er lief aber in der Nacht auf den 28. Juli 1950 wieder davon und stellte sich am folgenden Morgen in Witzwil. Da er auf der Flucht ein fremdes Fahrrad mitgenommen hatte, wurde er wegen Diebstahls zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Im Herbst 1950 wurde er administrativ in die Arbeitserziehungsanstalt Lindenhof zurückversetzt. Im August 1951 entliess man ihn probeweise unter der Bedingung, dass er sich vorerst mindestens sechs Monate lang im Arbeiterheim Tannenhof aufhalte. Dort kehrte er jedoch oft erst nach Mitternacht heim und war am folgenden Tage bei der Arbeit schlapp. Am 28. September 1951 riss er aus. Da er bald darauf in einem Gasthof die Zeche nicht beglich und eine Militäruniform wegnahm, wurde er verhaftet. Er gebärdete sich bei diesem Anlass wie ein Verrückter und wurde daher in die Heil- und Pflegeanstalt Waldau versetzt. Dort gab er jedoch bald die Simulation von Geisteskrankheiten auf. Am 11. November 1951 wurde er wieder in den Tannenhof gewiesen. Die Untersuchung wegen Zechprellerei und Diebstahls war am Vortage aufgehoben worden.
Da Wenger den Tannenhof schon am 16. Dezember 1951 eigenmächtig wieder verliess und nach Birsfelden zog, wurde er im Februar 1952 administrativ in die Arbeitsanstalt Lindenhof zurückversetzt. Am 25. März 1952 wies man ihn in die Heil- und Pflegeanstalt Waldau ein, weil er gedroht hatte, er werde alle zur Domäne Witzwil gehörenden Scheunen in Brand stecken, sobald sie mit Getreide gefüllt sein würden. Die Diagnose der früheren Gutachten wurde bestätigt.
Ab 16. Mai 1952 war Wenger in der Arbeitsanstalt St. Johannsen. Da er einen Fluchtversuch unternahm, beschloss der Regierungsrat des Kantons Bern am 6. Juni 1952, ihn in die Verwahrungsanstalt Thorberg zu versetzen. Wegen Platzmangels blieb Wenger aber zunächst im Bezirksgefängnis Bern. Zufolge Verwechslung mit einem anderen Wenger entliess man ihn dort am 23. Juni 1952,

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wies ihm auf einer Baustelle in Unterbach Arbeit an und rüstete ihn mit Kleidern und Schuhen aus.
B.- In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1952 brach Wenger in Unterbach in eine Baukantine ein. Er stahl Zigaretten, Schokolade und Bargeld sowie von einem Lastwagen einen Zündschlüssel. Hierauf floh er nach Basel und Rheinfelden. Am Abend des 26. Juni 1952 zog er zu einem Landwirt in Effingen. Am folgenden Tage betastete er dem achtjährigen Töchterchen seines Gastgebers den Geschlechtsteil und versuchte ihm den Finger in die Scheide zu stossen. Am 28. Juni 1952 stahl er seinem Gastgeber Fr. 75.-. Am Abend des gleichen Tages mietete er in einem Gasthof in Mumpf ein Zimmer, und am folgenden Morgen borgte er beim Stiefsohne des Wirtes ein Kleid und ein Paar Schuhe. Er behielt diese Sachen, kehrte nicht zurück und blieb auch die Miete für das Zimmer schuldig. Am 29. Juni 1952 betrog er ein Mädchen um Fr. 50.-. Am 2. Juli 1952 stahl er in Thielle ein Fahrrad und verkaufte es in Le Landeron für Fr. 35.-. In der Nacht vom 2./3. Juli 1952 wurde er in Hellsau verhaftet. Bei der Einvernahme vom 5. Juli 1952 durch den Untersuchungsrichter schilderte er eingehend, wie er in der Nähe von Serrières einen unbekannten Österreicher während einer Kahnpartie getötet, beraubt und in den See geworfen habe. Die Überprüfung ergab, dass diese Angaben erfunden waren, was Wenger schliesslich auch gestand.
C.- Im Strafverfahren wurde Wenger psychiatrisch begutachtet. Der Sachverständige Dr. Hans Bührer kam am 7. August 1952 zum Schluss, der Angeschuldigte sei zur Zeit seiner Taten vollständig fähig gewesen, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen und gemäss Einsicht zu handeln. Wenger sei körperlich und geistig gesund. Er sei ein moralisch defekter Psychopath. Sein Zustand erfordere keine ärztliche Behandlung und Wenger müsse auch nicht in einer Heil- oder Pflegeanstalt versorgt werden (Art. 15 StGB). Er gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Er sei in hohem Grade gemeingefährlich und müsse daher

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verwahrt werden. Eine Verwahrung nach Art. 14 StGB komme aber angesichts der vollen Zurechnungsfähigkeit nicht in Frage. Wenger gehöre in eine Verwahrungsanstalt.
Das Amtsgericht Oberhasli, dem Gutachten folgend, erachtete Wenger als voll zurechnungsfähig, erklärte ihn wegen der in der Zeit vom 24. Juni bis 5. Juli 1952 begangenen strafbaren Handlungen des Diebstahls, der Veruntreuung, der Sachbeschädigung, des Betruges, der Zechprellerei, der Irreführung der Rechtspflege und der Unzucht mit einem Kinde schuldig, verurteilte ihn zu vier Jahren Zuchthaus und stellte ihn für vier Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
D.- Das Obergericht des Kantons Bern, an das Wenger hinsichtlich der Strafzumessung appellierte, setzte am 24. April 1953 die Strafe auf zwei Jahre Gefängnis, abzüglich 41 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft, herab, stellte den Strafvollzug ein und beschloss, Wenger gemäss Art. 14 StGB in einer Pflegeanstalt zu verwahren.
Das Obergericht führte aus, den Schlussfolgerungen des Sachverständigen könne nicht in allen Teilen beigepflichtet werden. Zwar seien nicht alle kriminellen Psychopathen vermindert zurechnungsfähig, sondern es sei im Einzelfalle zu prüfen, ob der Täter fähig gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen und gemäss dieser Einsicht zu handeln. Die Zurechnungsfähigkeit sei aber jedenfalls dann vermindert, wenn die Psychopathie nach Art und Grad zu einem völlig abnormen Geisteszustand führe, d.h. in ihren Auswirkungen einer Geisteskrankheit gleichkomme. Wenger sei eine hochgradig moralisch defekte Person. Seine seit frühester Jugend zu Tage tretende Assozialität, seine Gefühlsroheit und Hemmungslosigkeit beim Begehen der Straftaten bewiesen das genügend. Die Einzelheiten jedoch zeigten, dass er mehr als ein blosser Psychopath sei. Es sei schon auffällig, dass er sich nicht nur in diesem Verfahren, sondern schon im Jahre 1944 vor der Polizei fälschlicherweise des Mordes bezichtet habe. Seine Geltungssucht wirke krankhaft. Er gebe sich immer wieder

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als gelernter Mechaniker, Traktor- oder Autocarführer, als Musiker oder Inhaber einer Handharmonikaschule aus. Er scheine überhaupt an einem "Handharmonika-Komplex" zu leiden. Sobald er in Freiheit sei, kaufe er sich eine teure Handharmonika, ohne einen Rappen Geld zu besitzen. In seiner Lebensbeschreibung ersuche er das Gericht um die Todesstrafe, weil sein Leben ohne chromatische Handorgel unbrauchbar sei, und in einem Schreiben an die "Herren Chirurgen" in London wolle er den englischen Studenten seinen Körper zum Zwecke der Erlernung chirurgischer Eingriffe und, falls ihm dabei etwas zustossen sollte, sein Skelett zu Studienzwecken zur Verfügung stellen, alles zum Preise einer chromatischen vierchörigen Handharmonika mit Registern. Er wende sich auch an den I. Adjunkten der Polizeidirektion des Kantons Bern, ersuchte ihn um Freilassung, um eine starke sozialkommunistische Arbeiterpartei zu gründen, und sichere ihm in der Distanzlosigkeit des Debilen den Posten eines Präsidenten dieser Partei zu. Wenger lebe in einer Welt, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun habe. Er sei denn auch tatsächlich nicht in der Lage, sein Leben in der Gemeinschaft anderer zu gestalten. Seine schwere Psychopathie und seine leichte Debilität, die in Verbindung mit seiner Geltungssucht den Charakter eines eigentlichen Salonblödsinnes angenommen habe, hätten zu einem ganz abnormen Geisteszustand geführt. Die Einsicht in das Unrecht seiner Taten habe ihm deswegen zwar nicht gefehlt, wohl aber sei seine Fähigkeit, gemäss seiner Einsicht zu handeln, etwas herabgesetzt gewesen. Er sei daher zumindest in leichtem Masse als vermindert zurechnungsfähig zu betrachten. - Wenger sei in sämtlichen über ihn abgegebenen psychiatrischen Gutachten als gemeingefährlich bezeichnet worden. Dass dem so sei, habe er genügend bewiesen. Er habe sich kaum je einen Tag lang in der Freiheit halten können, ohne straffällig zu werden. Seine Delikte hätten zwar bis heute noch nicht allzu grosse Ausmasse angenommen. Dem moralisch defekten, aggressiven

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und impulsiven Angeschuldigten seien jedoch nach Ansicht der Psychiater auch schwere Verbrechen zuzutrauen, und es müsse vor allem mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass er seine Drohungen durch Brandstiftung oder Angriff auf das Leben anderer verwirkliche. Da Wenger vermindert zurechnungsfähig sei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und daher verwahrt werden müsse, jedoch keiner ärztlichen Behandlung bedürfe, seien die Voraussetzungen des Art. 14 StGB erfüllt.
E.- Wenger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an diese Instanz zurückzuweisen. Er macht geltend, da das Obergericht dem Gutachten des Dr. Bührer nicht habe folgen wollen, hätte es ein Obergutachten einholen sollen; indem es das nicht getan und ohne genügende Grundlage angenommen habe, der Beschwerdeführer habe seine Taten im Zustande verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen, habe es Art. 11 StGB verletzt. Sodann habe es Art. 14 StGB zu Unrecht angewendet. Diese Bestimmung setze ausser verminderter Zurechnungsfähigkeit und Gemeingefährlichkeit des Täters dessen Heil- oder Pflegebedürftigkeit voraus. Der Beschwerdeführer aber habe nach den psychiatrischen Gutachten weder eine Heilbehandlung noch Pflege nötig. Das Obergericht nehme das auch gar nicht an; die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung verneine es sogar ausdrücklich.
F.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Indem das Obergericht entgegen dem Sachverständigen Dr. Bührer angenommen hat, der Beschwerdeführer habe die ihm zur Last gelegten Taten im Zustande verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen, hat es nicht gegen eidgenössisches Recht verstossen. Weder Art. 11 StGB noch eine andere Bestimmung des Bundesrechts verbietet dem Richter, einen bestimmten biologisch-psychologischen

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Sachverhalt, den er als verminderte Zurechnungsfähigkeit würdigt, anders als durch ein psychiatrisches Gutachten festzustellen, noch ist der Richter verpflichtet, einem Gutachten, das er eingeholt hat, unbesehen zu folgen (BGE 75 IV 148). Der Kassationshof hat auf Nichtigkeitsbeschwerde hin auch nicht zu prüfen, ob der von der kantonalen Behörde ermittelte Sachverhalt in den Akten eine genügende Grundlage hat. Denn er ist an tatsächliche Feststellungen gebunden (Art. 277bis Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP) und hat lediglich zu entscheiden, ob die festgestellten Tatsachen rechtlich richtig gewürdigt worden sind, im vorliegenden Falle also, ob der biologischpsychologische Zustand, in dem der Beschwerdeführer nach Auffassung des Obergerichts seine Verbrechen und Vergehen begangen hat, die rechtlichen Merkmale der verminderten Zurechnungsfähigkeit aufweist. Dass das nicht der Fall sei, macht jedoch der Beschwerdeführer nicht geltend. Es Ist denn auch nicht zu ersehen, inwiefern das Obergericht den Rechtsbegriff der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit verkannt haben könnte. Zwar ist der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen (BGE 78 IV 212). Das hat das Obergericht aber nicht getan, indem es dem Beschwerdeführer angesichts seines ganzen Vorlebens und seines sonderbaren Verhaltens einen geringfügigen Teil der Willensfreiheit abgesprochen hat, die der Mensch normalerweise besitzt.
InBGE 73 IV 151hat der Kassationshof angenommen, es sei dann im Sinne dieser Bestimmung notwendig, den die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdenden vermindert zurechnungsfähigen Täter in einer Heil- oder

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Pflegeanstalt zu verwahren, wenn er entweder einer Heilbehandlung oder der Pflege bedürfe (vgl. auch schonBGE 71 IV 71). Das wurde daraus abgeleitet, dass Art. 14 gleich wie Art. 15, der um der "Behandlung" oder "Versorgung" des Täters willen erlassen worden ist, von einer Heil- oder Pflegeanstalt spricht.
Diese Rechtsprechung entspricht dem wahren Sinne des Art. 14 Abs. 1 StGB indessen nicht und ist denn auch schon in einem Urteil vom 28. September 1951 in Sachen Rittermann aufgegeben worden.
Es fehlt ein Grund, der den Gesetzgeber bewogen haben könnte, die Verwahrung Unzurechnungsfähiger oder vermindert Zurechnungsfähiger, die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden, nur dann zu gestatten, wenn sie behandlungs- oder pflegebedürftig sind. Mit den Behandlungs- und den Pflegebedürftigen befasst sich Art. 15, lautend: "Erfordert der Zustand des unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen Täters seine Behandlung oder Versorgung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, so ordnet der Richter diese Behandlung oder Versorgung an. - Der Richter stellt den Strafvollzug gegen den verurteilten vermindert Zurechnungsfähigen ein." Neben dieser Bestimmung wäre Art. 14 überflüssig, wenn er voraussetzte, dass die Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt wegen Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit des Täters notwendig sei. Die Einweisung kann und muss, wenn diese Voraussetzung zutrifft, schon nach Art. 15 erfolgen. Nur weil Verwahrung die "strengere Form" sei als die Versorgung (vgl. ZStrR 62 59), kann Art. 14 nicht aufgestellt worden sein, umsoweniger als dieser Sinn nur zwischen den Zeilen herausgelesen werden müsste. Art. 14 hätte auch nicht etwa die über Art. 15 hinausgehende Wirkung, dass der Eingewiesene nach der Heilung oder nach dem Hinfall der Pflegebedürftigkeit noch weiter verwahrt werden dürfte. Nach der Heilung des Täters ist die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht mehr gefährdet, und wenn Fälle denkbar sind, in denen nach Hinfall der Pflegebedürftigkeit

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diese Gefährdung noch weiterbesteht, so könnte es doch nicht der Sinn des Art. 14 sein, dass der Eingewiesene nur ihretwegen weiterverwahrt werden dürfte; es wäre nicht zu verstehen, dass die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung allein kein Grund zur Anordnung der Verwahrung, wohl aber Grund zu ihrer Aufrechterhaltung wäre; das widerspräche Art. 17 Ziff. 2 Abs. 1, wonach die Verwahrung nicht länger dauern soll als der Grund, der zu ihr Anlass gegeben hat. Art. 14 ist nur sinnvoll, wenn er die Verwahrung ohne Rücksicht auf die Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit des Täters einzig wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gestattet. Es wäre auch verwunderlich, wenn das Strafgesetzbuch sich zwar der Behandlungs- oder Pflegebedürftigen annähme - und das gerade in zwei Bestimmungen (Art. 14 und 15) -, den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor anderen unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen Tätern dagegen vernachlässigte. Es kennt die Verwahrung rein zur Sicherung der Gesellschaft schon in Art. 42. Daher liegt nahe, dass ihr auch Art. 14 ohne Rücksicht auf die Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit des Täters dienen will. Hiefür spricht auch Art. 12 MStG, wonach der Militärrichter den Unzurechnungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen, der die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und dessen Verwahrung geboten erscheint, schon allein wegen dieser Gefährdung der bürgerlichen Verwaltungsbehörde zu überweisen hat. Das Strafgesetzbuch müsste eine entsprechende Bestimmung enthalten, wenn der bürgerliche Richter den Unzurechnungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen nicht ohne Rücksicht auf seine Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit selber in Verwahrung setzen dürfte. Dass die Öffentlichkeit nur vor dem Heilbaren oder dem Pflegebedürftigen geschützt werde, kann es schon deshalb nicht wollen, weil der weder heilbare noch pflegebedürftige Unzurechnungsfähige oder vermindert Zurechnungsfähige die öffentliche Sicherheit und Ordnung in

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ebenso hohem Masse gefährden kann, ja sie gewöhnlich noch mehr gefährdet als der Behandlungs- oder Pflegebedürftige.
Ein gegenteiliger Schluss lässt sich nicht daraus ziehen, dass Art. 14 StGB bestimmt, die Verwahrung sei in einer "Heil- oder Pflegeanstalt" zu vollziehen. Es ist nicht zu ersehen, weshalb diese Norm die Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit nur in so verkappter Form zur Voraussetzung der Verwahrung erheben würde, statt sie ausdrücklich zu verlangen, wie Art. 15 Abs. 1 StGB es tut. Die Worte in Art. 14 Abs. 1 "und ist es notwendig, ihn in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu verwahren", haben einen vernünftigen Sinn auch dann, wenn die Betonung nicht auf "Heil" und "Pflege", sondern auf "notwendig" und "verwahren" gelegt wird: Der die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige Täter soll nur dann nach Art. 14 verwahrt werden, wenn diese Verwahrung (auf unbestimmte Zeit) notwendig ist. Kann die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anders behoben werden, z.B. durch Vollzug einer langen Freiheitsstrafe, Verwahrung nach Art. 42, Bevormundung, Massnahmen nach kantonalem Verwaltungsrecht, Beaufsichtigung durch Angehörige, so soll der Richter Art. 14 nicht anwenden.
Gewiss leuchtet nicht ohne weiteres ein, weshalb in einer "Heil- oder Pflegeanstalt" auch Personen verwahrt werden sollen, die weder geheilt werden können, noch gepflegt werden müssen. Es gibt denn auch Psychiater, die es für unzweckmässig halten, gewisse Kategorien solcher Rechtsbrecher in die von ihnen geleiteten Anstalten einzuweisen (vgl. BLEULER, ZStrR 58 14; WYRSCH, ZStrR 59 13 f., 68 19 ff.; DUKOR, ZStrR 59 292; KIELHOLZ, ZStrR 60 238). Geradezu sinnlos ist diese Ordnung jedoch nicht. Dass dem zu Verwahrenden die Zurechnungsfähigkeit ganz oder teilweise fehlt, kann allein schon als genügender Grund erachtet worden sein, unter den vorhandenen Anstalten die Heil- und die Pflegeanstalten, die

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ja vorwiegend vermindert Zurechnungsfähige und Unzurechnungsfähige beherbergen, als die geeignetsten Verwahrungsorte zu betrachten. Die Errichtung besonderer Anstalten zur Verwahrung unheilbarer und nicht pflegebedürftiger vermindert Zurechnungsfähiger und Unzurechnungsfähiger kam nicht in Frage, und die Einweisung in Verwahrungsanstalten für Gewohnheitsverbrecher im Sinne des Art. 42 StGB oder in Strafanstalten widerspräche den berechtigten Interessen des Einzuweisenden. Wie schon in Sachen Rittermann ausgeführt wurde, ist übrigens weder der Begriff der Heilanstalt noch der der Pflegeanstalt so eng, dass darunter, Verwahrungsanstalten für Gewohnheitsverbrecher und Strafanstalten ausgenommen, nicht irgendwelche Anstalt verstanden werden könnte, die die Öffentlichkeit vor ihren Insassen, ohne diese einer Heilbehandlung zu unterziehen oder sie zu pflegen, in geeigneter Weise schützt. Nur wenn der zu Verwahrende einer Heilbehandlung oder der Pflege bedarf, muss die Massnahme in einer Anstalt vollzogen werden, in der geheilt bzw. gepflegt werden kann. Dann aber hat der Richter es nicht bei der Anwendung des Art. 14 StGB bewenden zu lassen, der sich mit den Unzurechnungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen nur unter dem Gesichtspunkt der Verwahrung (internement, internamento; vgl. Randtitel), d.h. einer dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienenden reinen Absonderung von der Gesellschaft, befasst, sondern ausdrücklich daneben auch Heilbehandlung oder Pflege im Sinne des Art. 15 StGB anzuordnen.
Der Bundesrat, der in zwei Entscheidungen vom 21. Oktober 1946 und 26. April 1947 i.S. Keller von der Auffassung ausgegangen ist, die Verwahrung nach Art. 14 StGB setze voraus, dass der Täter einer Heilbehandlung oder der Pflege bedürfe (ZStrR 62 59, 399), hat denn auch am 27. Dezember 1954 in einem Meinungsaustausch mit dem Kassationshof dessen gegenteiligen neuen Rechtsprechung beigepflichtet.


BGE 81 IV 1 (13):

Dass der Beschwerdeführer weder einer Heilbehandlung noch der Pflege bedarf, steht somit seiner Verwahrung nicht im Wege.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.