BGE 87 IV 16 |
5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Februar 1961 i.S. Boss gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. |
Regeste |
Art. 254 Abs. 1 StGB; Unterdrückung von Urkunden. |
2. Stellt ein Reisecheck, der nicht gegengezeichnet ist, im Sinne von Art. 23 Abs. 1 StGB ein Mittel dar, mit dem die Tat überhaupt nicht ausgeführt werden kann (Erw. 1 lit. a)? |
Sachverhalt |
A.- Boss nahm am 14. Mai 1960 aus einem Personenwagen, den er in der Garage X. in Y. zu reinigen hatte, zwei Reisechecks der American Express Company zu je 50 Dollars weg. Die Checks trugen die Unterschrift von A., waren von diesem aber noch nicht gegengezeichnet. Am gleichen Tage legte Boss einen der Checks der Wechselstube, welche die Schweizerischen Bundesbahnen im Bahnhof Y. betreiben, zur Zahlung vor. Diese wurde jedoch wegen fehlender Gegenzeichnung des Checks und weil Boss sich nicht als Berechtigter ausweisen konnte, verweigert. |
B.- Am 28. November 1960 erklärte ihn das Obergericht des Kantons Luzern als Appellationsinstanz wegen dieser Handlungen der Unterdrückung von Urkunden im Sinne von Art. 254 StGB und des unvollendeten Betrugsversuches nach Art. 21 und 148 StGB schuldig und verurteilte ihn zu drei Monaten Gefängnis, unter Anrechnung von einundzwanzig Tagen Untersuchungshaft.
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C.- Boss führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Aus den Erwägungen: |
1. Gegen Art 254 Abs. 1 StGB vergeht sich, wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beschädigt, vernichtet, beiseiteschafft oder entwendet, in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. |
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, es habe, da die Checks nicht gegengezeichnet gewesen seien, keine Aussicht bestanden, dass sie eingelöst würden; daher seien sie wertlos gewesen und habe durch das ihm zur Last gelegte Verhalten der objektive Tatbestand des Art. 254 Abs. 1 StGB nicht erfüllt werden können; infolgedessen liege höchstens ein untauglicher Versuch im Sinne von Art. 23 Abs. 1 StGB vor. Diese Auffassung ist unhaltbar. Ein Check verbrieft unabhängig davon, ob er gegengezeichnet ist oder nicht, eine Anweisung auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Als Schriftstück, das dazu bestimmt und übrigens auch geeignet ist, diese Anweisung, somit eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung, zu beweisen, ist er eine Urkunde im Sinne des Art. 110 Ziff. 5 StGB und folglich auch des Art. 254 Abs. 1 StGB. Ob ein Check gegengezeichnet ist oder nicht, ändert auch nichts daran, dass er angeeignet und diese Tat in der Absicht begangen werden kann, den Berechtigten an der Vorlegung zur Zahlung zu hindern und dadurch am Vermögen (oder andern Rechten) zu schädigen. Die Wegnahme eines Checks, der nicht gegengezeichnet ist, stellt somit keineswegs eine Handlung dar, die - wie es die Anwendung des Art. 23 Abs. 1 StGB voraussetzen würde - unmöglich zur Herbeiführung des in Art. 254 Abs. 1 StGB umschriebenen Erfolges führen kann.
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b) Der Beschwerdeführer kann jedoch nicht nach Art. 254 Abs. 1 StGB bestraft werden, weil er mit der Wegnahme der Checks keine der in dieser Bestimmung umschriebenen Absichten verfolgte. Aus dem Umstande, dass er einen der Checks zur Zahlung vorlegte, kann lediglich abgeleitet werden, er sei darauf ausgegangen, sich mittels dieser Urkunden Geld zu verschaffen. Art. 254 Abs. 1 StGB stellt jedoch nicht auf diese Absicht ab, sondern setzt voraus, dass der Täter beabsichtigt hat, einen Vorteil daraus zu ziehen, dass der Berechtigte den Besitz der Urkunde verloren hat. Der widerrechtliche Vorteil, auf den es der Täter abgesehen hat, muss somit, um die Anwendung des Art 254 Abs. 1 StGB zu begründen, nicht eine Folge der Aneignung der Urkunde, sondern des Umstandes sein, dass sie dem Berechtigten entzogen wurde. |
Zu dieser Auslegung führt vor allem eine Gegenüberstellung der Art. 254 Abs. 1 und 137 StGB. Während diese Bestimmung die in Bereicherungsabsicht ausgeführte Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mit Strafe bedroht, regelt jene insbesondere die Entwendung von Urkunden, wenn der Täter dadurch sich selbst oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil verschaffen will. Der Grund dafür, dass der Gesetzgeber diesen Tatbestand vom Verbrechen des Art. 137 StGB abgegrenzt und zum Gegenstand einer besonderen Strafbestimmung gemacht hat, kann nicht darin liegen, dass er den Urkunden im Verhältnis zu den andern beweglichen Sachen ein besonderes Gewicht beigelegt hätte; tatsächlich sind Urkunden weder grundsätzlich wertvoller, noch grundsätzlich weniger wert als andere bewegliche Sachen. Liegt der Grund für die vom Gesetz getroffene Unterscheidung zwischen der Entwendung einer Urkunde und der Wegnahme einer andern beweglichen Sache aber nicht im Objekt der Straftat, so kann sie nur durchgeführt worden sein mit Rücksicht auf Unterschiede in der Absicht, die der Täter mit dem Verbrechen verfolgte.
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Diese Verschiedenheit kann nicht einzig darin liegen, dass nach Art. 137 StGB die Absicht auf eine unrechtmässige Bereicherung gerichtet sein muss, während es nach Art. 254 Abs. 1 StGB genügt, dass der Täter auf die Erlangung eines unrechtmässigen Vorteils ausgeht. Es kommt nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung hinzu, dass der Dieb die Bereicherung durch die Erlangung der fremden beweglichen Sache, die auch eine Urkunde (z.B. ein Wertpapier) sein kann, erlangen will, während beim Verbrechen des Art. 254 Abs. 1 StGB der Täter daraus profitieren will, dass dem Berechtigten die Urkunde entzogen ist (vgl.BGE 73 IV 188, nicht veröffentlichte Entscheidung des Kassationshofes vom 3. Dezember 1954 i.S. Solèr; ZR 52 Nr. 13, 54 Nr. 42, 56 Nr. 67; ferner: GERMANN, Das Verbrechen S. 38 f.; HÄFLIGER, ZStR 68, S. 249; LOGOZ, N. 3 und 4 zu Art. 254 mit Zitaten). Dieser Unterscheidung folgend hat der Kassationshof beispielsweise erkannt, dass die Wegnahme eines Sparheftes als Diebstahl und nicht nach Art. 254 Abs. 1 StGB zu ahnden sei, weil der Täter dabei nicht Nutzen ziehen will aus dem Umstand, dass der Berechtigte die tatsächliche Verfügung darüber verloren hat, sondern es auf die Bereicherung abgesehen hat, die ihm der Besitz des Sparheftes und die dadurch geschaffene Möglichkeit der Verfügung über das Sparguthaben verschaffen (BGE 72 IV 118). Umgekehrt hat der Kassationshof in verschiedenen Entscheidungen darauf abgestellt, die Anwendung des Art. 254 Abs. 1 StGB setze voraus, dass der Zweck der Handlung darin lag, dem Berechtigten die Schrift als Beweismittel zu entziehen, der Täter also den Vorteil für sich selbst (oder für einen andern) in der Beseitigung der Urkunde sah (BGE 73 IV 188; nicht veröffentlichte Entscheidung vom 3. Dezember 1954 i.S. Solèr). |
c) Da die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Urteils keine Anhaltspunkte dafur enthalten, dass der Beschwerdeführer die Reisechecks mit dieser Einstellung wegnahm, kann er nicht nach Art. 254 Abs. 1 StGB bestraft werden. Dagegen sind alle Merkmale des Diebstahls im Sinne von Art. 137 Ziff. 1 StGB erfüllt. Indem der Beschwerdeführer sich die Checks aneignete, um sie zur Zahlung vorzulegen und dadurch zu Geld zu kommen, nahm er im Sinne dieser Bestimmung einem andern eine fremde bewegliche Sache weg, um sich damit unrechtmässig zu bereichern. Es kann jedoch davon abgesehen werden, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, um den Täter statt nach Art. 254 Abs. 1 nach Art. 137 Ziff. 1 StGB zu bestrafen, da die veränderte rechtliche Würdigung der Tat nicht zur Herabsetzung der Strafe führen würde. Art. 137 Ziff. 1 droht gleiche Strafe an wie Art. 254 Abs. 1 StGB. Bloss zur Berichtigung von Urteilsgründen, welche den Urteilsspruch nicht beeinflussen, ist die Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig (BGE 85 IV 134 f. und dort angeführte Entscheidungen). |