2. Urteil des Kassationshofes vom 16. Mai 1962 i.S. Schönbrod gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
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Regeste
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Art. 41 Ziff. 1 StGB.
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Strenge Anforderungen aus generalpräventiven Gründen; Verhältnis von Vorleben und Charakter des Täters zu den äussern Tatumständen.
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Sachverhalt
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BGE 88 IV 4 (5):
A.- Schönbrod beteiligte sich am Nachmittag des 20. Juli 1961 als Steuermann an einer Segelregatta auf dem Thunersee. Als er nach beendetem Wettkampf in einem Restaurant in Gwatt das Abendessen eingenommen hatte, fuhr er gegen 20 Uhr mit seinem Auto zu einem vom Segelklub in Thun veranstalteten Abendhock, trank dort 1 bis 1,1 Liter Weisswein und setzte sich um 23.15 Uhr wieder ans Steuer seines Wagens. Nach einem Abstecher nach Dürrenast kehrte er um 23.30 Uhr auf der Frutigenstrasse nach Thun zurück. Vor der Kreuzung Schadaustrasse/Thalackerstrasse spurte er in langsamer Fahrt gegen die Mittellinie ein und hielt nahezu an, bog dann aber unvermittelt nach links Richtung Thalackerstrasse ab und stiess dabei mit einem auf der Frutigenstrasse mit 55-60 km/Std Geschwindigkeit entgegenkommenden Motorradfahrer zusammen, den er trotz freier Sicht nicht rechtzeitig wahrgenommen hatte. Der Motorradfahrer zog sich beim Sturz verschiedene Verletzungen, u.a. eine Fraktur des linken Armes zu. Schönbrod war im Zeitpunkt des Zusammenstosses in leichtem bis mittlerem Grade berauscht; der Alkoholgehalt im Blute betrug 1,9 Volumen- oder 1,52 Gewichtspromille.
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B.- Der Gerichtspräsident II von Thun verurteilte Schönbrod wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs und Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustande zu 12 Tagen Haft und zu einer Busse von Fr. 80.-; er verweigerte ihm den bedingten Aufschub der Freiheitsstrafe und die bedingt vorzeitige Löschung der Busse.
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Das Obergericht des Kantons Bern wies die von Schönbrod BGE 88 IV 4 (6):
gegen dieses Urteil eingereichte Berufung am 15. Dezember 1961 ab.
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C.- Schönbrod beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde, es sei der Vollzug der Haftstrafe bedingt aufzuschieben und die Busse bedingt vorzeitig zu löschen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den Strafvollzug bedingt aufschieben, wenn die in Abs. 2 - 4 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Ausdruck "kann" bedeutet, dass auch beim Vorliegen der ausdrücklich genannten Voraussetzungen dem Richter immer noch ein gewisses Ermessen bleiben soll, und es ist daher nach der Rechtsprechung zulässig, für die Prognose neben dem Vorleben und Charakter des Verurteilten auch die besonderen Umstände des Falles heranzuziehen und allein gestützt auf solche Tatsachen den bedingten Strafaufschub zu verweigern (BGE 73 IV 77 ff.). Darüber hinaus lässt das dem Richter in Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 eingeräumte Ermessen Raum, den Entscheid neben spezialpräventiven auch auf generalpräventive Überlegungen zu stützen. Die vermehrte Berücksichtigung der Generalprävention kann wegen ihrer erzieherischen Wirkung auf Gebieten, wo die Häufigkeit und besondere Gefährlichkeit eines strafbaren Verhaltens nach verschärfter Sanktion ruft, im öffentlichen Interesse geboten sein. Eine solche Notwendigkeit ist im Falle des Führens von Motorfahrzeugen durch Angetrunkene angesichts der ausserordentlich gefährlichen Rolle, die diese Widerhandlung im Strassenverkehr spielt, gegeben; es liegt deshalb im Rahmen des gesetzlichen Ermessens, in diesen Fällen aus generalpräventiven Gründen an die Gewährung des bedingten Strafvollzuges besonders strenge Anforderungen zu stellen.
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Nach der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist dem auf Grund von Art. 59 MFG Verurteilten der bedingte Strafaufschub in der Regel zu verweigern, wenn nicht bestimmte besondere Umstände vorliegen, die den BGE 88 IV 4 (7):
Vorwurf der Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit, der angetrunkene Führer im allgemeinen trifft, als unbegründet erscheinen lassen, wie z.B. dann, wenn sich der Täter erst unter dem enthemmenden Einfluss des Alkohols zum Führen eines Motorfahrzeuges entschlossen hat oder wenn er durch starkes Drängen anderer zur Tat bewogen worden ist (BGE 79 IV 68, BGE 80 IV 13). Der Beschwerdeführer, auf den keiner der beiden Ausnahmefälle zutrifft, kann sich auf diese Rechtsprechung auch dann nicht berufen, wenn unter den besondern Umständen, durch die der Vorwurf der Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit entkräftet werden kann, nicht bloss äussere Tatumstände, wie in BGE 79 IV 68 angenommen wurde, sondern auch die persönlichen Verhältnisse, insbesondere Vorleben und Charakter, verstanden werden. Denn der gute allgemeine und automobilistische Leumund des Beschwerdeführers genügt für sich allein nicht; es kommt auch auf die Tat und ihre Umstände an. Nur wenn unter beiden Gesichtspunkten der Schluss zulässig wäre, dass die Tat auf ein einmaliges Versagen und nicht auf einen Charaktermangel zurückzuführen sei, könnte in Frage kommen, einer blossen Warnungsstrafe die Wirkung einer dauernden Besserung beizumessen. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
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Als erfahrener Automobilist musste sich der Beschwerdeführer über die schädlichen Wirkungen übermässigen Alkoholgenusses auf den menschlichen Organismus und die damit verbundene Beeinträchtigung der Fahrsicherheit im klaren sein, und ebenso hätte er sich über die grossen Gefahren, die durch alkoholisierte Führer im Strassenverkehr hervorgerufen werden, Rechenschaft ablegen müssen. Dessen ungeachtet mit einem Blutalkoholgehalt von 1,52 Gewichtspromille, somit in ziemlich stark angetrunkenem Zustande ein Motorfahrzeug zu führen, war in hohem Masse leichtfertig und unverantwortlich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer, wie er wusste, schon vor dem Alkoholgenuss ermüdet war. Dieses Wissen und die Erfahrungstatsache, dass bereits bestehende Ermüdung BGE 88 IV 4 (8):
die nachteiligen Wirkungen des Alkohols verstärkt, hätten den Beschwerdeführer erst recht davon abhalten müssen, mindestens einen Liter Weisswein zu trinken oder angetrunken den Wagen selber zu führen. Unter solchen Umständen ist der Vorwurf der Hemmungslosigkeit trotz gutem Leumund des Täters schon allein gestützt auf den Grad der Alkoholisierung und die dadurch bewirkte Verminderung der Fahrsicherheit berechtigt. Dass der Beschwerdeführer nicht auch noch besonders rasch oder sonstwie rücksichtslos gefahren ist und der Unfall lediglich seiner herabgesetzten Reaktionsfähigkeit zugeschrieben werden muss, kann daneben nicht ausschlaggebend sein; die Fahrweise und das übrige Verhalten des Beschwerdeführers sind übrigens bei der Bemessung der Strafe berücksichtigt worden. Für die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges genügt, dass er unbekümmert um seine Übermüdung und seine erhebliche Angetrunkenheit sich mit einer Bedenkenlosigkeit über die voraussehbare Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hinwegsetzte, dass die vorausgesetzte Erwartung, er werde sich schon durch eine bedingt vollziehbare Strafe dauernd bessern, nicht gerechtfertigt ist.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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