84 IV 3
Urteilskopf
84 IV 3
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. März 1958 i.S. Buri gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.
Regeste
Art. 42 StGB.
Zahlreiche Freiheitsstrafen; Hang zu Verbrechen oder Vergehen.
A.- Der im Jahre 1933 geborene Rudolf Buri hat ausser drei in den Jahren 1950-1955 ausgefällten Bussen folgende Strafen erlitten:
a) am 14. Oktober 1953 sechzig Tage Gefängnis wegen Diebstahls und Widerhandlungen gegen das MFG;
b) am 28. April 1954 dreissig Tage Gefängnis wegen Diebstahls;
c) am 16. Februar 1955 hundertachtzig Tage Gefängnis wegen gewerbsmässigen Diebstahls, Betruges und Urkundenfälschung;
d) am 29. September 1955 dreissig Tage Haft wegen Führens von Motorfahrzeugen ohne Ausweis;
e) am 30. Oktober 1956 sieben Monate Gefängnis wegen versuchten und vollendeten Diebstahls, Meuterei von Gefangenen usw.;
f) am 30. Januar 1957 fünf Monate Gefängnis wegen wiederholten Diebstahls.
Am 27. November 1957 verurteilte die Kriminalkammer des Kantons Thurgau Buri erneut wegen einfachen und gewerbsmässigen Diebstahls, sowie wegen wiederholten Führens eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis und wegen Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch zu vierzehn Monaten Zuchthaus und zu einer Busse von Fr. 80.-. An Stelle der Freiheitsstrafe erkannte das Gericht auf Verwahrung im Sinne des Art. 42 StGB und auf zehnjährige Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit gemäss Art. 52 Ziff. 1 Abs. 3 StGB.
B.- Buri greift dieses Urteil mit der Nichtigkeitsbeschwerde an. Er macht geltend, die Kriminalkammer habe ihn zu Unrecht des gewerbsmässigen Diebstahls schuldig erklärt. Weiter wendet er sich gegen die Verwahrung nach Art. 42 StGB, gegen die Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit auf die Dauer von zehn Jahren und gegen die Belastung mit 7/8 der Kosten der amtlichen Verteidigung.
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
Aus den Erwägungen:
Durch das angefochtene Urteil ist der Beschwerdeführer u.a. des Diebstahls, also eines Verbrechens (Art. 137 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 StGB) schuldig erklärt worden. Gemäss Art. 42 Ziff. 1 StGB kann er daher auf unbestimmte Zeit verwahrt werden, sofern er wegen Verbrechen oder Vergehen schon zahlreiche Freiheitsstrafen verbüsst hat und einen Hang zu Verbrechen oder Vergehen, zur Liederlichkeit oder Arbeitsscheu bekundet.
Entgegen der Bestreitung des Beschwerdeführers ist die erste Voraussetzung erfüllt. Wohl fallen, was die Vorinstanz offenbar übersehen hat, in diesem Zusammenhang von den neun Vorstrafen, die er bereits erlitten hat, die drei Bussen und die am 29. September 1955 wegen Widerhandlung gegen Art. 5 Abs. 2 MFG, also wegen einer Übertretung, ausgesprochene Haftstrafe ausser Betracht. Auch
BGE 84 IV 3 S. 5
dann verbleiben aber noch fünf wegen Verbrechen oder Vergehen verbüsste Freiheitsstrafen. Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes sind das zahlreiche im Sinne des Gesetzes, zumal keine davon ausgesprochen leicht war und sich alle innert weniger Jahre in regelmässigen Abständen folgten (vgl. BGE 69 IV 101; BGE 75 IV 100). Dass der Beschwerdeführer offenbar drei dieser fünf Freiheitsstrafen in einem Zuge verbüsst hat, ändert nichts, da auch in diesem Falle jede der Strafen im Sinne von Art. 42 StGB als eine besondere zählt (Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1954 i.S. Vögeli).Da die Zahl der wegen Verbrechen und Vergehen verbüssten Gefängnisstrafen jedoch nur knapp über der Grenze liegt, die in Art. 42 Ziff. 1 StGB durch das Erfordernis der zahlreichen Freiheitsstrafen gezogen wird, kann aus ihr nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu Verbrechen und Vergehen habe. Damit ein solcher angenommen werden könnte, müssten weitere Umstände zwingend darauf hinweisen, dass der Beschwerdeführer zufolge Charakterschwäche jeder Tatkraft ernsten Treibens ermangelt und daher keiner Versuchung zu widerstehen vermag (Botschaft zum Entwurf 1918 S. 16; BGE 69 IV 192, BGE 70 IV 58). Die rasche Folge der fünf Verurteilungen zu Gefängnisstrafen von dreissig Tagen bis zu sieben Monaten, die sich auf einen Zeitraum von nicht einmal fünf Jahren verteilen, und die lange Reihe von neuen Verbrechen, die der Beschwerdeführer kurz nach Verbüssung der letzten Strafe innert weniger Wochen begangen hat, legt zwar eine ungünstige Prognose nahe. Diese wird ferner noch verstärkt durch die - wenn auch leichte - Verminderung der Zurechnungsfähigkeit, die der Beschwerdeführer nach dem von der Vorinstanz herangezogenen psychiatrischen Gutachten vergeblich bestreitet.
Anderseits darf aber nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer erst fünfundzwanzig Jahre alt ist. Bei diesem Alter erscheint als zweifelhaft, ob die fünf Gefängnisstrafen
BGE 84 IV 3 S. 6
zum Schlusse berechtigen, sie hätten genügt, ihn zu bessern, wenn er überhaupt besserungsfähig wäre. Sie beweisen nicht ohne weiteres, dass mit Strafe, auch mit der schwersten, gegen seine Neigung zu Verbrechen oder Vergehen auf die Dauer nicht aufzukommen wäre (vgl. BGE 75 IV 100). Der 25jährige Beschwerdeführer erscheint wegen dieser immerhin nicht besonders zahlreichen Vorstrafen noch nicht als unverbesserlicher Gewohnheitsverbrecher, auf die die schwerwiegende Massnahme einer mindestens dreijährigen und darüber hinaus noch unbestimmten Verwahrung zugeschnitten ist. Ein nochmaliger eindringlicher Besserungsversuch darf daher nicht von vorneherein als aussichtslos von der Hand gewiesen werden. Dieser Versuch drängt sich umso mehr auf, als zu den neuen Verfehlungen beigetragen haben mag, dass der Beschwerdeführer offenbar aus der letzten Strafverbüssung ohne zweckmässige moralische und materielle Stütze in die Freiheit entlassen worden ist, obwohl in seinem Alter und nach seinem Vorleben eine solche Stütze in besonderem Masse angezeigt gewesen wäre. Da der Beschwerdeführer gemäss Art. 371 ZGB unter Vormundschaft zu stellen ist und diese offenbar auch gestützt auf Art. 369 ZGB angeordnet werden muss, kann erwartet werden, dass er nach Verbüssung der neuen Strafe zweckmässig betreut werden wird. Auch der psychiatrische Experte hält es nicht für ausgeschlossen, dass sich die Widerstandskraft des Verurteilten unter sorgfältiger vormundschaftlicher Führung mit zunehmendem Alter festigen kann und damit eine Abkehr von der deliktischen Neigung erreicht wird.Referenzen
Artikel: Art. 42 StGB, Art. 42 Ziff. 1 StGB, Art. 52 Ziff. 1 Abs. 3 StGB, Art. 9 Abs. 1 StGB mehr...